Kraftwerk Neurath

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Kraftwerk Neurath
Gesamtansicht Kraftwerk Neurath, Block F–G (links) und Block A–E (rechts), Ansicht von hinten aus Richtung Nordwest (2013)
Gesamtansicht Kraftwerk Neurath, Block F–G (links) und Block A–E (rechts), Ansicht von hinten aus Richtung Nordwest (2013)
Gesamtansicht Kraftwerk Neurath, Block F–G (links) und Block A–E (rechts), Ansicht von hinten aus Richtung Nordwest (2013)
Lage
Kraftwerk Neurath (Nordrhein-Westfalen)
Kraftwerk Neurath (Nordrhein-Westfalen)
Koordinaten 51° 2′ 22″ N, 6° 36′ 54″ OKoordinaten: 51° 2′ 22″ N, 6° 36′ 54″ O
Land Deutschland Deutschland
Gewässer keines (Kühlung über Kühlturm, der aus Tagebau-Grundwasser gespeist wird)
Daten
Typ Kohlekraftwerk
Primärenergie Fossile Energie
Brennstoff Braunkohle
(Rheinisches Braunkohlerevier)
Leistung 4.211 Megawatt (netto)
Eigentümer RWE
Betreiber RWE Power
Betriebsaufnahme 1972, 2012 (BoA)
Turbine 3 × 300 MW
2 × 600 MW
2 × 1.100 MW
Schornsteinhöhe 196 m
Eingespeiste Energie pro Jahr 31.300 GWh
Website RWE
Stand 2014
Kraftwerk Neurath im Rheinischen Braunkohlerevier
Kraftwerk Neurath im Rheinischen Braunkohlerevier

Kraftwerk Neurath im Rheinischen Braunkohlerevier

Bestandskraftwerk (ohne BoA-Neubau); Blöcke A (rechts) bis E (links)
Bestandskraftwerk (ohne BoA-Neubau); Blöcke A (rechts) bis E (links)

Bestandskraftwerk (ohne BoA-Neubau); Blöcke A (rechts) bis E (links)

Baustelle im August 2008
Baustelle im August 2008

Baustelle im August 2008

KW Neurath, Block F und G (BoA 2/3) aus südlicher Richtung
KW Neurath, Block F und G (BoA 2/3) aus südlicher Richtung

KW Neurath, Block F und G (BoA 2/3) aus südlicher Richtung

KW Neurath, BoA 2/3 aus nördlicher Richtung
KW Neurath, BoA 2/3 aus nördlicher Richtung

KW Neurath, BoA 2/3 aus nördlicher Richtung

f2

Das Kraftwerk Neurath liegt im Süden von Grevenbroich und grenzt an das Gebiet der Gemeinde Rommerskirchen und der Stadt Bedburg an. Der Betreiber ist RWE in Grevenbroich-Neurath (Rhein-Kreis Neuss). Es ist, gemessen an der installierten elektrischen Bruttoleistung von 4.400 Megawatt, das größte Kraftwerk in Deutschland und das zweitgrößte Braunkohlekraftwerk Europas nach dem Kraftwerk Bełchatów in Polen.

Das Kraftwerk dient der Erzeugung von Grundlaststrom und besitzt eine elektrische Nettoleistung von über 4.211 Megawatt. Die Kohle wird über Gleisanschluss an die Nord-Süd-Bahn aus den Tagebauen des Rheinischen Braunkohlereviers, insbesondere dem Tagebau Garzweiler bezogen. Mit einem CO2-Ausstoß von 22,1 Mio. Tonnen verursachte das Kraftwerk im Jahr 2021 die zweithöchsten Treibhausgasemissionen aller europäischen Kraftwerke.[1]

Kraftwerksblöcke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Kraftwerk besteht aus sieben Blöcken (3 × 300 MW, 2 × 600 MW und 2 × 1100 MW nominal), die zwischen 1972 und 1976 sowie 2012 errichtet wurden, und besitzt eine Bruttoleistung von ca. 4400 MW.

Block A B C D E F – BoA 2 G – BoA 3
Nettoleistung[2] 294 MWel 294 MWel 292 MWel 607 MWel 604 MWel 1.060 MWel 1.060 MWel
Inbetriebnahme 1972 1973 1975 1976 2012
Sicherheitsbereitschaft / Versorgungsreserve 1. Oktober 2019[3][4] - -
Stilllegung 1. April 2022 31. Dezember 2021 30. Juni 2023 31.03.2024 (opt. 31.03.2025) 31. März 2030 (geplant)
Wirkungsgrad (elektrisch) 34 % 36,6 % 43,2 %
spez. Kohleverbrauch 1,2 kg/kWh 1,1 kg/kWh 0,9 kg/kWh
Kamin (Höhe) 3 × 160 m, 1 × 194 m 2 × 170 m, 1 × 196 m -
Kühlturm (Höhe) 3 × 103 m 2 × 128 m 2 × 172 m

Erläuterungen: BoA: Braunkohlekraftwerk mit optimierter Anlagentechnik

Blöcke A bis E[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 1980er-Jahren wurde für die Blöcke A bis E eine Rauchgasreinigungsanlage nachgerüstet. Die Abgase werden seitdem über die Kühltürme abgeleitet.

Die Anlage verfügt auch über zwei sogenannte Bypasskamine, von denen einer den Blöcken A–C und der andere den Blöcken D bis E zugeordnet ist. Ersterer ist 194 Meter[5], letzterer 196 Meter[6] hoch. Die Bypasskamine ermöglichen den Betrieb der Anlage im Fall einer defekten Rauchgasreinigungsanlage, was aber selten vorkommt und weshalb die meisten Kraftwerke auf Bypasskamine verzichten (Quelle: Pressestelle RWE).

Alle Blöcke speisen in das Übertragungsnetz des Netzbetreibers Amprion ein: Der Block A ist über die Umspannanlage Osterath auf der 220-kV-Ebene, die Blöcke B bis D über die Schaltanlage Opladen auf der 380-kV-Ebene und der Block E über die Schaltanlage Rommerskirchen, ebenfalls auf der 380-kV-Ebene, an das Höchstspannungsnetz angeschlossen.[2]

Der Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland verlangte die Abschaltung der Kraftwerksblöcke A, B und C. Block C befindet sich seit dem 1. Oktober 2019 für vier Jahre nur noch für Versorgungsengpässe in der Sicherheitsbereitschaft. Danach sollte er endgültig stillgelegt werden. Die Energiekrise seit 2021 machte die Aktivierung der Braunkohlereserve zum 1. Oktober 2022 erforderlich. Block C kann befristet bis zum 30. Juni 2023 wieder am Strommarkt teilnehmen.[7]

Block A ist am 1. April 2022 und Block B am 31. Dezember 2021 endgültig stillgelegt worden.

Blöcke F und G („BoA 2 und 3“)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im September 2005 beschloss RWE, am Kraftwerk zwei neue Blöcke (F und G) vom Typ „Braunkohlekraftwerk mit optimierter Anlagentechnik (BoA)“ zu bauen. Als Weiterentwicklung des BoA-Blockes im Kraftwerk Niederaußem (BoA 1) tragen die neuen Blöcke auch die Bezeichnung „BoA 2 und 3“. Im Januar 2006 begannen die Bauarbeiten.[8] Die BoA-Blöcke sollen bei einem Wirkungsgrad von 43 Prozent[9] eine Leistung von je 1100 MW haben. RWE gab 2008 an, der Bau, bei dem es sich um eine der größten Baustellen Europas handele, umfasse eine Investitionssumme von 2,2 Milliarden Euro.[10] Im Dezember 2011 räumte RWE ein, dass das Projekt mit 2,6 Mrd. Euro „deutlich teurer“ geworden sei.[11] Die Kesselhäuser von BoA 2 und BoA 3 sind mit einer Höhe von 173 Metern die höchsten Kesselhäuser der Welt.[12] Die Kühltürme sind 172 Meter hoch.[13]

Die ursprünglich geplante Inbetriebnahme Ende 2009 verzögerte sich wegen des unten genannten Unfalls, bei dem ein erheblicher Teil des Neubaus zerstört wurde. Am 29. November 2011 erreichten erstmals beide Blöcke gemeinsam Volllast und produzierten während der Inbetriebsetzungsphase bis dahin mehr als 1,5 Milliarden Kilowattstunden Strom.[14] Beide Blöcke befanden sich seit Mai bzw. Oktober 2011 im Testbetrieb, die endgültige Inbetriebnahme mit der Meldung der Blöcke an die Strombörse EEX erfolgte am 8. Juli 2012[15] (Block G) bzw. am 3. August[16] (Block F).[17][18] Seither speisen beide Blöcke ebenfalls in das Übertragungsnetz von Amprion in die 380-kV-Ebene ein und sind über die Schaltanlage Rommerskirchen angeschlossen.[19]

Am 15. August 2012 erfolgte dann die offizielle Feier zur Inbetriebnahme der neuen Blöcke in Anwesenheit von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Bundesumweltminister Peter Altmaier und weiteren Gästen. Fälschlich wurde es in mehreren Medien als weltgrößtes Braunkohlekraftwerk bezeichnet, tatsächlich ist es (hinter dem Kraftwerk Bełchatów, Polen) nur das zweitgrößte in Europa. Richtig ist jedoch, dass die beiden neuen BoA-Blöcke F und G mit jeweils 1.100 MW brutto die zu diesem Zeitpunkt leistungsstärksten Braunkohlekraftwerksblöcke der Welt waren.[20] Die Baukosten wurden mit 2,6 Milliarden Euro angegeben.[21]

RWE nahm Ende 2011 und im Frühjahr 2012 sechs der zwölf alten 150-MW-Blöcke im Kraftwerk Frimmersdorf vom Netz.[22]

Das Kraftwerk Neurath war mehrfach Schauplatz öffentlichkeitswirksamer Protestaktionen von Umweltschützern, u. a. Lichtprojektionen auf die beiden Kühltürme.[23] Die Gleisanlage der Nord-Süd-Bahn, die zur Versorgung des Kraftwerks Neurath genutzt wird, wurde im Juni 2019 für mehr als 40 Stunden von Aktivisten blockiert, um auf den großen CO2-Ausstoß des Kraftwerks aufmerksam zu machen.[24][25] Auch im November 2021 ketteten sich mehrere Aktivisten an Gleisen fest, die Blockade wurde von der Polizei aufgelöst.[26]

Probleme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 30. August 2012 fielen am frühen Nachmittag binnen sieben Minuten beide BoA-Blöcke aufgrund eines Fehlers im Leitsystem aus, weshalb eine Leistung von ca. 2.100 MW ersetzt werden musste. Dabei kam es zu Frequenzschwankungen im Stromnetz; durch Einsatz von Regelenergie wurde ein Stromausfall verhindert. Laut Amprion ist das europäische Stromnetz in der Lage, einen unvorhergesehenen Ausfall von bis zu 3.000 MW an Kraftwerksleistung zu tolerieren; daher sei keine kritische Situation entstanden. In den frühen Morgenstunden des Folgetags wurden die beiden Blöcke wieder hochgefahren.[27]

Unfall[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am Abend des 25. Oktober 2007 kam es auf dem Baustellengelände zu einem schweren Unfall. Eine über 100 Tonnen schwere Seitenwandbandage, ein Teilstück des Großgerüstes, riss ab und begrub mehrere Monteure unter sich. Drei Bauarbeiter konnten nur noch tot aus den Trümmern des Baugerüsts geborgen werden, sechs weitere wurden zum Teil schwer verletzt in umliegende Krankenhäuser eingeliefert. Fast 300 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei, Sanitätsorganisationen und Technischem Hilfswerk waren im Einsatz. Im Dezember 2008 wurde das eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung von der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach eingestellt. Laut Gutachten[28] waren die Knotenverbindungen der Bandagenunterkonstruktion zu schwach ausgelegt. Da es keinerlei Kenntnisse über die – in dieser Größe erstmals eingesetzten – Bauteile und deren Stabilitätsprobleme gegeben habe, sei der Unfall für die Fachleute nicht vorhersehbar gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Vielmehr seien Auslegung und Konstruktion nach den Regeln der Technik erfolgt.[29]

Emissionsgrenzwerte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Genehmigungsbescheid vom 20. Juni 2005 legte die Bezirksregierung Düsseldorf Emissionsgrenzwerte für die neuen Blöcke F und G fest, die zur Antragszeit für Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid und Quecksilber unterhalb der geltenden Mindestanforderungen der 13. BImSchV lagen. Obwohl der Tages-Emissionsgrenzwert mit 0,0135 mg/m3N für die neuen Blöcke vergleichsweise niedrig festgesetzt wurde (die Mindestvorgabe der 13. BImSchV sieht 0,03 mg/m3N vor), erfordert dieser Grenzwert noch keine spezielle Quecksilberminderungstechnik. Dies zeigt sich daran, dass die Quecksilberemissionen nach Inbetriebnahme der neuen Blöcke 2012 auf mehr als das Doppelte angestiegen sind[30] (zum Vergleich: in den USA gelten für Braunkohlekraftwerke in Abhängigkeit ihres Wirkungsgrades Grenzwerte von 0,005 bis 0,0054 mg/m3N[31]).

Schadstoffe mit Grenzwerten im Tagesmittel werden durch kontinuierlich arbeitende Messgeräte überwacht, die übrigen Werte durch Einzelmessungen. Zum Vergleich mit den Grenzwerten der neuen Blöcke sind die zur Antragszeit gültigen Grenzwerte der 13. BImSchV (2004) aufgeführt sowie die Grenzwerte der aktuellen 13. BImSchV (2013) und die im Normalbetrieb mit besten verfügbaren Techniken erreichbaren Emissionswerte, wie sie im Merkblatt der Europäischen Kommission für entsprechend große Neuanlagen mit Braunkohle-Staubfeuerung auf der Basis der Datensammlung in den Jahren 2001–2002 festgelegt wurden.[32][33]

Emissionsgrenzwerte der Blöcke F und G im Vergleich mit Grenzwerten der 13.BImSchV (2004)/(2013) und mit BVT-Emissionswerten (2006)[34]
Luftschadstoff Betriebliche
Emissionswerte
mit BVT (2006) im
Tagesmittel*
Grenzwert
Block F und G
(20. Juni 2005)
Tagesmittel
Grenzwert
Block F und G
(20. Juni 2005)
Halbstundenmittel**
Grenzwert
13. BImSchV
(2004)
Tagesmittel
Grenzwert
13. BImSchV
(2004)
Halbstundenmittel
Grenzwert
13. BImSchV
(2013, Neuanlagen)
Tagesmittel
Grenzwert
13. BImSchV
(2013, Neuanlagen)
Halbstundenmittel
Gesamtstaub (Staub) 5–20 mg/m3N 20 mg/m3N 40 mg/m3N 20 mg/m3N 40 mg/m3N 10 mg/m3N 20 mg/m3N
Stickstoffoxide
(als NO2)
50–200 mg/m3N 200 mg/m3N 400 mg/m3N 200 mg/m3N 400 mg/m3N 200 mg/m3N 400 mg/m3N
Schwefeldioxide
(als SO2)
20–150 mg/m3N 200 mg/m3N 400 mg/m3N 300 mg/m3N 600 mg/m3N 150 mg/m3N 300 mg/m3N
Kohlenmonoxid (CO) 100–200 mg/m3N 200 mg/m3N 400 mg/m3N 250 mg/m3N 500 mg/m3N 200 mg/m3N 400 mg/m3N
Quecksilber und
Verbindungen (als Hg)
BVT-Emissionswert
nicht festgelegt
0,0135 mg/m3N 0,027 mg/m3N 0,03 mg/m3N 0,06 mg/m3N 0,03 mg/m3N 0,05 mg/m3N
Anorganische
Chlorverbindungen (als HCl)
1–10 mg/m3N - 20 mg/m3N - - - -
Anorganische
Fluorverbindungen (als HF)
1–5 mg/m3N - 3 mg/m3N - - - -
Ammoniak (NH3) ≤ 5 mg/m3N
bei SCR/SNCR
keine SCR/SNCR
eingebaut
keine SCR/SNCR
eingebaut
- - - -
Dioxine und Furane** (PCDD/PCDF) BVT-Emissionswert
nicht festgelegt
- 0,1 ng/m3N
(I-TEF 1988)
- 0,1 ng/m3N
(I-TEF 1988)
- 0,1 ng/m3N
(WHO-TEF 2008)
* Datenbasis des BVT-Merkblattes: 2001–2002, Veröffentlichung: 2006. Aktualisierung des BVT-Merkblattes seit 2011, Veröffentlichung voraussichtlich 2015.[32]
** Grenzwert für Dioxine und Furane bezieht sich auf 6-8-stündige Probenahme

Eine neue Datensammlung zu aktualisierten besten verfügbaren Techniken (BVT) organisiert die Europäische Kommission seit Oktober 2011 und veröffentlicht voraussichtlich im Jahr 2014 neue BVT-Schlussfolgerungen für Großfeuerungsanlagen. Die darin für bestehende Anlagen festgelegten, mit BVT erreichbaren Emissionswerte müssen gemäß der europaweit geltenden Industrieemissionsrichtlinie spätestens vier Jahre nach der Veröffentlichung der BVT-Schlussfolgerungen im Kraftwerk Neurath eingehalten werden.[35]

Emissionen von Schadstoffen und Treibhausgasen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kraftwerkskritiker bemängeln am Kraftwerk Neurath die hohen Emissionen an Stickstoffoxiden, Schwefeloxiden, Quecksilber und Feinstaub, an dem Krebs erzeugende Substanzen (Blei, Cadmium, Nickel, PAK, Dioxine und Furane) anhaften können.[36] Eine von Greenpeace bei der Universität Stuttgart in Auftrag gegebene Studie kam 2013 zu dem Ergebnis, dass die vom Kohlekraftwerk Neurath (vor Inbetriebnahme der Blöcke F und G) ausgestoßenen Feinstäube und die aus Schwefeldioxid-, Stickoxid- und NMVOC-Emissionen gebildeten sekundären Feinstäube statistisch zu 1.712 verlorenen Lebensjahren führen.[37] Das Kraftwerk rangierte (Stand März 2013) auf der Liste der „gesundheitsschädlichsten Kohlekraftwerke Deutschlands“ auf Platz 7.[38]

Alle Kohlekraftwerke stehen mit Verweis auf die globale Erwärmung in der Kritik bei Umweltverbänden und Naturschützern. Die Stromerzeugung aus Braunkohle gehört trotz optimierter Anlagentechnik (BoA) weiterhin zu den Technologien, die pro erzeugter Kilowattstunde Strom das meiste CO2 emittieren. Der Verbrauch an Braunkohle pro BoA-Block beträgt 820 Tonnen pro Stunde, zusammen also 1640 Tonnen.[17]

Der Wirkungsgrad liegt zwar bei ca. 43 % – Weltrekord für Braunkohleverstromung – womit die beiden Neubaublöcke laut RWE gegenüber alten Kraftwerken auf Braunkohlebasis etwa 1/4 weniger CO2 emittieren, 2016 wurden aber ca. 31 Mio. Tonnen CO2 emittiert. Pro Kilowattstunde Strom werden ca. 950 g Kohlendioxid emittiert – fast doppelt so viel wie beim durchschnittlichen deutschen Strommix (494 g CO2/kWh).[39] Zum Vergleich: Moderne Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke wie der 2011 in Betrieb genommene Block 4 des Kraftwerkes Irsching emittieren bei einem Wirkungsgrad von 60,4 % etwas über 330 g CO2 pro kWh.[40]

Auf der im Jahr 2007 vom WWF herausgegebenen Liste der 30 klimaschädlichsten Kraftwerke in der EU rangierte das Kraftwerk Neurath im Jahr 2006 auf Rang 7 in Europa und auf Rang 5 in Deutschland (1150 g CO2 pro Kilowattstunde), nach den Kraftwerken Niederaußem, Jänschwalde, Frimmersdorf und Weisweiler.[41][42]

Es wurde kritisiert, dass der Anlagenwirkungsgrad nicht durch zusätzliche Maßnahmen wie Kraft-Wärme-Kopplung maximiert wird.[43] Einen Teil der anfallenden Abwärme nutzt seit Sommer 2011 ein Gewächshauspark. Auf 11 Hektar werden z. B. Tomaten angebaut.[44]

Das Kraftwerk Neurath meldete folgende Emissionen im europäischen Schadstoffregister „PRTR“:

Emissionen des Kraftwerks Neurath laut PRTR[45]
Luftschadstoff 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2018[46] 2020[46] 2021[46]
Kohlendioxid (CO2) 16.795.900 t 17.950.000 t 17.869.800 t 16.938.900 t 19.600.000 t 31.200.000 t 33.300.000 t 32.400.000 t 32.100.000 t 31.300.000 t 32.200.000 t 18.700.000 t 22.100.000 t
Stickstoffoxide (NOx/NO2) 11.507.700 kg 12.424.800 kg 12.315.300 kg 11.717.100 kg 11.700.000 kg 20.700.000 kg 22.800.000 kg 22.600.000 kg 22.300.000 kg 21.700.000 kg
Kohlenmonoxid (CO) 4.650.000 kg 5.010.000 kg 5.360.000 kg 5.970.000 kg 6.900.000 kg 7.720.000 kg 7.330.000 kg 7.140.000 kg 7.280.000 kg 7.170.000 kg
Schwefeldioxide (als SOx/SO2) 4.765.200 kg 2.582.500 kg 3.632.300 kg 3.188.100 kg 2.340.000 kg 5.830.000 kg 6.260.000 kg 5.980.000 kg 6.420.000 kg 5.570.000 kg
Feinstaub (PM10) 251.000 kg 214.000 kg 281.000 kg 251.000 kg 283.000 kg 423.000 kg 401.000 kg 454.000 kg 529.000 kg 483.000 kg
Anorganische Chlorverbindungen (als HCl) 86.103 kg 122.274 kg 107.800 kg 102.642 kg 104.000 kg 189.000 kg 250.000 kg 91.200 kg 80.000 kg 60.400 kg
Anorganische Fluorverbindungen (als HF) 6.530 kg 7.370 kg 8.470 kg 8.060 kg 6.110 kg 11.100 kg 11.800 kg 15.000 kg 11.400 kg 11.400 kg
Benzol keine Angaben keine Angaben keine Angaben keine Angaben keine Angaben 1.110 kg 1.180 kg 1.150 kg 1.140 kg 1.110 kg
Quecksilber und Verbindungen (als Hg) 297 kg 212 kg 212 kg 181 kg 220 kg 497 kg 667 kg 672 kg 708 kg 576 kg
Zink und Verbindungen (als Zn) keine Angaben keine Angaben keine Angaben keine Angaben keine Angaben 311 kg 331 kg 323 kg 914 kg 1.170 kg
Nickel und Verbindungen (als Ni) keine Angaben keine Angaben keine Angaben keine Angaben keine Angaben 69,9 kg keine Angaben keine Angaben keine Angaben keine Angaben
Arsen und Verbindungen (als As) 29,7 kg 66,1 kg 42,2 kg 42,2 kg 42,8 kg 55,5 kg 35,4 kg 34,6 kg keine Angaben keine Angaben

Weitere typische Schadstoffemissionen wurden nicht berichtet, da sie im PRTR erst ab einer jährlichen Mindestmenge meldepflichtig sind, z. B. Dioxine und Furane ab 0,0001 kg, Cadmium ab 10 kg, Nickel ab 50 kg, Chrom sowie Kupfer ab 100 kg, Blei sowie Zink ab 200 kg, Ammoniak sowie Lachgas (N2O) ab 10.000 kg, flüchtige organische Verbindungen außer Methan (NMVOC) ab 100.000 kg.[47]

Die Europäische Umweltagentur hat die jährlichen Kosten der Umwelt- und Gesundheitsschäden der 28.000 größten Industrieanlagen in der Europa anhand der im PRTR gemeldeten Emissionsdaten mit den wissenschaftlichen Methoden der Europäischen Kommission abgeschätzt.[48] Danach verursacht das Kraftwerk Neurath die achthöchsten Schadenskosten aller europäischen Industrieanlagen.[49]

Umwelt- und Gesundheitsschäden im Jahr 2009[49]
Verursacher Schadenskosten Einheit Anteil
Kraftwerk Neurath 0,781 – 1,095 Milliarden Euro 0,6 – 0,8 %
Summe 28.000 Anlagen 102 – 169 Milliarden Euro 100 %
Kraftwerke Niederaußem und Neurath von B 477-180208
Kraftwerke Niederaußem und Neurath von B 477-180208


Batteriespeicher[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf dem Kraftwerksgelände befindet sich ein Batterie-Speicherkraftwerk. Der Speicher besteht aus 250 Lithium-Ionen-Batterieschränken, hat eine installierte Leistung von 80 Megawatt und 84 Megawattstunden Speicherkapazität. Das Speichersystem stellt Regelleistung bereit und wird am Energiemarkt eingesetzt. Durch virtuelle Kopplung soll die Stromerzeugung aus RWE-Kraftwerken verstetigt werden. Die Netzanbindung erfolgt an das 110-kV-Hochspannungsnetz der Westnetz.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Kraftwerk Neurath – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Harriet Fox: Top 10 EU emitters all coal power plants in 2021. In: ember-climate.org. 7. April 2022, abgerufen am 8. April 2022 (englisch).
  2. a b Kraftwerksliste. Bundesnetzagentur, 31. Mai 2022, abgerufen am 1. Oktober 2022.
  3. Einigung zu Ausstieg aus der Braunkohle. Auf: www1.wdr.de, 25. Oktober 2015. Abgerufen am 20. August 2019.
  4. Block Caesar geht bald in die Notreserve. In: NGZ-Online, 20. August 2019. Abgerufen am 20. August 2019.
  5. Bypass Chimney for Units D, E for Neurath Power Plant Skyscraperpage.com/cities (englisch)
  6. Bypass Chimney for Units A, B, C for Neurath Power Plant Skyscraperpage.com/cities (englisch)
  7. Andreas Wilkens: Energiekrise: Braunkohlekraftwerke können ab 1. Oktober einspringen. In: heise online. 9. September 2022, abgerufen am 2. Oktober 2022.
  8. rwe.com
  9. Christian Wieg: Neue Kraftwerksblöcke in Neurath arbeiten mit optimierter Anlagentechnik.
  10. RWE-Website, zuletzt abgerufen am 6. November 2008
  11. Bild: NRW hat jetzt das größte Kohlekraftwerk der Welt!, 17. Dezember 2011. Abgerufen am 7. Januar 2012.
  12. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 26. August 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.tuv.com
  13. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 22. Oktober 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.alpine-bau.de.
  14. http://www.rwe.com/app/Pressecenter/Download.aspx?pmid=4007273&datei=1
  15. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 25. Februar 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.transparency.eex.com
  16. RWE Power meldet Daten für neuen Kraftwerksblock Neurath F (Memento vom 25. Februar 2013 im Internet Archive). Internetseite der Strombörse EEX. Abgerufen am 3. August 2012.
  17. a b http://www.ngz-online.de/grevenbroich/nachrichten/wie-die-boa-funktioniert-1.581133
  18. Die Wirtschaftskraft der BoA. In: NGZ-Online, 23. Juni 2012. Abgerufen am 24. Juni 2012.
  19. Leitungen der BoA-Blöcke auf OpenStreetMap
  20. RWE nimmt das größte Braunkohlekraftwerk der Welt in Betrieb. Altmaier würdigt Neubau als "herausragenden Beitrag zum Gelingen der Energiewende". In: Welt online. 15. August 2012, abgerufen am 15. August 2012.
  21. www.ngz-online.de
  22. NGZ 10. März 2012: RWE schaltet sechs von zwölf Blöcken ab
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  29. Website der Kölnischen Rundschau: Letzter Aufruf am 12. Dezember 2008@1@2Vorlage:Toter Link/www.rundschau-online.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
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  37. Assessment of Health Impacts of Coal Fired Power Stations in Germany – by Applying EcoSenseWeb (Englisch, PDF 1,2 MB) (Memento des Originals vom 24. September 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.greenpeace.de Philipp Preis, Joachim Roos, Prof. Rainer Friedrich, Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, Universität Stuttgart, 28. März 2013
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  43. rp-online.de / Rheinische Post vom 16. August (Seite A3): Umstrittenes Kraftwerk jetzt am Netz
  44. Offizieller Erntestart im Gewächshauspark Grevenbroich-Neurath
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