Kriegsverbrecherprozess von Riga

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Friedrich Jeckeln in sowjetischer Gefangenschaft

Der Kriegsverbrecherprozess von Riga fand vom 26. Januar bis 3. Februar 1946 in Riga gegen sechs Wehrmachtsgeneräle und den Höheren SS- und Polizeiführer Friedrich Jeckeln (in den Reichskommissariaten Russland Süd und Ostland), sowie den SA-Standartenführer Alexander Boecking vor dem Militärtribunal des baltischen Wehrkreises statt.[1] Anders als bei den Schauprozessen während der Säuberungen Stalins in der KPdSU während der dreißiger Jahre mussten strafrechtlich relevante Tatbestände nicht eigens erfunden werden, deshalb der Begriff Kriegsverbrecherprozess.[2]

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufgrund der alliierten Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 sühnte die Sowjetunion diejenigen Kriegsverbrechen, die auf ihrem Territorium begangen worden waren. Bereits der Ukas 43 vom 19. April 1943 hatte vorgesehen, „deutsche, italienische, rumänische, ungarische und finnische Verbrecher, die der Mordtaten und Misshandlungen an der Zivilbevölkerung und an gefangenen Rotarmisten überführt worden sind, sowie Spione und Vaterlandsverräter unter den Sowjetbürgern mit der Todesstrafe durch Erhängen zu bestrafen.“ Das betraf Massenerschießungen der Zivilbevölkerung, Gräueltaten gegenüber Kriegsgefangenen und Zivilisten, die Deportationen und die vielfältigen Zerstörungen vor Ort während des Deutsch-Sowjetischen Kriegs. Schlüsselpersonen aus der SS und den Einsatzgruppen, aber auch hohe Wehrmachtsoffiziere wurden in einer ersten Welle von acht öffentlichen Prozessen abgeurteilt. Wegen der teilweise psychischen und physischen Folter der Angeklagten, manch falschen Beschuldigungen sowie der aktiven Einbeziehung der lokalen Bevölkerung spricht die Forschung von Demonstrations- oder gar von Schauprozessen.[3][4] Die Urteile erschienen nicht nur hart und unerbittlich, sondern aufgrund von vorgelegten Beweisen und Zeugenaussagen auch legitim.[5]

Anklage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anders als bei anderen Prozessen der ersten Welle wollten und konnten die Ankläger dem Hauptangeklagten Jeckeln konkrete Verantwortlichkeiten nachweisen. So konnte Jeckeln, einem Rassekrieger par exellence, dessen Name vor allem mit dem Massaker im Wald von Rumbula verbunden ist, anhand von eigenen Aussagen, sowie Zeugenaussagen anderer Tatbeteiligter und Überlebender der Massaker sowie anhand deutscher Unterlagen eine Schuld nachgewiesen werden. Er hatte nicht nur die Befehle gegeben, sondern war auch teilweise persönlich anwesend und hatte selbst Erschießungen vorgenommen und sich damit gerühmt.[6] Den Anklägern gelang es, die „Blutspur“ Jeckelns durch die Ukraine und das Baltikum nachzuzeichnen und seine Verantwortung für den begangenen Judenmord zu ermitteln, auch wenn es gelegentlich zu Überzeichnungen kam.[7] Jeckeln verteidigte seine Taten damit, dass er auf höheren Befehl von Reichsführer SS Heinrich Himmler gehandelt habe.[8]

Boecking, dem Gebietskommissar des Talliner Bezirks, wurde pauschal die Germanisierungspolitik in Estland mit der Plünderung und Vernichtung des estnischen Volkes und der Ansiedlung Deutscher vorgeworfen. Dabei wurden auch konkrete Vorwürfe wie Zwangsarbeit, Zwangsaussiedlung und Plünderung erhoben und konkret Betroffene benannt.[9]

Angeklagte[10]
Name geb. Rang Funktion
Friedrich Werther 1890 Generalmajor 1943/44 verschiedene Feldkommandanturen im Osten;
1944 Kommandeur Küstenverteidigung Riga
Bronislav Pavel 1890 Generalmajor 1942 Kommandant zweier Kriegsgefangenenlager und Kommandeur des Kriegsgefangenenwesens beim Befehlshaber Ostland;
1943/1944 Oberfeldkommandant 392 (Minsk) und Korück AOK 4
Friedrich Jeckeln 1895 General der Waffen-SS Höherer SS- und Polizeiführer in Russland Süd und Ostland;
1944 Kommandeur V. SS-Gebirgskorps
Wolfgang von Ditfurth 1879 Generalleutnant 1939–1942 Kommandeur 403. Sicherungs-Division;
Ortskommandant von Kursk
Siegfried Ruff 1895 Generalleutnant 1942 Kommandeur 401. Ersatz-Division;
April 1944 Ortskommandant von Riga
Hans Küpper 1891 Generalmajor 1942–1944 Chef mehrerer Feldkommandanturen in der Ukraine und im Baltikum
Albrecht Baron Digeon von Monteton 1887 Generalleutnant August 1942-September 1944 Kommandeur 391. Feldausbildungs-Division, im März 1944 umbenannt in 391. Sicherungs-Division z.b.V.
September 1944 - Mai 1945 Kommandeur 52. Sicherungs-Division
April 1945 - Mai 1945 Ortskommandant des „festen Platzes“ Libau
Alexander Boecking[11] 1897 SA-Standartenführer Bezirkskommissar Tallinn

Jeckeln, Boecking und die Generäle wurden nach Ukas 43 wegen Kriegsverbrechen auf sowjetischem Territorium zum Tode verurteilt und unmittelbar nach der Urteilsverkündigung am 3. Februar 1946 öffentlich durch Hängen hingerichtet.[12]

Dokumentation der deutschen Gräueltaten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wie bei den Prozessen von Minsk und Charkow wurden die Protokolle der Hauptverhandlung in Buchform veröffentlicht und es wurden dokumentarische Filmaufnahmen des Prozesses angefertigt.[13]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Mike Schmeitzer: Konsequente Abrechnung? NS-Eliten im Visier sowjetischer Gerichte 1945–1947. In: Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944–1947). Eine historisch-biographische Studie. Vandenhoeck & Ruprecht, 2015, ISBN 978-3-5253-6968-5, S. 63 ff.
  • Mike Schmeitzer: Besondere Härte? – Die sowjetischen Verfahren im SS- und Polizei-Komplex. In: Die SS nach 1945: Entschuldungsnarrative, populäre Mythen, europäische Erinnerungsdiskurse. Hrsg.: Schulte und Wildt, Vandenhoeck & Ruprecht 2018, ISBN 978-3-8470-0820-0, S. 145 ff.

Film[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Mike Schmeitzner: Konsequente Abrechnung?. In: Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944-1947): eine historisch-biographische Studie. Vandenhoeck & Ruprecht 2015, ISBN 978-3-5253-6968-5, S. 67.
  2. Andreas Hilger: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf. In: Norbert Frei (Hrsg.): Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Göttingen : Wallstein, 2006, ISBN 978-3-89244-940-9, S. 215.
  3. Mike Schmeitzner: Konsequente Abrechnung?. S. 66.
  4. Manfred Zeidler: Stalinjustiz contra NS-Verbrechen. Hannah-Arendt-Institut 1996, Berichte und Studien Nr. 9, S. 28 f.
  5. Mike Schmeitzner: Konsequente Abrechnung?. S. 67.
  6. Mike Schmeitzner: Konsequente Abrechnung?. S. 68.
  7. Mike Schmeitzmer: Sowjetische Verfahren im SS- und Polizeikomplex. In: Die SS nach 1945: Entschuldungsnarrative, populäre Mythen, europäische Erinnerungsdiskurse. Vandenhoeck & Ruprecht 2018, ISBN 978-3-8470-0820-0, S. 146.
  8. Donald M. McKale: Nazis After Hitler: How Perpetrators of the Holocaust Cheated Justice and Truth. Rowman & Littlefield 2012, ISBN 978-1-4422-1316-6, S. 86.
  9. Mike Schmeitzner: Konsequente Abrechnung?. S. 68.
  10. Manfred Zeidler: Stalinjustiz contra NS-Verbrechen. Hannah-Arendt-Institut 1996, Berichte und Studien Nr. 9, S. 28.
  11. Mike Schmeitzner: Konsequente Abrechnung?. S. 67 f.
  12. Mike Schmeitzner: Konsequente Abrechnung?. S. 68.
  13. Manfred Zeidler: Stalinjustiz contra NS-Verbrechen. S. 30.