Lateinschule Alfeld

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Alfeld, Lateinschule (2010)

Die Lateinschule ist ein historisches Fachwerkhaus in Alfeld, Niedersachsen (Adresse: Am Kirchhof 5). Mit seinem reichen Bild- und Architekturschmuck ist es ein herausragendes Beispiel der Hildesheimer Holzbaukunst.[1] Das Haus wurde (inschriftlich datiert) „1610“ erbaut und mehrfach restauriert. Heute befindet sich in ihm das Alfelder Stadtmuseum.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Portalzone (2005)

Die Alfelder Lateinschule reicht als Institution bis ins Mittelalter zurück und dokumentiert die frühe Mittelpunktsbedeutung der Archidiakonatskirche St. Nicolai. Als das vorangegangene Schulgebäude um 1600 baufällig geworden war, rief Superintendent Bartholomäus Sengebär eine Sammlung von Geld- und Sachspenden für einen Neubau aus.[2] Nach zehn Jahren war das repräsentative Gebäude fertiggestellt. Inschrift und Bildprogramm dürften vom Superintendenten maßgeblich mitbestimmt worden sein. Als Lateinschule diente die Lehranstalt vor allem der Ausbildung künftiger Geistlicher, Rechtsgelehrter und Ärzte. 1784 wurde die Lateinschule in eine Bürgerschule umgewandelt.[1] Ab 1813 beherbergte das Gebäude ein Lehrerseminar[3]; seit 1928 ist es Museum.[3]

Architektur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der freistehende, zweigeschossige Eichenfachwerkbau ist 7,95 Meter breit und 19,20 Meter lang und auf einem roten (Röllinghäuser) Sandsteinsockel aufgesetzt.[4] Die (mehrfach, zuletzt 1982 erneuerten[5][6]) Gefache sind mit rotem Sichtziegelmauerwerk geschlossen; dagegen sind die Zonen der Fensterbrüstungen mit beschnitzten Holzbohlen geschlossen. Die Fenster sind seit dem 19. Jahrhundert paarweise angeordnet. Das Obergeschoss kragt in zeitgenössisch typischerweise kräftig vor, so dass mit Knaggen, Balkenköpfen und Füllhölzern eine markante Fassadengliederung gebildet wird. Sämtliche Holzflächen sind mit Schrift- und Bildschnitzerei verziert und farbig gefasst.

Bildprogramm[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bildtafel „Justitia“

Den Hauptschmuck des Gebäudes bilden die geschnitzten Füllungen der Fensterbrüstungen sowie die Inschriften. Nach der Baurechnung ist der reiche Figurenschmuck unter Leitung des Hildesheimer Bildschnitzers „Meister Andreas Steiger“ in der Stadt Alfeld selbst angefertigt worden.[1]

Der Architekturschmuck entfaltet das Weltbild und den Bildungskanon der Erbauungszeit. In querrechteckigen Reliefbildern sind über 100 allegorische, mythische und historische Figuren dargestellt, die alle Dimensionen des Humanen repräsentieren sollen: Sinne und Künste, Moral und Tugenden, Wissenschaften und Glaube.

Das Bildprogramm umfasst neben Engeln und Karyatiden[7]:

Westseite[8] Ostseite[9] Südseite[10] Nordseite[11]
Ovid Adam und Eva Johannes Josua
Salomo Seth Matthäus Ehud
Tibull Henoch Markus Schamgar
David Jakobs Traum Lukas Gideon
Marcellinus Jakobs Traum[12] Christus Jefta
Judith Noah Johannes der Täufer Samson
Euterpe Eleasar Timotheus Eli
Polyhymnia Pinhas Petrus Micha[13]
Urania Abjatar Stephanus Levi
Clio Abraham Paulus Urija
Calliope Isaak Aaron Martin Luther
Erato Sem Mose Philipp Melanchthon
Thalia Josef Zacharias Galen
Melpomene Moses Rettung Apollos Hippokrates
Terpsichore Mose mit den Gebotstafeln Simeon Tribonianus
Geometrie Aaron Tertullus[14] Bartolus
Astronomie Jesaja Saul Gesichtssinn
Grammatik Jeremia David Vernunft
Rhetorik Ezechiel Salomo Geschmackssinn
Arithmetik Daniel Josafat Geruchssinn
Musik Micha Hiskija Tastsinn
Dialektik Nahum Joschija Gehör
Mäßigung Hosea
Klugheit Joel
Gerechtigkeit Amos
Tapferkeit Obadja
Geduld Jona
Glaube Sacharja
Hoffnung Habakuk
Liebe Zefanja
Haggai
Maleachi

Inschrift[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die vier Seiten des Gebäudes umläuft auf dem Schwellbalken des Obergeschosses eine geschnitzte lateinische Inschrift. Der Text verwendet das Bild der Himmelsleiter und spielt zugleich mit der Klangverwandtschaft von schola („Schule“, sprich skola) und scala („Leiter, Treppe“). Beginnend auf der Portalseite lautet die Inschrift[15]:

Text[16] Übersetzung
GEN 28 CAP Genesis Kapitel 28[17]
VIDIT ISAACIDES PORRECTAM AD SIDERA SCALAM, Der Isaakssohn sah eine Leiter, aufgerichtet bis zu den Gestirnen,
PERQUE HANC ANGELICOS IRE REDIRE CHOROS. und auf ihr Engelchöre hin- und wiedergehen.
ECCE TYPUM! Siehe, ein Vorbild!
QUID ENIM SCHOLA? Denn was ist die Schule?
QUID NISI MYSTICA SCALA, Was sonst als eine mystische Leiter,
CUIUS APEX SALVA ET RELIGIO ET REGIO EST? deren Spitze eine gesunde Religion sowie ein gesundes Land ist?
ORDO MAGISTRORUM HIC DESCENDIT, CAPTUI ADAPTANS DOGMATA, Der Lehrerstand steigt hier herab, die Lehren dem Fassungsvermögen anpassend,
UT ASCENDAT CARA IUVENTA GRADUS. damit brave Jugend die Stufen emporsteige.
CUR, AIS? Warum, meinst du?
EUSEBIA[18] UT VIGEAT, Dass Gottesfurcht blühe
THEMIS UTQUE TRIUMPHET, und dass Gerechtigkeit triumphiere,
SCEPTRA FORIS TENEAT PAX, HYGIEIA DOMI. dass Friede draußen und Gesundheit daheim die Zepter behalten.
HINC SUADENTE MINISTERIO PLAUDENTE SENATU Daher wurde auf Rat des Ministeriums und mit Zustimmung des Senats
URBIS SUMPTIBUS HAEC CONDITA SCALA FUIT. aus den Einnahmen der Stadt diese Leiter gegründet.
SUMME DEUS, DILECTE PARENS, Höchster Gott, geliebter Vater,
FAC DIVITES FRUCTU SCALAM, URBEM, mach reich an Frucht die Leiter und die Stadt,
ET POPULUM HUNC SOSPITET ALMA SALUS 1610 und es bewahre dieses Volk ein gütiges Heil. 1610

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, Bd. II,6 Kreis Alfeld. Bearbeitet von Oskar Kiecker, Paul Graff. Selbstverlag der Provinzialverwaltung, Theodor Schulzes Buchhandlung, Hannover 1929, S. 72–76. (Digitalisat auf archive.org, abgerufen am 10. Mail 2022.) - Enthält auch Grundriss- und Querschnittzeichnungen.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Lateinschule Alfeld – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise und Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, Bd. II,6 Kreis Alfeld. Bearbeitet von Oskar Kiecker, Paul Graff. Selbstverlag der Provinzialverwaltung, Theodor Schulzes Buchhandlung, Hannover 1929, S. 72–76, hier S. 72.
  2. Teske (PDF; 15 kB)
  3. a b Alte Lateinschule, auf alt-alfeld.de (abgerufen am 10. Mai 2022).
  4. Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, Bd. II,6 Kreis Alfeld. Bearbeitet von Oskar Kiecker, Paul Graff. Selbstverlag der Provinzialverwaltung, Theodor Schulzes Buchhandlung, Hannover 1929, S. 72–76, hier S. 72 f.
  5. Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, Bd. II,6 Kreis Alfeld. Bearbeitet von Oskar Kiecker, Paul Graff. Selbstverlag der Provinzialverwaltung, Theodor Schulzes Buchhandlung, Hannover 1929, S. 72–76, hier S. 73.
  6. Alte Lateinschule. In: alt-alfeld.de. alt-alfeld Quintel & Schütz GbR, Alfeld/Leine, abgerufen am 11. Mai 2022.
  7. Vgl. auch die Beschreibung in Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, Bd. II,6 Kreis Alfeld. Bearbeitet von Oskar Kiecker, Paul Graff. Selbstverlag der Provinzialverwaltung, Theodor Schulzes Buchhandlung, Hannover 1929, S. 72–76, hier S. 74 ff.
  8. nach
  9. nach
  10. nach
  11. nach
  12. zwei Darstellungen
  13. Ri 17 EU
  14. Apg 24,1 EU
  15. Vgl. auch die Transkription in Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, Bd. II,6 Kreis Alfeld. Bearbeitet von Oskar Kiecker, Paul Graff. Selbstverlag der Provinzialverwaltung, Theodor Schulzes Buchhandlung, Hannover 1929, S. 72–76, hier S. 74.
  16. Emendiert: Einige Buchstaben sind mehrdeutig
  17. Gen 28,10-12 EU
  18. Konjektur aus EUSERIE (?)

Koordinaten: 51° 59′ 10,3″ N, 9° 49′ 35,3″ O