Lebertran

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Norwegischer Lebertran
Lebertran in Gelatinekapseln
Viehlebertran und Fischtran im Verkaufssortiment. Holzwerbetafel. Kleinbauernmuseum Dresden.

Lebertran (veraltet: „Fabriktran“; Oleum jecoris Aselli, Oleum morrhuae) ist ein dünnes, hell- bis braungelbes Öl, das hauptsächlich aus der Leber von Kabeljau und Schellfisch gewonnen wird. Daneben werden auch Arten wie Seehecht, Pollack, Haie oder Rochen zur Produktion verwendet. Lebertran ist nicht zu verwechseln mit dem Tran aus Walen.

Früher wurde er aus den unter Druck bis zur Fäulnis lagernden Fischlebern gewonnen, der Rest wurde ausgekocht und ausgedrückt (brauner, natureller Lebertran). Später wurde er durch Auskochen oder mittels Wasserdampf (Dampftran, Medizinaltran, heller Lebertran) und nachfolgender Abkühlung unter Null Grad sowie Filtrierung gewonnen. Aus den Resten kann durch Auspressen „Presstran“ gewonnen werden. Auch gibt es elektrolytische Verfahren zur Ölgewinnung.[1][2]

Er besteht aus leicht verdaulichem Fett, welches aus verschiedenen Fettsäuren zusammengesetzt ist, 25 % C18:1 (Ölsäure, Vaccensäure) und 11 % Palmitinsäure, 9 % Palmitoleinsäure, ungefähr 11 % C20:1 (Gadoleinsäure, Gondosäure) sowie auch Omega-3-Fettsäuren 11 % C20:5 Eicosapentaensäure (EPA), 9 % C22:6 Docosahexaensäure (DHA) und 1,5 % 22:5 Docosapentaensäure, weiter 5,5 % C22:1 (Erucasäure, Cetoleinsäure) sowie 3,5 % Myristinsäure.[3][4] Lebertran enthält auch Jod, Phosphor, α–Tocopherol 300 μg/g und verhältnismäßig hohe Mengen an Vitamin A 2500 IU/g und D 40 IU/g sowie 5,7 g/kg Cholesterin.[5][6][7]

Bei Präparaten mit gereinigtem und desodoriertem Lebertran werden künstliche Vitamine nachträglich zugegeben.[8]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Werbung für gesüßten „Eierlebertran“ (1906)

Lebertran wurde schon von den Wikingern, Norwegern, Inuit, Lappländern und Grönländern als Stärkungsmittel verwendet. Später im 18. Jahrhundert wurde er dann zur Behandlung von Nachtblindheit, Rheumatismus und Rachitis empfohlen.[9][10][11]

Die Wirksamkeit von Lebertran gegen Rachitis wurde 1824 von deutschen Wissenschaftlern entdeckt, etwa zwei Jahre nachdem bekannt geworden war, dass Sonnenlicht, in Form der damals populären Sonnenkuren, ebenfalls zur Verhütung bzw. Behandlung dieser Krankheit eingesetzt werden kann. Erst 1922 konnte das Vitamin D3 als der antirachitische Bestandteil bestimmt werden. Die Chemiker Hans Brockmann und Adolf Windaus u. a. konnten dann 1935 aus Fischleberölen einen Wirkstoff isolieren: 7-Dehydrocholesterin, das Provitamin von Vitamin D3.[12][13][14][15]

Auch wurde Lebertran als Lampenöl und Imprägnierungsmittel verwendet.[16]

Anwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lebertran wird als Stärkungsmittel besonders bei Kinderkrankheiten und Unterernährung sowie zur Verhütung von Rachitis (auch: Englische Krankheit) oral eingenommen. Kindern in Deutschland wurde bis in die 1960er Jahre zur Vorbeugung und Kräftigung nicht selten täglich ein Löffel voll verabreicht. Der Geschmack gilt als penetrant. Öl aus Dorschleber-Konserven stellt dagegen ein (Speise-)Öl mit nur dezenter Fischnote dar.

Bei zu hohen Verzehrmengen kann Vitamin A zu Hypervitaminose führen.

Trivia: Geschmack[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zahllos sind die Schilderungen des widerlichen Geschmacks von Lebertran aus Kindheiten in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Beispielhaft die seinerzeit verbreitete Parodie einer Strophe aus Schillers Lied von der Glocke:

„Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn. Jedoch der schrecklichste der Schrecken; – das ist dem Kind der Lebertran.“[17]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Lebertran – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Lebertran – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Nicholas Eschenbruch (Hrsg.): Arzneimittel des 20. Jahrhunderts. Historische Skizzen von Lebertran bis Contergan. Transcript, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-8376-1125-0 (= Science studies).
  • G. Frerichs, G. Arends, H. Zörnig: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 2. Band. 2. Auflage. Springer, 1938, S. 296, 298 f. (Reprint: ISBN 978-3-662-35502-2).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. J. König: Chemie der Nahrungs- und Genußmittel sowie der Gebrauchsgegenstände. 2. Band. 5. Auflage. Springer, 1920, S. 328 (Reprint: ISBN 978-3-642-49527-4).
  2. Hellmut Gnamm, K. Grafe, L. Jablonski u. a.: Handbuch der Gerbereichemie und Lederfabrikation. 3. Band: Das Leder, 1. Teil. Springer, 1936, S. 347 ff. (Reprint: ISBN 978-3-7091-2211-2).
  3. Georg Lambertsen und Olaf R. Brækkan: The Fatty Acid Composition of Cod Liver Oil. Fiskeridirektøren, 1965, online (PDF; 246 kB).
  4. Leo M. L. Nollet: Food Analysis by HPLC. Second Edition, Marcel Dekker, 2000, ISBN 0-8247-8460-X, S. 185.
  5. Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 1938.
  6. S. F. O’ Keefe und R. G. Ackman: Vitamins A, D3 and E in Nova Scotian Cod Liver oils. In: Proc. N.S. Inst. Sci. Volume 37, 1986, S. 1–7, online (PDF; 5,43 MB).
  7. Fereidoon Shahidi: Nutraceutical and Specialty Lipids and their Co-Products. CRC Press, 2006, ISBN 1-57444-499-9, S. 231.
  8. David Feldman, J. Wesley Pike, John S. Adams: Vitamin D. Third Edition. Vol. 1. Academic Press, 2011, ISBN 978-0-12-387035-3, S. 88.
  9. Ensminger, Ensminger, Konlande, Robson: Foods & Nutrition Encyclopedia. Vol. 1: A–H, 2nd Edition, CRC Press, 1994, ISBN 0-8493-8981-X, S. 441.
  10. Glenn Sonnendecker: Kremers and Urdang's History of Pharmacy. 4. Auflage. 1976, American Institute of the History of Pharmacy, 1986, ISBN 0-931292-17-4, S. 504, 1. Spalte (Reprint).
  11. Lee R. McDowell: Vitamin History, the Early Years. Univ. of Florida, 2013, ISBN 978-1-62287-266-4.
  12. J. H. White, L. R. Tavera-Mendoza: Das unterschätzte Sonnenvitamin. In: Spektrum der Wissenschaft, Band 7, 2008, S. 40.
  13. Ronald Ross Watson: Handbook of Vitamin D in human health. Wageningen Academic, 2013, ISBN 978-90-8686-210-8, S. 14, 398.
  14. P. H. List, L. Hörhammer: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 2. Band: Wirkstoffgruppen II: Chremikalien und Drogen, A–AL. 4. Auflage. Springer, 1969, ISBN 0-387-04511-2, S. 644.
  15. Friedrich Klages: Einführung in die organische Chemie. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1961, S. 522.
  16. Dietrich Sahrhage, Johannes Lundbeck: A History of Fishing. Springer, 1992, ISBN 3-642-77413-X, S. 89.
  17. Kinderreime. In: Volksliederarchiv. Abgerufen am 12. Juli 2023.