Lindemann-Mechanismus

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Die Fall-off-Kurve im Lindemann-Mechanismus. Die markierten Bereiche dienen nur der Veranschaulichung, es handelt sich um keine real existierenden Grenzen.

In der Kinetik ist der Lindemann-Mechanismus, der manchmal auch als Lindemann-Hinshelwood-Mechanismus bezeichnet wird, ein schematischer Reaktionsmechanismus für Reaktionen in der Gasphase. Das Konzept wurde 1921 von Frederick Lindemann vorgeschlagen und von Cyril Norman Hinshelwood entwickelt.[1][2] Eine scheinbar unimolekulare Reaktion wird dabei in zwei elementare Schritte zerlegt. Der Lindemann-Mechanismus wird verwendet, um Gasphasenzersetzungs- oder -isomerisierungsreaktionen darzustellen. Die Reaktionsgleichungen von Zersetzungs- oder Isomerisierungsreaktionen lassen häufig vermuten, dass eine unimolekulare Reaktion vorliegen könnte:

Doch der Lindemann-Mechanismus zeigt, dass dem unimolekularen Reaktionsschritt ein bimolekularer Aktivierungsschritt vorausgeht. Für bestimmte Fälle ergibt sich daher eine Reaktion zweiter und nicht, wie zu erwarten wäre, erster Ordnung:[3] Wechselwirken zwei Moleküle und miteinander, so kann es zur Bildung eines angeregten Moleküls kommen.[4][5] Das angeregte Molekül kann nun entweder wieder desaktiviert werden, indem es mit anderen Molekülen wechselwirkt (dies stellt die Rückreaktion dar), oder unimolekular und irreversibel zu Produkt reagieren. Die Geschwindigkeitskonstanten werden hier mit , und bezeichnet:[4][5]

Findet der unimolekulare Schritt so langsam statt, dass er geschwindigkeitsbestimmend ist, beobachtet man eine Reaktion erster Ordnung.[5]

Geschwindigkeitsgesetz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schema des Lindemann-Hinshelwood-Mechanismus: Zwei Moleküle können wechselwirken und ein angeregtes Molekül bilden. Dieses kann entweder durch eine Rückreaktion desaktiviert werden, oder unimolekular und irreversibel zu Produkt reagieren.

Das entsprechende Geschwindigeitsgesetz kann aus den Geschwindigkeitsgleichungen und -konstanten hergeleitet werden:[A 1] Die Geschwindigkeit, mit der das Produkt gebildet wird ergibt sich aus dem Bodenstein’schen Quasistationaritätsprinzip. Wir nehmen hierbei an, dass die Konzentration des aktivierten Eduktes (das Intermediat ) in gleicher Geschwindigkeit gebildet wie verbraucht wird.[6] Diese Annahme vereinfacht die Berechnung der Ratengleichung. Die Geschwindigkeitskonstante der Hinreaktion des ersten Schritts bezeichnen wir mit , die Rückreaktion mit . Die Geschwindigkeitskonstante der Hinreaktion des zweiten Schritts bezeichnen wir mit .

Die Geschwindigkeit, mit der gebildet wird, ergibt sich somit durch folgendes differentielles Geschwindigkeitsgesetz:

(Hinreaktion im ersten Schritt)

wird sowohl bei der Rückreaktion als auch bei der Produktbildung im zweiten Schritt verbraucht. Es ergeben sich folgende differentielle Geschwindigkeitsgesetze:

(Rückreaktion im ersten Schritt)
(Hinreaktion im zweiten Schritt)

Insgesamt betrachtet ergibt sich:

Nach dem Quasistationaritätsprinzip ist die Bildung von gleich dem Verbrauch von :

Daher ergibt sich:

Aufgelöst nach :

Das differentielle Geschwindigkeitsgesetz ergibt so für die Gesamtreaktion:[7][6]

Dieses Geschwindigkeitsgesetz ist (noch) keine Reaktion erster Ordnung bezüglich .[5] Wenn jedoch die Desaktivierung angeregter -Moleküle durch die Rückreaktion schneller erfolgt als die unimolekulare Reaktion zum Produkt ,

so kann man im Nenner vernachlässigen. Fasst man die Konstanten , und zu einer Konstante zusammen, gilt näherungsweise:

Dies ist ein Geschwindigkeitsgesetz erster Ordnung.[5]

Reaktionsordnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Reaktionsordnung einer Reaktion, die annähernd dem Lindemann-Mechanismus folgt, ist druckabhängig. Bei hohem Druck (Hochdruckgrenzwert für ) handelt es sich um eine Reaktion erster und bei niedrigem Druck (Niederdruckgrenzwert für ) um eine Reaktion zweiter Ordnung.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ebenfalls geläufig sind die Ausdrücke Ratengleichung, Ratengesetz und Ratenkonstante. Diese Ausdrücke werden Synonym verwendet, der Übersichtlichkeit halber soll hier konsistent eine Schreibweise verwendet werden.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Francesco Di Giacomo: A Short Account of RRKM Theory of Unimolecular Reactions and of Marcus Theory of Electron Transfer in a Historical Perspective. In: Journal of Chemical Education. Band 92, Nr. 3. ACS, 10. März 2015, ISSN 0021-9584, S. 476–481, doi:10.1021/ed5001312 (englisch, acs.org).
  2. F. A. Lindemann, Svante Arrhenius, Irving Langmuir, N. R. Dhar, J. Perrin, W. C. McC. Lewis: Discussion on “the radiation theory of chemical action”. In: Transactions of the Faraday Society. Band 17, 1922, ISSN 0014-7672, S. 598–606, doi:10.1039/TF9221700598 (englisch, rsc.org).
  3. "Gas phase decomposition by the Lindemann mechanism" by S. L. Cole and J. W. Wilder. SIAM Journal on Applied Mathematics, Vol. 51, No. 6 (Dec., 1991), S. 1489–1497.
  4. a b Gerd Wedler, Hans-Joachim Freund: Lehr- und Arbeitsbuch Physikalische Chemie. Siebte, wesentlich überarbeitete und erweiterte Auflage. Weinheim 2018, ISBN 978-3-527-34611-0, S. 541 f.
  5. a b c d e Peter W. Atkins: Physikalische Chemie. 5. Auflage. Weinheim 2013, ISBN 978-3-527-33247-2, S. 860 f.
  6. a b Atkins P. and de Paula J., Physical Chemistry (8th ed., W.H. Freeman 2006) S. 820-1, ISBN 0-7167-8759-8.
  7. Steinfeld J.I., Francisco J.S. and Hase W.L. Chemical Kinetics and Dynamics (2nd ed., Prentice-Hall 1999), S. 335, ISBN 0-13-737123-3.