Michael von der Schulenburg

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Michael von der Schulenburg bei der Kundgebung „Nein zu Kriegen“ (Berlin, 2023)

Michael von der Schulenburg (vollständig Michael Sergius Graf von der Schulenburg; * 16. Oktober 1948 in München) ist ein deutscher Politiker (BSW) und vormaliger Diplomat der OSZE sowie der UN. Von 2009 bis 2012 war er höchster Repräsentant der UN in Freetown in Sierra Leone und Leiter der weltweit ersten integrierten Peacebuilding-Mission.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Michael von der Schulenburg stammt aus dem deutschen Adelsgeschlecht derer von der Schulenburg. Er wurde als Sohn des Physikers Michael von der Schulenburg (1903–1958) und seiner Frau Dagmar, geb. Baronesse von Engelhardt (1914–1979), in München geboren. Sein Vater war stellvertretender Direktor des Kernphysikalischen Instituts der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Zeuthen-Miersdorf. Von der Schulenburg ist verheiratet und hat vier Kinder.

Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin, sowie an der London School of Economics (LSE) und der Ecole Nationale d’Administration (ENA) in Paris war er für die UN in New York City (Vereinigte Staaten), Wien (Österreich), Afghanistan, Haiti, Kuwait, Irak, Iran, Pakistan, Sierra Leone und Syrien sowie für die OSZE in Wien tätig.[1]

Am 14. Januar 2009 wurde er von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zum Repräsentanten der UN in Sierra Leone ernannt.[2] Bei dem von ihm geleiteten United Nations Integrated Peacebuilding Office in Sierra Leone (UNIPSIL) handelte es sich um die weltweit erste integrierte Peacebuilding-Mission, die 14 UN-Organisationen koordinierte. Zu seiner Aufgabe sagte er: „Wir haben aus der Vergangenheit … gelernt, dass man nicht nur aufs Militärische schauen darf. Die zivile Seite muss von Anfang an mit bedacht werden. Ich bin daher in Sierra Leone Leiter der Friedensmission und des Entwicklungsprogramms. Das wurde so konsequent bisher in keinem anderen Land umgesetzt.“[3] Im UN-Sicherheitsrat berichtete er regelmäßig[4][5][6] und wies dabei neben den Erfolgen des ehemaligen Bürgerkriegslandes beim Wiederaufbau auch auf neue politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fehlentwicklungen hin. Nach Unstimmigkeiten über die Einhaltung des Lomé-Friedensabkommens und die Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012 forderte die Regierung Schulenburg auf, das Land zu verlassen.[7][8]

Seitdem ist er beratend und publizistisch tätig.[9]

Ende Januar 2024 wurde von der Schulenburg auf Platz 3 der Kandidatenliste des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für die Europawahl gewählt.[10]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Januar 2020 erhielt Michael von der Schulenburg die höchste Auszeichnung des Landes Sierra Leone mit der Ernennung zum Grand Commander of the Order of the Republic (GCOR).[11]

Positionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Afghanistan[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahre 2020 nannte er den Nato-Einsatz in Afghanistan ein „Fiasko“. Auch die Art des Rückzugs sei ein Fiasko, das für die Welt dramatische Folgen haben werde. Er kritisierte die deutsche Bundesregierung, dass sie in ihrem Bericht an den Bundestag nirgends „auch nur den Hauch eines Zweifels am Sinn oder an der Durchführung des deutschen Militäreinsatzes“ einräume. Es müsse die Frage gestellt werden, warum Afghanen eine Kollektivschuld für die Terrorangriffe vom 11. September 2001 bezahlen mussten, und was zum unrühmlichen Ende dieser militärischen Intervention geführt habe.[12]

Islamischer Staat (IS)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahre 2014 mahnte er, bei aller Entrüstung über die Gräueltaten des IS die Konsequenzen des militärischen Vorgehens besser zu durchdenken und mögliche Optionen abzuwägen. Es gebe in gewissem Maße auch die Option, den IS an sich selbst scheitern zu lassen.[13]

Peacebuildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahre 2017 veröffentlichte er ein politikwissenschaftliches Buch über Peacebuildung mit dem Titel On Building Peace: Rescuing the Nation-state and Saving the United Nations.[14]

UN-Charta[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahre 2018 unterbreitete er drei Vorschläge zur Rolle Deutschlands im UN-Sicherheitsrat und der UN-Generalversammlung bei der Stärkung der UN-Charta als Fundament internationaler Friedensregelung. Hierbei nannte er die Wahrung der universellen Anwendung, die Erweiterung auf innerstaatliche Konflikte und die Demokratisierung kollektiver Entscheidungen.

UN-Reform[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für die UN erstellte er mehrere interne Strategie- und Reformdokumente, die vom UN-Generalsekretär 2009 lobend erwähnt wurden.[2] Öffentlich äußerte er bereits während seiner Karriere beispielsweise im Tagesspiegel, dass aus seiner Sicht eines der größten Probleme die große Zersplitterung der UN darstelle. Es gebe zu viele einzelne Organisationen und Fonds, die nur schwer effektiv für eine Sache einzusetzen seien. Da jedoch diese Strukturen von den Mitgliedsstaaten der UN geschaffen worden sind, hätten Staaten wie Deutschland es auch in der Hand, daran etwas zu ändern.[15]

Im Jahre 2001 wurde in Medien bekannt, dass er Pino Arlacchi, dem Generaldirektor des Büros der UNO in Wien und Direktor des Office for Drug Control and Crime Prevention (ODCCP) im Rang eines Unter-Generalsekretärs, vorwarf, dass in der UN-Behörde „Angst, Einschüchterung und eine völlige Abwesenheit von Transparenz“ herrschten.[16] Eine offizielle Untersuchung bestätigte die von Schulenburg offengelegten schweren Missstände.[17]

Russischer Überfall auf die Ukraine[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Mai 2022 schrieb er in einem Pressebeitrag, dass sich der Westen in seinem Ukraine-Kurs viel zu abhängig von den USA mache.[18] „Europa [sollte] aus seinem ureigenen Interesse heraus gerade jetzt einen Verhandlungsfrieden im Ukrainekrieg anstreben und nicht durch eine weitere Intensivierung des Krieges auf einen Siegfrieden hoffen.“

Im Februar 2023 war Schulenburg Erstunterzeichner der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Petition Manifest für Frieden an den deutschen Kanzler Olaf Scholz, die zu Diplomatie und Verhandlungen aufrief und sich gegen weitere „eskalierende Waffenlieferungen“ an die Ukraine im Zuge des russischen Überfalls aussprach.[19] Schulenburg erklärte, es gebe eine völkerrechtliche Pflicht zu Verhandlungen; wenn argumentiert wird, dass ein Frieden nur durch Waffengewalt errungen werden könne, sei das ein Rückfall in kriegerische Zeiten vor der UN-Charta und berge die Gefahr der Eskalation dieses Krieges bis zur Auslöschung der Menschheit.[20][21]

Verschiedenes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahre 1990 wurde er bei der Explosion einer Splitterbombe in Kabul verletzt.[22] Im Jahre 2009 verhinderte er laut Beobachtern in Sierra Leone durch persönlichen Einsatz in einer brenzligen Situation die Lynchjustiz an 22 Oppositionellen und das mutmaßliche Wiederaufflammen des im Jahr 2002 beendeten Bürgerkrieges.[23]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Michael von der Schulenburg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Secretary-General appoints Michael von der Schulenburg as Deputy. Special Representative for Political Affairs in Iraq | Meetings Coverage and Press Releases. 6. Mai 2005, abgerufen am 12. Mai 2020.
  2. a b Secretary-General appoints Executive Representative for United Nations integrated Peacebuilding Office in Sierra Leone | Meetings Coverage and Press Releases. 14. Januar 2009, abgerufen am 12. Mai 2020.
  3. Ulrike Scheffer: „Die UN sind zu zersplittert“. Der Tagesspiegel, 11. September 2010, abgerufen am 12. Mai 2020.
  4. Sierra Leone: Eighth year of truce. United Nations – YouTube, 9. Februar 2009, abgerufen am 12. Mai 2020.
  5. First report of the Secretary-General on the United Nations Integrated Peacebuilding Office in Sierra Leone (S/2009/59). Official Records of the Security Council, 9. Februar 2009, abgerufen am 12. Mai 2020.
  6. Fifth report of the Secretary-General on the United Nations Integrated Peacebuilding Office in Sierra Leone (S/2010/471). Official Records of the Security Council, 28. September 2010, abgerufen am 12. Mai 2020.
  7. Dagmar Dehmer: Granatwerfer für die Polizei. Der Tagesspiegel, 6. August 2012, abgerufen am 12. Mai 2020.
  8. Turning tables. In: The Economist. ISSN 0013-0613 (economist.com [abgerufen am 12. Mai 2020]).
  9. Auslandseinsätze der Bundeswehr im Wandel: Ausblick und BilanzExterne Projektbeteiligte. SWP, 2017, abgerufen am 13. Mai 2020.
  10. BSW beschließt EU-Programm und Kandidatenliste für Brüssel. nd Journalismus von Links, 28. Januar 2024.
  11. The Patriotic Vanguard: State House: Michael von der Schulenburg honoured. 24. Januar 2020, abgerufen am 12. Mai 2020 (englisch).
  12. Michael von der Schulenburg: Afghanistan-Einsatz: Ende mit Schrecken. In: IPG. FES, 25. März 2020, abgerufen am 12. Mai 2020.
  13. Michael von der Schulenburg: Lasst den „IS“ doch einfach an sich selbst scheitern! In: IPG. FES, 3. November 2014, abgerufen am 12. Mai 2020.
  14. Michael von der Schulenburg: On Building Peace: Rescuing the Nation-state and Saving the United Nations. Amsterdam University Press, 2017, ISBN 978-94-6298-427-1.
  15. Ulrike Scheffer: „Die UN sind zu zersplittert“. Der Tagesspiegel, 9. November 2010, abgerufen am 12. Mai 2020.
  16. Schwere Vorwürfe gegen Wiener UN-Chef – derStandard.at. 18. Januar 2001, abgerufen am 12. Mai 2020 (österreichisches Deutsch).
  17. Exmitarbeiter traten gegen ihren früheren Chef auf – derStandard.at. Abgerufen am 14. Mai 2020 (österreichisches Deutsch).
  18. Michael von der Schulenburg: In der Ukraine sollte die EU nicht den USA folgen, sondern nach Frieden streben. In: Berliner Zeitung, 28. Mai 2022. Abruf am 29. Mai 2022.
  19. Change.org: Manifest für Frieden (Memento vom 24. Februar 2023 im Internet Archive)
  20. Michael von der Schulenburg: UN-Charta: Verhandlungen! In: EMMA. 6. März 2023, abgerufen am 7. März 2023.
  21. Michael von der Schulenburg: Der Ukraine-Krieg und unsere Verpflichtung zum Frieden. In: Makroskop. 18. Februar 2023, abgerufen am 8. März 2023.
  22. Stefanie Lafrentz: Jobs fern der Heimat. In: DIE WELT. 12. September 2003 (welt.de [abgerufen am 12. Mai 2020]).
  23. Jina Moore: The Peacebuilders: Making Conflict Resolution Permanent. Pulitzer Center on Crisis Reporting, 2. April 2011, abgerufen am 30. November 2023 (englisch).