Niedersächsisch (Niederlande)

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Niedersächsisch (nl.-ndt. Nedersaksies, Nederlaands Leegsaksisch; nl. Nederlands Nedersaksisch „niederländisches Niedersächsisch“), umgangssprachig plat („Platt“), in der Germanistik und Nederlandistik auch Ijsselländisch (IJsselländisch mit niederländischem Digraph) genannt, ist in der Form Nedersaksisch die Eigenbezeichnung der in den Niederlanden gesprochenen Varianten des Niedersächsischen, deren Verbreitungsgebiete sich in den Ost- und Nordostniederlanden, das heißt, in den Provinzen Groningen, Overijssel, Drenthe und Gelderland, befinden. Seine Ausläufer finden sich auch in den Grenzgebieten Frieslands.

Dabei ist zu beobachten, dass sich diese Dialektform in einem Dialektkontinuum zu den angrenzenden niedersächsischen Dialekten in Deutschland befindet. So steht Gronings (das Niedersächsische in Groningen) dem in Deutschland gesprochenen ostfriesischen Platt nahe, mit dem es einst historisch eine Einheit bildete. Twents (im Osten von Overijssel gesprochen) steht wiederum dem Westmünsterländischen nahe,[1] jener westfälischen Variante, die an der deutsch-niederländischen Grenze gesprochen wird.

Der Germanist Heinz Kloss stellte in seinem Buch Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen seit 1800 fest, dass die „westsassischen Mundarten“ zwar dem Niederländischen sehr nahe stünden und dass sie von diesem stark beeinflusst seien; doch stünden sie von diesem fern genug, dass es sich gelohnt habe, Beispiele über die Zweisprachigkeit eines Ortes in ein Fachbuch aufzunehmen.[2]

Zur Hansezeit war auch in den östlichen Niederlanden „Sassisch“, das heißt, das Mittelniederdeutsche jener Zeit, Schriftsprache. Doch war das in den Niederlanden verwendete Mittelniederdeutsch nicht so stark vom Mittelniederdeutschen Lübecks geprägt, sondern hier bestand eine niederfränkisch geprägte Form, die bis nach Westfalen hinein ausstrahlte.[1]

Das Niedersächsisch der Niederlande und die angrenzenden westfälischen Dialekte, aber auch das damalige ostfriesische Niederdeutsch standen vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein in einem engen Dialekt- und Schreibsprachenkontinuum. Dieses führte dazu, dass die frühe Germanistik und Niederlandistik, die beide ihre Anfänge im 19. Jahrhundert hatten, das niederländische Niedersächsisch (mit den angrenzenden westfälischen Dialekten) sowie, dass ihm südlich benachbarte Rhein-Maasländische unter dem Begriff „Deutschniederländisch“ zusammenfassten. Im Zuge der Politisierung des Begriffes „Deutschniederländisch“, die ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert erfolgte, als die völkische Bewegung diesen im pangermanistisch-alldeutschen Sinn verwendete, begann die Niederlandistik mit dem Behelfsbegriff Ostniederländisch oder Nordostniederländisch[3] zu arbeiten, wenn sie die niedersächsischen Dialekte in den Niederlanden meinte.

1992 etablierte der Deutsche Arend Mihm „Ijsselländisch“ als neuen und politisch-ideologisch völlig neutralen Oberbegriff für die niedersächsischen Varianten in den Niederlanden. Analog zum ebenfalls von ihm geschaffenen Begriff Rhein-Maasländisch wurde dieser in die Sprachwissenschaft eingeführt.

Am 10. Oktober 2018 wurde dem Niedersächsischen in den Niederlanden der Rang einer eigenständigen niederländischen Regionalsprache zuerkannt,[4] was es auf die Stufe des Limburgischen stellte. Zuvor galt Niedersächsisch in den Niederlanden lediglich als Dialektverband.[5]

Sprachgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sprachgebiet und Begrenzungsmöglichkeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Verbreitungsgebiet des Niedersächsischen in den Niederlanden und im angrenzenden Deutschland

Das autochthone Verbreitungsgebiet des Niedersächsischen in den Niederlanden wurde im Laufe der Zeit unterschiedlich begrenzt. Auffällig ist jedoch, dass seine Grenze in etwa rechtwinklig zur nord-südlichen Staatsgrenze verläuft.[1]

Zu Beginn der Niederlandistik und der Germanistik wurde zur Abgrenzung der niedersächsischen und niederfränkischen Dialekte die Einheitsplurallinie[6] herangezogen und ließ diese bei Elburg an der damaligen Zuiderzee enden. Dieser Isoglossenverlauf wird heutzutage noch vielfach in diversen Sprachkarten angegeben, auch wenn er den allgemeinen Auffassungen widerspricht.[7][8][9]

In den 1880er Jahren begann man, die niedersächsisch-niederfränkische Dialektgrenze südlich von Harderwijk beginnen zu lassen, um sie dann in ihrem südöstlichen Verlauf auf die Einheitsplurallinie stoßen zu lassen.[10][11] Damit umging man vonseiten der Niederlandistik und Germanistik das Problem, dass der Dialektverband des Veluws aufgrund seines Übergangscharakters ursprünglich dem Niederfränkischen zugeschlagen worden war. Nun wurde diesem nur noch das Westveluws zugerechnet, während Ostveluws nun zu den niedersächsischen Dialekten gehörte.

Heute wird allgemein nicht mehr die als überholt betrachtete Einheitsplurallinie als Grenze jener Dialekte betrachtet, die in den Niederlanden unter der Bezeichnung Nederlands Nedersaksisch („niederländisches Niedersächsisch“) zusammengefasst werden: Heute werden diese von einer quer durch Gelderland verlaufende und bei Utrecht ans IJsselmeer stoßende Isoglosse vom Niederfränkischen begrenzt, der sogenannten elopen/gelopen-Linie.

Subgruppen/Dialekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Karneval in Silvolde, Wagen mit niedersächsischer Aufschrift

Das niederländische Niedersächsische zerfällt in etwa sieben Hauptdialekte, die wiederum in einzelne Stadt- und Dorfmundarten gegliedert sind. Einige dieser Varietäten weisen eigenständige ISO-639-3-Codes auf:

  • Gronings (gos)
  • Stellingwerfs (stl)
  • Drents (drt)
  • Twents (twd)
  • Achterhoeks (act)
  • Sallands (sdz)
  • Veluws (vel)

Heute werden in den Niederlanden die niedersächsischen Dialekte wie folgt eingeteilt, wobei hier die Aufzählung in Nord-Süd-Richtung vorgenommen wird:

Gronings weist eine gemeinsame Sprachgeschichte mit dem benachbarten ostfriesischen Niederdeutsch auf und besitzt wie dieses ein großes friesisches Substrat. Stellingswerfs gilt als Übergangsdialekt zum Westfriesischen, von dem es auch beeinflusst wurde. Drents wiederum zerfällt wiederum in drei Subgruppen, welche geografisch als Noord-Drents, Midden-Drents und Zuid-Drents bezeichnet werden. Allgemein wird Noord-Drents der Dialektgruppe „Gronings“ zugerechnet.

Twents kann man aufgrund der sprachlichen Übergänge als Übergangsdialekt des Emswestfälischen zum Gronings-Ostfriesischen zählen. Twents-Graafschaps wiederum bildet im Wesentlichen die Ausläufer des Emswestfälischen in die Niederlande.

Gelders-Overijssel, welches sich im südlichen Bereich des niedersächsischen Sprachgebietes in den Niederlanden darstellt, gilt bereits als Übergangsdialekt zum Niederfränkischen und zum Westmünsterländischen. So wird beispielsweise das ihm zugerechnete Achterhoeks als organischer Teil des Westmünsterländischen angesehen.

Das Sprachgebiet des niederländischen Niedersächsischen ist durch zahlreiche Isoglossen geprägt, aufgrund deren die Dialekte Twents und Achterhoeks sich zum Westfälischen rechnen lassen, wenn man die dort verlaufende had/ehad-Line als Kriterium nimmt. Mit dem Nordniedersächsischen verbindet beides die Einheitsplurallinie, da auch in Twents und Achterhoeks wie/wi’j hebt gilt. Im Veluws wird dagegen schon wulie hebben verwendet. Gronings grenzt sich von den anderen Dialekten durch das Isoglossenbündel weiten-hebben-gaud für „wissen“, „haben“ und „gut“ ab.

Urks und West-Veluws sind bereits stark hollandisiert, jedoch könnten beide mit Drents, Stellingswerfs und Sallands sowie mit Ost-Veluws zu einer eigenen Untergruppe zusammengefasst werden, da sie den westlichsten Rand des gesamtniedersächsischen Sprachraumes bilden.

Einfluss des Niederländischen und des Deutschen auf das gesamte westniederdeutsche Sprachgebiet[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im 16. und 17. Jahrhundert waren die Territorialstaaten des römisch-deutschen Reiches durchweg durch Sprachentoleranz geprägt. Offizielle Schreib- und Lesesprachen der Kanzleien waren Latein (und Griechisch) als „heilige Sprachen“ der Bibel und das Gemeine Deutsch der kaiserlichen Behörden und Ämter.

Das Alltagsleben prägten auf beiden Seiten der heutigen deutsch-niederländischen Grenze die Dialekte, die als „Volkssprache“ verstanden wurden. Da in den Grenzregionen untereinander Handel getrieben wurde, glichen sie sich im Laufe der Jahrhunderte mehrheitlich an, ganz gleich, ob sie auf (nieder-)sächsischer oder (nieder-)fränkischer Grundlage beruhten. Mit dem Aufkommen der Nationalstaaten änderte sich dieses rapide, da diese bemüht waren, nur einer Sprache den offiziellen Vorrang zu geben. Auf deutscher Seite war dies das durch Martin Luther (1483–1546) geprägte Neuhochdeutsch, auf niederländischer Seite das von den Niederlanden geprägte Neuniederländisch der Statenbibel. Während der „Sprachwechsel“ in den Niederlanden schnell vollzogen wurde (kam das Niederländische den Sprachgewohnheiten der Bewohner der Ostniederlande doch sehr entgegen), wurde in Nordwest- und Westdeutschland ein „stiller Sprachenkampf“ ausgetragen, dem Niederländisch letztendlich Mitte des 19. Jahrhunderts unterliegen sollte.

„Im Laufe des 16. und 17. Jh. setzte sich von Köln und Münster her zunächst teilweise das Hochdeutsche gegen das Niederdeutsche als Schriftsprache durch. Im territorialen Einflußbereich der spanischen Niederlande und der niederländischen reformierten Kirche (auch durch Glaubensflüchtlinge) sowie der Handelsbeziehungen der Niederlande zur deutschen Nord- und Ostseeküste, trat im 17. und frühen 18. Jh. in diesen Übergangsgebieten, auch in Ostfriesland, eine obrigkeitlich und kirchlich geförderte schriftsprachliche Niederlandisierung ein, teilweise kommerziell auch in den Hafenstädten Emden, Bremen, Hamburg und, durch wirtschaftlich bediengte Auswanderung, auch im westlichen Holsteinischen. (…) Im deutsch-niederländischen Grenzbereich wird ein grundsätzlicher sprachenpolitischer Unterschied zwischen der Epoche der Territorialstaaten und der Epoche der Nationalstaaten deutlich: Im 18. Jh. herrschte noch viel Liberalität beim Neben- und Übereinander verschiedener Sprachen. Bei Fortdauer niederdeutscher Grundsprache im mündlichen Verkehr der Allgemeinheit wurden die Schriftsprachen Hochdeutsch und Niederländisch je nach Empfänger(kreis) und Sachdomäne abwechselnd verwendet, selbst noch unter preußischer Herrschaft (ab 1713) im oberen Gelderland, wobei auch beide Kirchen das Niederländische gegen preußische Verhochdeutschung in Gottesdienst und Schule stützten.“

Peter von Polenz: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, Band III 19. und 20. Jahrhundert, S. 121.

Westfälische und Holländische Expansion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Westfälischer Einfluss bis 1600[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Niedersächsische war im Laufe seiner Geschichte in den Niederlanden mehreren Spracheinflüssen ausgesetzt. Seine überwiegend „westfälischen Züge“ verdankt es der sogenannten Westfälischen Expansion, die bis etwa 1600 andauerte. Nach dem Untergang des Mittelniederdeutschen als Schriftsprache, die nach 1600 eintrat,[12] war es der branbantisch-holländischen Expansion, der letztendlich noch eine sogenannte Utrechter Expansion folgte, ausgesetzt. Diese werden auch zusammenfassend als Niederländische Expansion bezeichnet, die auch bis weit in den Niederrhein, insbesondere auf den linken Niederrhein ausstrahlte.

Ein Erbe des Mittelniederdeutschen ist das Fehlen der zweiten Lautverschiebung, was das niederländische Niedersächsisch auf die Seite der „niederdeutschen Dialekte“ stellt. So heißt es in seinen Dialekten weiterhin punt „Pfund“, appel „Apfel“, water „Wasser“, moaken „machen“ und tijd „Zeit“. Auch das niederländische Graphem ij [ɛɪ] behielt in ihm seinen ursprünglichen Klang ie [iː], sodass dort vrij immer noch [vriː] ausgesprochen wird.

Mit dem Wegfall des Mittelniederdeutschen trat nun Neuniederländisch an seine Stelle, das in den Ostniederlanden nun Dach- und Kultursprache wurde. Analog trat in Deutschland das Neuhochdeutsche an die Stelle des Mittelniederdeutschen und ersetzte dieses dort als Dach- und Kultursprache. Das führte dazu, dass die niederdeutschen Varianten beiderseits der Grenzen begannen, sich sprachlich der jeweiligen Dachsprache anzupassen.

In den Niederlanden ist das regionale Niedersächsische lexikalisch bezüglich Neologismen stark vom Niederländischen beeinflusst und seine Schreibung folgte bisher der niederländischen Orthografie, während die deutschen Varianten der deutschen Hochsprache folgten: Das Wort „Bauer“ wird daher dort boer und im deutschen Niedersächsisch Bur/Buur geschrieben, was beides aber identisch als [buːr] gesprochen wird.

Niederländischer Einfluss seit 1600[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Spracheinfluss des Niederländischen zeigt sich vor allem in den Dialekten West-Veluws und Urkers: Diese beiden weisen die vereinheitlichte Pluralendung in der 1., 2. und 3. Person des Verbs -en anstelle des erwarteten -(e)t auf. Das heißt, dass es dort wai eawen (Urkers) und wullie hebben „wir haben“ anstelle von zu erwartendem wie hebt gesprochen wird.

Diese Erscheinungsform ist auch in Stellingwerven und in Groningen geläufig. Doch gilt sie hier als Erbe des Altfriesischen und nicht als Neuerung durch das Niederländische. Zumal waren die Ommelande bis ins Mittelalter friesischsprachig.

Auch kamen im niederländischen Niedersächsisch ab dem 17. Jahrhundert diverse Vokaländerungen auf, die infolge der neuniederländischen Kultursprache in den östlichen Niederlanden auftraten: Altes ee [eː] wurde zu ie [iː], aus oo [oː] ein oe [uː] sowie aus altem oe [uː] ein uu [yː]. Twents und Achterhoeks verblieben jedoch auf dem alten Lautstand und weisen hier eher in Richtung Westfalen hin. Siehe auch folgende Beispiele: deer (Sallands) – dier (Twents) – deer (Achterhoeks) „Tier“, good – goed – gaud „gut“, hoes – huus – hoes „Haus“.

In den Dialekten des Achterhoeks, aber auch in Sallands, fand in bestimmten Bereichen der Umlaut statt: moes „Maus“ – mussken „Mäuschen“ – muuzen „Mäuse“.

Im Niedersächsischen der Ostniederlande erfolgte infolge der Utrechter Expansion die Aufgabe des Personalpronomen 2. Person Singular „du“. Dadurch zog sich die gij/doe-Linie in Richtung der heutigen deutsch-niederländischen Staatsgrenze zurück. Nördlich von Venlo überschreitet die Linie die Maas, um nun am Niederrhein in nordöstlicher Richtung auf die niederländische Staatsgrenze zuzulaufen. Etwa auf der Höhe der ehemaligen Herrschaft Anholt trifft sie das niederländische Staatsgebiet und verläuft westlich der Region Achterhoek, wo sie im Wesentlichen auch mit der oe/au-Linie (goed/gaud „gut“) übereinstimmt. Das heißt, dass das Personalpronomen du zwar noch in den Dörfern Denekamp und Oldenzaal (östliches Twente) und in Groenlo und Winterswijk (östliches Gelderland/Achterhoek) gebräuchlich ist, im übrigen Bereich der niedersächsischen Dialekte der Ostniederlande jedoch nicht mehr.

Verhältnis des Ijsselländischen zum Rhein-Maasländischen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der deutsche Germanist Arend Mihm stellte in seinen Untersuchungen über das Verhältnis der niederfränkischen und niederdeutschen Dialekte zur mittelalterlichen Zeit fest, dass beide an den jeweiligen Dialektgrenzen in einem engen Dialekt- und Schreibsprachenkontinuum standen. Das heißt, dass dort niederfränkische und niedersächsische Dialekte sowohl sprachlich als auch in der Schriftsprache nahtlos ineinander übergingen. Diese Feststellung wird auch von anderen Germanisten inzwischen geteilt:

„Unnötig zu bemerken, daß der Niederrhein im späten Mittelalter nicht durch eine ‚Sprach‘-Grenze zerschnitten wurde. Die Frage nach dem ‚Niederländischen am Niederrhein‘ läßt sich für diesen Zeitraum eigentlich gar nicht stellen, weil es im 14. Jahrhundert weder eine niederländische noch eine deutsche Hochsprache existierte. Die niederrheinische Varietät fügt sich vielmehr ein in ‚ein Kontinuum miteinander verwandter regionaler Schreibsprachen‘. So ist auch eine eindeutige Bestimmung der Grenze zwischen niederfränkischen und niedersächsischen Dialekten dieser Übergangszone nicht möglich. Bestenfalls lassen sie sich als ‚Mischsprachen‘ charaktersieren, die jeweils Elemente des Mittelniederländischen (MNL), Mittelniederdeutschen (MND) und z. T. auch des Mittelhochdeutschen (MHD) in unterschiedlicher Verteilung enthalten.“

Brigitte Sternberg: Frühe niederrheinische Urkunden am klevischen Hof. In: Helga Bister-Broosen (Hrsg.): Niederländisch am Niederrhein, S. 57.

In Flämisch-Belgien waren die ungeschlechtlichen Singularpronomina ik, mij/me, gij/ge und ou/u, in Holland ik, mijn/me und jij/je. Am sprachverwandten Niederrhein lauteten sie auf dem Territorium des alten Herzogtums Jülich ik, mij, gij und ou, während auf dem Territorium des alten Herzogtums Kleve ik, min, gij und ou verwendet wurde. Das niedersächsische Westmünsterland verwendete ik, mei, du und dei. Im Bereich des Achterhoeks ist auffällig, dass dieser weitgehend mit dem Kleverländischen übereinstimmt und ik, min, ie und ou verwendet.[13]

Darüber hinaus weichen innerhalb der niedersächsischen Dialekte der Niederlande Veluws, das südliche Gelders-Overijssel und Twents-Graafschaps insofern von den übrigen Dialekten ab, als sie zusammengesetzte Subjektpronomina der ersten Person Plural wüllie, wille/wülle und wilö verwenden, die weder den niederfränkischen noch den niederdeutschen Dialekten bekannt sind.[14]

Aber in den zusammengesetzten Subjektformen der zweiten Person Plural stimmen die meisten Dialekte, die heute zum niederländischen Niedersächsischen gerechnet werden, mit den niederländisch-flämischen Formen überein bzw. leiten sich von ihnen ab.[15] Das Gleiche gilt auch für die zusammengesetzten Subjektformen der dritten Person Plural.[16] Bezüglich der zusammengesetzten Objektformen der dritten Person Plural stimmt nur noch Veluws überwiegend mit den niederländischen Formen überein.[17] Das übrige Niedersächsische der Niederlande stimmt hier mit den niedersächsischen Formen Deutschlands überein.

Jan Goossens wies in seinem vierteiligen Werk Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands. „Fränkischer Sprachatlas“ nach, dass die Dialekte Utrechts und der Veluwe, aber auch die Dialekte des südlichen Gelders-Overjjsel und der westlichen Dialekte Westfalens übereinstimmen: Das Wort „Herde“, das im übrigen Ijsselländisch, aber auch im Rhein-Maasländischen, allgemein kool, kodde/ködde und keu(ë) lautet, existiert in diesen nicht. Dort haben die mit kool usw. verwandten Begriffe keu, kürre und ködde die Bedeutung „Ferkel“.[18] Vielmehr fällt dort „Ferkel“ mit dem Begriff „Schwein“ varken/verken zusammen, dessen Nordgrenze in etwa mit der Grenze Gronings-Noord-Drents zusammenfällt, die wie im Westflämischen zwijn „Schwein“ haben, während Kleverländisch und Westmünsterländisch pugg verwenden, dessen Nordgrenze bis auf wenige Ausnahmen mit der deutsch-niederländischen Grenze zusammenfällt.[19]

Eine weitere Gemeinsamkeit, die das niederländische Niedersächsische, mit Ausnahme der Region Veluwe, mit dem angrenzenden deutschen Niedersächsischen und u. a. Bergischen teilt, ist das Vorhandensein eines Gebietes, das den Gebrauch des Dialektwortes „Amsel“ definiert: Im Gebiet östlich der IJssel und rheinaufwärts bis an die Südgrenze des Oberbergischen Kreises und von dort aus bis zur Emsmündung in die Nordsee existiert ein einheitliches geetling/geitling-Areal.[20]

Heutiges Verhältnis zu den niederdeutschen Dialekten in Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Trotz ihrer Überdachung durch zwei verschiedene Nationalsprachen (Niederländisch, Hochdeutsch) verfügen die Subgruppen der niedersächsischen Dialekte der Niederlande noch über große Ähnlichkeiten mit den auf deutscher Seite gesprochenen Dialekten. Doch lässt sich der starke Einfluss beider Nationalsprachen auf das gesamte Niedersächsische nicht mehr leugnen. Vor allem die Zeit nach 1945 bedingte durch nationale Fernsehprogramme, dass die deutsch-niederländische Staatsgrenze langsam begann, das alte Dialektkontinuum zwischen ihnen in Auflösung zu bringen. Die Staatsgrenze wurde de facto zur Dialektgrenze.

So ist eine mündliche Kommunikation zwischen den Sprechern weiterhin möglich. Doch je weiter sie von der Staatsgrenze entfernt stammen, desto schwieriger wird die Kommunikation zwischen ihnen. Aufgrund der unterschiedlichen Orthografie (niederländische in den Ostniederlanden, deutsche in Deutschland) ist die Kommunikation erschwert, auch zwischen einander nahe gelegenen Grenzgebieten.

Während die Niederlandistik den Niederrhein sprachhistorisch als niederländisches Sprachgebiet definierte, in dem ein „nichtstandardisiertes Niederländisch“ auf Dialektform gesprochen wird, sieht die Germanistik in den niedersächsischen Dialekten der Niederlande einen niederdeutschen Dialektverband, der dem Niederländischen unterworfen ist. Gebietsansprüche auf diese Sprachgebiete, aufgrund der jeweiligen Sprachverwandtschaft, erheben Deutschland und die Niederlande nicht.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Heinz Kloss: Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprache seit 1800. 2. erweiterte Auflage. Pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf 1978, ISBN 3-590-15637-6, S. 192.
  2. Heinz Kloss: Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprache seit 1800. 2. erweiterte Auflage. Pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf 1978, ISBN 3-590-15637-6, S. 191–192.
  3. Jan Gossens: Areallinguistik. In: Hans Peter Althaus, Helmut Henne, Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.): Lexikon der germanistischen Linguistik. 2. Aufl., Tübingen, 1980, S. 445ff., hier S. 446
  4. Rijksoverheid: Nedersaksische taal erkend, abgerufen am 19. Oktober 2018
  5. Heinz Kloss: Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprache seit 1800. 2. erweiterte Auflage. Pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf 1978, ISBN 3-590-15637-6, S. 194.
  6. Stephen Barbour, Patrick Stevenson: Variationen im Deutschen: Soziologische Perspektiven, 3.10.1 Zur niederdeutschen-niederländischen Mundartlandschaft, Google books, abgerufen am 22. Oktober 2018
  7. Joachim Schildt: Kurze Geschichte der deutschen Sprache. 1. Auflage. Volk und Wissen Verlag, Berlin 1991, ISBN 3-06-101719-4, S. 151 (Dialektkarte).
  8. Deutsche Mundarten der Gegenwart. In: www.amilotedesco.worldpress.com, abgerufen am 20. Oktober 2018.
  9. Karte der deutschen Mundarten (zur Sprachgeschichte des Deutschen). In: www.rhetorik-netz.de, abgerufen am 20. Oktober 2018.
  10. Egart Hugo Meyer: Volkskunde. Geschichte der deutschen Lebensweise und Kultur. Verlag Karl J. Trübner, Straßburg 1898; neu erschienen in: Reprint-Verlag-Leipzig, Holzminden, ISBN 3-8262-1304-1, S. 363–364 (Sprachenkarte)
  11. „Karte der deutschen Mundarten“ in: F. A. Brockhaus: Brockhaus’ Konversations-Lexikon, 14. Auflage, 4. Band, abgerufen am 20. Oktober 2018.
  12. Ludger Kremer: Mundartforschung im ostniederländisch-westfälischen Grenzgebiet, Anmerkung 138, Google books, abgerufen am 19. Oktober 2018.
  13. Jan Goossens: Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands. „Fränkischer Sprachatlas“, Zweite Lieferung Textband. N. G. Verlag, Marburg 1994, ISBN 3-7708-1034-1, S. 78, Textkarte 8 „Diasystem der ungeschlechtlichen Singularpronomina“.
  14. Jan Goossens: Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands. „Fränkischer Sprachatlas“, Zweite Lieferung Textband. N. G. Verlag, Marburg 1994, ISBN 3-7708-1034-1, S. 128, Textkarte 13 „Zusammengesetzte Subjektformen der 1. Pers. Pl.“
  15. Jan Goossens: Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands. „Fränkischer Sprachatlas“, Zweite Lieferung Textband. N. G. Verlag, Marburg 1994, ISBN 3-7708-1034-1, S. 158, Textkarte 17 „Zusammengesetzte Subjektformen der 2. Pers. Pl.“
  16. Jan Goossens: Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands. „Fränkischer Sprachatlas“, Zweite Lieferung Textband. N. G. Verlag, Marburg 1994, ISBN 3-7708-1034-1, S. 186, Textkarte 21 „Zusammengesetzte Subjektformen der 3. Pers. Pl.“
  17. Jan Goossens: Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands. „Fränkischer Sprachatlas“, Zweite Lieferung Textband. N. G. Verlag, Marburg 1994, ISBN 3-7708-1034-1, S. 196, Textkarte 23 „Zusammengesetzte Objektformen der 3. Pers. Pl.“
  18. Jan Goossens: Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands. „Fränkischer Sprachatlas“, Dritte Lieferung Textband. N. G. Verlag, Marburg 1994, ISBN 3-7708-1221-2, S. 56, Textkarte „Ferkel“.
  19. Jan Goossens: Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands. „Fränkischer Sprachatlas“, Dritte Lieferung Textband. N. G. Verlag, Marburg 1994, ISBN 3-7708-1221-2, S. 61, Textkarte „Ferkel“.
  20. Jan Goossens: Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands. „Fränkischer Sprachatlas“, Dritte Lieferung Textband. N. G. Verlag, Marburg 1994, ISBN 3-7708-1221-2, S. 40, Textkarte 4 „Amsel“.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]