Paul Carell

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Paul Carell (eigentlich Paul Karl Schmidt; * 2. November 1911 in Kelbra (Kyffhäuser); † 20. Juni 1997 in Rottach-Egern) war SS-Obersturmbannführer, Pressesprecher von Außenminister Joachim von Ribbentrop und nach 1945 ein erfolgreicher Buchautor und Journalist bei der Zeit und beim Spiegel. Ab 1993 gibt es auch die Eigenbezeichnung "Carell-Schmidt", z. B. auf der Gründungsurkunde einer Hans-Filbinger-Stiftung.

Karriere als Nationalsozialist

Paul Karl Schmidt trat 1931 als Oberprimaner der NSDAP (Mitglieds-Nr. 420.853) und der SA bei.[1] Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten trat er am 10. Mai 1933 als studentischer Redner bei der Bücherverbrennung in Kiel auf.[1] Er hatte verschiedene Positionen im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund inne und übernahm 1935/36 kommissarisch das Amt des Gaustudentenführers von Schleswig-Holstein. 1936 wurde Carell in Kiel mit seiner Dissertationsschrift Beiträge zur Lehre von Bedeutungsbildern in den indogermanischen Sprachen zum Dr. phil. promoviert.[1] Anschließend war er Assistent am Psychologischen Institut der Universität Kiel. 1938 wurde Carell Mitglied der SS (Nr. 308.263).[1] Anschließend war er Legationsrat II. Klasse in der Presse- und Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amts.[1]

In der SS stieg Schmidt bereits 1940 zum Obersturmbannführer auf. Im selben Jahr wurde er Pressesprecher unter Außenminister Joachim von Ribbentrop und Gesandter I. Klasse. In dieser Position war ihm die Nachrichten- und Presseabteilung im Auswärtigen Amt unterstellt.

Wichtigste Aufgabe Schmidts war die Leitung der täglichen Pressekonferenzen seines Ministeriums. Daher wird er als einer der wichtigsten Propagandisten des Nationalsozialismus während des Zweiten Weltkriegs angesehen. Auch auf die mit 2,5 Millionen Exemplaren auflagenstärkste NS-Propagandazeitschrift Signal hatte er maßgeblichen Einfluss. Neuere Forschungen untermauern, dass sein Einfluss dem von Otto Dietrich (Reichspressechef Adolf Hitlers) und von Hans Fritzsche (Pressechef im Reichspropagandaministerium) zumindest ebenbürtig war.

Dass Schmidt den Holocaust mit Mitteln der Propaganda gerechtfertigt hat, gilt als gesichert. Diese propagandistische Rechtfertigung erfolgte in Zusammenarbeit mit der „Kulturpolitischen Abteilung“, der Franz Six vorstand und der Referatsgruppe „Inland II“ mit ihrem Leiter Horst Wagner – dem Verbindungsmann zwischen Ribbentrop und Himmler – und stellvertretenden Leiter sowie Judenreferenten des Auswärtigen Amtes, dem promovierten Juristen Eberhard von Thadden. Im Mai 1944 erteilte Schmidt Ratschläge, wie man die Deportation und Ermordung ungarischer Juden rechtfertigen könne, um den Vorwurf eines Massenmords nicht aufkommen zu lassen:

„Die geplante Aktion [gegen die Budapester Juden] wird in ihrem Ausmaß große Aufmerksamkeit erregen und Anlass zu einer heftigen Reaktion bilden. Die Gegner werden schreien und von Menschenjagd usw. sprechen und unter Verwendung von Gräuelberichten die eigene Stimmung bei den Neutralen aufzuputschen versuchen. Ich möchte deshalb anregen, ob man diesen Dingen nicht vorbeugen sollte dadurch, dass man äußere Anlässe und Begründungen für die Aktion schafft, z. B. Sprengstofffunde in jüdischen Vereinshäusern und Synagogen, Sabotageorganisationen, Umsturzpläne, Überfälle auf Polizisten, Devisenschiebungen großen Stils mit dem Ziel der Untergrabung des ungarischen Wirtschaftsgefüges. Der Schlussstein unter eine solche Aktion müsste ein besonders krasser Fall sein, an dem man dann die Großrazzia aufhängt.“[2]

Als Chef der Presseabteilung im Auswärtigen Amt 1943 schrieb er 1943: „Die Judenfrage ist keine Frage der Humanität, keine der Religion, sie ist einzig und allein eine Frage der politischen Hygiene“ und „das Judentum muß bekämpft werden, wo immer es auftritt, weil es ein politischer Krankheitserreger ist, der Gärstoff für die Zersetzung und den Tod eines jeden nationalen Organismus (…)“.[3].

Nationalsozialistische Europapläne propagierte Schmidt in den Fußstapfen seines Freundes Franz Alfred Six neben den konkreten Mordaufrufen gegen Juden. In dessen "Handbuch Europa" schreibt er 1943 über die Achse mit Italien: Wir Nationalsozialisten "müssen den europäischen Raum neu ordnen." Europa kann "in der Zukunft nur in der faschistischen und nationalsozialistischen Lebensform leben. ... Nachdem die westlichen liberalistischen Grundsätze ihre Eignung für die Überwindung der europäischen Lebensnöte verloren (haben, stehen die beiden Länder) bei der Gestaltung des europäischen Staatensystems vor einer großen revolutionären Aufgabe." [4]

Juristische Aufarbeitung

Schmidt wurde am 6. Mai 1945 verhaftet und war annähernd zweieinhalb Jahre lang interniert. Es blieb lange offen, ob er als Angeklagter oder als Belastungszeuge vor Gericht erscheinen sollte. Im Wilhelmstraßen-Prozess trat er schließlich als Zeuge der Anklage auf und stellte sich selbst als Verfechter der demokratischen Pressefreiheit dar.[5]

Von 1965 bis 1971 ermittelte die Staatsanwaltschaft Verden wegen Mordes gegen Schmidt. Doch das Ermittlungsverfahren, welches seine Verwicklung in die Ermordung ungarischer Juden klären sollte, wurde ergebnislos eingestellt. Somit musste sich Schmidt niemals vor einem Gericht für seine Tätigkeit im NS-Staat verantworten.[6]

Karriere als historischer Schriftsteller und politischer Publizist

Schmidt lebte nach dem Zweiten Weltkrieg in Scheeßel, wo er von 1958 bis 1974 zweiter Vorsitzender des Schulträgers Schulgenossenschaft Eichenschule eG des privaten Gymnasiums Eichenschule Scheeßel war.

Seit den 1950er Jahren verfasste er Beiträge für die Zeitschrift Kristall, die in einer hohen Auflage erschien. Schmidt verwendete das Pseudonym Paul Karell, später Paul Carell.

Parallel zum oben genannten Ermittlungsverfahren begann Carells zweite erfolgreiche publizistische Karriere. Er arbeitete als freier Mitarbeiter unter verschiedenen Pseudonymen bei Zeitungen, wie Die Welt und Die Zeit als P. C. Holm. Er schrieb auch in der Norddeutschen Rundschau und im Spiegel. In diesem Nachrichtenmagazin lancierte er schon am 16. Januar 1957 die These von dem die Nazis entlastenden Alleintäter Marinus van der Lubbe beim Reichstagsbrand 1933. Er galt als einflussreicher Berater im Springer-Verlag. Im Vorfeld der sog. Nato-Nachrüstung mit atomaren Mittelstreckenwaffen forderte er 1979 in Axel Springers WELT am SONNTAG eine Änderung der Einsatzdoktrin der Bundeswehr in Richtung einer angeblich wünschenswerten präventiven "Vorneverteidigung".[7] Dieselbe Forderung, ergänzt mit einem Plädoyer für die Neutronenbombe hatte Schmidt-Carell schon ein Jahr vorher in einem Vortrag vor der Carl Friedrich von Siemens Stiftung gestellt: "Die Lösung des Problems ist die Neutronenwaffe. (...) Die notwendige militärische Wirkung erhöht für den Gegner das Risiko des Einsatzes dieser Waffen und erhöht damit die Abschreckung und die militärische Effektivität. Angesichts der unabdingbaren Vorneverteidigung ist also die Neutronenwaffe die fällige, dringend notwendige Modernisierung der taktischen Atomwaffe."[8]

Der Erfolg seiner Bücher Unternehmen Barbarossa und Verbrannte Erde machte aus Carell den führenden Nachkriegschronisten des Zweiten Weltkriegs am Schauplatz UdSSR. Im Ullstein Verlag erschien 1980 sein Buch "Die Gefangenen" über das Schicksal deutscher Kriegsgefangener in Russland. Diese Bücher erfuhren in der Bundesrepublik Deutschland ein überwiegend positives Presseecho. So schrieb zum Beispiel Die Welt: „Trägt zum Abbau von Ressentiments zwischen Deutschen und Russen bei (…) als Historiker qualifiziert.“ Der Historiker Bodo Scheurig urteilte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hingegen, dass Carells Darstellung des Russlandfeldzuges jene „verdummt, die zu vergessen geneigt sind und (diejenigen) erbittert, die schwer vergessen können und auf der ganzen Wahrheit bestehen.“[9] Jonathan Littell lässt in seinem auf Fakten beruhenden Roman Die Wohlgesinnten den Ich-Erzähler feststellen, dass Carell ein zweibändiges Werk über den Krieg gegen die Sowjetunion schrieb, ohne ein einziges Mal das Wort „Jude“ zu erwähnen, eine „hervorragende“ historiographische Leistung angesichts der NS-Massenverbrechen in diesem Land; kaum etwas weise deutlicher auf die spätere mentale Verdrängung dieser Verbrechen durch die Deutschen hin, als diese Tatsache.[10][11]

1992 äußerte Carell die vielfach widerlegte Behauptung, nach der der Ausgang des Zweiten Weltkrieges nach der Schlacht von Stalingrad noch offen gewesen sei. Letztlich habe allein das Versagen Adolf Hitlers die Niederlage Deutschlands im Krieg herbeigeführt. Die Führung der Wehrmacht und herausragende Strategen wie Erich von Manstein hätten ohne diese Einmischung einen Remis-Frieden erzwingen können.

Bis zum Ende seines Lebens leugnete Carell die deutschen Verbrechen an der russischen Bevölkerung.[12] Der Angriff auf die Sowjetunion sei ein Präventivschlag gewesen, um einem bevorstehenden Angriff der Roten Armee zuvorzukommen.

Werkauswahl

  • Die Wüstenfüchse. Mit Rommel in Afrika (1964, jüngste Auflage 2003)
  • Sie kommen! Die Invasion der Amerikaner und Briten in der Normandie 1944 (1960, jüngste Auflage 2004)
  • Stalingrad. Sieg und Untergang der 6. Armee (1992, jüngste Auflage 2003)
  • Unternehmen Barbarossa. Der Marsch nach Rußland (1963, jüngste Auflage 2002)
  • Die Gefangenen. Leben und Überleben deutscher Soldaten hinter Stacheldraht (1980, jüngste Auflage 2002)
  • Verbrannte Erde. Schlacht zwischen Wolga und Weichsel (1964, jüngste Auflage 2002)
  • Der Rußlandkrieg. Fotografiert von Soldaten. Der Bildband zu "Unternehmen Barbarossa" und "Verbrannte Erde" (1983)
  • als Hg.: Berlin - Rom - Tokio. Monatsschrift für die Vertiefung der kulturellen Beziehungen der Völker des weltpolitischen Dreiecks. Verlagsanstalt Ernst Steiniger, 1. Jg. 1939. [13]

Siehe auch

Literatur

  • Wigbert Benz: Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945. Berlin 2005. ISBN 3-86573068-X
  • Peter Longerich: Propagandisten im Krieg. Die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop. München 1987 (ausführlich über Schmidts Tätigkeit im AA - aber Identität mit "Paul Carell" nur auf S. 154, Fußnote 13, angegeben)
  • Konkret (Zeitschrift) Heft 1/2007, S. 27: „Es gibt kein aktuelleres Thema“. Ein Nachtrag zu Peer Heinelts „Paul und der Reichstagsbrand“ (Heft 11/06) zum Fall des NS-Außenamts- und "Spiegel"-Mitarbeiters P.K.S. von Michael Schröders.
  • Armin Mohler: Paul Carell. In: Von rechts gesehen S. 240 ff., Seewald, Stuttgart 1974. ISBN 3512003656
  • Christian Plöger: Von Ribbentrop zu Springer. Zu Leben und Wirken von Paul Karl Schmidt alias Paul Carell. Marburg 2009 (zugl.: Münster, Univ. Diss. 2009). ISBN 9783828821361

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 93.
  2. Nürnberger Dokument NG-2424, Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg, ausführlich zitiert in: Wigbert Benz: Paul Carell, S. 37 f. - dort, S.107ff. auch ein genaues Verzeichnis der relevanten Nürnberger u.a. Dokumente
  3. Jonathan Littell, Les bienveillantes, dt. 2008, S. 23 für das erste Zitat und für das zweite
  4. Die Achse als Grundlage des neuen Europa. in Six, Hg: Europa-Handbuch, Leipzig 1943, S. 13 - 15
  5. Vgl. Nürnberger Dokument NG-3590, Staatsarchiv Nürnberg; eidesstattliche Erklärung Paul Carell Schmidt vom 13. November 1947.
  6. vgl. Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Verden gegen Dr. Paul Karl Schmidt u.a. wegen Mordes. Akte 412 AR-Nr. 1082 / 1965; Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg, neue Signatur (seit November 2003): B 162 AR 650 1082.; belegt bei Wigbert Benz: Paul Carell, S.88ff.
  7. Paul Carell: Die Rote Erpressung. In: WELT am SONNTAG Nr. 17/1979 v. 21.10.1979
  8. Carell: Der tabuierte Ernstfall Krieg. In: Der Ernstfall. Schriften der Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Hrsg. Anton Peisl & Armin Mohler. Bd. 2. Frankfurt 1979, S. 74-97
  9. Zitate nach Wigbert Benz: Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945. Berlin 2005, ISBN 3-86573068-X, S. 96.
  10. Dt. Ausg. 2008, S. 23
  11. [1] Abdruck im FAZ-Lesesaal. Abgerufen 20. Juli 2008.
  12. Vergl. Weblink: [2] mit Zusammenfassung seines Buches (Abruf März 2008)
  13. Mehrsprachig; belegt sind Hefte von 1939 bis 1942. Autoren u.a. Gustav Schlotterer, Karl Megerle, Carl August Clodius, Hans Georg von Studnitz, Karl Haushofer u.a.