Poliklinik



Poliklinik (Wortbildung aus griechisch πόλις pólis „Stadt“ und Klinik) ist eine medizinische Einrichtung zur ambulanten Untersuchung und Behandlung von Patienten. Dabei kann es sich um Folgendes handeln:
- eine an ein Krankenhaus angegliederte Abteilung einer bestimmten medizinischen Fachrichtung[1][2]
- ein Krankenhaus[2]
- eine mit Ärzten unterschiedlicher Fachrichtung besetzte selbständige medizinische Einrichtung[1]
Laut einer Definition der AOK sind Polikliniken „integrierte medizinische Versorgungseinrichtungen oder ambulante Abteilungen beziehungsweise Institutsambulanzen eines Krankenhauses beziehungsweise einer Universitätsklinik mit zumeist angestellten Ärzten“.[3]
In der DDR waren Polikliniken die Basis der ambulanten Versorgung. Sie leisteten die medizinische Versorgung an einem Ort, vergleichbar mit einem fächerübergreifend arbeitenden medizinischen Versorgungszentrum.[1]
Etymologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Deutsch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Das Wort Poliklinik (zu griechisch pólis, „Stadt“) bedeutet im Sinne der Etymologie „Stadtklinik“.[4][5] Schon Ludwig August Kraus schrieb 1844: „Policlinice, die Poliklinik, nicht Polyklinik! die Stadtklinik, v. πὀλις, die Stadt […].“[6] Otto Roth schrieb in seinem Wörterbuch zur klinischen Terminologie (2. Auflage 1884): „Poliklinik (altgriechisch ἠ πὀλις = die Stadt) die zum klinischen Unterricht dienende Stadtklinik.“[7]
Viele Kliniken haben Betten für den stationären Aufenthalt und bieten zugleich ambulante Behandlungen an. Wenn sie zu einem Universitätsklinikum gehören, werden sie häufig Klinik und Poliklinik genannt, z. B. Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde.[8] Dabei steht Poliklinik für die ambulante Versorgung.
Die Schreibweise Poliklinik wird im Deutschen allgemein als Rechtschreibfehler angesehen. Manchmal findet sich jedoch im Deutschen Polyklinik als absichtlich gewählte Schreibweise mit der Bedeutung „Klinik für viele Krankheiten“. In diesen wenigen Fällen geht die Wortbildung mit Poly auf griechisch πολύς polys „viel, mehrere“ zurück.
Ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in Erfurt nennt sich Polyklinik Erfurt, an der Hausfassade steht weithin sichtbar Polyklinik. Die MVZ in Thüringen sind Nachfolge-Einrichtungen der Polikliniken in der DDR, somit steht auch der Name Polyklinik in dieser Tradition.[9]
Andere Sprachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im Neugriechischen lautet die Bezeichnung πολυκλινική polykliniké, also „Polyklinik“ – eine Klinik für viele Krankheiten.[10]
Im Englischen existiert sowohl das Wort policlinic als auch das gleichlautende Wort polyclinic.
- Das Wort policlinic ist im Englischen erstmals 1827 belegt; es kam als Entlehnung von deutsch Poliklinik (wörtlich „Stadtklinik“) ins Englische.[11] Es wird nur sehr selten verwendet, vorwiegend in den Vereinigten Staaten.[12] Die üblichen englischen Bezeichnungen für eine Klinik bzw. Abteilung zur ambulanten Behandlung sind outpatient clinic und outpatient department.[13]
- Das Wort polyclinic ist seit 1890 belegt, es bedeutet sinngemäß „Klinik zur Behandlung verschiedener Krankheiten“.[14] Es kam vor allem ab 2007 in England in Gebrauch, als der britische Arzt und Politiker Ara Darzi in einem Gesundheitsplan für London vorschlug, Kliniken mit einem breiten Spektrum von Fachgebieten einzurichten und diese polyclinic zu nennen.[15] Die ersten sieben polyclinics in London wurden im April 2009 eröffnet.[16] Im Mai 2010 stoppte der neue Gesundheitsminister Andrew Lansley die Umsetzung des Plans von Ara Darzi und den Bau von polyclinics.[17] In den Vereinigten Staaten wurde im Jahr 1917 eine Klinik namens The Polyclinic in Seattle gegründet, die heute mehrere Standorte im Großraum Seattle hat.[18]
Im Französischen werden die gleichlautenden Wörter policlinique (abgeleitet von griechisch pólis, „Poliklinik“, Klinik für ambulante Behandlungen) und polyclinique (abgeleitet von griechisch poly-, Klinik für Behandlungen in vielen Fachgebieten) nebeneinander verwendet.[19] Beide Wörter kamen schon im 16. Jahrhundert ins Französische.[20] Häufige Bezeichnungen anstelle von policlinique sind clinique externe und clinique de consultations externes.[21]
Das italienische Wort policlinico entstand laut der Enciclopedia Treccani als Entlehnung von französisch policlinique, lässt sich also auf griechisch pólis „Stadt“ zurückführen. Volksetymologisch wurde bei poli- jedoch eine Herkunft von griechisch poly- „viel“ unterstellt, analog zu den meisten mit poli- beginnenden Wörtern wie z. B. polimero (deutsch Polymer). Daraus ergibt sich die heutige Bedeutung: ein Krankenhaus oder eine Ambulanz für Behandlungen in verschiedenen medizinischen Fachgebieten.[22]
In vielen weiteren Sprachen liegt etymologisch eine Entsprechung zu deutsch Poliklinik vor und poli- ist jeweils auf griechisch pólis „Stadt“ zurückzuführen. Das gilt zum Beispiel für spanisch und portugiesisch policlínica, tschechisch poliklinika, russisch, serbokroatisch und mazedonisch поликлиника, finnisch poliklinikka, niederländisch polikliniek. Teils wird bei diesen Sprachen Deutsch oder Französisch als Gebersprache genannt, teils wird angegeben, es handle sich um einen Internationalismus.[23] Indonesisch poliklinik entstand als Entlehnung des niederländischen polikliniek.[24]
Aus der Wortherkunft lässt sich nicht ablesen, um welche Art von Einrichtungen es sich jeweils handelt, zum Beispiel ob es typischerweise Krankenhäuser oder Abteilungen oder kleinere Ambulanzen sind oder ob mehreres gemeint sein kann. Dies hängt auch vom Gesundheitssystem und der Gesundheitspolitik in dem jeweiligen Land ab.
Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Ursprünglich war eine Klinik ein Krankenhaus, das hauptsächlich der Unterrichtung von Medizinstudenten diente. Aufgenommen wurden deshalb vor allem Patienten, deren Krankheit interessant für diese Ausbildung war.
Anfangs gab es „die städtische oder Poliklinik, welche darin besteht, daß die Kranken in ihren Wohnungen von den jüngern Aerzten besucht und behandelt werden, während der Lehrer, dem die Schüler über die Kranken Bericht erstatten, die Beobachtung für sich controlirt und die eigentliche Behandlung leitet.“[25]
Erst später war dann die Poliklinik der Teil der Klinik, in den die Bürger der Universitätsstadt (polis) eingewiesen wurden, egal wie interessant ihr „Fall“ war. Die Poliklinik war eine abgetrennte „Anstalt zur Behandlung von unbemittelten Kranken in der Sprechstunde zu Unterrichtszwecken.“[26]
Die Poliklinik entwickelte sich also aus der ambulanten Klinik, wie sie zum Beispiel von Philipp J. Horsch in Würzburg am 15. April 1807[27] am Juliusspital verwirklicht wurde, nachdem dies seinem Lehrer Franz Heinrich Meinolf Wilhelm noch untersagt worden war.[28]
Unter einer Poliklinik verstand man später auch die Zusammenfassung verschiedener Fachärzte in einer „Großpraxis“ (Ärztezentrum) mit Anschluss an ein Krankenhaus oder eine Klinik. Solche Polikliniken werden in Österreich, Dänemark, der Schweiz, den Niederlanden (und manchmal auch in Deutschland) Ambulatorium genannt.
In der DDR waren Polikliniken selbstständige staatliche ambulante Kliniken mit mindestens vier verschiedenen medizinischen Fachbereichen. Sie waren, mit Ausnahme einiger Universitätspolikliniken, nicht mit Krankenhäusern verbunden und waren die überwiegende Organisationsform ambulanter ärztlicher Behandlung in der DDR. Die Polikliniken hatten in baulicher Hinsicht häufig klinikähnliche Strukturen, waren aber meist nicht an ein Krankenhaus angeschlossen. Kleinere oder spezialisierte Einrichtungen (teilweise auch in Betrieben) wurden Ambulatorium, Landambulatorium oder Landambulanz genannt.
Nach der Wiedervereinigung wurde zunächst ihre Stilllegung zugunsten von Einzelpraxen niedergelassener Ärzte gesetzlich verordnet, teilweise blieben aber die Fachärzte auch in den alten Gebäuden, so dass es jetzt mancherorts mehrere organisatorisch getrennte Arztpraxen unter einem Dach gibt. Diese Einrichtungen werden meist „Ärztehaus“ genannt.
Nicht an Krankenhäuser gebundene staatliche Polikliniken existieren gegenwärtig vor allem in Russland, in der Ukraine und in den meisten anderen ehemals sozialistischen Staaten.
Polikliniken im engeren Sinn gab und gibt es in der Bundesrepublik als Einrichtungen von Universitätskliniken. Daneben dienen auch Praxiskliniken, medizinische Versorgungszentren sowie verschiedene Formen von Ambulanzen in Krankenhäusern der ambulanten Versorgung.
Mobile Poliklinik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Eine besondere Form der Poliklinik in Südafrika ist der Phelophepa-Gesundheitszug, der in medizinisch unterversorgten Gebieten kostengünstige oder kostenlose Versorgung bietet.
Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Karl Kremer, Erich Müller (Hrsg.): Die chirurgische Poliklinik. Georg Thieme Verlag, Stuttgart/New York 1984, ISBN 3-13-640601-X.
Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ a b c Poliklinik im Pschyrembel Online.
- ↑ a b Poliklinik bei duden.de
- ↑ Poliklinik im Online-Lexikon der AOK.
- ↑ Duden: Wörterbuch medizinischer Fachbegriffe. Dudenverlag, 10. Auflage, Berlin 2021, ISBN 978-3-411-04837-3, S. 647.
- ↑ Friedrich Kluge, Alfred Götze: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 20. Auflage. Hrsg. von Walther Mitzka. De Gruyter, Berlin/New York 1967; Neudruck („21. unveränderte Auflage“) ebenda 1975, ISBN 3-11-005709-3, S. 558.
- ↑ Ludwig August Kraus: Kritisch-etymologisches medicinisches Lexikon. 3. Auflage. Verlag der Deuerlich- und Dieterichschen Buchhandlung, Göttingen 1844, S. 827.
- ↑ Otto Roth: Klinische Terminologie. 2. Auflage, Verlag von Eduard Besold, Erlangen 1884, S. 76.
- ↑ Vgl. als Beispiel die Kliniken des Klinikums rechts der Isar in München. Die meisten nennen sich Klinik und Poliklinik.
- ↑ 20 Jahre MVZ: Warum die Nachfolger der DDR-Polikliniken erfolgreich sind mdr.de, 13. Januar 2023. Siehe dort auch das Foto des Gebäudes der Polyklinik Erfurt.
- ↑ Emmanuel Kriaras: Νέο Ελληνικό Λεξικό της σύγχρονης δημοτικής γλώσσας (Neues griechisches Lexikon der modernen Volkssprache). Athen, 1. Auflage 1995, ISBN 960-213-326-0, S. 1132: „πολυκλινική η, ουσ., θεραπευτικό ίδρυμα όπου παρέχεται ιατρική φροντίδα και νοσηλεία σε ασθενείς με διάφορες παθήσεις.“ Hier weist der Begriff διάφορες auf die Vielfältigkeit der behandelten Krankheiten hin.
- ↑ policlinic im Online Etymology Dictionary.
- ↑ policlinic im englischen Wiktionary.
- ↑ Vgl. outpatient department in der englischen Wikipedia. In diesem Artikel wird die Bezeichnung policlinic nicht erwähnt.
- ↑ polyclinic im Online Etymology Dictionary.
- ↑ Professor the Lord Darzi of Denham KBE: Healthcare for London: A Framework for Action, 11. Juli 2007 (PDF; 2,1 MB), S. 10 f., 90 ff.
- ↑ Seven polyclinics open in London BBC, 29. April 2009.
- ↑ Jacqui Wise: NHS London chief resigns in protest at government axing of plans. In: The BMJ, 27. Mai 2010.
- ↑ About us polyclinic.com.
- ↑ policlinique und polyclinique im Online-Wörterbuch von Larousse.
- ↑ policlinique und polyclinique im Dictionnaire de l’Académie française.
- ↑ Vgl. clinique externe in der französischen Wikipedia. In diesem Artikel wird die Bezeichnung policlinique als Synonym erwähnt.
- ↑ policlìnico bei treccani.it (der Akzent auf dem mittleren i wurde als Betonungszeichen hinzugefügt).
- ↑ policlínica, poliklinika, поликлиника, poliklinikka und polikliniek im englischen Wiktionary.
- ↑ poliklinik im englischen Wiktionary.
- ↑ Brockhaus-Enzyklopädie: Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände – Conversations-Lexikon, 11. Auflage, 8. Band, F. A. Brockhaus-Verlag, Leipzig 1866, S. 866.
- ↑ Wilhelm Kühn: Neues medizinisches Fremdwörterbuch. 3. Auflage, Verlag von Krüger & Co., Leipzig 1913, S. 92.
- ↑ Hans Franke: Joachim Schröder und Edith Schröder. Die Würzburger Medizinische Universitäts-Poliklinik 1807-1957. Stuttgart 1957, S. 11.
- ↑ Robert Schwab: Über die Bedeutung des Juliusspitals für die Entwicklung der Inneren Medizin. In: Das Juliusspital Würzburg in Vergangenheit und Gegenwart: Festschrift aus Anlaß der Einweihung der wiederaufgebauten Pfarrkirche des Juliusspitals am 16. Juli 1953. Hrsg. vom Oberpflegeamt des Juliusspitals. Würzburg 1953, S. 14–24, hier: S. 18.