Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch

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Der Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich, kurz Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch, wurde am 24. März 2010 durch Beschluss der deutschen Bundesregierung eingerichtet. Er tagte erstmals am 23. April 2010 und beschloss bei der fünften Plenumssitzung am 30. November 2011 seinen Abschlussbericht. Den Vorsitz teilten sich Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, Bundesbildungsministerin Annette Schavan und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Der Runde Tisch sollte Möglichkeiten der Aufarbeitung, Verhaltensregeln und Lösungen im Umgang mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen entwickeln: „Welche Art der Hilfe und Unterstützung benötigen die Opfer? Was ist zu tun, wenn Übergriffe geschehen sind? Welche Faktoren fördern Übergriffe auf Kinder und Jugendliche und wie lassen sich diese vermeiden?“ Seit Ende Januar 2010 waren zahlreiche Fälle sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland bekannt geworden.

Zugleich mit der Einrichtung des Runden Tisches berief die Bundesregierung die frühere Familienministerin Christine Bergmann als Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs. Sie war Mitglied des Runden Tisches, arbeitete eng mit ihm zusammen und unterstützte seine Arbeit bis zum Ende ihrer Amtszeit am 31. Oktober 2011.[1]

Struktur und Arbeitsweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Teilnehmer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zum Runden Tisch eingeladen waren Schul- und Internatsträger, die katholische und evangelische Kirche, Familienverbände und Vertreter von Ländern und Kommunen.[2] Ferner zählten auch Mediziner und Vertreter von Lehrerverbänden zu den Eingeladenen.

Vorsitzende

  1. Kristina Schröder, MdB, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
  2. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB, Bundesministerin der Justiz
  3. Annette Schavan, MdB, Bundesministerin für Bildung und Forschung

Weitere Mitglieder

  1. Christine Bergmann, Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs (bis Ende Oktober 2011)
  2. Antje Vollmer, Runder Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren
  3. Wolfgang Feuerhelm, Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung und -vernachlässigung
  4. Heinz Hilgers, Deutscher Kinderschutzbund
  5. Monika Weber-Hornig, Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutzzentren
  6. Anne Lütkes, Deutsches Kinderhilfswerk
  7. Eva-Maria Nicolai, Bundesarbeitsgemeinschaft Feministischer Organisationen gegen Sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen
  8. Bruno W. Nikles, Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz
  9. Astrid Gutzeit, Arbeitskreis der Opferhilfen in Deutschland
  1. Jürgen Witt, Weisser Ring
  2. Michael Coester, Deutscher Familiengerichtstag
  3. Gudrun Doering-Striening, Deutscher Anwaltverein
  4. Christoph Frank, Deutscher Richterbund
  5. Alexander Ignor, Bundesrechtsanwaltskammer
  6. Klaus Tolksdorf, Bundesgerichtshof
  7. Elisabeth Bußmann, Familienbund der Katholiken
  8. Barbara König, Zukunftsforum Familie
  9. Thomas Mörsberger, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht
  10. Albin Nees, Deutscher Familienverband
  11. Franz Resch, Deutsche Liga für das Kind
  12. Christel Riemann-Hanewinckel, Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen
  13. Edith Schwab, Verband alleinerziehender Mütter und Väter Bundesverband
  14. Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg, Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege
  15. Ingo-Rolf Weiss, Deutscher Olympischer Sportbund
  16. Konrad von der Beeke, Verband Katholischer Internate und Tagesinternate
  17. Michael Büchler, Verband Deutscher Privatschulverbände
  18. Benjamin Frank Hilbert, Bundesschülerkonferenz
  19. Josef Kraus, Deutscher Lehrerverband
  20. Arnd Rutenbeck, Evangelische Internate in Deutschland
  21. Andreas Gehrke, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
  22. Hans-Peter Vogeler, Bundeselternrat
  23. Klaus Michael Beier, Charité – Universitätsmedizin Berlin Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin
  24. Jörg Fegert, Universitätsklinik Ulm – Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie
  25. Wolfram Hartmann, Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte
  26. Matthias Katsch, Betroffener, Kontext Katholische Kirche
  27. Henning Stein, Betroffener, Kontext Mitbetroffener, Elternteil eines betroffenen Jugendlichen,
  28. Maren Ruden, Betroffene, Kontext Familie
  29. Frank Häßler, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
  30. Fredi Lang, Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen
  31. Michael Osterheider, Universität Regensburg am Bezirksklinikum Regensburg
  32. Mechthild Wolff, Hochschule Landshut – Fakultät Soziale Arbeit
  33. Peter Mosser, Kontakt-, Informations-, Beratungsstelle für männliche Opfer sexueller Gewalt, Kinderschutz
  34. Stephan Ackermann, Deutsche Bischofskonferenz
  35. Karl Jüsten, Deutsche Bischofskonferenz
  36. Stefan Dartmann, Deutsche Provinz der Jesuiten
  37. Bernhard Felmberg, Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland
  38. Jörg Uwe Hahn, MdL, Hessischer Minister der Justiz, für Integration und Europa
  39. Angela Kolb-Janssen, Ministerin der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt
  40. Beate Merk, MdL, Bayerische Staatsministerin der Justiz und für Verbraucherschutz
  41. Manuela Schwesig, Vorsitzende der Jugend- und Familienministerkonferenz
  42. Dietrich Wersich, Jugend- und Familienministerkonferenz
  43. Ludwig Spaenle, MdL, Präsident der Kultusministerkonferenz
  44. Verena Göppert, Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände
  45. Siegfried Kauder, MdB, Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages
  46. Sibylle Laurischk, MdB, Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages
  47. Ulla Burchardt, MdB, Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages
  48. Ingrid Fischbach, MdB, Bundestagsfraktion CDU/CSU
  49. Marlene Rupprecht, MdB, Bundestagsfraktion SPD
  50. Christian Ahrendt, MdB, Bundestagsfraktion FDP
  51. Diana Golze, MdB, Bundestagsfraktion DIE LINKE
  52. Ekin Deligöz, MdB, Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sitzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die konstituierende Sitzung des Runden Tisches fand am 23. April 2010 statt,[3] die zweite Sitzung des Plenums folgte am 30. September.[4] Am 10. November wurden Betroffene angehört. Bei der dritten Plenumssitzung am 1. Dezember wurde ein Zwischenbericht verabschiedet.[5] Die vierte Plenumssitzung fand am 6. Juni 2011 statt. Am 3. November 2011 folgte eine Arbeitssitzung, die sich mit dem Abschlussbericht beschäftigte. Bei der fünften Plenumssitzung am 30. November 2011 wurde der Abschlussbericht verabschiedet.[6]

Arbeitsgruppen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Drei Arbeitsgruppen wurden eingerichtet:[7]

  • Arbeitsgruppe I „Prävention – Intervention – Information“. Vorsitz: Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Konstituierende Sitzung am 25. Mai 2010.[6]
  • Arbeitsgruppe II „Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs – Rechtspolitische Folgerungen – Anerkennung des Leidens der Opfer in jeglicher Hinsicht“. Vorsitz: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Konstituierende Sitzung am 20. Mai 2010.[6]
  • Arbeitsgruppe III „Forschung, Lehre und Ausbildung“. Vorsitz: Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Konstituierende Sitzung am 7. Juni 2010.[6]

Außerdem wurden zehn „Unterarbeitsgruppen“, zwei „Arbeitskreise“ und drei „Expertinnen- und Expertengruppen“ gebildet, die jeweils einer Arbeitsgruppe zugeordnet waren. Eine weitere Unterarbeitsgruppe war als gemeinsame Unterarbeitsgruppe der Arbeitsgruppen I und III konzipiert.[8]

Ergebnisse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Abschlussbericht vom 30. November 2011 wurde vorgeschlagen, ein ergänzendes Hilfesystem für Betroffene von sexuellem Missbrauch zu entwickeln. Zur Umsetzung dieser Empfehlung wurde im Mai 2013 ein Fonds Sexueller Missbrauch gegründet, an dem sich der Bund mit 50 Millionen Euro, das Land Mecklenburg-Vorpommern mit 1,03 Millionen Euro und der Freistaat Bayern mit 7,61 Millionen Euro beteiligten.[9]

Der Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch hat keine Empfehlungen zur institutionellen Aufarbeitung abgegeben. Vereinzelt erfolgen Aufarbeitungen innerhalb der jeweiligen Institutionen selbst, ein Gesamtkonzept ist nicht feststellbar.[10]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch geriet insbesondere dadurch in die Kritik, dass an ihm keine Opferverbände teilnahmen.[11][12][13] Schließlich wurden acht Betroffene zur dritten Sitzung des Runden Tisches zugelassen.[14] Ein im April 2010 gegründeter Verein von Missbrauchsopfern gab sich den Namen Eckiger Tisch, um sich damit deutlich vom Runden Tisch abzugrenzen, „an dem die Betroffenen nicht beteiligt wurden“.[15]

Der Runde Tisch wurde schon vor seiner ersten Sitzung kritisiert. Wolfgang Donsbach sagte: „Ich halte es nicht für ein Thema der Bundespolitik. […] Man will möglicherweise ein wenig das Feuer austreten, indem man zeigt, man kümmert sich.“[16] Noch deutlicher wurde Renate Künast: „Der Runde Tisch ist definitiv nicht die Lösung. Das ist eine Verkleisterung, geboren aus dem Bestreben Angela Merkels, ein Deckmäntelchen der Nächstenliebe über die katholische Kirche zu legen.“ Künast verlangte eine unabhängige Kommission des Bundestags und einen Entschädigungsfonds.[17] Ursula Enders, eine der Gründerinnen und heute Leiterin von Zartbitter, sah im Runden Tisch einen „hilflosen Versuch“.[18]

Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, sagte nach der ersten Sitzung: „Mir dauert das viel zu lange.“ Er befürchte, dass das Thema wieder von der Tagesordnung der Öffentlichkeit verschwinde.[19]

Der Journalist Peter Wensierski stellte im März 2011 fest, dass am Runden Tisch immer noch keine wesentlichen Fortschritte erzielt worden seien, was daran liege, dass nicht die Interessen der Opfer im Zentrum standen, sondern die Interessen der zahlreichen teilnehmenden Institutionen und Parteien.[20]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Abschlussbericht vom 30. November 2011 (PDF; 12 MB), S. 6 f.
  2. Missbrauch: Streit um Verjährungsfristen tagesspiegel.de, 8. März 2010.
  3. Vgl. Protokoll der Sitzung am 23. April 2010 (PDF).
  4. Vgl. Protokoll der Sitzung am 30. September 2010 (PDF).
  5. Vgl. Protokoll der Sitzung am 1. Dezember 2010 (PDF).
  6. a b c d Abschlussbericht vom 30. November 2011 (PDF; 12 MB), S. 7.
  7. Abschlussbericht vom 30. November 2011 (PDF; 12 MB), S. 8.
  8. Abschlussbericht vom 30. November 2011 (PDF; 12 MB), S. 9.
  9. Der Weg zum Fonds Sexueller Missbrauch. Fonds sexueller Missbrauch, abgerufen am 5. Februar 2015.
  10. Barbara Kavemann, Annemarie Graf-van Kesteren, Sibylle Rothkegel, Bianca Nagel: Erinnern, Schweigen und Sprechen nach sexueller Gewalt in der Kindheit. Ergebnisse einer Interviewstudie mit Frauen und Männern, die als Kind sexuelle Gewalt erlebt haben. Wiesbaden 2016, S. 20.
  11. Meike Fries: Die Opfer sind unterrepräsentiert zeit.de, 23. April 2010.
  12. Betroffene fehlen am „Runden Tisch gegen Kindesmissbrauch“ – netzwerkB kritisiert Pressemitteilung von netzwerkB, 14. April 2010.
  13. Schreiben von netzwerkB an Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, 9. Juni 2010 (PDF).
  14. Betroffene dürfen nun auch an runden Tisch taz.de, 12. November 2010.
  15. Wer wir sind eckiger-tisch.de
  16. Rieke Havertz: Rumsitzen gegen Missbrauch. In: news.de, 24. März 2010 (online (Memento vom 30. März 2010 im Internet Archive))
  17. Gespräch mit Renate Künast welt.de, 4. April 2010.
  18. Runder Tisch gegen Missbrauch ist „ein hilfloser Versuch“ deutschlandfunk.de, 15. März 2010.
  19. Grüne und Kinderschutzbund kritisieren Runden Tisch spiegel.de, 24. April 2010.
  20. Peter Wensierski: Missbrauchsopfern droht der Maulkorb spiegel.de, 2. März 2011.