Schertlinhaus

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Das Schertlinhaus in Burtenbach war ein Landerziehungsheim für Mädchen (1895–1939), eine Landfrauenschule (1939–1945) und ein Flüchtlingslager (1946). Seit 1947 ist es ein Alten- und Pflegeheim.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Südostansicht des Mädchenlanderziehungsheims um 1900
Nordostansicht des Mädchenlanderziehungsheims um 1900

1895 gründeten Pfarrer Ernst Zech und seine Frau Louise (geb. Mehl) in Burtenbach (heute im schwäbischen Landkreis Günzburg) eine Schule mit Heim für Mädchen aus evangelischen Kreisen. Für diesem Zweck erwarb das Ehepaar vom damaligen Schloss- und Majoratsherrn Rudolf von Stetten die einstige Amtsvogtei der adeligen Familie von Scherte, Abkömmlinge des Feldhauptmanns Sebastian Schertlin von Burtenbach. Der Erfolg der Schule war enorm, so dass sie laufend erweitert werden musste. Eine große Parkanlage mit Promenade, Tennis- und Sportplatz, Beeren-, Obst- sowie Gemüsegarten gehörten zum Areal, ebenso ein kleines Schwimmbad an der Mindel. Mit Min. Erl. vom 3. April 1924 wurde die Ausbildungsstätte in ein Lyzeum umgewandelt. Eine Haushaltungs- und Gartenbauschule schloss sich an die 6. Klasse des Lyzeums an.

Der Unterricht gliederte sich in folgende Fächer und Lehrkräfte:

  • Religion; ein Theologe
  • Deutsch, Geschichte, Erdkunde, IV. bis VI. Klasse; ein Germanist
  • Englisch und Französisch; eine Neuphilologin und eine seminaristische Sprachlehrerin
  • Mathematik, Physik, Chemie; IV. bis VI. Klasse; eine Hauptlehrerin
  • Deutsch, Rechnen, Naturkunde, Erdkunde, Geschichte, I. bis III. Klasse; drei Hauptlehrerinnen
  • Handarbeiten und Turnen; eine Hauptlehrerin
  • Zeichnen und Malen; eine geprüfte Fachlehrerin
  • Musik: Klavier, Chorgesang; zwei geprüfte Fachlehrerinnen
  • Stenographie; eine geprüfte Fachlehrerin
  • Schulküche; eine gepr. Fachlehrerin.[1]
Reifensteiner Schule Schertlinhaus 1944

Großen Wert wurde auf die Erziehung außerhalb des Schulbetriebs gelegt. Darüber ist im Schulprospekt aus den späten 1920er Jahren nachzulesen:

„Die Schülerinnen werden nicht nach Altersstufen voneinander gesondert, wir wollen, daß alle zu allen in inniger Fühlung kommen, daß die Solidarität der Klasse nicht starre Schranken der Besonderung errichtet und so die Freundschaft wahlverwandter Seelen hindert. Diese individuelle Verflochtenheit besteht auch bezüglich der beiden im Landheim zusammengefaßten Schulen, also des Lyzeums mit der Haushaltungs- und Gartenbauschule, die schon dadurch gewährleistet ist, daß häufig Schülerinnen der letzten schon der ersteren angehörten... Zu den Kleinen der untersten Klassen verhalten sich die Großen wie in gesunden Familienverhältnissen die älteren Schwestern zu den jüngeren. Sie helfen und leiten sie als wertvolle Zwischenglieder im Sinne der Erwachsenen.“[2]

Mitte der 1930er Jahre versuchte der damalige Schulleiter und Sohn des Schulgründers, Markus Zech, das Mädchen-Landerziehungsheim im Schertlinhaus in eine NS-Mädchen-Schule umzuwandeln. Diesbezüglich vermerkte er in einer Denkschrift an die Regierung von Schwaben:

„Angesichtes der Tatsache, dass besonders in Bayern höhere Unterrichtsanstalten für Mädchen geschaffen werden müssen, die als öffentliche Schulen eine unbedingte Gewähr für die Ausrichtung auf nationalsozialistischen Erziehungsziele bieten, muss es wünschenswert erscheinen, dass sich bereits vorhandene private Schulunternehmen für die Umwandlung in öffentliche Anstalten zur Verfügung stellen. Sie kann nur vorgenommen werden, wenn die örtlichen und räumlichen Gegebenheiten den Erfordernissen genügen oder genügend Entwicklungsmöglichkeiten enthalten und wenn Lehrer und Erzieher den neuen Aufgaben fachlich und weltanschaulich entsprechen... Die NS-Mädchen-Oberschule... ist eine Ausleseschule. Sie muss unbedingt die besten deutschen Mädchen sammeln und ihnen die denkbar beste Schulung vermitteln... Die Bedeutung einer solchen Schule gerade für Mädchen ist heute grösser als für Knaben. Jeder der mit Mädchenerziehung (B.D.M.-Erfahrungen) zu tun hat, weiss, wie gerade hier eine Schule ohne Heimgemeinschaft weitgehend abhängig ist von der Unterstützung durch die B.D.M.-Erziehung. Aber gerade diese bedarf eines geeigneten Führerinnen-Nachwuchses. Sie kann nicht durch die NS-Schule allein gewonnen werden, aber in ihr müssen Führerinnen für alle Gebiete der Parteiarbeit heranwachsen. Nicht als ob solche Schülerinnen dieser NS-Schule zu bevorzugen seien, aber wenn sie eine solche Schule besucht haben, müssen sie besonders fähig sein, im Geist (Weltanschauung) mit oder ohne Amt zu führen, wohin immer sie kommen.“[3]

Doch es kam anders, die politisch Verantwortlichen bevorzugten einen anderen Schultyp. Am 1. Mai 1939 übernahm der Reifensteiner Verband, gegründet von Ida von Kortzfleisch, das Schertlinhaus und eröffnete eine zweiklassige Landfrauenschule, die 1940 die Anerkennung als gärtnerischer Lehrbetrieb erhielt.[4] 50 bis 60 Maiden konnten Aufnahme finden:

„Entsprechend nationalsozialistischer Vorgaben wurden die Maiden eng in die Dorfgemeinschaft eingegliedert und waren bei Bauern zu Heu- und Kartoffelernten eingesetzt. Französische Kriegsgefangene wurden von der Landesbauernschaft zur Mitarbeit zugewiesen. Dennoch blieb diese Einrichtung eine Gründung unter Kriegsbedingungen, die nie die üblichen Anfangschwierigkeiten überwinden und annähernd 'normale' Ausbildungsbedingungen erreichen konnte.“[5]

Abzeichen der Reifensteiner Schule im Schertlinhaus

Der Schulbetrieb wurde mit dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur eingestellt. 1946 kamen 600 Heimatvertriebene aus Liberec und Umgebung nach Burtenbach. Der größte Teil der Flüchtlinge wurde im Schertlinhaus untergebracht. Bald darauf erwarb die Innere Mission das Haus und errichtete ein Alten- und Pflegeheim. 1976 wurde das alte Haupthaus abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Heute befindet sich auf dem weitläufigen Areal des einstigen Schertlinhauses das Diakoniezentrum Schertlinhaus – Burtenbach.[6]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Bernt von Hagen, Angelika Wegener-Hüssen: Landkreis Günzburg (= Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]: Denkmäler in Bayern. Band VII.91/1). Karl M. Lipp Verlag, München 2004, ISBN 3-87490-589-6, S. 101.
  • Ortrud Wörner-Heil: Frauenschulen auf dem Lande. Reifensteiner Verband (1897–1997), Kassel 1997, ISBN 3-926068-12-4.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Schertlinhaus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Schulprospekt, Augsburg o. J., S. 21; archiviert im Ida-Seele-Archiv
  2. zit. n. Schulprospekt, Augsburg o. J., S. 25; archiviert im Ida-Seele-Archiv
  3. Denkschrift über Errichtung einer NS-Mädchen-Oberschule aus dem Mädchen-Landerziehungsheim Schertlinhaus in Burtenbach; archiviert im Ida-Seele-Archiv
  4. http://www.reifensteiner-verband.de/Schertlinhaus.pdf
  5. Wörner-Heil 1997, S. 166 f.
  6. Diakoniezentrum Schertlinhaus Burtenbach. In: altenhilfe.rummelsberger-diakonie.de. Abgerufen am 17. Juni 2021.

Koordinaten: 48° 20′ 24,2″ N, 10° 27′ 2,7″ O