Schifferkinderheim

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Als Schifferkinderheim wird ein Kinderheim bezeichnet, in dem schulpflichtige Kinder von Berufsschiffern der Binnenschifffahrt untergebracht sind. Manche Schifferkinderheime unterhalten eine eigene Schule, andere dienen als Internat mit Schulbesuch an ortsansässigen Schulen.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schifferkinderheim in Teltow

Binnenschiffe werden häufig als Familienunternehmen betrieben. Beide Ehepartner sind in Betrieb des Schiffes und Führen des Haushalts an Bord eingebunden und fahren überwiegend ganzjährig.

An Anlegeplätzen halten diese Schiffe nur kurz zum Löschen und Laden der Ladung. Daher ist ein Schulbesuch an wechselnden Orten nicht durchführbar. Ein Mitführen von Lehrpersonal wie bei Zirkusschulen ist erst recht nicht möglich, da zu wenige schulpflichtige Kinder zu einem Schiff gehören. Solange die Kinder noch nicht schulpflichtig sind, fahren sie mit der Schifferfamilie mit. Sobald ein Kind schulpflichtig wird, muss eine Ortswahl für den sesshaften Schulbesuch erfolgen. Dazu wohnt das Kind entweder bei Verwandten (meist Großeltern) oder die Mutter muss an Land gehen, jedoch ist der Ersatz der familiären Arbeitskraft an Bord teuer.

Um das zu vermeiden, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst mit dem Konzept der sogenannten Wanderschulen versucht, schulpflichtige Schifferkinder in den Schulen der Orte, in denen das Schiff länger als 3 Tage lag, zu unterrichten. Durch den ständigen Wechsel der Schulen, der Lehrer und der Klassen war ein kontinuierliches Lernen nahezu unmöglich.[1]

Ein weiterer Versuch, den Kindern wenigstens zeitweise einen geregelten Unterricht zu ermöglichen, boten Winter-Schifferkinder-Schulen z. B. in Berlin und Cosel für die Zeit, in der die Schifffahrt wegen Eis ruhte.[1] Als weitere Option blieb die Unterbringung in einem Heim oder Internat.[2]

Die ersten Schifferkinderheime wurden von Schifferverbänden und karitativen Einrichtungen der Kirche gegründet. 1907 eröffnete die Berliner Evangelische Schifferfürsorge am Teltowkanal ein Schifferkinderheim,[3] das anfänglich mit 35 Kindern belegt war[4] und bereits 1918 wieder geschlossen wurde. Zwischen den Weltkriegen entstanden weitere Heime in Duisburg-Ruhrort, das von der Luise-Stephanien-Stiftung gegründete Heim in Mannheim sowie das von der Evangelischen Kirche 1926 eröffnete Heim in Kaub[5]. Bis 1979 gab es im Bundesgebiet insgesamt 13 Schifferkinderheime, überwiegend im Einzugsgebiet des Rheins.[1] Auch in der DDR, in der Schweiz und in den Niederlanden gab es solche Heime. Die meisten Schifferkinderheime sind inzwischen geschlossen worden oder dienen überwiegend der Unterbringung von Kindern, die nicht aus Schifferfamilien stammen. Als Grund dafür wird meist die demographische Entwicklung angeführt (weniger Kinder je Familie), sowie der Rückgang der Partikulierer und die Einführung der Schubverbände, auf welchen weniger Personal benötigt wird.[2]

Einzelne (ehemalige) Schifferkinderheime[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Basel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das am Rheinhafen in Basel-Kleinhüningen () gelegene Schifferkinderheim wurde 1958 eröffnet.[6] Zu Beginn der 1980er nahmen die Belegungszahlen stark ab, und das Heim wurde als Kinderheim weitergeführt.[7]

Duisburg (St. Nikolausburg)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fassade des Heimes St. Nikolausburg (2013)

Das Schifferkinderheim St. Nikolausburg in Duisburg-Ruhrort () wurde ab 1923 nach Entwürfen von Gustav von Cube errichtet und 1927 als Pensionat für schulpflichtige Binnenschifferkinder eingeweiht. Das Heim wurde ursprünglich vom katholischen Orden Unserer lieben Frau betrieben, seit 1981 wird es von der Caritas getragen. Heute sind im Heim Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien untergebracht.

Fürstenberg/Oder (Eisenhüttenstadt)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1913 erwarb der Fürstenberger Kaufmann Thielenberg ein Baugrundstück in der Gubener Straße, und ließ das Jungenhaus errichten. Das Schifferkinderheim in Fürstenberg an der Oder (heute Eisenhüttenstadt) wurde 1920 eingeweiht. Von 1957 an wurde das Kinderheim durch den VEB Binnenreederei betrieben. 1990 wurde das Schifferkinderheim „Fiete Schulze“ geschlossen.[8]

Mannheim[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schifferkinderheim Mannheim

1913 wurde das Schifferkinderheim Mannheim durch die Diakonie gegründet, erster Hausvater und Schiffermissionar war Diakon Hoffmann aus dem Rauhen Haus in Hamburg.[9]

Bis Ende der 1970er Jahre gab es in Mannheim am Rhein zwei Schifferkinderheime, getrennt nach Mädchen und Jungen. Das Mädchenheim befand sich in Mannheim B6 und das Jungenheim in Mannheim D7. Diese beiden Heime wurden zu einem Heim in Almenhof zusammengeführt.

2013 wurde das Schifferkinderheim aufgelöst.[10]

Würzburg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

BW

Das Schifferkinderheim Würzburg () befindet sich in der Zellerau in Würzburg, direkt am Main. Das Schifferkinderheim wurde 1957 nach Plänen von Georg Eydel gebaut. Anfangs hatte es 54 Plätze. Kurze Zeit später wurde es auf 72 Plätze erweitert. Anfangs wurden die Kinder von den Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau betreut. Die Ordensfrauen verließen 1973 das Schifferkinderheim und wurden durch weltliches Personal ersetzt. 1974 übernahm Barbara Stamm die Heimleitung. Diese hatte sie bis 1989 inne und war danach Mitglied im Vorstand. In den 1980er Jahren wurde das Heim wegen des demographischen Wandels in eine Kindergruppe, ein Lehrlingsinternat und eine Herberge aufgeteilt. Das Lehrlingsinternat steht mittlerweile auch anderen Berufsschülern offen, zumeist Lehrlingen in seltenen Berufen wie zum Beispiel Uhrmacher, die in Würzburg den Blockunterricht absolvieren.

Träger war bis 2012 der Verein Schifferkinderheim Würzburg e. V. 2011 wurde die Stiftung Schifferkinderheim mit Sitz in Würzburg gegründet. Diese wurde von der Regierung von Unterfranken als rechtsfähige öffentliche Stiftung des bürgerlichen Rechts bestätigt und ist gemeinnützig. Sie übernahm 2013 die Trägerschaft des Schifferkinderheimes.[11]

Hörstel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schifferkinderheim Hörstel 1949 bis 1955

Ende 1948 begannen die Planungen für den Bau eines Schifferkinderheimes in Hörstel, in der Nähe des sogenannten „Nassen Dreiecks“. Als Träger wurde der Verein Schifferkinderheime Westfalen e. V. gegründet, der verwaltungsmäßig in Personalunion mit dem Westfälischen Herbergsverband in Münster residierte. Am 18. Februar 1949 wurde die Gaststätte Wilke auf dem Harkenberg in Hörstel gekauft und im Herbst 1949 mit einfachsten Mittel zu einem Heim umgebaut, das künftig 48 Schifferkinder aufnehmen sollte. Die ersten Kinder wurden ab dem 15. November 1949 aufgenommen, die offizielle Einweihung fand am 30. November 1949 mit 12 Kindern statt. Die Festpredigt hielt dazu der Leiter der Anstalt Bethel, Pastor von Bodelschwingh. Nach anfänglichen erheblichen Schwierigkeiten entwickelte sich das Heim gut und konnte ab Mitte der 1950er Jahre nicht mehr alle Anmeldungen berücksichtigen. 1955/1956 erfolgte daher ein Umbau des alten Hauses und ein großzügiger Neubau. Während dieser Zeit waren große Teile der Kinder in ein Kinderheim in Soest „ausgelagert“. Nach dem Ende der Bauarbeiten verfügte das Haus über 75 Plätze, über mehrere Jahre wurde es auch mit 80 untergebrachten Kindern betrieben und war bis Ende der 1960er Jahre stets voll ausgelastet. Ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre ging die Zahl der Schifferkinder kontinuierlich zurück, die Plätze wurden mit von den Jugendämtern vermittelten Kindern aufgefüllt. Von Juli 1949 bis August 1970 stand das Haus unter der Leitung von Diakon Sander und seiner Frau.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hans E. Brandhorst: Die evangelische Schiffergemeinde und das Schifferkinderheim in Minden. In: Jutta Bachmann (Hrg.): Schiffahrt, Handel, Häfen: Beiträge zur Geschichte der Schiffahrt auf Weser und Mittellandkanal. Mindener Hafen-GmbH, Minden 1987, S. 419–422.
  • Joachim Schroeder: Schulen für schwierige Lebenslagen: Studien zu einem Sozialatlas der Bildung. Waxmann, Münster 2012, ISBN 978-3-8309-2737-2.
  • Wo gehen die Kinder von Binnenschiffern eigentlich zur Schule? In: Rhein-Magazin Düsseldorf vom 17. Mai 2018.
  • Sabine Sperling: Schifferkinder: Das Leben zu Wasser und zu Lande. Diplomarbeiten Agentur diplom.de 1989, ISBN 978-3838601786

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Susanne Sperling: Schifferkinder: Das Leben zu Wasser und zu Lande. Diplomarbeiten Agentur, 1. Januar 1989. S. 67-73.
  2. a b Joachim Schroeder: Schulen für schwierige Lebenslagen. Waxmann, Münster 2012, S. 49–52.
  3. Hannegret Biesenbaum: Der Stoff, aus dem Berlin gemacht ist: Entdeckungsreisen zu den Industriedenkmalen Brandenburgs. Stattbuch Verlag, Berlin 1994, S. 233.
  4. Die Wohlfahrtseinrichtungen von Groß-Berlin nebst einem Wegweiser für die praktische Ausübung der Armenpflege in Berlin: Ein Auskunfts- und Handbuch. Springerverlag, Berlin 1910, S. 42.
  5. Jugend im Schifferkinderheim. Rhein-Zeitung vom 10. Januar 2014, S. 22.
  6. H. Herold, A. Osthues: 25 Jahre Schifferkinderheim Basel : Chronik. Stiftung Schifferkinderheim, Basel 1983. (Festschrift)
  7. Basler Stadtbuch, Band 121, S. 116f. Christoph Merian Stiftung, 2001
  8. DDR-Binnenschiffahrt
  9. Geschichte auf der Website des Schifferkinderheims Mannheim
  10. Waltraud Kirsch-Mayer: Letzte Schifferkinder-Gruppe aufgelöst. In: Mannheimer Morgen, 29. Juli 2013
  11. Willkommen. Stiftung Schifferkinderheim Würzburg, abgerufen am 27. Februar 2019.