Serie von Kindsentführungen und -tötungen in der Schweiz

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Bei einer Serie von Kindsentführungen und -tötungen in der Schweiz während der 1980er-Jahre wurden 21 Kinder entführt. Während sieben der Opfer bis heute spurlos verschwunden sind, wurden von den anderen deren Leichen gefunden. Zwölf dieser Vorfälle (Stand 2021) wurden bislang nicht aufgeklärt.[1] Die achtziger Jahre gelten daher als das dunkle Jahrzehnt der Schweiz.[2] Das Verschwinden so vieler Kinder während eines Jahrzehnt hat zu grosser Betroffenheit und einem grossen Medien-Echo geführt.

Täter und Tatverdächtige[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der 1946 geborene Werner Ferrari tötete 1971 einen 10-jährigen Jungen. Nach der Haftentlassung tötete er 1983, 1985, 1987 und 1989 je ein Kind, sie waren zwischen 7 und 10 Jahre alt gewesen. Die Beteiligung an anderen Fällen konnte ihm nicht nachgewiesen werden.

Eine Zeit lang wurde Michel Fourniret, ein 2004 verhafteter Serienmörder und Sexualstraftäter aus Frankreich bzw. Belgien, als möglicher Täter in Betracht gezogen.[3]

Urs Hans von Aesch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der 2019 verstorbene Journalist Peter Holenstein erklärte in einem Interview, dass für einige dieser Fälle Urs Hans von Aesch verantwortlich sein könnte. Von Aesch war aufgrund von sichergestellten DNA-Spuren in seinem Auto in die Entführung von Ylenia Lenhard († 2007) verwickelt. Der Fall Lenhard stimmt in deutlichen Aspekten mit unaufgeklärten Entführungen überein:

  • Opfer: Mädchen im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren,
  • Zeitpunkt der Entführung: jeweils am helllichten Tag,
  • entführt an einem öffentlich zugänglichen Ort,
  • die eigentliche Entführung wurde nie von Zeugen beobachtet,
  • Fundort der Leichen: jeweils im Wald; der Fund erfolgte jeweils nur, weil Wildtiere die Leichen ausgegraben hatten.

In dieses Raster fallen namentlich die Opfer Rebecca Bieri, Loredana Mancini, Sylvie Bovet, Sarah Oberson und Edith Trittenbass.[1]

Nach Holenstein waren die Terminkalender von Urs Hans von Aesch seit den 1960er Jahren ohne Unterbruch vorhanden. Er führte Aufzeichnungen darüber, wo er sich an welchen Tagen aufhielt. An vielen Daten, an welchen Kindsentführungen stattgefunden hatten, hatte von Aesch Vornamen notiert. Diese konnten von den Ermittlern noch nicht zugeordnet werden. Da von Aesch sich selbst tötete und es ihm vorher gelungen war, den Besitz einer Schusswaffe wie auch den Kauf von Toluol (zur Betäubung seines Opfers) vor seiner Ehefrau zu verstecken,[1] gilt es als unwahrscheinlich, dass seine Beteiligung an den früheren Kindesentführungen bewiesen werden kann. Urs Hans von Aesch wurde nach seinem Tod für eine kurze Zeit als ein Verdächtigter im Fall Madeleine McCann (verschwunden 2007) angesehen.

Auch ein damaliger Ermittler im Fall Rebecca Bieri und Leiter der «Soko Rebecca», der Luzerner Kriminalpolizist Josef Emmenegger, bemerkte eine Ähnlichkeit der Fälle. Während Werner Ferrari mit einer Ausnahme Jungen tötete, seien viele der weiblichen Opfer in der Nähe einer Schule entführt worden und hätten eine ähnliche Frisur getragen.[4]

Aufgeklärte Fälle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ermordet von Werner Ferrari:

Bei den folgenden Opfern wurde der jeweilige Täter ermittelt:

Fälschlicherweise wurde Werner Ferrari im Jahr 1995 für die Ermordung von Ruth Steinmann am 16. Mai 1980 verurteilt. Ein auf der Leiche gefundenes Schamhaar konnte Ferrari nicht zugeordnet werden. Ein Verdächtigter, der im März 1983 in Wolfhalden (AR) Suizid beging, wurde exhumiert. Bissspuren am Körper des Mädchens stammten von diesem 1983 verstorbenen Mann.[11][12][13][14]
  • Fabrice Barbey (5)
Fabrice wurde im Anfang Januar 1981 in La Chaux-de-Fonds (NE) erwürgt. Er wurde das Opfer eines rückfälligen Sexualstraftäters.[5][15]
Beate besuchte die Schule im angrenzenden Basel (BS). Sie machte eine Fahrradtour, als sie am 4. August 1982 verschwand. Ihre Leiche wurde am 17. August in einem Maisfeld in Rheinfelden im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet aufgefunden. Ein 20-Jähriger wurde der Tat überführt.[5][16]
Eva Maria verschwand am 20. Juli 1985 aus dem Restaurant ihres Vaters. Am Abend fanden Anwohner die Leiche des Kindes im Aufzug. Ein 23-Jähriger wurde der Tat überführt.[5][16]
Doris verschwand am 24. September 1989 von einem Winzerfest in Erlach. Am 17. Oktober wurde ihre Leiche gefunden. Der Täter war ein Mann, der im Gefängnis St. Johannsen (BE) einsass und sich auf Hafturlaub befand.[5][17]

Bislang ungeklärte Fälle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diese Übersicht weist Lücken auf. Nicht alle der ungeklärten Fälle haben eine bedeutende mediale Rezeption erfahren. Mehrere der Fälle wurden in der Fernseh-Sendung Aktenzeichen XY … ungelöst vorgestellt.

Vermisst[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Annika Hutter (18) aus Nürensdorf (ZH), vermisst seit dem 11. Juli 1981
Die Gymnasiastin verschwand auf dem Weg von Nürensdorf nach Winterthur (ZH), wo sie ein Treffen mit einem Kollegen geplant hatte. Ihr Motorfahrrad wurde defekt in einem Wald auf dem Gemeindegebiet von Kemptthal (ZH) gefunden. Ein wegen Mordes vorbestrafter Mann hatte zunächst den Mord an Annika gestanden, das Geständnis aber wieder zurückgezogen. Das Bundesgericht sprach ihn wegen Zweifeln an seiner Schuld frei.[15][18][19][20]
  • Peter Perjesy (14) aus Wattwil (SG), vermisst seit dem 22. September 1981
Peter verliess das Tischtennis-Training in der Schule von Wattwil, welches von seinem Vater geleitet wurde. Sein abgeschlossenes Fahrrad und seine Jacke wurden am Fahrradunterstand aufgefunden.[3][15][21]
  • Karen Schmitz (16) aus Adliswil (ZH), vermisst seit dem 14. August 1982
Karen verschwand, nachdem sie sich abends von Freunden im Jugendhaus verabschiedet hatte und nach Hause gehen wollte. Am Zürichseeufer zwischen Wollishofen und Kilchberg wurden ihre persönliche Gegenstände gefunden; ein Bikinioberteil fehlte.[1][22][23]
  • Peter Roth (7) aus Mogelsberg (SG), vermisst seit dem 12. Mai 1984
Peter verschwand, als er nach der Schule aus Nassen (SG) zurück nach Hause zu einem Bauernhof im Weiler Aachmüli ging. Eine Chipstüte, die er noch für sich und einen Freund kaufte, wurde 300 Meter vor dem elterlichen Hof gefunden.[3][21][23]
  • Sylvie Bovet (12) aus Bevaix (NE), vermisst seit dem 23. Mai 1985
Sylvie, die unter Epilepsie und zerebralen Störungen litt, war in einem Ferienlager bei Bevaix. Sie verschwand in einer Kurve, als sie bei einem Waldspaziergang etwa 30 Meter vor ihrer Betreuerin lief.[3][24][25]
Sarah verschwand, als sie mit dem Fahrrad unterwegs war. Auf einem knapp 100 Meter von ihrem Elternhaus entfernten Schulhof wurde ihr Fahrrad gefunden.[26][27]
  • Edith Trittenbass (9) aus Gass-Wetzikon (TG), vermisst seit dem 3. Mai 1986
Edith verschwand, als sie auf dem Weg zur Schule nach Wolfikon (TG) war.[23][28][29]

Getötet[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Claudia Schwarz (10)
Claudia verschwand am 15. April 1981 auf dem Heimweg von einem Spielplatz in St. Gallen (SG). Ihre Leiche wurde elf Tage später in einem Wald gefunden. Ein Verdächtiger wurde gefasst, später jedoch aufgrund von Mangel an Beweisen freigelassen.[15][30]
  • Rebecca Bieri (8)
Rebecca verschwand am 20. März 1982 in Gettnau (LU), als sie sich nach der Schule auf dem Heimweg befand. Einen Tag später wurden in einem Bachbett bei Rohr (AG) ihre Schultasche und ihre Bekleidung aufgefunden. Ihre Leiche wurde am 15. August 1982 in Niederbipp (BE) aufgefunden. Beobachtet wurde ein weisser Mercedes mit Zürcher Kennzeichen; ein auffälliges Fahrzeug für eine ländliche Luzerner Gemeinde. 1090 solcher Mercedes-Limousinen und ihre Besitzer wurden ohne Erfolg überprüft.[4][15]
Die aus Goldach (SG) stammenden Freundinnen befanden sich auf einer dreitägigen Fahrradtour im Appenzellerland. In der Nähe von Kobelwies (SG) wurden sie zuletzt am 31. Juli 1982 von einem Zeugen gesehen. Ihre Leichen wurden am 3. Oktober 1982 bei Oberriet (SG) in der Nähe der Kristallhöhle Kobelwald von einem Wanderer gefunden. Das Tötungsdelikt ist seit 2012 verjährt.[15][31]
  • Loredana Mancini (6)
Loredana war am 14. April 1983 auf dem Weg ins Shoppi Tivoli in Spreitenbach. Sechs Wochen später wurde die Leiche des Mädchens in einem Wald in Rümlang (ZH) aufgefunden.[4][23]

Verjährung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Schweizer Strafrecht beträgt die längste Frist der Verfolgungsverjährung 30 Jahre (Art. 97 StGB). Eine Unverjährbarkeit von sexuellen Handlungen an Kindern unter 12 Jahren trat am 1. Januar 2013 in Kraft (Art. 101 StGB). Jedoch ist dabei das strafrechtliche Rückwirkungsverbot und der in vielen Fällen fehlende Nachweis einer sexuellen Handlung zu berücksichtigen.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sachbücher[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Romane[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d Annette Hirschberg: War Ylenias Mörder ein Serientäter? Interview mit Peter Holenstein, Journalist (u. a. Fall Ferrari). In: 20 Minuten. Abgerufen am 17. Januar 2021.
  2. Adrian Zeller: Drei Kinder sind seit Jahrzehnten unauffindbar. In: dieostschweiz.ch. 20. Juli 2020, abgerufen am 28. November 2021.
  3. a b c d Fourniret: Morde in der Schweiz? In: 20 Minuten. 14. Juli 2004, abgerufen am 16. Januar 2021.
  4. a b c Walter Hauser: Heute würde der Täter dank DNA gefunden. In: Blick. 30. September 2018, abgerufen am 16. Januar 2021.
  5. a b c d e f g h Lange Liste verschwundener und ermordeter Kinder. In: 20min.ch. 6. August 2007, abgerufen am 27. November 2021.
  6. Flavio Zwahlen: Werner Ferrari mordete auch im Unterland. In: zueonline.ch. 20. Februar 2018, abgerufen am 29. Januar 2021 (Artikel von Paywall blockiert. Die Google-Vorschau erwähnt: «[...] Ferrari in Kloten bereits den 10-jährigen Benjamin «Bajo Cesa» Egli, den [...]»).
  7. Urs von Tobel: Werner Ferrari: Der Mord an Ruth in neuem Licht. In: beobachter.ch. Abgerufen am 27. November 2021 (Schweizer Hochdeutsch).
  8. Peter Holenstein: Der Schrei - Die Geschichte des Schweizer Serienmörders Werner Ferrari. (PDF) Abgerufen am 24. November 2021.
  9. Peter Holenstein: Das Rätsel vom «Chefihau». In: Die Weltwoche 17/2004 (Archiv).
  10. Die Eltern der ermordeten Fabienne Imhof klagen an: «Warum bloss lernen die Richter nichts?» In: Blick.ch. Abgerufen am 25. September 2014.
  11. Sibilla Bondolfi: Krimis, die das Leben schrieb. In: swissinfo.ch. 29. September 2017, abgerufen am 27. November 2021.
  12. Kindermörder Ferrari wieder vor Gericht. In: 20min.ch. 6. April 2007, abgerufen am 28. November 2021.
  13. Gutachten entlasten Werner Ferrari. In: news.ch. 11. April 2007, abgerufen am 28. November 2021.
  14. Christa Ulli: Der falsche Mörder – Der Fall Ruth Steinmann. SF 2006, 37 min.
  15. a b c d e f Brand, Christine: Von 21 Fällen bleiben 11 ungelöst. (PDF) In: sarahoberson.org. NZZ am Sonntag, 27. September 2015, S. 17, abgerufen am 26. Dezember 2021.
  16. a b Verbrechen an Kindern von 1980 bis 1989. In: NZZ am Sonntag. 2015 (sarahoberson.org [PDF; abgerufen am 2. Dezember 2021]).
  17. Schwere Verbrechen rückfälliger Straftäter. In: srf.ch. 15. Mai 2013, abgerufen am 2. Dezember 2021 (Im Artikel ist das Jahr der Tat fälschlicherweise mit 1998 angegeben.).
  18. Neue Hinweise im Fall von Annika Hutter. In: tagesanzeiger.ch. 16. Dezember 2010, abgerufen am 28. November 2021.
  19. Letzte Suche nach Annika Hutter. In: zueriost.ch. 25. November 2010, abgerufen am 28. November 2021.
  20. Annika Hutter – Spurlos verschwunden. In: SRF DOK, 2006.
  21. a b Adrian Zeller: Drei Kinder sind seit Jahrzehnten unauffindbar. In: dieostschweiz.ch. 20. Juli 2020, abgerufen am 28. November 2021.
  22. Karen Schmitz. In: spurlos.ch. Abgerufen am 28. November 2021.
  23. a b c d Brand, Christine: Von 21 Fällen bleiben 11 ungelöst. (PDF) In: sarahoberson.org. NZZ am Sonntag, 27. September 2015, S. 18, abgerufen am 26. Dezember 2021.
  24. Brand, Christine: Von 21 Fällen bleiben 11 ungelöst. (PDF) In: sarahoberson.org. NZZ am Sonntag, 27. September 2015, S. 18/19, abgerufen am 27. Dezember 2021.
  25. R.Casablanca: Der ungeklärte Fall eines verschollenen Kindes. In: 20min.ch. 30. Oktober 2019, abgerufen am 28. November 2021.
  26. Brand, Christine: Die verlorenen Kinder. (PDF) In: sarahoberson.org. NZZ am Sonntag, 27. September 2015, S. 11, abgerufen am 26. Dezember 2021.
  27. Walter Hauser: Auch das FBI suchte nach Sarah. In: blick.ch. 12. September 2018, abgerufen am 28. November 2021 (Schweizer Hochdeutsch).
  28. Ines Biedenkapp: Letzter Akt im Fall Edith Trittenbass - verschwundenes Thurgauer Mädchen soll als verschollen erklärt werden. In: tagblatt.ch. 29. Juni 2018, abgerufen am 28. November 2021.
  29. Mojan Salehipour: Vermisste Kinder: Diese fünf Fälle sorgten für grosses Aufsehen – vier sind bis heute mysteriös. Tagblatt, 5. April 2019, abgerufen am 16. Januar 2021.
  30. Widersprüchliche Hinweise zu Ylenia. In: nzz.ch. 10. August 2007, abgerufen am 11. April 2022.
  31. Dominik Bärlocher: Kristallhöhlen-Mord ungeklärt. In: tagblatt.ch. Tagblatt, 31. Juli 2012, abgerufen am 27. Dezember 2021.