Seuche

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Eine Seuche (verwandt mit siech im Sinne von „schwach, krank“) ist eine sich schnell ausbreitende ansteckende Infektionskrankheit im Sinne einer Epidemie[1] bzw. eine „ältere Bezeichnung für eine bedrohliche und sich rasch verbreitende Krankheit“[2] und in einem engeren Sinne eine zeitlich und örtlich gehäuft auftretende Erkrankung zahlreicher Lebewesen an einer bedrohlichen und hochansteckenden Infektionskrankheit.[3] Nach Manfred Vasold handelt es sich um eine „hochkontagiöse Infektionskrankheit mit relativ kurzer Inkubationszeit“ wie die epidemischen Krankheiten Pocken, Masern und Grippe, die nicht selten großflächig als wellenförmig verlaufender Seuchenzug auftritt, etwa bei Cholera und Pest.[4]

Etymologie und Geschichte des Seuchenbegriffs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Wort „Seuche“ (von mittelhochdeutsch siuche) ist ein Abstraktivum zu siech („schwach, krank“) und geht zurück auf althochdeutsch siuhhī, unter anderem im Sinne von „allgemeine Krankheit, die den ganzen Körper schwächt oder eine Krankheit der ganzen Gegend, der ganzen Sippe od. Herde“.[5][6]

Es wurde auch vermutet, dass das dem Substantiv Seuche zugrundeliegende Adjektiv siech, von germanisch seuka („krank“), verwandt ist mit „saugen“ (vgl. gotisch siukan „gesogen sein“), das früher Krankheit als durch (aus)saugende (unsichtbare) Dämonen verursacht betrachtet wurde.[7][8]

Als Seuche bezeichnete man früher eine „ansteckende Krankheit, die allgemeiner sich ausbreiten kann, da die Gesunden durch die an derselben Krankheit Leidenden angesteckt werden können“, aber auch (im 17. Jahrhundert) den „Krankheitsstoff, der durch den ganzen Körper oder das Land geht“.[9]

Diese frühere Bezeichnung „besitzt eine emotionale Qualität, beschwört Bilder von Schrecken, Gefahr, von Massenelend und Tod“, auch in Bezug auf Kriegsseuchen (früher vor allem Typhus, Ruhr, Cholera, Fleckfieber und Pest[10]). Seuche sei nach Johanna Bleker und Marina Stöffler-Meilicke im 18. Jahrhundert als Ersetzung des Begriffes Pest bzw. Pestilenz in Gebrauch gekommen, wobei letztere als Oberbegriff für massenhaftes Erkranken und Sterben diente. Dieser Seuchenbegriff berücksichtige die immer vorhandenen Krankheiten kaum, sondern „beschreibt mehr oder weniger plötzlich auftretende Massenerkrankungen“. Seuche „war nicht von der Ursache her definiert, sondern durch die Intensität und Plötzlichkeit des Auftretens“. Seuchen im alten Sinn waren dramatische Ereignisse. Das liege auch daran, dass die Erkenntnis der Übertragung durch Erreger erst 1876 durch die Arbeiten von Robert Koch ihren Anfang nahm.[11]

Die Kontagiosität (Übertragungsfähigkeit) und Infektiosität (Fähigkeit, bei einem Wirt eine Infektion hervorzurufen)[12] sowie Art, Schweregrad und Letalität (Tödlichkeit) der hervorgerufenen Krankheit bestimmen dabei Art und Ausmaß einer Seuche. Typisch ist ein schwerer Verlauf solch virulenter Infektionskrankheiten, der zu „Siechtum“ oder Tod führen kann.[13]

Für Seuchenlehre existiert der veraltete Begriff Loimologie (von griechisch loimos „Pest, Seuche“, zur Gleichsetzung siehe oben).[14] Auch der Begriff Seuchenforschung wurde und wird teilweise noch als Bezeichnung für die Erforschung der Infektionskrankheiten (einschließlich deren Verbreitung) verwendet, was heute Gegenstand der Epidemiologie bzw. genauer Infektionsepidemiologie ist.[15][16][17] Für die Erforschung von Tierseuchen existiert beispielsweise das Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems.[18]

Aktuelle Fachterminologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff wurde in der modernen Fachsprache weitgehend durch Infektion ersetzt (z. B. Seuchenschutz durch Infektionsschutz, Seuchenhygiene durch Infektionshygiene, Seuchengeschehen durch Infektionsgeschehen, Seuchenlehre durch Infektionsepidemiologie). Im Kontext biologischer Gefahren und hochkontagiöser lebensbedrohlicher Krankheiten sind mit dem Begriff Seuche assoziierte Termini weiterhin im Gebrauch (z. B. Seuchenhygienisches Management, Seuchenalarmplan).[2] Mit der Geschichte der Seuchen bzw. Pandemien bis in die Gegenwart[19] befasst sich die Seuchengeschichte.

Seuchenartige Häufungen von infektiösen Erkrankungen werden in der Epidemiologie je nach Art der zeitlichen und räumlichen Ausbreitung in drei Gruppen unterteilt.[11][2]

In der Humanmedizin:[3]

  • Epidemie bei zeitlich und räumlich begrenzter Häufung
  • Endemie bei räumlich begrenzter, zeitlich unbegrenzter Häufung
  • Pandemie bei zeitlich begrenzter, räumlich unbegrenzter Häufung

In der Tiermedizin:[20][21]

  • Epizootie bei zeitlich und räumlich begrenzter Häufung
  • Enzootie bei räumlich begrenzter, zeitlich unbegrenzter Häufung
  • Panzootie bei zeitlich begrenzter, räumlich unbegrenzter Häufung

Seuchen unterliegen im Regelfall einer Melde- bzw. Anzeigepflicht gegenüber öffentlichen Behörden. In den einzelnen Staaten (ggf. mit Spezifikationen in Bundesländern oder Kantonen) existieren dafür entsprechende gesetzliche Grundlagen. In Deutschland regelt dies das Infektionsschutzgesetz (früher Bundesseuchengesetz), in der Schweiz das Epidemiegesetz. In Österreich ist dies in vier verschiedenen Gesetzen geregelt. Für Tierseuchen gibt es entsprechende Regelungen. In Deutschland sind diese dem Veterinäramt zu melden. In der Schweiz gibt es das Informationssystem Seuchenmeldungen der Kantone (InfoSM) mit vorgeschriebenen Meldungen an die Kantonalen Veterinärämter.[22]

Weitere Verwendungen des Seuchenbegriffs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verseuchung bzw. Kontamination ist die Verunreinigung durch Stoffe, insbesondere Schadstoffe, durch Mikroorganismen, biologische Gifte, chemische Substanzen oder Radioaktivität.[23]

Durchseuchung ist der medizinische Begriff zur Beschreibung des Verbreitungsgrades einer endemischen Infektionskrankheit. Im Unterschied zur herkömmlichen Prävalenz werden auch Personen gezählt, die unter der Erkrankung litten, aber wieder gesund sind sowie solche, die nachweislich mit dem entsprechenden Erreger infiziert sind, aber keine klinischen Krankheitszeichen aufweisen.[24]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dokumentarfilme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Seuchen des 21. Jahrhunderts. Discovery Channel. 3 Folgen, 150 Min. Deutschsprachige DVD-Erstveröffentlichung: 28. Juli 2003.[25]
  • Schatten des Todes – Die Geschichte der Seuchen. BR-alpha. 6 Folgen, 180 Min. Deutschland 2010 (Online).[26][27]
  • Grippe, Pest und Cholera – Die Geschichte der großen Seuchen. ZDF-History, 31 Min. Deutsche Erstausstrahlung: 1. März 2020 (Online).[28][29]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Mary Dobson: Seuchen, die die Welt veränderten. Von Cholera bis SARS. Aus dem Englischen von Meike Grow und Ute Mareik. G + J, Hamburg 2009, ISBN 978-3-86690-094-3.
  • Reinhard Güll: Seuchen: unausrottbare Geißeln der Menschheit? In: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg. Heft 10/2013, S. 38–43; ssoar.info (PDF; 1,1 MB).
  • Jens Jacobsen: Schatten des Todes. Die Geschichte der Seuchen. Philipp von Zabern, Darmstadt 2012, ISBN 978-3-8053-4538-5.
  • Kari Köster-Lösche: Die großen Seuchen. Von der Pest bis Aids. Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 1995, ISBN 3-458-33381-9.
  • Hans-Uwe Lammel: Aussatz und Schwarzer Tod. Die Seuchen des Mittelalters und ihre sozialen Folgen. In: Hans-Uwe Lammel (Hrsg.): Kranksein in der Zeit. Referate des Rostocker Medizin- und Wissenschaftshistorikertreffens 1995 (= Rostocker medizinische Beiträge. Band 5). Rostock 1996, S. 23–56.
  • Vivian Nutton: Epidemische Krankheiten. In: Der Neue Pauly – Enzyklopädie der Antike. Band 3. Stuttgart/Weimar 1997, Sp. 1102–1104.
  • Jacques Ruffié, Jean-Charles Sournia: Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit. [Übersetzung von Les épidemies dans l’histoire de l’homme ins Deutsche von Brunhild Seeler]. Klett-Cotta, Stuttgart 1987; 4., erweiterte Auflage ebenda 2000, ISBN 3-608-94001-4.
  • Malte Thießen (Hrsg.): Infiziertes Europa. Seuchen im langen 20. Jahrhundert. De Gruyter Oldenbourg, München 2014, ISBN 978-3-11-036434-7.
  • Manfred Vasold: Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute. C. H. Beck, München 1991, ISBN 3-406-35401-7.
  • Manfred Vasold: Grippe, Pest und Cholera. Eine Geschichte der Seuchen in Europa. Steiner, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-515-11025-9.
  • Carl Christian Wahrmann, Martin Buchsteiner, Antje Strahl (Hrsg.): Seuche und Mensch. Herausforderung in den Jahrhunderten. (= Historische Forschungen. Band 95). Duncker & Humblot, Berlin 2012, ISBN 978-3-428-13701-5.
  • Stefan Winkle: Geißeln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen. Komet, Düsseldorf/Zürich 1997, ISBN 3-538-07049-0; 3., verbesserte und erweiterte Auflage. Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 2005, ISBN 3-538-07159-4 (Neudruck unter dem Titel Die Geschichte der Seuchen. Anaconda, Köln 2021, ISBN 978-3-7306-0963-7).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Seuche – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Seuchen, Seuche. Gesundheitsberichterstattung des Bundes.
  2. a b c Wolfgang Kiehl: Fachwörterbuch A–Z. (PDF) In: Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie Fachwörter – Definitionen – Interpretationen. Robert Koch-Institut, S. 34 (bzw. 17, 119), abgerufen am 15. März 2020. Berlin 2015, ISBN 978-3-89606-258-1.
  3. a b Seuche. Pschyrembel Online.
  4. Manfred Vasold: Seuchenzüge. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1323 f.
  5. Max Höfler: Deutsches Krankheitsnamen-Buch. Piloty & Loehle, München 1899 (Reprografischer Nachdruck: Olms, Hildesheim / New York 1970 und 1979, ISBN 1-174-35859-9), S. 640–644, hier: S. 640.
  6. Friedrich Kluge, Alfred Götze: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 20. Auflage. Hrsg. von Walther Mitzka. De Gruyter, Berlin / New York 1967; Neudruck („21. unveränderte Auflage“) ebenda 1975, ISBN 3-11-005709-3, S. 705.
  7. Friedrich Kluge, Alfred Götze: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 1975, S. 707 (siech).
  8. Alice Natter: Pest, Cholera, Corona: Warum Covid-19 eine Seuche ist. Interview mit der Altphilologin und Medizinhistorikerin Sabine Schlegelmilch.
  9. Max Höfler: Deutsches Krankheitsnamen-Buch. 1899, S. 640.
  10. H. Schloßberger: Kriegsseuchen. Historischer Überblick über ihr Auftreten und ihre Bekämpfung. Gustav Fischer, Jena 1945, hier: S. 4.
  11. a b J. Bleker, M. Stöffler-Meilicke: Seuchen, Plagen, Infektionen – Vom unausrottbaren Übel. fu-berlin.de, Januar 2002.
  12. Infektiosität auf pschyrembel.de
  13. Seuchen. In: Kompaktlexikon der Biologie, Spektrum.de
  14. Loimologie auf Pschyrembel online
  15. Karl Sudhoff, Georg Sticker: Historik und Seuchenforschung. Töpelmann 1910.
  16. Marion Hulverscheidt, Anja Laukötter: Infektion und Institution: Zur Wissenschaftsgeschichte des Robert Koch-Instituts im Nationalsozialismus. Wallstein Verlag, 2013; books.google.ch
  17. Seuchenforschung: Viren reisen wie Dollarnoten Focus online vom 26. Januar 2006
  18. Pia Heineman: Die Seucheninsel. In: Welt am Sonntag, 13. September 2015
  19. Alice Natter: Pest, Cholera, Corona: Warum Covid-19 eine Seuche ist. Interview mit der Altphilologin und Medizinhistorikerin Sabine Schlegelmilch. In: Main-Post, 8. August 2020, online (mit von der Printversion abweichendem Untertitel) aktualisiert am 11. August 2020.
  20. Epizootie Lexikon der Biologie auf spektrum.de
  21. Panzootie Lexikon der Biologie auf spektrum.de
  22. Informationen zum Informationssystem Seuchenmeldungen (InfoSM) der Schweiz
  23. Kontamination synonym zu Verseuchung auf Pschyrembel online
  24. Eintrag zu Durchseuchung im Flexikon, einem Wiki der Firma DocCheck, abgerufen am 6. April 2020.
  25. Seuchen des 21. Jahrhunderts. In: Filme.de. Abgerufen am 22. März 2020.
  26. Doku-Reihe: Die Geschichte der Seuchen. In: BR.de. Abgerufen am 21. März 2020.
  27. Schatten des Todes – Die Geschichte der Seuchen. In: Fernsehserien.de. Abgerufen am 21. März 2020.
  28. Grippe, Pest und Cholera – Die Geschichte der großen Seuchen. ZDF, abgerufen am 21. März 2020.
  29. Grippe, Pest und Cholera – Die Geschichte der großen Seuchen. In: Fernsehserien.de. Abgerufen am 21. März 2020.