Teilungspläne für Oberschlesien

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Übersicht der Teilungspläne für Oberschlesien nach dem Plebiszit 1921.

Als Teilungspläne für Oberschlesien werden die verschiedenen Vorschläge zur Teilung der preußischen Provinz Oberschlesien nach dem am 21. März 1921 gemäß Versailler Vertrags abgehaltenem Plebiszit bezeichnet. Bei der nach dem Ersten Weltkrieg in einem Teil Oberschlesiens und unter der Kontrolle einer Interalliierten Regierungs- und Plebiszitkommission abgehaltenen Abstimmung ging es um die Frage, welche Teile Oberschlesiens an das wiederbegründete Polen angegliedert und welche bei Deutschland verbleiben sollten.

Insgesamt wurden vier Teilungsvorschläge für die Region vorgebracht, die auch zeitgenössisch bereits nach ihren jeweiligen Urhebern benannt wurden. In der zeitlichen Reihenfolge ihrer Formulierung waren dies: die Korfanty-Linie, die Le-Rond-Linie, die Percival-de-Marinis-Linie (seltener auch: De-Marinis-Percival-Linie) sowie die Sforza-Linie. Die deutsche Reichsregierung stellte nach dem Plebiszit die Forderung nach einem vollständigen Verbleib des Gebiets bei Deutschland, jedoch in dem Wissen, dass diese Maximalforderung von den in der Interalliierten Kommission vertretenen Staaten Frankreich, Großbritannien und Italien keinesfalls akzeptiert werden würde. Nach schwierigen Verhandlungen wurde schließlich am 20. Oktober 1921 von der Pariser Botschafterkonferenz der Teilungsvorschlag einer Völkerbundkommission angenommen, der weitgehend der Sforza-Linie entsprach. In Deutschland führte der Beschluss am Folgetag zum Rücktritt der Regierung.

Die tatsächliche Teilung Oberschlesiens wurde Mitte Juli 1922 vollzogen, nachdem Deutschland und Polen zuvor alle offenen Fragen in einem entsprechendem Abkommen miteinander geregelt hatten, das zum 15. Mai 1922 in Kraft trat.

Die Teilungsvorschläge

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Die Korfanty-Linie ist nach Wojciech Korfanty benannt, der während der Zeit der Volksabstimmung das Amt des polnischen Plebiszit-Kommissars innehatte. Er formulierte den nach ihm benannte Teilungsvorschlag bereits am 22. März 1921, also am Tag nach der Abstimmung, in einer Proklamation. Darin stellt er zunächst fest, dass das Plebiszit ein Erfolg für die polnische Seite sei, da sie zwar nicht die Stimmenmehrheit in ganz Oberschlesien habe erringen können, jedoch in den wertvollsten Teilen. Er fuhr fort mit der Beschreibung, entlang welcher Linie eine Teilung Oberschlesiens aus seiner Sicht vorzunehmen sei: So sollte von Süden nach Norden die künftige Grenze zunächst entlang der Oder verlaufen, bei Gogolin unter Einschluss des Gemeindegebiets nach Osten abweichen und schließlich zumeist entlang der Kreisgrenze von Rosenberg und Lublinitz nach Norden bis zur polnischen Grenze bei Krzepice verlaufen. Ein kleiner Teil im Nordosten des Kreises Rosenberg fiele dabei ebenfalls noch an Polen. Hierdurch wäre etwa 59 % der Fläche sowie etwa 70 % der Bevölkerung des Abstimmungsgebiets zu Polen gekommen, inklusive des gesamten oberschlesischen Industriegebiets und der großen Städte im Osten des Gebiets, in denen eine große Mehrheit der Abstimmenden sich für einen Verbleib bei Deutschland ausgesprochen hatte.

Die Le-Rond-Linie ist nach Henri Le Rond benannt, dem französischen Vorsitzenden der Interalliierten Kommission in Oberschlesien. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg unterstützte Frankreich nachdrücklich die polnische Forderungen nach einer Angliederung Oberschlesien (beziehungsweise des Oberschlesisches Industriegebiets), da es insgesamt an einem möglichst starken Polen interessiert war, als Gegengewicht sowohl zum Deutschen Reich als auch zu Sowjetrusslands. Die Interalliierte Kommission beschäftigte sich erst im April 1921 mit konkreten Teilungsplänen. Dabei griff die französische Seite den polnischen Vorschlag auf und schwächte diesen geringfügig zugunsten der deutschen Seite ab. Die sogenannte Le-Rond-Linie entsprach im Süden dem polnischen Vorschlag und verlief ebenfalls entlang der Oder, orientierte sich jedoch nicht so stark an den Kreisgrenzen. Sie durchschnitt den Kreis Groß Strehlitz, sodass Gogolin auf der deutschen Seite verbleiben würde, und durchschnitt auch weiter nördlich den Kreis Lublinitz, etwas östlich der Gemeinde Guttentag, die ebenfalls auf der deutschen Seite verbleiben würde. Nördlich entsprach der französische Vorschlag wieder dem polnischen, sodass der nordöstlichste Teil des Kreises Rosenberg ebenfalls auf der polnischen Seite läge. Auch beim französischen Vorschlag wären das Industriegebiet und die größten Städte im Osten Oberschlesiens vollständig an Polen gegangen.

Percival-de-Marinis-Linie

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Die Percival-de-Marinis-Linie ist nach Harold Percival und Alberto De Marinis benannt, den britischen beziehungsweise italienischen Vertretern in der Interalliierten Kommission für Oberschlesien. Insbesondere die britische Seite hatte in Oberschlesien von Beginn an eine deutlich deutschfreundlichere Haltung als Frankreich vertreten. Einerseits, weil Großbritannien eine französische Dominanz auf europäischen Kontinent fürchtete, aber auch, damit Deutschland durch den Erhalt des oberschlesischen Industriegebiets weiterhin seine Reparationsverpflichtungen aus dem Versailler Vertrag erfüllen konnte. Die italienische Regierung hatte zu Beginn ihrer Mitwirkung in der Interalliierten Kommission keine besondere politische Haltung zu dem deutsch-polnischen Konflikt in Oberschlesien eingenommen, sich im Verlauf der Zeit jedoch zunehmend der britischen Position angenähert. Der britisch-italienische Teilungsvorschlag wurde ebenfalls im April 1921 vorgebracht. Er sah im Wesentlichen die Angliederung der Kreise Rybnik und Pless sowie des östlichsten Teil des Kreises Ratibor vor. Weiterhin würde jeweils kleine Gebietsstücke direkt an der Grenze zu Polen in den Kreisen Tost-Gleiwitz, Hindenburg, Beuthen, Lublinitz und Rosenberg an Polen gehen. Die Percival-de-Marinis-Linie hätte das Industriegebiet und die großen Städte im Osten Oberschlesien nahezu vollständig bei Deutschland belassen, insgesamt wären gut 25 % des Abstimmungsgebiets und etwa 21 % der Bevölkerung zu Polen gekommen.

Grenzziehungsvorschlag nach Carlo Sforza (Mai/Juni 1921).

Die Sforza-Linie ist nach dem damaligen italienischen Außenminister Carlo Sforza benannt. Nachdem sich die Interalliierte Kommission in Oberschlesien nicht auf einen der dort diskutierten Teilungsvorschläge einigen konnte, übermittelte diese beide Vorschläge (Le-Rond-Linie und Percival-de-Marinis-Linie) Anfang Mai 1921 an die Pariser Botschafterkonferenz zur Entscheidung. Als sich auch dort bei den Verhandlungen keine Einigung abzeichnete, brachte Carlo Sforza seinen Vorschlag als Kompromiss zwischen dem französischen und dem britischen Entwurf ein. Er sah vor, dass die Grenze im Süden zunächst parallel jedoch etwas östlich der Oder verlaufen sollte, dann etwa ab der Gemeinde Ostrog sich vom Fluss entfernend in nordöstlicher Richtung, um vor Jakobswalde in östlicher Richtung einen großen Bogen um die bevölkerungsreichen und auf deutscher Seite verbleibenden Städte Gleiwitz, Hindenburg, Beuthen und Tworog zu beschreiben, wobei die Städte Kattowitz, Königshütte und Tarnowitz auf polnischer Seite lägen, und schließlich in einem kleineren Bogen nach Westen den Landkreis Lublinitz zu durchschneiden, mit Guttentag auf deutscher, sowie Lublinitz und Lissau auf polnischer Seite. Mit diesem Vorschlag fiel ein Großteil des oberschlesischen Industriegebiets an Polen, jedoch verblieben der Kreiß Groß Strehlitz und viele der Städte, in denen eine große Mehrheit für einen Verbleib bei Deutschland gestimmt hatte, beim Deutschen Reich.

Vorschlag des Völkerbundes

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Nachdem sich die Botschaftkonferenz auf keinen der drei Vorschläge verständigen konnte, wurden die Verhandlungen am 8./9. August 1921 im Rat der Vier fortgesetzt, jedoch ohne Erfolg. Am 12. August 1921 einigte man sich dort, die Angelegenheit dem Völkerbundrat zur Entscheidung zu übergeben. Dieser wiederum setzte eine Kommission ein, die mit Vertretern aus Japan, Brasilien, China, Spanien und Belgien besetzt war, wobei Japan den Vorsitz führte. Am Grünen Tisch wurde eine Teilung Oberschlesiens ausgearbeitet, die sich weitgehend am Kompromissvorschlag Carlo Sforzas orientierte. Am 12. Oktober 1921 nahm der Völkerbundrat den Vorschlag seiner Kommission an. Am 20. Oktober 1921 übernahm auch die Pariser Botschafterkonferenz den Vorschlag. In der Folge nahmen Deutschland und Polen Verhandlungen über die Regelung der offenen Fragen im Zusammenhang mit der Teilung Oberschlesiens auf. Diese mündeten im Deutsch-Polnischen Abkommen über Oberschlesien, dass am 15. Mai 1922 in Genf unterzeichnet wurde. Die tatsächliche Teilung wurde gemäß dem vom Völkerbund ausgearbeiteten Vorschlag Mitte Juli 1922 vollzogen.

Einzelnachweise

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