Steinmar

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Steinmar war ein Minnesänger des südwest-oberdeutschen Sprachraums in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.

Die Steinmar-Miniatur des Codex Manesse, fol. 308v, um 1305–1340.

Identität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der nur unter dem Namen [Herr] Steinmar, d. h. ohne Vor- oder Beiname überlieferte Minnesänger aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts gilt als Autor von 14 Liedern, die in die Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse, 308v-310v) Eingang fanden.

Seine biographische Identität ließ sich bis heute nicht zweifelsfrei klären, doch wird in jüngerer Zeit wieder der urkundlich zwischen 1253 und 1293 belegte Aargauer Ritter Berthold Steinmar von Klingnau favorisiert.[1]

Zwar wurden schon früh Versuche unternommen, den Steinmar des Codex Manesse mit einem schwäbischen Ritter Steinmar von Sießen-Stralegg (urk. 1251–1294) gleichzusetzen (zuletzt: Krywalski 1966[2]), doch erweist sich dies bei näherem Besehen als fragwürdig: Der Sießen-Stralegger Steinmar kann wohl allein schon deshalb nicht der Minnesänger sein, weil Steinmar in den überlieferten schwäbischen Urkunden nachweislich der Vorname und nicht, wie im Codex Manesse und in den Klingnauer Urkunden, der Geschlechtername ist (vgl. u. a.: Württembergisches Urkundenbuch, WUB, Urkunde von 1251[3]).

Für eine begründete Favorisierung des Aargauer Ritters sind hingegen die für Berthold Steinmar von Klingnau belegbaren biographischen Bezüge zu Straßburg und das literarisch-personale Umfeld um Walther von Klingen (s. u.) signifikant:

Im Straßburger Münster findet sich in der Wandarkatur des nördlichen Seitenschiffes des bereits um 1275 entstandenen Langhauses eine mit Stei[n]mar signierte, 17 cm hohe Relieffigur, die ganz offensichtlich auf Steinmar als den Autor des sogenannten Herbstliedes anspielt, diesen womöglich sogar porträtieren möchte: ein sich dem Trinkgenuss hingebender Mann in kurzem Rock und mit Gürteltasche hält in der Linken eine Kanne und führt mit seiner Rechten einen riesigen, hölzernen Weinbecher zum Mund (vgl. Schultz 1922). Dem ausführenden Steinmetz muss dieses Herbstlied bereits bekannt gewesen sein. Sein Steinmar-Relief im Straßburger Münster ist kenntnisreiche Anspielung und Beleg dafür, dass der Minnedichter Steinmar rezeptionsgeschichtlich vor allem mit diesem „Schlemm- und Trinklied“ in Verbindung gebracht und tradiert wurde.

Nun sind aber nur für den Aargauer Ritter Berthold Steinmar von Klingnau biographische Bezüge nachzuweisen, die einen oder mehrere Aufenthalte in Straßburg zwischen 1275 und 1278 wahrscheinlich machen, was die Schaffung der dortigen Reliefskulptur erklären könnte. Zusammen mit seinem Bruder Conrad findet sich Berthold Steinmar in zahlreichen Urkunden der Zeit aus Klingnau, Sankt Blasien, Rheinfelden, Basel, Beuggen, Säckingen und in Waldshut bezeugt, wobei er als Ministeriale des Minnedichters und Edlen Walther von Klingen (urk. 1240–1284; † 1286) in Erscheinung trat. Wie dieser, der in Straßburg begütert war und ein Haus am Münsterplatz besaß, stand Berthold Steinmar in enger Verbindung zu König Rudolf I. von Habsburg (1273–1291), mit dem zusammen er als urkundlicher Zeuge auftrat und in dessen Gefolgschaft er 1278 an der Schlacht auf dem Marchfeld bei Wien gegen Ottokar von Böhmen teilnahm. Dabei führte Steinmars mutmaßlicher Weg von seinem Wohnsitz Klingnau zunächst rheinabwärts über Straßburg nach Mainz, wo sich Rudolfs Truppen 1276 sammelten. Historische Anspielungen in Steinmars Liedern beziehen sich unter anderem auch auf diesen Feldzug. Wie aus einer in Sankt Blasien 1290 von Berthold Steinmar selbst ausgestellten Urkunde hervorgeht, war er nach Walther von Klingens Tod in den letzten Jahren seines Lebens Ministeriale des Edlen Herren Heinrich II. von Krenkingen (vgl. Urkundenbuch des Klosters Sankt Blasien:[4] vir H[einricus] dominus meus nobilis de Krenchingen).

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Literaturgeschichte sieht, pars pro toto, in Steinmars Herbstlied geradezu die Erfindung einer „neuen Sinnlichkeit“ der „niederen“ Minnedichtung des 13. Jahrhunderts und diese als Gegenentwurf zur höfischen Liedkunst des Hochmittelalters: In der Abkehr vom Ideal der höfischen Minne-Konzeption, des Maßes und der ritterlichen Zucht in der notwendig unerfüllt bleibenden „hohen Liebe“ zu einer standesgemäß verheirateten edlen frowe, findet das lyrische Ich Steinmars dabei leidlich und weinselig Trost in den sinnlichen wie irdischen Genüssen, herbstlichen Tafelfreuden und maßloser Völlerei.

Als erstes Lied eröffnet es das Steinmarsche Corpus im Codex Manesse, dessen Niederschrift auf die Jahre um 1300 fällt; der Miniaturenmaler des Grundstocks greift, wie Jahrzehnte davor bereits der unbekannte Steinmetz zu Straßburg, in seinem Steinmar-„Porträt“ auf das Motiv des Herbstliedes zurück (siehe Abbildung) und inszeniert den Dichter in charakteristischer Pose sowohl des sinnenfrohen Zechens als auch, in Personalunion, als Wirt in grün gegürtetem Gewand mit Goldbesatz an Ärmeln und am Hals.

Textausgabe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Friedrich Pfaff (Hrsg.): Die große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse). In: getreuem Textabdruck hrsg. v. F. Pfaff. Titelausgabe der zweiten, verbesserten und ergänzten Auflage bearbeitet v. Hellmut Salowsky mit einem Verzeichnis der Strophenanfänge und 7 Schrifttafeln. Heidelberg 1995, Sp. 994–1005.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Norbert H. OttSteinmar. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 25, Duncker & Humblot, Berlin 2013, ISBN 978-3-428-11206-7, S. 218 (Digitalisat).
  • Richard Moritz Meyer: Steinmar von Klingnau, Berthold. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 35, Duncker & Humblot, Leipzig 1893, S. 746–748.
  • Josef Bader: Das ehemalige sanktblasische Amt Klingenau. In: ZGO. Edition Mone. Erster Band. Karlsruhe 1850, S. 452 ff.
  • Karl Bartsch (Hrsg.): Die Schweizer Minnesänger. Verlag Huber, Frauenfeld 1964, S. CVI ff.
  • Moriz Gmelin: Urkundenbuch der Deutschordens-Commende Beuggen. Fortsetzung. 1266–1299. In: ZGO. 28, 1876, S. 376–439.
  • Johann Huber: Die Regesten der ehemaligen Sanktblasier Propsteien Klingnau und Wislikofen im Aargau. Ein Beitrag zur Kirchen- und Landesgeschichte der alten Grafschaft Baden. Räber, Luzern 1878.
  • D. Krywalski: Untersuchungen zu Leben und literaturgeschichtlicher Stellung des Minnesängers Steinmar. München 1966.
  • Gesine Lübben: „Ich singe daz wir alle werden vol“. Das Steinmar-Oeuvre in der Manessischen Liederhandschrift. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1994, ISBN 3-476-45051-1.
  • Elmar Mittler, Wilfried Werner (Hrsg.): Codex Manesse. Die Große Heidelberger Liederhandschrift. Texte. Bilder. Sachen. Katalog zur Ausstellung 1988. Universitätsbibliothek Heidelberg. Braus, Heidelberg 1988, ISBN 3-925835-20-2.
  • Otto Mittler: Geschichte der Stadt Klingnau 1239–1939. Sauerländer, Aarau 1947, S. 38–46.
  • Ursula Peters: Literatur in der Stadt. Studien zu den sozialen Voraussetzungen und kulturellen Organisationsformen städtischer Literatur im 13. und 14. Jahrhundert. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1983, ISBN 3-484-35007-5, S. 105–114: Der Literaturkreis um Walther von Klingen.
  • Max Schiendorfer: Walther von Klingen: Vorsitzender eines Basler Sängerkreises? Eine regionalgeschichtliche Fallstudie. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. 122, 2003, S. 203–229; zu 'Steinmar' siehe hier: S. 223 f.
  • Franz Schultz: Steinmar im Straßburger Münster. Ein Beitrag zur Geschichte des Naturalismus im 13. Jahrhundert. Mit einer Tafel im Lichtdruck. Walter de Gruyter & Co, Berlin/ Leipzig 1922.
  • Urkundenbuch des Klosters Sankt Blasien im Schwarzwald. Von den Anfängen bis zum Jahr 1299. Bearbeitet von Johann Wilhelm Braun. 2 Bände. Kohlhammer, Stuttgart 2003.
  • Burghart Wachinger (Hrsg.): Deutsche Lyrik des späten Mittelalters. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 2006, S. 322–341 (Liedtexte Steinmars), S. 797–806 (Stellenkommentar).
  • Burghart Wachinger (Hrsg.): Die Deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearbeitete Auflage. Band 9, Berlin/ New York 1995, [Steinmar]: Sp. 281–284 (books.google.com)
  • Ingo F. Walther (Hrsg.): Codex Manesse. Die Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift. Hrsg. und erläutert v. Ingo F. Walther unter Mitarbeit von Gisela Siebert. Frankfurt am Main, Insel 1988.
  • Württembergisches Urkundenbuch. WUB. Hrsg. v. Königliches Haus- und Staatsarchiv in Stuttgart. Stuttgart 1849–1913. (www.wubonline.de)
  • Ritter Steinmar. In: Bayerischer Landesverein für Familienkunde e. V., Band 3, Jahrgang 9 (1931), Nr. 1/2. S. 1 f.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Codex Manesse – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Steinmar – Quellen und Volltexte

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Max Schiendorfer: Walther von Klingen: Vorsitzender eines Basler Sängerkreises? Eine regionalgeschichtliche Fallstudie. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. 122, 2003, S. 203–229; zu 'Steinmar' siehe hier: S. 223 f.
  2. D. Krywalski: Untersuchungen zu Leben und literaturgeschichtlicher Stellung des Minnesängers Steinmar. München 1966.
  3. Württembergisches Urkundenbuch. Band IV, Nr. 1175, S. 243/44.
  4. Urkundenbuch des Klosters Sankt Blasien im Schwarzwald. Von den Anfängen bis zum Jahr 1299. Bearbeitet von Johann Wilhelm Braun, 2 Bände. Kohlhammer, Stuttgart 2003., Nr. 651, S. 862.