Talisman Karls des Großen

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Sogenannter Talisman Karls des Großen, Musée du Palais du Tau, Reims – deutlich erkennbar die Kreuzpartikel unter dem zentralen Schmuckstein
Der Talisman (hier: Rückseite) ist das einzig erhaltene Goldschmiedestück, das mit einiger Wahrscheinlichkeit mit der Person des Herrschers in Verbindung gebracht werden kann.[1]

Der Talisman Karls des Großen ist ein karolingisches Reliquienamulett, das möglicherweise einst im Besitz Karls des Großen gewesen ist und heute Partikel vom wahren Kreuz Christi bergen soll. Es soll der Legende nach ursprünglich Haare der Jungfrau und Gottesmutter Maria enthalten haben und bei der Öffnung des Karlsgrabes im Aachener Dom durch Otto III. im Jahre 1000 am Hals des Frankenkaisers gefunden worden sein. Der Talisman wird heute im Reimser Musée du Palais du Tau (Inv.-Nr. G 7) aufbewahrt.

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das 7,3 cm hohe Medaillon ist eine der seltenen aus dem neunten Jahrhundert erhaltenen Goldschmiedearbeiten. Dabei handelt es sich weniger um ein sakrales Kunstwerk denn um ein privaten Zwecken dienendes Reliquienbehältnis.[2] Das Werk war ursprünglich mittig mit zwei großen Saphiren versehen – hinter denen die besagten Haare Mariens angebracht waren –, die jedoch im Jahre 1804 durch einen Glasfluss ersetzt wurden.[2] Die Gestaltung des Schmuckstücks ist geprägt von üppiger Edelstein- und Filigranzierde, jedoch fehlen nunmehr die bei älteren Objekten noch gängigen figürlichen Darstellungen, farbigen Emails wie auch Tier- oder Flechtbandornamentik.[2] Dafür dominieren an der eigentlichen Goldschmiedearbeit Filigrandrähte neben Perlen und Juwelen in Kasten- und Palmettenfassungen; dabei können die getriebenen pfeilförmigen Blattornamente zwischen dem Filigrandraht als Reminiszenz an typische vergangene Motive gelten, dennoch wirken diese hier keineswegs rückwärtsgewandt.[2] In der Gestalt des Amuletts durchdringen einander dreierlei Formgebungen mit jeweils unterschiedlichem Bedeutungsgehalt: Einerseits wird sich an die Form palästinensischer Pilgerampullen angelehnt, wie sie besonders im fünften und sechsten Jahrhundert westliche Verbreitung erfuhren, und damit auf die Provenienz der einstmals erhaltenen Marienhaare verwiesen. Daneben wird in der Konzeption analog der Stephansburse durch die Smaragde gemeinsam mit dem Zentralstein eine Kreuzesform gebildet. Schließlich erscheint die prächtige Vorderseite zuvorderst als Rahmung für die hinter dem durchscheinenden Edelstein sichtbare Reliquie.[2] Eine Verwendung als Heilmittel oder zur Gefahrenabwehr einer hochgestellten Person liegt nahe.[3]

Hintergründe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Reliquiar kann insbesondere unter stilistischen Gesichtspunkten als ein Aachener Spätwerk aus der Zeit Karls des Großen angesehen werden.[2]

Bis zum Jahr 1804 befand sich dieses im Aachener Domschatz, gelangte dann jedoch als Gastgeschenk von Marc-Antoine Berdolet, dem ersten Bischof von Aachen, anlässlich ihres Besuchs in Aachen an Kaiserin Joséphine, die Gattin Napoleon Bonapartes, welche es ihrerseits an Tochter Hortense übergab. Erst 1919 kam es dann aus dem Besitz von Kaiserin Eugénie an den Erzbischof von Reims, Kardinal Louis Luçon, der das Schmuckstück letztlich dem Schatz der Abtei Saint-Remi in Reims, heute im Palais du Tau ausgestellt, einverleibte. In diesem Zeitraum könnte auch ein Austausch der Reliquien stattgefunden haben.[4]

Zeitgenössische Beurteilung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Karls theologischer Gewährsmann Alkuin (735–804) schrieb in einem Brief an Erzbischof Ethelhard von Canterbury, er möge den aufkommenden Brauch, Reliquien um den Hals zu tragen, unterbinden; denn es sei „besser, die Vorbilder der Heiligen mit dem Herzen nachzuahmen als ihre Knochen in Säckchen herumzutragen“; dies sei ein „pharisäischer Aberglaube“.[5]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Franz Kaufmann: Vom Talisman Karls des Großen. Kanonikus Anton Joseph Blees und der Aachener Münsterschatz zur Zeit der französischen Revolution. Zwei Abhandlungen zur Geschichte des Münsterschatzes. Creutzer, Aachen 1920.
  • Blaise de Montesquiou-Fezensac: Le Talisman de Charlemagne. In: Art de France 2, 1962, S. 68–76.
  • Jean Taleron: Le talisman de Charlemagne. In: Les monuments historiques de la France 12, 1966, S. 24–43.
  • Ernst Günther Grimme: Goldschmiedekunst im Mittelalter. Form und Bedeutung des Reliquiars von 800 bis 1500. M. DuMont Schauberg, Köln 1972, ISBN 978-3-7701-0669-1, S. 21–23.
  • Ernst Günther Grimme (Text), Ann Münchow (Aufnahmen): Der Aachener Domschatz (= Aachener Kunstblätter. Bd. 42). Schwann, Düsseldorf 1973, Nr. 7, S. 14–15.
  • Christoph Winterer: «Das Wort Gottes, in ruhmvollem Glanz blinkend». Kunst im Umkreis Karls des Großen. In: Michael Imhof, Christoph Winterer: Karl der Große. Leben und Wirkung, Kunst und Architektur. Imhof, Petersberg 2013, ISBN 978-3-932526-61-9, S. 76–117, hier S. 104.
  • Georg Minkenberg, Sisi Ben Kayed: Verlorene Schätze. Ehemalige Schatzstücke aus dem Aachener Domschatz. Schnell & Steiner, Regensburg 2014, ISBN 978-3-7954-2834-1, S. 20.
  • Thomas Labusiak: »Er schenkte der Kirche viele heilige Gefäße aus Gold und Silber.« Goldschmiedekunst in der Zeit Karls des Großen. In: Peter van den Brink, Sarvenaz Ayooghi (Hrsg.): Karl der Große – Charlemagne. Karls Kunst. Katalog der Sonderausstellung Karls Kunst vom 20. Juni bis 21. September 2014 im Centre Charlemagne, Aachen. Sandstein, Dresden 2014, ISBN 978-3-95498-093-2, S. 75–93, hier S. 90–92.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Talisman Karls des Großen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Thomas Labusiak: »Er schenkte der Kirche viele heilige Gefäße aus Gold und Silber.« Goldschmiedekunst in der Zeit Karls des Großen. In: Peter van den Brink, Sarvenaz Ayooghi (Hrsg.): Karl der Große – Charlemagne. Karls Kunst. Dresden 2014, S. 75–93, hier S. 92.
  2. a b c d e f Imhof, Winterer: Karl der Große. Leben und Wirkung, Kunst und Architektur. S. 104.
  3. Imhof, Winterer: Karl der Große. Leben und Wirkung, Kunst und Architektur. S. 102.
  4. Georg Minkenberg, Sisi Ben Kayed: Verlorene Schätze. Ehemalige Schatzstücke aus dem Aachener Domschatz. S. 20.
  5. Melius est in corde sanctorum imitari exempla quam in sacculis portare ossa […] Haec est pharisaica superstitio“, Monumenta Alcuiniana S. 719 (Online).