Thukydides-Falle

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Büste von Thukydides

Die Thukydides-Falle (englisch: Thucydides Trap), auch als Falle des Thukydides bekannt, ist ein vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Graham T. Allison geprägter Begriff. Er beschreibt eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Krieg, wenn eine aufstrebende Macht eine bestehende Großmacht als regionalen oder internationalen Hegemon zu verdrängen droht. Er wurde geprägt und wird vor allem verwendet, um einen potenziellen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China zu beschreiben.[1] Der Begriff hat eine bedeutende Rezeption in englischsprachigen Medien erfahren und wurde auch in China populär.[2]

Der Begriff basiert auf einem Zitat des antiken athenischen Historikers und Strategen Thukydides, wonach der Peloponnesische Krieg zwischen Athen und Sparta aufgrund der Furcht Spartas vor der wachsenden Macht Athens unvermeidlich gewesen sei.[3][4]

Herkunft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Graham T. Allison

Der Begriff wurde vom amerikanischen Politikwissenschaftler Graham T. Allison in einem Artikel für die Financial Times aus dem Jahr 2012 erstmals erwähnt.[5] Allison verwendete den Begriff, um eine Tendenz zum Krieg zu beschreiben, wenn eine aufstrebende Macht (wie Athen) den Status einer dominanten Macht (wie Sparta) herausfordert. 2014 verwendete der chinesische Präsident Xi Jinping den Begriff und sagte, dass die Thukydides-Falle vermieden werden müsse.[6] Allison hat den Begriff in seinem 2017 erschienenen Buch Destined for War erheblich erweitert, in dem er argumentiert, dass „China und die USA derzeit auf Kollisionskurs zum Krieg sind“.[7]

Beispiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Allison nennt als Teil einer Studie des Belfer Center for Science and International Affairs 16 historische Beispiele für die Thukydides-Falle, von denen 12 in einem Krieg endeten. Bei den folgenden Beispielen ist zuerst der Zeitpunkt des Ereignisses und dann die etablierte sowie die sie herausfordernde aufstrebende Macht und schließlich das Ergebnis ihres Wettstreits (Krieg/kein Krieg) genannt.[8]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Untersuchungen von Graham Allison, die die Thukydides-Falle unterstützen, wurden kritisiert. So focht der Politikwissenschaftler Joseph S. Nye von der Harvard University die Behauptung an, dass 12 der 16 historischen Fälle, in denen eine aufstrebende Macht mit einer herrschenden Macht rivalisierte, zu einem Krieg führten: In einigen Fällen seien andere Gründe entscheidend für den Ausbruch der Kriege gewesen.[9]

Die Politikwissenschaftler Hal Brands und Michael Beckley argumentierten ähnlich, dass in vielen der Fälle, die Allison mit der Thukydides-Falle identifiziert, nicht die drohende Überholung einer alten Hegemonialmacht kriegsauslösend gewesen sei, sondern vielmehr die aufstrebende Macht losschlug, als sich ihr schneller Aufstieg in Stagnation verwandelte.[10]

Auch Richard Hanania, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Columbia University, sah zwischen den USA und China keine Thukydides-Falle. Chinas Ambitionen seien in erster Linie auf die Bekämpfung interner Probleme beschränkt und daher keine bedeutende Bedrohung für die Interessen der USA.[11] Und der Autor James Palmer äußerte, dass einem 2000 Jahre alten Konflikt im antiken Griechenland die Aussagekraft für das 21. Jahrhundert fehle.[12]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Farah Mohammed: Can the U.S. and China Avoid the Thucydides Trap? 5. November 2018, abgerufen am 16. April 2022 (amerikanisches Englisch).
  2. Christoph Kühne: USA-China-Konflikt: Krieg zwischen Washington und Peking unvermeidlich? Das lehrt uns die Geschichte. Abgerufen am 20. August 2022.
  3. Bierling, Stephen: Die Thukydides-Falle. In: NZZ. Abgerufen am 16. April 2022.
  4. Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges. dtv, München 1976, ISBN 3-423-02258-2, S. 37 (I, 23).
  5. Gideon Rachman: Year in a Word: Thucydides’s trap. In: Financial Times. 19. Dezember 2018 (ft.com [abgerufen am 16. April 2022]).
  6. China needs patience to achieve a peaceful rise. In: South China Morning Post. 7. Februar 2014, abgerufen am 16. April 2022 (englisch).
  7. Allison, Graham (2017). Destined for War: Can America and China Escape Thucydides's Trap?. New York: Houghton Mifflin Harcourt. ISBN 978-1328915382.
  8. Case File. Abgerufen am 16. April 2022 (englisch).
  9. The Kindleberger Trap. Abgerufen am 16. April 2022 (englisch).
  10. Hal Brands, Michael Beckley: China Is a Declining Power – and That’s the Problem. In: Foreign Policy. Abgerufen am 16. April 2022 (amerikanisches Englisch).
  11. Hanania, Richard: There Is No Thucydides Trap Between the U.S. and China. In: Real Clear Defense. Abgerufen am 16. April 2022.
  12. James Palmer: Oh God, Not the Peloponnesian War Again. In: Foreign Policy. Abgerufen am 16. April 2022 (amerikanisches Englisch).