Trinke, Liebchen, trinke schnell

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das CoupletTrinke, Liebchen, trinke schnell“, das Gesangslehrer Alfred im 14. Auftritt des 1. Akts der 1874 in Wien uraufgeführten Operette Die Fledermaus von Johann Strauss (Sohn) anstimmt, wurde zusammen mit dieser weltbekannt. Vor allem gilt dies für den Refrain, in den das angesprochene „Liebchen“ Rosalinde von Eisenstein begeistert mit einstimmt:

„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!“[1]

Allerdings galt dieser Reim im deutschen Sprachraum schon vorher als Sprichwort oder Geflügeltes Wort. Man findet ihn in Wanders Deutsches Sprichwörter-Lexikon Band 1, Leipzig 1867[2] mit allerlei Quellenangaben, darunter Karl Simrocks Die deutschen Sprichwörter von 1846[3] und das lateinische „Feras, non culpes, quod vitari non potest“ (Ertrage, nicht beklage, was du nicht ändern kannst) aus den Sententiae des Publilius Syrus.

„Ich denke wie jener weise Mann: ‚Glücklich ist, wer vergißt // Das, was nicht zu ändern ist‘“, heißt es sogar in Meister Johann Strauß und seine Zeitgenossen, Komischer Roman von Eduard Maria Oettinger, Vierter Theil, der 1862 in Berlin erschienen war.[4] Diese Verse, schreibt Georg Büchmann in Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des deutschen Volkes, Berlin 1872, seien schon mit dem Datum „Jena, den 12. September 1753“ in einem im Besitz des oldenburgischen Justizrats Strackerjahn befindlichen Stammbuch eines gewissen Daelhausen eingetragen, der in den Jahren 1751 bis 1753 in Jena studiert habe. Sie müssten "so recht nach dem Herzen des Volkes" sein; denn sie hätten „in den verschiedenartigsten Volksliedern Unterkunft gefunden“, auch einem aus dem 18. Jahrhundert stammenden.[5] Daelhausens Stammbuch soll mittlerweile zum Bestand im Museum Angewandte Kunst (Frankfurt am Main) gehören.[6] Das Manuskript eines Vortrags von Ludwig Strackerjan betr. das Stammbuch des Studenten Anton Wilhelm Daelhausen, Oldenburgensis J.U.C.[7] soll sich im Niedersächsischen Landesarchiv Oldenburg befinden.[8]

Im Stammbuch des Lorenz Schüpfel[9] aus Altdorf bei Nürnberg, das die Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg bewahrt, hat sich mit „Glücklich ist wer vergißt was nicht mehr zu ändern ist“ und dem Datum „Altorf: d 19 Sept 1784“ der „Med. et Chir. Doct.“ And[reas] Roesslein aus Moskau verewigt.[10]

„Aus gleicher Gefühlslage“, nämlich der römischrechtlichen damnatio memoriae, die sich „im übertragenen Sinne seit der Französischen Revolution vielfältig wiederholt“ habe, befand 1979 der Historiker Manfred P. Fleischer, „erklang wohl im Herbst des Mittelalters der Wahlspruch Kaiser Friedrichs III. (1440–1493), Rerum irrecuperabilium felix oblivio, wie am Ende der Neuzeit der geflügelte Gesang aus der ‚Fledermaus‘ (1874): ‚Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist.‘“[11] Wort für Wort dieselbe Verdeutschung hatte 1764 Adam Friedrich Kirschs lateinisch-deutsches Wörterbuch Abundantissimum Cornucopiae Linguae latinae et germanicae selectum unter dem Stichwort „Oblivio“ präsentiert: „Corn. Nep. Irreparabilium felix oblivio rerum, glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist.“[12] Demgegenüber hatte sich 1720 Hrn. Burcard Gotthelff Struvens »Erläuterte Teutsche Reichs-Historie«, Ins Teutsche übersetzt Von P. Z. V. N. für die Variante „Summa felicitas est, rerum irrecuperabilium obliuio: Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist“ entschieden,[13] wovon sich die Verdeutschung ebenfalls Wort für Wort in der „Fledermaus“ wiederfindet.

Einzelnachweise und Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Libretto von Karl Haffner und Richard Genée; 1. Akt, 14. Auftritt, Nr. 5 Finale: Trinklied, bei zeno.org; Variante im 1. Akt, 15. Auftritt: „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist!“ zeno.org. Siehe auch Clavierauszug für Gesang und Piano arrang. von Richard Genée, Friedrich Schreiber Wien, o. J. [1874], Pl. Nr. F.S. 23.422, S. 42 ff., S. 43 mit der Wiederholung „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist, glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist.“
  2. Wander 1867, Stichwort Glücklich Nr. 22, zeno.org
  3. Simrock 1846, S. 175 books.google Nr. 3815
  4. Oettinger 1862, S. 113 books.google
  5. Georg Büchmann: Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des deutschen Volkes, Siebente verbesserte und vermehrte Auflage, Berlin 1872, S. 78 books.google
  6. Katalog von Musik- und Tanzdarstellungen Répertoire International d'Iconographie Musicale, ridim-deutschland.de; Verzeichnis von Stammbüchern und Stammbuchfragmenten Repertorium Alborum Amicorum, raa.gf-franken.de
  7. J.U.C. = Juris Utriusque Candidatus, Kandidat beider Rechte, des weltlichen und des Kirchenrechts, vgl. Doktor beider Rechte
  8. arcinsys.niedersachsen.de
  9. Lorenz Schüpfel (1716–1789), Buchhändler und Verleger (Officina Schupfeliana)
  10. nbn-resolving.org Bl. 23r And:Roesslein; eine Seite davor der Eintrag seines Bruders „Friedrich Rösslein aus Moscau in Rußland“ vom selben Tag: „Die Wahrheit stürzt den Bau den eitler Wahn erhält“ [ Albrecht von Haller, zeno.org ]. Andreas Roesslein, geboren zu Moskau, hatte am 26. September 1783 in Straßburg die Dissertatio Inauguralis Anatomico-Physiologica De Differentiis Inter Foetum Et Adultum Sect. 1 verteidigt; Sect. 2 wurde am folgenden Tag von seinem Bruder Friedrich verteidigt. Einer der beiden soll 1808 Collegienrath und Generalmedicus der fernöstlichen Provinz Jakutsk geworden sein, Adolph Callisen: Medicinisches Schriftsteller-Lexicon der jetzt lebenden Aerzte ..., Band 16, Copenhagen 1833, S. 257, und S. 279. Alle vier Söhne des Stabsarztes Röslein, Johann, Alexander, Friedrich und Andreas sollen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Russland als Ärzte tätig gewesen sein, [1], [2].
    Norbert Linke: Glücklich ist, wer vergisst, was faktisch belegbar ist? Untersuchung zur Herkunft eines bekannten geflügelten Wortes. In: Deutsche Johann Strauss Gesellschaft (Hrsg.): Neues Leben – Das Magazin für Strauss-Liebhaber und Freunde der Wiener Operette, Heft 54 (2017, Nr. 1), S. 45–53, S. 48, liest in der Reproduktion dieser Stammbuchseite 23r bei http://philobar.blogspot.com/2009/06/ statt 1784 falsch 1774, statt Zum Gedenken gewidmet falsch Zum Gedenken geändert, statt And:Roesslein. Moskau. Russus falsch Stud. Koestlin Mosel(l)a … (?) und statt Med. et Chir. Doct. falsch Med. etc. Cher Doct. Angesichts dessen ist Linkes Ansicht, bei Stud. Koestlin könne es sich um Karl Heinrich Köstlin (1755–1783) handeln, ebenso belanglos wie die, Altorf bezeichne nicht Altdorf bei Nürnberg, den Wohn- und Geschäftssitz des Albumhalters Schüpfel, sondern das elsässische Altorf.
    Vgl. Wikipedia:Auskunft/Archiv/2019/Woche 27#Deutsche Handschrift von 1784
  11. Manfred P. Fleischer: Hans-Joachim Schoeps als preußischer Geschichtsschreiber. Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Band 31, No. 1 (1979), S. 12 und Fn. 18; auch in Hans-Joachim Schoeps: Unbewältigte Geschichte (Gesammelte Schriften Teil 3, Band 10), G. Olms 2001, S. 11 books.google.de
  12. Abundantissimum Cornucopiae Linguae latinae et germanicae selectum, Regensburg und Wien 1764, S. 805 books.google
  13. Hrn. Burcard Gotthelff Struvens, Hochfürstl. Sächsis. Ernestinischer Linie gesamten Raths, [...] Erläuterte Teutsche Reichs-Historie : Von der Teutschen Ursprunge an, biß auff jetzige Zeiten; Aus den bewehrtesten und besten Scribenten zusam̄en getragen, und mit derer angeführten Beweißthümern jedes Orths bestärcket / Hiebevor in Lateinischer Sprache heraus gegeben, Anjetzo aber zu bequemern Gebrauch Ins Teutsche übersetzt, Von P. Z. V. N. / Jena bei Johann Felix Bielcke 1720. S. 658 books.google