Vermisstenfall Madeleine McCann

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Das britische Mädchen Madeleine Beth McCann, in den Medien oft Maddie genannt (* 12. Mai 2003 in Leicester), verschwand am 3. Mai 2007 aus einer Ferienwohnung im portugiesischen Praia da Luz. Sie wurde mutmaßlich entführt und wird seitdem vermisst. Die portugiesische Polizei stellte die Ermittlungen nach 14 Monaten ein, nahm sie jedoch fünf Jahre später wieder auf. Die britische Polizei eröffnete 2011 eigene Ermittlungen. Der Fall wurde durch die weitreichenden Suchaktivitäten ihrer Eltern Kate und Gerald McCann und das anhaltende internationale Medienecho bekannt.

Seit Juni 2020 wird der Deutsche Christian B. als mutmaßlicher Entführer des Mädchens verdächtigt. Im September 2020 erklärte der Staatsanwalt Hans Christian Wolters, der gegen B. ermittelt, er habe Beweise für Madeleine McCanns Tod. Seit April 2022 führen die deutsche und portugiesische Polizei B. als Beschuldigten. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig erhob Anklage gegen B. wegen fünf anderer Sexualstraftaten – dreifacher Vergewaltigung und zweifachem Kindesmissbrauchs. Das Landgericht Braunschweig erließ daraufhin, während B. eine andere Haftstrafe verbüßte, einen Haftbefehl, den es aber 2023 wegen Unzuständigkeit des Gerichts zurückzog.

Umstände des Verschwindens[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kate und Gerald McCann, ein in Rothley in der mittelenglischen Grafschaft Leicestershire wohnhaftes Ärztepaar, waren im April/Mai 2007 mit ihrer knapp vierjährigen Tochter Madeleine und ihren zweijährigen Zwillingen im Urlaub in der portugiesischen Küstenregion Algarve und wohnten im Appartement 5a in der Ferienanlage Ocean Club in Praia da Luz.

Am Abend des 3. Mai 2007 aßen die Eltern mit drei befreundeten Paaren und einer begleitenden Mutter in einem Restaurant in ihrer Ferienanlage. Die vier Paare hatten die Reise gemeinsam organisiert und alle kleine Kinder, die in den von den Familien genutzten Ferienwohnungen schliefen. Nach den Aussagen der Paare sah je ein Elternteil abwechselnd jede halbe Stunde nach drei der Kinder; das vierte Paar habe ein Babyphone verwendet, um etwaige Geräusche von ihren Kindern zu hören. Die Kinder der McCanns und eines weiteren der Paare befanden sich in benachbarten Wohnungen in einem Eckgebäude der Anlage rund 50 Meter vom Restaurant entfernt.

Um 22:00 Uhr habe Kate McCann das Verschwinden von Madeleine bemerkt. Ein zuvor geschlossenes Appartementfenster sei nun offen gewesen. Mit diesen Angaben informierten sie die portugiesische Polizei.[1]

Erste Ermittlungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Praia da Luz (2015)

Vom 3. bis 11. Mai 2007 durchsuchten hunderte Polizeibeamte, die Feuerwehr und freiwillige Helfer die Ferienanlage und deren nähere Umgebung. Nach Angaben des regionalen Polizeidirektors begann die Suche innerhalb von 30 Minuten nach der Vermisstenmeldung der Eltern. Man habe sofort die Behörden an Flughäfen und Grenzübergängen nach Spanien alarmiert.[2]

Anfangs vermuteten die Ermittler, das Mädchen sei entführt worden, etwa für einen internationalen Pädophilenring oder für eine kriminelle Organisation, die Kinder zur Adoption ins Ausland verkauft. Mehrere Briten wurden in Portugal vorübergehend als Verdächtige festgenommen.[3] Die Eltern wurden als Zeugen befragt. Ein Kellner des Restaurants widersprach ihrer Angabe, sie hätten alle 30 Minuten nach den Kindern geschaut.[4]

Jane Tanner, eine Freundin der McCanns, sagte aus, sie habe am 3. Mai gegen 21:30 Uhr einen Mann gesehen, der vom Appartement kommend mit einem in Decken gehüllten Bündel – nach späterer Aussage mit einem in einen rosafarbenen Schlafanzug gekleideten Kind – davongeeilt sei.[5] Sie beschrieb den Verdächtigen als etwa 35 bis 40 Jahre alt, hellhäutig, etwa 170 cm groß, mit kurzem, im Nacken langen Haar, der eine dunkle Jacke, dunkle Schuhe und eine beige Hose getragen habe. Erst am 24. Mai 2007, auf Druck des neugewählten britischen Premierministers Gordon Brown, gaben die portugiesischen Ermittler ihre Beschreibung bekannt. Die McCanns hatten erwogen, die Bekanntgabe juristisch zu erzwingen.[6]

Das Ehepaar Smith sagte im Mai 2007 gegenüber Portugals Polizei aus, sie seien am Tatabend einem Mann begegnet, der gegen 22:00 Uhr ein Kind in Richtung Strand getragen habe.[7] 2008 ergänzte Martin Smith, es könnte sich bei dem Mann um Gerald McCann selbst gehandelt haben.[8] Nach seiner Aussage wurden Phantombilder erstellt, aber erst 2013 veröffentlicht. Zuvor war der Mann, den Jane Tanner gesehen hatte, als Tourist identifiziert worden, der sein eigenes Kind nach Hause getragen hatte.[9]

Internationale Suchkampagne[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anteilnahme in Rothley (2007)

Am 4. Mai 2007 baten Kate und Gerald McCann im britischen Fernsehen die mutmaßlichen Entführer, ihre Tochter freizulassen, und die Bevölkerung, die Suche nach ihr zu unterstützen. Dieses Gesuch fand auf internationaler Ebene großes Gehör. Britische Zeitungen veröffentlichten eine Fotografie von Madeleine auf ihren Titelseiten. Auch Prominente wie Cristiano Ronaldo und David Beckham unterstützten den Appell. Diese Medienkampagne hatte John McCann, ein Onkel Madeleines, organisiert. Kurz darauf stellte Großbritanniens Regierung den McCanns den Beamten Clarence Mitchell als Medienberater und Kampagnenmanager zur Verfügung. Gerald McCann versuchte mit der Website Find Madeleine Hinweise zu sammeln und die Öffentlichkeit über den Fortgang der Ermittlungen zu informieren.[10]

Am 11. Mai 2007, nachdem die portugiesische Polizei die Suche in Praia da Luz eingestellt hatte, setzte ein schottischer Geschäftsmann rund 1,5 Millionen Euro für Hinweise aus, die zur Auffindung Madeleines führen würden. Er ging wie die internationale Presse von einer Entführung aus.[4] Prominente wie Wayne Rooney, David Beckham und Joanne K. Rowling erhöhten die Belohnung auf mehrere Millionen Euro.[1] Viele Großunternehmen hängten Madeleine McCanns Fotografie in ihren Verkaufsstellen aus; Sportler wiesen mit gelben Binden auf den Fall hin. Wegen dessen starker Medienpräsenz erhielten die Behörden tausende Hinweise, die aber zu keinen Ermittlungserfolgen führten. Trittbrettfahrer sammelten angeblich für die Suche bestimmte Spenden[11] oder versuchten, den Eltern angebliche Hinweise auf den Verbleib Madeleines für hohe Geldsummen zu verkaufen.[12]

Am 30. Mai 2007 begann das Ehepaar McCann eine Reise durch Italien, Deutschland, die Niederlande, Spanien und Marokko, um die dortige Bevölkerung an der Suche nach ihrer Tochter zu beteiligen und um Freigabe von Urlaubsfotos in und bei der Ferienanlage Praia da Luz zu bitten, um so mögliche Verdächtige zu identifizieren. Zu Beginn nahmen sie als römische Katholiken an einer Generalaudienz beim damaligen Papst Benedikt XVI. in Rom teil. Dieser segnete die Eltern und eine Fotografie des verschwundenen Mädchens.[13]

Ab Juni 2007 stieß die internationale Suchkampagne der Eltern auch auf Kritik: Das Ausmaß dieser Bemühung sei ungewöhnlich und für Eltern entführter Kinder atypisch.[14] Die monatelange Medienpräsenz des Falls forderte auch satirische Reaktionen heraus.[15]

Bis Ende 2007 gaben Zeugen mindestens viermal an, sie hätten Madeleine gesehen. Sie verwiesen auf Orte in Portugal, Malta, Marokko und Belgien. Polizeiliche Nachforschungen, teilweise mit Phantombildern, ergaben nichts.[16]

Verdacht gegen die Eltern[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anfang August 2007 fanden die portugiesischen Ermittler mit auf Leichengeruch trainierten Spürhunden Reste beseitigter Blutspuren in der Ferienwohnung.[17] Daraufhin vermuteten sie, Madeleine sei am 3. Mai dort gestorben und ihre Leiche sei zwei bis vier Stunden später aus der Wohnung entfernt worden. Bis dahin galt der Brite Robert M., der nahe der Anlage wohnte, als Hauptverdächtiger. Sein Anwesen wurde nochmals durchsucht, jedoch ergebnislos.[18] Am 12. August erklärte die portugiesische Polizei, die Indizien für Madeleines Tod seien etwas stärker als andere Indizien; man ermittle jedoch weiter in alle Richtungen und verdächtige die Eltern nicht.[19]

Später gab die Polizei an, sie habe in einem Leihwagen, den Kate McCann am 28. Mai 2007 gemietet hatte, weitere Blutspuren gefunden.[20] Daraufhin wurden die Eltern am 7. und 8. September 2007 nochmals vernommen und danach zu Verdächtigen erklärt, die nach portugiesischem Recht intensiver als zuvor befragt werden dürfen.[21] Nach einem später veröffentlichten Transkript ihres Verhörs soll Kate McCann keine der 48 an sie gerichteten Fragen beantwortet haben.[22]

Nach ihrer Rückkehr nach Großbritannien am 10. September 2007 beschuldigten die McCanns die portugiesischen Ermittler, sie hätten Madeleines Mutter zu der Aussage bewegen wollen, sie habe ihre Tochter versehentlich getötet und die Leiche später in ihrem Leihwagen beseitigt.[23] Der portugiesische Chefermittler Gonçalo Amaral dagegen kritisierte im Oktober 2007 die britischen Ermittler: Sie hätten sich die Entführungsthese der Eltern zu eigen gemacht und nur in dieser Richtung ermittelt. Dazu stützte er sich auf die unveröffentlichte Zusatzaussage von Martin Smith. Daraufhin wurde er aus seinem Amt entlassen.[24]

Sein Nachfolger Alípio Ribeiro gab sein Amt im Mai 2008 ab. Am 21. Juli 2008 stellte die portugiesische Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein und stufte die McCanns wie auch Robert M. nicht mehr als Verdächtige ein.[25] Ribeiro fand diese Entscheidung verfrüht. Am 24. Juli 2008 veröffentlichte Amaral das Buch A Verdade da Mentira („Die Wahrheit der Lüge“). Darin vermutete er, Madeleine sei durch einen „tragischen Unfall“ gestorben. Ihre Eltern hätten „eine Entführung vorgetäuscht“ und später die Leiche verschwinden lassen.[26] Das Ehepaar McCann verklagte ihn daraufhin wegen Verleumdung und stoppte den Verkauf seines Buchs in Portugal vorläufig mit einer einstweiligen Verfügung.[27]

Im März 2008 entschuldigten sich mehrere britische Boulevardzeitungen bei der Familie McCann für Berichte, die ihnen eine Mitschuld am Verschwinden und Tod Madeleines gegeben hatten. Den Eltern wurden hohe Geldsummen als Entschädigung zugesprochen, die sie ausschließlich für die weitere Suche nach Madeleine einsetzen wollten.[28] Am 4. August 2008 veröffentlichte Portugals Polizei einige Ermittlungsakten zu dem Fall. Danach konnten britische Forensiker die Blutspuren im Leihwagen der Mutter nicht eindeutig Madeleine zuordnen und darum nicht als Beweis für eine Mitschuld der Eltern werten.[16]

2009 und 2015 verboten zwei portugiesische Gerichtsinstanzen dem ehemaligen Polizeichef Amaral den Verkauf seines Buchs in Portugal und sprachen den McCanns eine Entschädigung zu.[29] 2010 und 2016 hoben zwei Appellationsgerichte diese Verbote wieder auf, weil sie Amarals Thesen als von der Meinungsfreiheit gedeckt ansahen. Die McCanns hielten an ihrer Verleumdungsklage fest und betonten, es gehe ihnen dabei um die weitere Finanzierung der Suche.[30] Im Februar 2017 wies das Oberste Gericht Portugals ihren Schadensersatzanspruch endgültig zurück.[31]

In ihrem Aufsatz Profile of the Disappearance of Madeleine McCann (2011) stellte die US-amerikanische Fallanalytikerin Pat Brown einen Unfalltod des Mädchens und eine nachfolgende Vertuschung durch die Eltern als wahrscheinlich dar. Die McCanns ließen den Vertrieb des Buches über Amazon unterbinden. Einige Verlage, darunter Barnes and Noble, hielten den Vertrieb aufrecht.[32] Im April 2017 behauptete Pat Brown in einem Blog, die McCanns hätten die Aussage des Ehepaars Smith verschwiegen. Das sei nur erklärlich, wenn sie am Verschwinden ihrer Tochter beteiligt gewesen seien, und sei der stärkste Hinweis auf den Tod ihrer Tochter und dessen folgende Vertuschung. Einige Wochen später äußerte Pat Brown in einem Interview für eine Fernsehdokumentation über die McCanns: „Sie lügen und verdecken Schuld.“ Sie verwies auf Fälle, wo Eltern ihr Kind vernachlässigten oder missbrauchten und diese Verbrechen dann verdeckten, indem sie die Kindesleiche zu beseitigen versuchten und ihr Kind als vermisst und entführt meldeten. In der Sendung behauptete der ehemalige Polizeichef Amaral, britische Agenten und der frühere britische Premierminister Gordon Brown seien daran beteiligt gewesen, Tod und Verschwinden von Madeleine McCann zu verdecken. Ein Professor spekulierte, das Kind könne von einem Fahrzeug überrollt und dann vom Fahrer in einem der 600 Brunnen des Ferienparks versenkt worden sein. Nach der Ausstrahlung des Interviews verklagte Pat Brown den Fernsehsender: Sie habe bloß von einer Möglichkeit gesprochen, die aber als Tatsachenbehauptung dargestellt worden sei, um ihre Reputation zu zerstören. Die McCanns appellierten an die Produzenten, alle für sie verfügbaren glaubwürdigen Hinweise sofort der Polizei zu übergeben.[33]

Neue Ermittlungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Mai 2009 veröffentlichten britische Medien von Forensikexperten erstellte Bilder mit dem vermuteten aktuellen Aussehen Madeleine McCanns.[34] Am 25. April 2012 veröffentlichte die britische Polizei erneut solche Bilder und erklärte, es gebe neue Hinweise darauf, dass Madeleine noch am Leben sei.[35] Auch Interpol gab ein dem damaligen Alter des Mädchens angepasstes Suchbild heraus.[36]

Am 12. Mai 2011 beschloss der britische Metropolitan Police Service auf Antrag von Premierminister David Cameron eine neue Ermittlung zum Fall Madeleine (Operation Grange).[37] Bis Juli 2013 prüfte das Expertenteam etwa 30.500 Ermittlungsakten und identifizierte anhand von 3.800 Spurenhinweisen 38 mögliche Verdächtige in fünf Staaten. Diesen Verdachtsfällen wollten die Ermittler zusammen mit den Behörden dieser Staaten nachgehen; Festnahmen seien vorläufig nicht zu erwarten.[38]

Im Oktober 2013 gab ein Zeuge an, er habe Maddie McCann vor kurzer Zeit lebend auf einer nicht näher genannten Mittelmeerinsel gesehen; das Mädchen sei ihm dort vorgestellt worden.[39] Am 14. Oktober 2013 präsentierte Scotland Yard in der BBC-Sendung Crimewatch neue Spuren zu dem Fall,[7] darunter erstmals zwei Phantombilder jenes verdächtigen Mannes, die 2008 nach den Aussagen des Ehepaars Smith erstellt worden waren. Danach war es ein weißer Mann mit kurzem braunen Haar, zwischen 20 und 40 Jahre alt. Die Ermittler boten eine Belohnung von bis zu 20.000 Pfund Sterling für Informationen, die zu seiner Identifizierung führen würden. Daraufhin meldeten sich etwa 1.000 Zeugen. Martin Smith warf der portugiesischen Polizei vor, sie habe seine Aussage vom 3. Mai 2007 nicht ernst genommen und sei fast nur der Aussage von Jane Tanner nachgegangen.[9]

Die Fahnder präsentierten zudem Phantombilder von zwei blonden Männern, die nach Zeugenaussagen das Appartement der McCanns am Tag vor Maddies Verschwinden beobachtet und Niederländisch oder Deutsch gesprochen haben sollen. Am 15. Oktober 2013 wurden die Phantombilder und der Zeugenaufruf in der niederländischen Fernsehsendung Opsporing Verzocht, am 16. Oktober in der deutschen Fernsehsendung Aktenzeichen XY … ungelöst ausgestrahlt.[40] Daraufhin nahm auch die portugiesische Polizei die Ermittlungen wieder auf und fand neue Verdächtige und Zeugen. Bis 2017 hat der Fall insgesamt elf Millionen Pfund gekostet.[41]

2015 erklärten die McCanns, sie glaubten weiterhin, dass ihre Tochter am Leben sei; sie würden die Suche nach ihr intensiv fortsetzen.[42] Im Juni 2015 führte Kate McCann eine 800 Kilometer lange Fahrradtour von Edinburgh nach London an, um Spenden für die britische Vermisstenorganisation Missing People zu sammeln.[43]

Ermittlungen gegen Tatverdächtige seit Juni 2020[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anfang Juni 2020 gab die Staatsanwaltschaft Braunschweig bekannt, dass sie wegen Verdachts des Mordes[44] gegen einen 43-jährigen Deutschen in dem Fall ermittelt. Es handele sich um einen wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraften Mann,[45] der wegen einer Sexualstraftat und Rauschgifthandels eine längere Haftstrafe verbüßt.[46] Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt, weil der Beschuldigte vor seinem Auslandsaufenthalt seinen letzten Wohnsitz in deren Bezirk hatte.[47] Medienberichten zufolge erfuhr der Verdächtige 2013 durch einen Ermittlungsfehler der Braunschweiger Polizei, dass man ihn mit dem Fall in Verbindung gebracht hatte: Er bekam eine Vorladung zur Vernehmung wegen der „Vermisstensache Madeleine McCann“ und „Personenüberprüfung des Christian B.“.[48]

Der Verdächtige war zwischen 1995 und 2007 regelmäßig mit einem Campingbus an der Algarve unterwegs. Seinen Lebensunterhalt bestritt er durch Arbeit in der Gastronomie, außerdem durch Drogenhandel, Diebstähle sowie Einbrüche in Hotels und Ferienwohnungen.[49] Zum Zeitpunkt von Madeleines Verschwinden hielt er sich in der Region Praia da Luz auf. Es konnte nachgewiesen werden, dass er an diesem Abend einen Telefonanruf von einer portugiesischen Nummer erhielt und etwa eine halbe Stunde telefonierte. Außerdem ließ er am nächsten Tag seinen Jaguar XJR6, Baujahr 1993, auf eine andere Person ummelden. Die Polizei konzentrierte sich auf die Ermittlung des unbekannten Gesprächspartners, dessen Telefonnummer bekannt war.[50]

Angesichts des neuen Ermittlungsstandes war der Fall am 3. Juni 2020 erneut Thema in der Fernsehsendung Aktenzeichen XY … ungelöst, in der nach Zeugen gesucht wurde.[51] Der Tatverdächtige wird von den Strafverteidigern Johann Schwenn und Friedrich Fülscher verteidigt.[52]

Im Februar 2022 veröffentlichte der TV-Sender Sat1 eine Dokumentation einer Reporterin über Christian B. Diese gibt Hinweise darauf, dass das Telefon des Verdächtigen zum Zeitpunkt des Verschwindens nur fünf Minuten entfernt in das Funknetz eingeloggt war.[53]

Im Oktober 2022 erhob die Braunschweiger Staatsanwaltschaft Anklage gegen B. wegen fünf weiterer, mutmaßlich von ihm zwischen 2000 und 2017 in Portugal begangener Sexualstraftaten: drei schwerer Vergewaltigungen und zweifachem schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern. Das Landgericht Braunschweig erließ daraufhin im November 2022 einen zusätzlichen Haftbefehl, während B. in Niedersachsen eine siebenjährige Freiheitsstrafe wegen einer 2005 in Portugal begangenen Vergewaltigung verbüßte.[54][55][56][57] Im Jahr 2023 erklärte sich das Landgericht in Braunschweig für nicht zuständig und zog den zusätzlichen Haftbefehl zurück.[57][58] Die Staatsanwaltschaft Braunschweig legte gegen die Entscheidung des Landgerichts Berufung ein.[54][59] Der Fall Maddie bleibe jedenfalls, so das Landgericht Braunschweig, vorerst in Niedersachsen.[54]

Im Mai 2023 führten Ermittler eine dreitägige Spurensuche nahe der Talsperre Arade durch. Zuvor hatte B. den Stausee Arade als sein „kleines Paradies“ bezeichnet. Bei der Suche wurden Proben entnommen, die in Deutschland analysiert werden sollen.[60][61] Ende Juni 2023 gab Hauptbelastungszeuge Helge B., der Scotland Yard auf B. aufmerksam gemacht hatte, erstmals ein öffentliches Interview.[62]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gonçalo Amaral: Maddie. Die Wahrheit über die Lüge. Argo, Marktoberdorf 2009, ISBN 978-3-937987-79-8.
  • Pat Brown: Profile of the Disappearance of Madeleine McCann. Barnes & Noble, New York 2011 (Buchauszug online).
  • Danny Collins: Vanished. The Truth About the Disappearance of Madeleine McCann. Blake Publishing, London 2008, ISBN 978-1-84454-614-5.
  • Kate McCann: Madeleine. Das Verschwinden unserer Tochter und die lange Suche nach ihr. Bastei Lübbe, Köln 2011, ISBN 978-3-7857-2443-9.[63]
  • McCann Family Forum (Hrsg.): The Madeleine Investigation. Incompetence or Corruption? Authorhouse, Bloomington 2009.
  • Daniela Prousa: Analyse des Vermisstenfalles Madeleine McCann. Verlag für Wissenschaft und Kultur, Duisburg/Köln 2010, ISBN 978-3-86553-353-1.
  • Anthony Summers & Robbyn Swan, Looking for Madeleine, London: Headline Publishing Group. 2014.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Madeleine McCann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Madeleines verzweifelte Eltern: Hoffen, beten, warten. Der Spiegel, 14. Mai 2007.
  2. British toddler abducted, police believe. Guardian, 5. Mai 2007; Police reveal suspect as hunt for three-year-old Madeleine widens. Guardian, 6. Mai 2007.
  3. Entführte Madeleine: Portugals Polizei unter Druck. Spiegel online, 10. Mai 2007.
  4. a b Fall Madeleine: 1,5 Millionen Euro Belohnung ausgesetzt. Spiegel online, 11. Mai 2007.
  5. Schweigen heißt Vergessen. In: Die Welt, 6. Juni 2007.
  6. Guilt will never leave us, say Madeleine’s parents. Guardian, 26. Mai 2007.
  7. a b Irish couple key witnesses as British police launch new enquiry. Irish Central, 14. Oktober 2013.
  8. P.J. POLICE FILES: MARTIN SMITH & FAMILY STATEMENTS. Abgerufen am 18. Februar 2023.
  9. a b Madeleine McCann: Key witness accuses Portuguese police of not taking his vital prime suspect evidence seriously. Mirror, 16. Oktober 2013.
  10. Eltern von Madeleine suchen Trost beim Papst. In: Die Welt, 31. Mai 2007.
  11. Kindesentführung: Wie mit dem Fall Maddie im Internet Kasse gemacht wird. Der Spiegel, 19. Mai 2007.
  12. Polizei nimmt Trittbrettfahrer im Fall Madeleine fest. Welt Online, 6. Juni 2007.
  13. Vatikan: Segen für Eltern Madeleines. (Memento vom 26. September 2007 im Internet Archive) Radio Vatikan, 30. Mai 2007.
  14. Verzweifelter Appell von Madeleines Eltern. Welt Online, 6. Juni 2007.
  15. Titanic-Magazin: Satire mit Madeleine. Der Stern, 1. November 2007.
  16. a b Timeline: Madeleine McCann. The Guardian, 22. Mai 2009.
  17. Wurde Maddie noch im Hotelzimmer ermordet? Welt Online, 5. August 2007.
  18. Blutspuren im Hotelzimmer von Madeleine. Welt Online, 7. August 2007.
  19. Polizei hegt keinen Verdacht gegen Madeleines Eltern. Welt Online, 12. August 2007.
  20. Angeblich Blut im Leihwagen der McCanns. Welt Online, 7. September 2007.
  21. Maddies Mutter zur Verdächtigen erklärt. Welt Online, 7. September 2007; Jetzt steht auch Madeleines Vater unter Verdacht. Welt Online, 8. September 2007.
  22. Caroline Gammell: Madeleine McCann: Kate McCann refused to answer 48 questions from Portuguese police. The Telegraph, 4. August 2008.
  23. Madeleines Eltern kehren nach England zurück. In: Die Welt, 10. September 2007.
  24. Detective leading hunt for Madeleine sacked after blast at UK police. Guardian, 3. Oktober 2007.
  25. Fall Madeleine zu den Akten gelegt. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 21. Juli 2008.
  26. Leo Wieland: Neues Buch zum Madeleine-Fall: „Die Eltern haben die tote Maddie versteckt“. FAZ, 24. Juli 2008.
  27. Entführte Maddie: „Die Wahrheit der Lüge“. Süddeutsche Zeitung (SZ), 12. Januar 2010.
  28. Owen Gibson: Express Newspapers forced to apologise to McCann family over Madeleine allegations. Guardian, 19. März 2008.
  29. Judge bans sales of Madeleine McCann book. Guardian, 9. September 2009; Madeleine McCann’s parents win libel damages in trial of police chief. Guardian, 28. April 2015.
  30. Madeleine McCann book ban overturned by Portuguese court. Guardian, 19. Oktober 2010; Libel conviction of ex-detective in Madeleine McCann case overturned. Guardian, 20. April 2016.
  31. Eltern verlieren Schadensersatzprozess in Portugal. Spiegel Online, 1. Februar 2017.
  32. Joana Moraiz: Amazon banned Criminal Profiler Pat Brown’s book on the Madeleine McCann case. 25. Juli 2011 (Nachdruck online)
  33. James Dunn: US crime expert who told a TV documentary Madeleine McCann’s parents may have hidden her body plans to sue the program for 'purposely destroying her reputation'. Daily Mail, 24. April 2017
  34. Madeleine McCann aged 6: New picture of how missing Maddy looks now. Mirror, 2. Mai 2009.
  35. Großbritannien: Vermisste Madeleine McCann lebt möglicherweise. Welt Online, 25. April 2012.
  36. McCann, Madeleine Beth (Memento vom 24. September 2015 im Internet Archive)
  37. Operation Grange. Metropolitan Police.
  38. Sandra Laville: Madeleine McCann: police target 38 potential suspects identified in Review. Guardian, 5. Juli 2013.
  39. Hoffnung im Fall Maddie: Scotland Yard hat „bedeutsame Erkenntnisse“. T-Online.de, 14. Oktober 2013.
  40. Carsten Volkery: Scotland Yard: Neue Spur im Fall Maddie führt nach Deutschland. Spiegel online, 15. Oktober 2013.
  41. Neue Spur im Fall der verschwundenen Madeleine McCann. SZ, 27. April 2017.
  42. Gabi Biesinger: Tag der vermissten Kinder: Maddie McCann − seit acht Jahren gesucht. Deutschlandfunk, 25. Mai 2015.
  43. Acht Jahre nach Maddies Verschwinden: Mutter gibt nicht auf. Merkur, 1. Mai 2015
  44. Presseinformation der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 3. Juni 2020: Ermittlungen im Fall Madeleine „Maddie“ McCann auf staatsanwaltschaft-braunschweig.niedersachsen.de (vom 4. Juni 2020)
  45. Verschwinden der Madeleine McCANN am 3. Mai 2007 in Praia da Luz / Portugal – Zeugen gesucht auf bka.de (vom 4. Juni 2020)
  46. Mordermittlungen gegen 43-jährigen Deutschen im Fall "Maddie". In: Der Spiegel. 3. Juni 2020, abgerufen am 3. Juni 2020.
  47. BKA: Ermittlungen im Fall Madeleine „Maddie“ McCann.. Presseportal des Bundeskriminalamts, 4. Juni 2020.
  48. Jörg Diehl, Thomas Heise, Roman Lehberger, Claas Meyer-Heuer: Deutsche Ermittlungsfehler im Fall Maddie: So erfuhr Christian B., dass die Polizei ihn im Blick hatte. In: Der Spiegel. Nr. 25, 2020 (online).
  49. Simone Salden, Lisa Duhm, Birte Bredow: Fall Madeleine McCann: Was über den Verdächtigen bekannt ist. In: Spiegel Online - Panorama. Abgerufen am 7. Juni 2020.
  50. Madeleine McCann: German prisoner identified as suspect. BBC News, 4. Juni 2020, abgerufen am 4. Juni 2020 (englisch).
  51. Fall Madeleine McCann: Deutscher unter Mordverdacht. In: zdf.de. 3. Juni 2020, abgerufen am 3. Juni 2020.
  52. Fall Maddie: Neue Anwälte für den Verdächtigen. In: Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 14. April 2021.
  53. Josef Seitz: „Er hat zwei Seiten“, „traue ihm das zu“: Bekannte packen über Maddie-Verdächtigen aus. Abgerufen am 4. Februar 2022.
  54. a b c Moritz Bletzinger: Wirbel um Verdächtigen im Fall „Maddie“: Staatsanwaltschaft legt Beschwerde bei Gericht ein. In: hna.de. 12. Mai 2023, abgerufen am 21. Mai 2023.
  55. Verdächtiger im Fall Madeleine McCann: Christian B. wegen weiterer Sexualstraftaten angeklagt. In: spiegel.de. 23. Oktober 2022, abgerufen am 21. Mai 2023.
  56. Verdächtiger im Fall Madeleine McCann Haftbefehl gegen Christian B. wegen weiterer Sexualstraftaten erlassen. In: spiegel.de. 28. November 2022, abgerufen am 21. Mai 2023.
  57. a b Carsten Janz: Gericht hebt Haftbefehl auf: Verdächtiger im Fall Maddie könnte bald freikommen. In: t-online.de. 4. Mai 2023, abgerufen am 21. Mai 2023.
  58. Landgericht Braunschweig erklärt sich in dem Verfahren 2 KLs 213 Js 52790/18 (15/22) (Vergewaltigung, sexueller Missbrauch) für unzuständig. Landgericht Braunschweig, 20. April 2023, abgerufen am 21. Mai 2023.
  59. Fall Madeleine McCann: Gerichte streiten um Zuständigkeit! Entkommt Verdächtiger Christian B. einem Prozess? In: news.de. 16. Mai 2023, abgerufen am 21. Mai 2023.
  60. Nick Parker, Felix Allen, Jon Rogers: Police leave mysterious holes after dam search for Madeleine McCann. In: The Daily Telegraph. 26. Mai 2023, abgerufen am 27. Mai 2023 (englisch).
  61. 'Material collected' in Madeleine McCann reservoir search to be sent to Germany for testing. In: Sky News. 25. Mai 2023, abgerufen am 27. Mai 2023 (englisch).
  62. Fall Maddie exklusiv. Der wichtigste Zeuge: In BILD spricht erstmals Helge B. In: bild.de. 30. Juni 2023, abgerufen am 1. Juli 2023.
  63. Buchrezensionen zu Madeleine. Das Verschwinden unserer Tochter und die lange Suche nach ihr: Spiegel; Tagesanzeiger.ch