WBS 70

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Erster WBS-70-Block der DDR in der Oststadt von Neubrandenburg; 1973 errichtet

WBS 70 steht für die Abkürzung Wohnungsbauserie 70.[1] Ursprünglich sollte die Abkürzung für Wohnungsbausystem 70 stehen, welches dann im zweiten Erzeugniskatalog nicht wieder verwendet wurde. Die 70 stand dabei für das Jahr 1970, in dem das Wohnungsbauprogramm bis 1990 stattfinden sollte. Es war ein in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) verwendeter Typenbau eines Wohnhauses in Plattenbauweise. Entwickelt wurde er Ende der 1960er Jahre im Erzeugnisgruppenverband aus verschiedenen Forschungen heraus zusammengefasst von der Deutschen Bauakademie und der Technischen Universität Dresden.

Gorbitzer Krug, Leutewitzer Ring 31–33 in Dresden, seit 2018 unter Denkmalschutz
WBS 70/11, Häuser in Berlin im Winter
WBS 70/11 in Berlin Prenzlauer Berg Nord

Deutsche Demokratische Republik (DDR)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf der 5. Baukonferenz des Zentralkomitees der SED und des Ministerrats der DDR wurde die Entwicklung eines „Einheitssystem Bau“ beschlossen. 1969 hatten Wilfried Stallknecht und Achim Felz eine Studie erstellt und entwickelten ab 1970 unter Nutzung der Erfahrungen mit den Typen P1, P2 und QP die Wohnbauserie 70.[2] Der „Typ P2“ erfüllte nicht die gewünschten Einsparungen. Für WBS 70 wurden weniger Bauteile, ein reduzierter Typenkatalog und einheitliche Bauweise für alle Wohnungsbaukombinate standardisiert.

In einem neu errichteten Plattenwerk des Wohnungsbaukombinates Neubrandenburg begann am 3. Juli 1972 ein Probelauf und am 7. Oktober 1972 die Produktion von Elementen der WBS 70. Ab 2. April 1973 begann die Montage des ersten Wohnhauses der WBS 70.[3] Im gleichen Jahr wurde der erste WBS-70-Block bezugsfertig. Im Wohnkomplex Leninallee/Ho-Chi-Minh-Straße in Berlin-Lichtenberg realisierte Heinz Mehlan 1973/1974 dann erstmals eine elfgeschossige Ausführung, den Wohnbautyp WBS 70-11.[4]

Anfangs wurden einheitliche Eckwerte für die Wohnungsbauserie festgelegt, um eine rationellere Fertigung von Wohnhäusern zu erreichen. Im Laufe der Anwendung dieses Typs gab es unterschiedliche Veränderungen und gesonderte Entwicklungen in einzelnen Wohnungsbaukombinaten auch mit konischen und Sonderelementen für abgewinkelte Bauten und Lückenschließungen.[2] Wenn der WBS 70 in einem umgebauten P2-Plattenwerk eingeführt wurde, musste er als eine 10,80 m tiefe Variante abskaliert werden.

Die Gebäudetiefe wurde in den 1980er Jahren bei den Weiterentwicklungen bzw. Ableitungen des Typs WBS 70/14.40 auf 14,40 Meter und bei der WBR 85 auf 15 Meter vergrößert.

Ab 1971 entstand eine Mischform aus dem WBS 70 (Frontseite) und dem Typ QP (Gebäuderückseite), der sogenannte WBS/QP71-R.[5]

In Berlin-Hellersdorf, Hellersdorfer Straße 179, befindet sich eine zu besichtigende Museumswohnung des Typs WBS 70/11 Berlin. Die 61 Quadratmeter große Dreiraumwohnung wurde originalgetreu mit Einrichtungsgegenständen aus DDR-Produktion ausgestattet.

Das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz ließ 2023 einen ersten WBS 70 für acht Millionen Euro energetisch sanieren und „klimaneutral“ umgestalten. Die Maßnahmen umfassten unter anderem die Wärmerückgewinnung aus Brauchwasser, neue Belüftungsanlagen, Balkonverglasungen sowie die Installation einer 57-kWp-Dachsolaranlage.[6][7][8]

Technische Details

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Laststufe: 6,3 Tonnen (als 63 kN geführt)
  • Durchgängiges, einheitliches Modularsystem mit Grundmodul: M = 100 mm und als Großrastermaß 12 M = 1,20 m, Abstände der Systemlinien n × 1,20 m, bei einem Grundraster: 6,00 m × 6,00 m
  • Maximale Elementeabmessungen
    • Wandelemente 6,00 m × 2,80 m
    • Deckenelemente 6,00 m mal 3,00 m Spannbeton sowie 3,60 m mal 3,00 m Stahlbeton
  • Gebäudetiefe: 10,8 Meter / 12,0 Meter / 14,4 Meter / 15,0 Meter
  • Geschosshöhe: 2,80 Meter (WBS 70/G: 3,30 Meter)
  • Geschosszahl: Primär 5, 6 oder 11
  • Außenwand: dreischichtig mit Kerndämmung, zweistufig gedichtetes Fugensystem mit sogenannten „offenen Fugen“
  • Innenliegende Bäder, teilweise innen-, vorwiegend außenliegende Küchen. Erstere mit Durchreichen, letztere mit Tür und Fenster
  • Vorgefertigte Sanitärraumzellen (Nasszelle) einschließlich kompletter Ausstattung und Rohrbündel
  • Außenliegendes Treppenhaus

Funktionelle Hauptmerkmale

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Minimierung der Verkehrsflächen in Gebäude und Wohnung zugunsten der Wohnfläche
  • Variierbarkeit der Wohnungsgrößen und Belegungsdichte durch unterschiedliches Zusammensetzen der Funktionseinheiten
  • Anpassung der Zahl der Geschosse und der Gliederung der Grundrisse an die funktionellen und städtebaulichen Forderungen durch vertikale und horizontale Kombination der Funktionseinheiten.

Von den rund 1,52 Millionen errichteten Wohnungen (Wohneinheiten = WE) in Plattenbauweise bis 1990 ist der Typ WBS 70 mit insgesamt 644 900 Wohneinheiten und einem Anteil von etwa 42 Prozent am weitesten verbreitet. Er gilt trotz seiner Einheitsbauweise als flexibel und wandelbar wie kein anderer Bautyp.[2]

Die erste Anwendung des WBS 70, ein fünfgeschossiges WBS 70/C1 des Wohnungsbaukombinat Neubrandenburg, befindet sich in der Koszaliner Straße 1/3/5/7 in der Oststadt Neubrandenburgs. Es wurde bereits zu DDR-Zeiten 1984 unter Denkmalschutz gestellt, der Status wurde nach 1990 übernommen.

Im Jahre 2018 wurden in Dresden ein WBS 70/14.40 G3 des Wohnungsbaukombinat Dresden und weitere Gebäude und Kunstwerke aus der DDR unter Denkmalschutz gestellt.[9] In dem Artikel wird dieser irrtümlich als WBS 70/10.80, einem älteren Typ, bezeichnet.

Commons: WBS 70 – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Bauakademie der DDR: Wohnungsbauserie 70. Ersteinführung im VEB (B) Wohnungsbaukombinat Neubrandenburg, 1. Ausgabe 1974
  2. a b c WBS 70 – Die Einheitsplatte
  3. Joachim Greiner: Was sonst noch geschah. (Berichtsjahre 1972–1973). In: Neubrandenburger Mosaik 1975. S. 92–96.
  4. M.B.: Mehlan, Heinz. In: Gabriele Baumgartner, Dieter Hebig (Hrsg.): Biographisches Handbuch der SBZ/DDR. De Gruyter Saur, München 1996, ISBN 978-3-598-11130-3, S. 526, doi:10.1515/9783111699134.
  5. WBS/QP-71-R | Platten Wissen | Platten Doku | Jeder Qm Du. 15. März 2015, abgerufen am 2. Juni 2024.
  6. Wärmewende: Erster klimaneutraler Plattenbau Thüringens in Stadtroda. In: Freistaat Thüringen. Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz, 13. April 2023, abgerufen am 2. Juni 2024.
  7. Sebastian Haak Stadtroda: Energetische Sanierungen: Die Musterplatte. In: nd. Abgerufen am 2. Juni 2024.
  8. Weimar: Plattenbau für acht Millionen Euro komplett saniert. In: MDR.DE. Mitteldeutscher Rundfunk, 15. September 2023, abgerufen am 2. Juni 2024.
  9. Bastian Brandau: Plattenbausiedlung steht unter Denkmalschutz. deutschlandfunk.de, 4. Oktober 2018.