Waldorfpädagogik

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Institut für Waldorf-Pädagogik in Witten-Annen

Die Waldorfpädagogik wurde um 1919[1] von Rudolf Steiner auf der Grundlage des Menschenbildes der von ihm selbst begründeten Anthroposophie entwickelt. Sie wird der Reformpädagogik zugerechnet.

Steiner konzipierte die Waldorfpädagogik für die 1919 in Stuttgart eröffnete Betriebsschule für die Kinder der Arbeiter und Angestellten der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik (heute Freie Waldorfschule Uhlandshöhe). Nach diesem Vorbild entstanden bald auch an anderen Orten sogenannte Waldorfschulen, zunächst in Deutschland, dann aber auch in anderen Ländern. Heute wird die Waldorfpädagogik weltweit praktiziert.

Im Jahre 1973 wurde das Institut für Waldorf-Pädagogik in Witten gegründet.[2]

Als theoretische Fundierung dient die Waldorfpädagogik für die Waldorfschulen und -kindergärten. Daneben gibt es auch Schulen in Einrichtungen der anthroposophischen Heilpädagogik.[3] Die Emil Molt Akademie ist eine waldorfpädagogische Berufsfachschule und Fachoberschule.

In Deutschland gibt es 561 Waldorfkindergärten und 237 Waldorfschulen, weltweit 1857 Waldorfkindergärten in 65 Ländern und 1092 Waldorfschulen in 64 Ländern (Stand: März 2017[4]).

Grundlagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Waldorfpädagogik gründet sich im Wesentlichen auf das von Rudolf Steiner Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte anthroposophische Menschenbild. Im Sinne der sozialen Dreigliederung versucht Steiner, die Grundsätze der Freiheit der Kultur, die Gleichheit in der politischen Gemeinschaft und die Brüderlichkeit im wirtschaftlichen Leben in die Praxis umzusetzen.[5]

Zu Steiners anthropologischen Hypothesen gehören die Lehren von der Drei- und Viergliederung des Menschen und die Temperamentenlehre.

Die Dreigliederung des Menschen in Geist, Seele und Leib und die Einteilung der Seelenfähigkeiten in Denken, Fühlen und Wollen zieht im pädagogischen Bereich die Forderung zur gleichberechtigten Schulung von „Denken, Fühlen und Wollen“ nach sich.[6]

Die Viergliederung des Menschen beschreibt neben dem physischen Körper drei weitere „Wesensglieder“ des Menschen, die nur übersinnlich wahrnehmbar sind. Der Ätherleib sei Träger der Wachstumskräfte, der Astralleib Träger des Seelenlebens und das Ich ein unsterblicher, geistiger Kern im Menschen. Jedes dieser Glieder verlässt zu einem bestimmten Zeitpunkt des Lebens seine übersinnliche Hülle, werde also „geboren“, wie der physische Leib geboren wird, indem er die leibliche Hülle der Gebärmutter verlässt. Diese übersinnlichen Geburten erfolgten in Abständen von sieben Jahren, weshalb die anthroposophische Anthropologie die Entwicklung des Kindes in Jahrsiebte einteilt.

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Waldorfpädagogik ist, ebenso wie der Anthroposophie, von erziehungswissenschaftlicher Seite häufig Kritik entgegengeschlagen, besonders scharf von Klaus Prange.[7]

Der Bildungswissenschaftler Stefan Thomas Hopmann kritisiert unter anderem, dass Waldorfschulen eine „unabhängige, ergebnisoffene Untersuchung ihrer pädagogischen Praxis nicht zulassen“. Bei außerhalb Deutschlands durchgeführten Untersuchungen schnitten Waldorfschüler nicht schlecht ab; dies sei aufgrund der sozialen Zusammensetzung der Waldorfschulen aber selbstverständlich, da diese als typische Privatschulen überwiegend von „bildungsaktiven Eltern“ ausgewählt würden. Hopmann kritisiert den Anspruch, dass Waldorf-Klassenlehrer als „geliebte Autorität“ agieren sollten, als Form einer „irrationalen Unterordnung“ innerhalb einer „totalitären Pädagogik“. Er sieht die Praxis, dass der Klassenlehrer in den ersten acht Schuljahren nahezu alle Fächer unterrichtet, als problematisch. Ein einzelner Lehrer sei nicht in der Lage, die unterschiedlichen Lernbedürfnisse und Lernschwierigkeiten in jedem Schulfach angemessen zu berücksichtigen. Eine Spezialisierung sei notwendig. Die „Verwiesenheit auf eine einzige Bezugsperson“ eröffne die Möglichkeit für „psychischen (und ggf. physischen) Missbrauch“. Die Waldorflehre wolle nicht „die je einzigartige Persönlichkeit eines Kindes achten“, sondern „Kinder unterschiedlichen Charaktertypen, Entwicklungsstufen, Seeleneigenschaften usw. zuordnen, denen sich dann die jeweilige pädagogische Behandlung unterordnen soll“. Die Waldorfpädagogik bezeichnet er als „heilloses Gebräu esoterischer Glaubenssätze über Drüsen, Zahnentwicklung, astrologischer Einflüsse und ähnlichem“.[8]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rudolf Steiner: Erziehungskunst. Seminarbesprechungen und Lehrplanvorträge, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1984, ISBN 3-7274-2951-8 / ISBN 3-7274-2950-X.
  • Erika Dühnfort, Stefan Leber (Hrsg.): Die Pädagogik der Waldorfschule und ihre Grundlagen (= Die Erziehungswissenschaft). 4. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1996, ISBN 3-534-08321-0.
  • Klaus Prange: Erziehung zur Anthroposophie: Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik, 3., erweiterte Auflage. Klinkhardt, Bad Heilbrunn (Oberbayern) 2000, ISBN 3-7815-1089-1.
  • Frans Carlgren: Erziehung zur Freiheit. Die Pädagogik Rudolf Steiners. Freies Geistesleben, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-7725-1619-1.
  • Stephan Geuenich: Die Waldorfpädagogik im 21. Jahrhundert. Eine kritische Diskussion. Lit, Münster 2009, ISBN 978-3-643-10347-5.
  • Peter Loebell (Hrsg.): Waldorfschule heute. Eine Einführung. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-7725-2471-4. (Darstellung aus anthroposophischer Sicht mit Diskussionsbeiträgen zur Frage der Wissenschaftlichkeit der anthroposophischen Grundlagen).
  • Volker Frielingsdorf (Hrsg.): Waldorfpädagogik kontrovers. Ein Reader. Beltz Juventa, Weinheim 2012, ISBN 978-3-7799-2433-3.
  • Volker Frielingsdorf: Geschichte der Waldorfpädagogik. Von ihrem Ursprung bis zur Gegenwart. Beltz, Weinheim 2019, ISBN 978-3-407-25802-1 (Mit Fotos, Quellen und Bibliografie).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Waldorfpädagogik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Anja Kleinelanghorst: Waldorfschule: Pädagogisches Konzept, Kritik und Kosten. Abgerufen am 10. Mai 2023.
  2. Die Historie des Instituts für Waldorf-Pädagogik (Memento vom 18. November 2017 im Internet Archive)
  3. Verband für anthroposophische Heilpädagogik, Sozialtherapie und soziale Arbeit e. V.
  4. Adressverzeichnis der Waldorfschulen, Waldorfkindergärten und Ausbildungsstätten weltweit. (PDF) 1. März 2017, abgerufen am 19. August 2017.
  5. Heiner Ullrich: Rudolf Steiner. In: Heinz-Elmar Tenorth (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik 2. Von John Dewey bis Paulo Freire. Verlag C.H. Beck, München 2003, ISBN 3-406-49441-2, S. 68.
  6. Heiner Ullrich: Rudolf Steiner. In: H.E. Tenorth (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik 2. 2003, S. 66.
  7. Klaus Prange: Erziehung zur Anthroposophie. Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik, Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 2000, ISBN 978-3-7815-1089-0.
  8. Interview von Andreas Lichte mit Prof. Thomas T. Hopmann: Waldorfschule: „Man kann nicht nur ein »bisschen« Waldorf sein“, 11. Juli 2011. In: Ruhrbarone.de