Walter Christaller

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Walter Christaller (* 21. April 1893 in Berneck bei Calw; † 9. März 1969 in Königstein im Taunus) war ein deutscher Geograph und gilt als Begründer der Theorie der zentralen Orte.

Leben

Walter Christaller wurde 1893 als Sohn des evangelischen Pfarrers Erdmann Gottreich Christaller und seiner Frau, der bekannten evangelischen Schriftstellerin Helene Christaller, im Schwarzwald geboren. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Geographie und führte erstmals quantitative und statistische Methoden in der Geographie ein. 1930 konnte Christaller sein volkswirtschaftliches Studium an der Universität Erlangen beenden. Schwerpunkte seiner Arbeiten waren Agrargeographie und Stadtplanung in Süddeutschland. In seinem Hauptwerk „Die zentralen Orte in Süddeutschland“ von 1933 entwickelte er eine Theorie der zentralen Orte, die er dem Erlanger Geographie-Professor Robert Gradmann als Dissertation vorlegte. Christallers Theorie wurde anfangs wenig beachtet. In der damaligen jungen Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung erkannte man als erster wissenschaftlicher Institution die Bedeutung der Lehre Christallers für die Raumplanung. Seine Theorie bildet die Basis des in der Raumordnung bis heute verwendeten Versorgungsprinzips der zentralen Orte.

Nachdem er Anfang der 1920er Jahre Mitglied der USPD gewesen war, stand Christaller vor 1933 der KPD nahe, weshalb er 1934 zunächst in Frankreich untertauchte. Er erhielt aber dank einflussreicher Freunde 1934 ein Stipendium und kehrte nach Deutschland zurück, habilitierte sich 1938 an der Universität Freiburg und war von 1937 bis 1940 Assistent am Kommunalwissenschaftlichen Institut bei Theodor Maunz. 1940 trat Christaller in die NSDAP ein und war von 1940 bis 1945 Mitarbeiter im Stabshauptamt Planung und Boden im SS-Planungsamt Reichskommissariat für die Festigung deutschen Volkstums, das den Eroberungskrieg in Osteuropa z. T. wissenschaftlich begleitete und legitimieren sollte. Er war in diesem Zusammenhang an der räumlichen Planung im besetzten Polen beteiligt und bearbeitete u. a. die Siedlungsplanung in einzelnen Gebieten („Warthegau“ und Białystok), in denen er sein Modell der zentralen Orte durchsetzte. Christaller pries das Modell der zentralen Orte, nach dem Orte hierarchisch nach ihren Versorgungsangeboten klassifiziert werden und jedes Oberzentrum von einem Ring von Mittelzentren umgeben ist, die ihrerseits wiederum von einem Ring von Unterzentren umgeben sind, als Umsetzung des „Führerprinzips“ in der Raumordnung.[1][2]

Funktionsweise des Systems der zentralen Orte

1945 wurde er freischaffender Geograph, Mitglied der KPD, später der SPD und gründete 1950 zusammen mit Emil Meynen den Deutschen Verband für Angewandte Geographie (DVAG). Das Modell der zentralen Orte wurde zur Grundlage für die Raumplanung in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, koordiniert durch die Bundesanstalt für Landeskunde und Raumforschung, die bis in die 1960er Jahre von Meynen geleitet wurde. Nach 1945 entwickelte er zudem Raumplanungskonzepte für das kommunistische Regime in Polen.

Die von ihm in den 1930er Jahren entwickelte Idee der zentralen Orte fand starken Anklang bei den Fachkollegen und wurde insbesondere in den sechziger Jahren von G. Kluczka weiter entwickelt. Sie geht davon aus, dass die Siedlungen in einer Landschaft räumlich-funktionell miteinander in Beziehung stehen und hierarchischen Niveaus angehören. Um die zentralörtliche Stellung einer Siedlung zu ermitteln, wurden neun Funktionsbereiche herangezogen, die im Sinne einer „Congestion“ über den Ort herausreichen. Historiker griffen Christallers These ab den 1950er Jahren auf und diskutierten sie insbesondere für das späte Mittelalter und die Neuere Geschichte. Im Jahre 1973 machte D. Denecke den Versuch, das Konzept auch für ältere Abschnitte des Mittelalters nutzbar zu machen.

Seit 1996 vergibt der DVAG den Walter-Christaller-Preis für Nachwuchsgeographen.

Ehrungen

Werke (Auswahl)

  • Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischer Funktion. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1980, ISBN 3-534-04466-5 (Reprint d. Ausg. Jena 1933).
  • Grundgedanken zum Siedlungs- und Verwaltungsaufbau im Osten. In: Neues Bauerntum, Jg. 32, 1940, S. 305–312.
  • Raumtheorie und Raumordnung. In: Archiv für Wirtschaftsplanung, Jg. 1, 1941, S. 116–35
  • Die zentralen Orte in den Ostgebieten und ihre Kultur- und Marktbereiche, Teil 1: Von Struktur und Gestaltung der zentralen Orte des Deutschen Ostens. Koehler, Leipzig 1941
  • Land und Stadt in der deutschen Volksordnung, in Zs. Deutsche Agrarpolitik, 1, 1942, S. 53–56
  • Beiträge zu einer Geographie des Fremdenverkehrs. In: Erdkunde, Jg. 9, 1955, S. 1–19.
  • Die Hierarchie der Städte. In: Knut Norborg (Hrsg.): Proceedings of the IGU Symposium in Urban Geography, Lund, 1960, Nr. 24, 1962, S. 3–11. (Lund Studies in Geography, Ser.B, Human Geography).
  • mit Hans-Richard Fischer: Unsere Erde. Stuttgarter Hausbücherei, Stuttgart 1958.
  • Some Considerations of Tourism Location in Europe. In: Papers, Regional Science Association. Jg. 12, 1964, S. 95–105.
  • How I discovered the Theory of Central Places: A Report about the Origin of Central Places. in: P. W. English, R.C. Mayfield (Hrsg.): Man Space and Environment. Oxford Univ. Press, 1972, S. 601–610.

Literatur über Walter Christaller

  • Götz Aly, Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, 2004 (zuerst 1991), ISBN 3-596-11268-0.
  • Peter Jüngst u. a. (Hrsg.): Geographie und Nationalsozialismus. 3 Fallstudien zur Institution Geographie im Deutschen Reich und der Schweiz (= urbs et regio; 51). Universität, Kassel 1989, ISBN 3-88122-456-4, enthält u. a. eine Studie zur Geschichte der Geographischen Institute in Freiburg (M. Rössler) und Münster (M. Fahlbusch).
  • Trevor Barnes / Claudio Minca: Nazi Spatial Theory: The Dark Geographies of Carl Schmitt and Walter Christaller. In: Annals of the Association of American Geographers 103 (3), S. 669–687 (2013).
  • Karl R. Kegler: Walter Christaller, in: Ingo Haar, Michael Fahlbusch (Hrsg.): Handbuch der Völkischen Wissenschaften. München, Saur 2008, S. 89–93, ISBN 978-3-598-11778-7.
  • Karl R. Kegler: Deutsche Raumplanung. Das Modell der »Zentralen Orte« zwischen NS-Staat und Bundesrepublik. Schöningh, Paderborn 2015, ISBN 978-3-506-77849-9.
  • Karl R. Kegler: Zentrale Orte. Transfer als »Normalisierung«, in: ACME: An International E-Journal for Critical Geographies Vol 15, No 1 (2016), S. 36–80, ISSN 1492-9732.
  • Mechtild Rössler: Wissenschaft und Lebensraum. Geographische Ostforschung im Nationalsozialismus. Reimer, Berlin 1990, ISBN 3-496-00394-4.
  • Joachim Trezib: Transnationale Wege der Raumplanung. Der israelische Nationalplan von 1951 und seine Rezeption der Theorie »zentraler Orte«, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 1 (2014), S. 11–35.
  • Joachim Trezib: Die Theorie der Zentralen Orte in Israel und Deutschland. Zur Rezeption Walter Christallers im Kontext von Sharonplan und »Generalplan Ost«. De Gruyter/ Oldenbourg, Berlin/ Boston 2014, ISBN 978-3-11-033813-3.
  • Klaus M. Schmals (Hrsg.): Vor 50 Jahren... auch die Raumplanung hat eine Geschichte. IRPUD, Dortmund 1997, ISBN 3-88211-099-6.
  • Ute Wardenga / Norman Henniges / Heinz Peter Brogiato und Bruno Schelhaas: Der Verband deutscher Berufsgeographen. Eine sozialgeschichtliche Studie zur Frühphase des DVAG. (= forum ifl 16), Leipzig 2011.

Weblinks

Notizen

  1. Joachim Trezib: Transnationale Wege der Raumplanung. Der israelische Nationalplan von 1951 und seine Rezeption der Theorie »zentraler Orte«, in: Zeithistorische Forschung 01/2014, S. 11–35, hier S. 33.
  2. Walter Christaller: Grundgedanken zum Siedlungs- und Verwaltungsaufbau im Osten, in: Neues Bauerntum 32 (1940), S. 305–312, hier S. 306.