Wohlstandschauvinismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Wohlstandschauvinismus ist ein jüngerer Begriff aus Politik und sozialwissenschaftlicher Forschung. Er bezeichnet eine Überidentifikation mit nationalen Wirtschaftsinteressen sowie die argumentative Verteidigung des eigenen oder des nationalen Wohlstandes gegen „Fremde“, die aus dieser Sicht unverdient daran teilhaben wollen. Wohlstandschauvinismus gilt als Bestandteil rechtsextremistischer Einstellungen.[1]

Politik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Politik wird der Begriff abwertend für einen Nationalen Sozialismus gebraucht, wie ihn neurechte Denker verwenden.

Wohlstandschauvinisten können durchaus sozial gesinnt sein, vertreten zugleich aber einen Standortnationalismus. Sie richten ihren Blick zunächst auf den eigenen Wirtschaftsstandort und fordern soziale Leistungen und Wohlstand vorrangig für die eigene Volksgruppe ein.

Ein Beispiel einer Debatte um Wohlstandschauvinismus liefert die von Oskar Lafontaine angestoßene Diskussion über „Fremdarbeiter“.

Sozialwissenschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff Wohlstandschauvinismus wurde bereits 1980 in der SINUS-Studie verwendet. Sozialwissenschaftler begreifen Wohlstandschauvinismus als ein Merkmal des Rechtsextremismus unter anderen. Rechtsextremisten argumentieren, Lafontaine vergleichbar, ausländische Arbeitnehmer würden das Sozialsystem kaputt machen. Des Weiteren unterstellen sie, Asylantragsteller und Flüchtlinge kämen nur ins Land, um von den Sozialleistungen zu profitieren.

Die von Josef Held und anderen[2] aufgestellte These vom „Wohlstandschauvinismus“ besagt u. a., dass nicht nur die „Modernisierungsverlierer“ rechtsextrem wählen, sondern auch Teile der wohlhabendeneren Gesellschaftsschicht. Zugleich würden viele Menschen zwar rechtsextrem denken, die z. B. einen Wohlstandschauvinismus vertreten, zugleich aber nicht rechtsextrem wählen.

Die Forschungsgruppe von Held befragte im Raum Tübingen Jugendliche und junge Arbeitnehmer nach ihren politischen Orientierungen und teilten sie nach den Faktoren Arbeitsplatz, berufliche Zukunft, Bildung, ökonomische Absicherung und soziale Einbindung in Benachteiligte und Nicht-Benachteiligte ein. Es stellte sich in dieser Studie heraus, dass die Benachteiligten signifikant weniger rassistisch eingestellt waren als die Nicht-Benachteiligten. Held führt dies auf Konkurrenzdenken und Leistungsideologie zurück, die sich mit rigiden Ausgrenzungsforderungen gegenüber Einwanderern verbänden. Die ökonomische Überlegenheit verband sich bei den Befragten mit politisch-kulturellem und persönlichem Vormachtsanspruch. Es zeigte sich eine Überidentifikation mit „deutschen Wirtschaftsinteressen“. Held machte bei diesen Jugendlichen ein instrumentelles Nutzendenken aus: Einwanderer und Flüchtlinge würden ausschließlich danach beurteilt, ob sie ökonomisch schadeten oder nützten.

Michael Bommes und Albert Scherr (1992) zeigen auf der Grundlage offener Interviews mit Auszubildenden auf, dass deren Wahrnehmungen von Migranten zentral von der Annahme ausgeht, diese seien illegitime Konkurrenten um Wohnungen und Sozialleistungen. Die Autoren charakterisieren die Sichtweisen der Befragten als Sozialparasitendiskurs, der Angebote des politischen und medialen Diskurses aufgreift.

Nach Ansicht von Christoph Butterwegge[3] und Mathias Brodkorb übernimmt der Wohlstandschauvinismus zunehmend jene Rolle, die der Antisemitismus für NS-Agitatoren spielte: „Er steht im Zentrum des öffentlichen rechten Diskurses und stellt die wichtigste Schnittstelle zum Alltagsdenken der Bevölkerung dar.“[4]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Christoph Butterwegge: Abschied vom Sozialstaat. Standortnationalismus und Wohlstandschauvinismus als geistig-politische Anknüpfungspunkte des Rechtsextremismus. In: Wolfgang Gessenharter, Helmut Fröchling (Hrsg.): Rechtsextremismus und Neue Rechte in Deutschland Neuvermessung eines politisch-ideologischen Raumes?. Leske u. Budrich, Opladen 1998, S. 147–161, ISBN 3-8100-2053-2
  • Hans-Werner Horn: Wohlstandschauvinismus jugendlicher Arbeitnehmer. In: Argumente gegen den Hass. Arbeitshilfen für die politische Bildung. Band II: Textsammlung. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1993
  • Michael Bommes, Albert Scherr: Rechtsextremismus: Ein Angebot für ganz gewöhnliche Jugendliche. In: Mansel, Jürgen (Hg.): Reaktionen Jugendlicher auf gesellschaftliche Bedrohungen. Weinheim und München, S. 210–227.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jeannette Goddar: Aus der Mitte der Gesellschaft - nicht vom Rand@1@2Vorlage:Toter Link/www.das-parlament.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.. In: Das Parlament, Nr. 45/2005
  2. Josef Held, Hans-Werner Horn, Rudolf Leiprecht, Athanasios Marvakis: Du mußt so handeln, daß Du Gewinn machst … Empirische Untersuchungen zu politisch rechten Orientierungen jugendlicher Arbeitnehmer. Düsseldorf 1991
  3. Christoph Butterwegge: Die zentralen Herausforderungen für den Antifaschismus: Globalisierung, Neoliberalismus und Rechtsextremismus (PDF; 108 kB)
  4. Mathias Brodkorb: Metamorphosen von rechts. Eine Einführung in Strategie und Ideologie des modernen Rechtsextremismus. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2003, ISBN 3-89691-595-9, S. 152