Zähne zeigen

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Zähne zeigen ist der Titel des Romandebüts der 1975 geborenen britischen Schriftstellerin Zadie Smith. Der Roman erschien im Jahr 2000 in Großbritannien unter dem Titel White Teeth und wurde im selben Jahr von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann ins Deutsche übersetzt. Der Roman erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde für weitere nominiert (s. Rezeption).

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zähne zeigen erzählt die Geschichten dreier Familien unterschiedlicher Herkunft, die im Londoner Stadtteil Willesden leben. Dabei wird durch die unterschiedlichen Perspektiven der ethnisch vielfältigen Charaktere eine Bandbreite an gesellschaftlichen Themen und geschichtlichen Ereignissen verhandelt. Unterbrochen werden diese Perspektiven durch die Kommentare einer auktorialen Erzählinstanz, die sich durch einen humorvoll-ironischen bis ernsthaften Ton auszeichnen.

Die Handlung des Romans setzt am Neujahrsmorgen des Jahres 1975 mit der Schilderung eines missglückten Selbstmordversuchs des Engländers Archibald Jones ein. Nach einer gescheiterten Ehe beginnt an diesem Tag ein neues Leben für den einfältigen Mittvierziger, als er auf einer ausklingenden Silvesterparty die um Jahre jüngere Clara Bowden kennenlernt und kurz darauf heiratet. Clara ist die Tochter jamaikanischer Einwanderer und bricht durch die Heirat mit Archie aus dem Einflussbereich ihrer Mutter Hortense, einer passionierten Zeugin Jehovas, aus.

Zur gleichen Zeit zieht Archibalds Freund Samad Iqbal mit seiner ebenfalls um Jahre jüngeren Frau Alsana von Bangladesch nach England. Die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Archie und Samad bringt beide Ehepaare, die ihre jeweils neue Bleibe im Nordwesten Londons beziehen, zusammen. Archie und Samad verbindet die Erinnerung an die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs, die sie als junge Soldaten der britischen Armee weit ab vom eigentlichen Kriegsgeschehen erlebten und dabei nicht einmal das Kriegsende mitbekamen. In einer Rückblende in das Jahr 1945 wird geschildert, wie Archie und Samad als einzige Überlebende ihrer Truppe und ohne Funkkontakt einen berüchtigten französischen Arzt der deutschen Nationalsozialisten in ihre Gewalt bringen. Die beiden fahren mit ihrer Geisel aus dem Dorf, um ihn hinzurichten. Samad und Archie sind betrunken, Samad hat zudem Morphium genommen und so überredet er Archie, den Nazi zu erschießen.

Der Haupthandlungsstrang im London der siebziger Jahre wird vorangetrieben, als beide Familien gleichzeitig Nachwuchs erwarten. 1975 werden Irie Jones und die Zwillinge Magid und Millat Iqbal geboren und gehen in den Folgejahren gemeinsam zur Gesamtschule in Willesden. Auch wenn die Kinder während einer Schulaktion zum Erntedankfest mit dem beängstigenden Rassismus eines alten Kriegsveteranen konfrontiert werden, überwiegt in dem Roman dennoch die wohlwollende Schilderung einer in dem Londoner Stadtteil alltäglich gewordenen ethnischen Vielfalt und Hybridität.

Nach einer kurzen Affäre Samads mit der Musiklehrerin seiner Söhne, Poppy Burt-Jones, und einer sich anschließenden Identitätskrise, heckt Samad gemeinsam mit Archie einen Plan aus. Er zieht in Erwägung, Magid und Millat zur Erziehung nach Bangladesch zu schicken, um sie vor den Übeln des Werteverfalls in der westlichen Gesellschaft zu schützen. Da jedoch das Geld nur für den Flug für einen Sohn reicht, lässt Samad nach langer Entscheidungsfindung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Magid zu Verwandten ausfliegen, ohne vorher Alsana in die Pläne eingeweiht zu haben, die in Folge nur noch das Nötigste mit Samad redet.

Während der strebsame, intelligente Magid aus der Ferne beredte Briefe schickt, bereitet der rebellische Mädchenheld Millat den Iqbals Sorgen. Als Jugendlicher schließt sich Millat einer fundamentalistisch geprägten muslimischen Gruppierung an und nimmt zum Entsetzen seiner Eltern unter anderem an den Buchverbrennungen von Salman Rushdies Roman Die Satanischen Verse im nordenglischen Bradford teil.

Irie ist heimlich in den draufgängerischen Millat verliebt, der sie jedoch lediglich als eine gute Freundin behandelt. Irie leidet während der Pubertät unter ihrer ethnisch hybriden Identität, da sie sich in dem traditionell „weiß“ dominierten England fremd fühlt. Sie unternimmt verschiedene Versuche, um sich äußerlich anzupassen, beispielsweise durch eine Haarglättung, die jedoch mit einem kompletten Haarausfall endet.

Um dem jeweiligen häuslichen Chaos zu entkommen, treffen sich die beiden alternden Herren Archie und Samad regelmäßig in ihrer Stammkneipe O’Connell’s Pool House. Dort tauschen die beiden Kriegsveteranen ihre Erinnerungen über den Krieg aus, die ihre jüngeren Ehefrauen und Kinder nicht interessieren. Zudem hat Samad in diesem Umfeld die Möglichkeit, mit Archie über sein Lieblingsthema zu sprechen: Samad ist angeblich der Urenkel des Sepoy Mangal Pandey, der 1857 Auslöser des Indischen Aufstands war und damit für Samad ein Held ist. Durch die Thematisierung dieses historischen Ereignisses werden die Unterschiede in der nationalen Geschichtsschreibung durch Archie und Samad diskutiert, da in der britischen Version der Ereignisse Mangal Pandey in die britischen Geschichtsbücher als benebelter Fanatiker, der es nicht einmal schaffte, sich selbst zu richten, einging.

Im Zuge des Handlungsverlaufs, in dem die Schulzeit Iries und Millats erzählt wird, kommt eine weitere Familie mit ins Spiel. Als Irie und Millat haschischrauchend auf dem Schulhof erwischt werden, wird auch der eigentlich unbeteiligte Joshua Chalfen in die Tat einbezogen. Da der Schulleiter bemerkt, dass der strebsame Überflieger Joshua durch die Aktion eher versucht, sich in die „coole“ Clique von Irie und Millat einzubringen, verhängt er eine in seinen Augen didaktisch wertvolle Strafe für die drei Jugendlichen: Irie und Millat sollen regelmäßig nach der Schule bei der intellektuellen Akademikerfamilie Chalfen gemeinsam mit Joshua ihre Hausaufgaben erledigen und für Klassenarbeiten lernen.

Die Mittelschichtfamilie Chalfen wird im Roman äußerst humorvoll dargestellt. Marcus Chalfen ist ein renommierter jüdischer Wissenschaftler und Genforscher. Seine Frau Joyce ist passionierte Gärtnerin und hat sich dank des gesicherten Einkommens durch Marcus’ Forschung neben dem Verfassen eines alternativ geprägten Gärtnerhandbuchs um die Erziehung ihrer vier Söhne gekümmert.

Joyce ist, zum Unmut von Joshua und Irie, von dem charismatischen und bockigen Millat eingenommen. Sie macht es sich zur Aufgabe, den Jungen zu erziehen, während Irie fasziniert von der Intellektualität und Offenheit der Familie ist. Die weiße Mittelschichtfamilie erscheint für Irie als Idealtyp einer (nur scheinbar) lupenreinen englischen Identität, von der sie am liebsten ein Teil werden würde. Irie verbringt zunehmend ihre Freizeit bei den Chalfens und unterstützt Marcus bei seiner Buchhaltung, um sich ein Taschengeld zu verdienen.

Irie fühlt sich ausgeschlossen, als Marcus eine intensive Brieffreundschaft mit Magid beginnt. Der im fernen Bangladesch lebende Magid wird zunehmend zu einem Schüler von Marcus, der wiederum von der Intelligenz und Reife Magids beeindruckt ist. Marcus setzt es sich zum Ziel, den verlorenen Sohn zurück nach England zu holen, um mit ihm zusammenzuarbeiten. Als Marcus tatsächlich den Flug für Magid bezahlt und dieser ankommt, ist Samad entsetzt: Der Sohn, den er zur guten Erziehung nach Bangladesch geschickt hat, hat sich in der Zwischenzeit zum Abbild eines traditionellen englischen Gentleman entwickelt, der eine Sprache spricht wie die britische Königin, weiße Anzüge trägt und Schweinefleisch isst. Aufgrund Magids Verhaltens weigert sich der nun verstärkt in der fundamentalistischen Gruppierung aktive Millat, seinen Bruder zu treffen, sodass Magid bei den Chalfens unterkommt.

Clara und Alsana werden zunehmend eifersüchtig auf Joyce, da sie nach eigenem Empfinden ihnen ihre Kinder wegzunehmen droht. Auch Joshua hat sich nach Abschluss der Schule von seiner Familie abgekapselt und ist in einer Tierschutzvereinigung aktiv, um gegen die Tierversuche seines Vaters zu rebellieren. Irie ist aufgrund eines Streits mit ihren Eltern über die Möglichkeit einer einjährigen Reise vor Beginn ihrer Ausbildung zu Hause ausgezogen und wohnt bei ihrer Großmutter Hortense. Dort lernt sie unter anderem Ryan Topps kennen, der vor Archie mit ihrer Mutter Clara ein Paar war. Während des Aufenthalts bei Hortense arbeitet Irie ihre eigene jamaikanische Familiengeschichte mütterlicherseits auf. Eine von den Familien und Irie arrangierte Aussprache zwischen Magid und Millat endet im Streit. In einem Gefühlschaos durch aufgestaute Verzweiflung und sexuelle Abstinenz schläft Irie in kurzen Abständen zuerst mit Millat und dann mit Magid.

Im weiteren Handlungsverlauf wird das Finale des Romans vorbereitet, bei dem alle Hauptfiguren an einem Ort in der Mitte Londons zusammentreffen. Für den Silvesterabend 1992 hat Marcus mit Magid die öffentliche Präsentation seiner sogenannten FutureMouse geplant, bei der auch Marcus’ Mentor, ein alter französischer Genforscher namens Dr. Perret, teilnehmen soll. Die Maus ist von Marcus genetisch so programmiert worden, dass sie exakt sieben Jahre lebt und damit zur Jahrtausendwende sterben soll.

Die Familien Jones und Iqbal sind als Gäste eingeladen, aber auch weitere Beteiligte machen sich auf den Weg zu dem Veranstaltungsort in der Nähe des Trafalgar Square, mit dem Ziel, die umstrittene Präsentation zu boykottieren: Joshua plant eine Aktion mit der Tierschutzvereinigung, Hortense Bowden und Ryan Topps möchten gegen den Eingriff Marcus Chalfens in Gottes Schöpfung protestieren und die fundamentalistische Gruppierung, zu der Millat gehört, plant eine Störung der Vorstellung. Während die anderen Mitglieder der Gruppierung das Verlesen einer Sure aus dem Koran anstreben, hat Millat insgeheim größere Pläne: Er hat sich einen Revolver besorgt, um seine fundamentalistische Ideologie, die jedoch stark auf Vorstellungen aus amerikanischen Hollywood- und Mafiafilmen beruht, mit Waffengewalt durchzusetzen.

Kurz vor Beginn der Veranstaltung geht Samad kurz nach draußen, um Hortense und die anderen Protestanten um etwas Ruhe zu bitten. Als er zurück in den Saal kommt, geschehen mehrere Dinge gleichzeitig: Millat zieht seine Waffe und richtet sie auf Dr. Perret, den Samad in diesem Moment als den Arzt wiedererkennt, den Archie 1945 hätte hinrichten sollen. Archie wirft sich in die Flugbahn des abgefeuerten Projektils, wird dabei verletzt und rettet so Dr. Perret ein zweites Mal das Leben. In dem Trubel entkommt die genmanipulierte FutureMouse.

Der letzte Absatz des Romans entwirft einen Ausblick auf ein mögliches Ende der Erzählung. Irie und Joshua sind mittlerweile ein Paar und reisen mit Iries Tochter, deren Vaterschaft ungeklärt bleibt, durch Jamaika.

Rezeptionsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit ihrem Erstlingswerk White Teeth avancierte die Autorin Zadie Smith, eine bis dato völlig unbekannte Studentin der Literaturwissenschaft, innerhalb kurzer Zeit zum Shooting-Star der zeitgenössischen britischen Literaturszene. Noch vor Abschluss des Manuskripts zahlten die Verleger einen ungewöhnlich hohen Vorschuss – die Rede war von 250.000 Pfund – für die Publikationsrechte. Der Debütroman wurde von der Literaturkritik sehr wohlwollend aufgenommen und von renommierten Autoren wie Salman Rushdie als „ein erstaunlich selbstsicheres Debüt“ („an astonishingly assured debut“) gepriesen.[1] White Teeth erreichte sehr schnell hohe Verkaufszahlen, gewann zahlreiche Preise (s. Auszeichnungen) und wurde in mehrere Sprachen übersetzt.

Die Reaktion der Literaturkritiker war zumeist ausgesprochen positiv. Allenfalls wurde vereinzelt Kritik an einer gewissen Überdehnung der komischen Zeichnung der Romanfiguren in bestimmten Situationen geübt.

Der Guardian sah White Teeth in seiner Kritik vom Januar 2000 als ein gelungenes Debüt in der literarischen Tradition von Peter Carey und Salman Rushdie. Gelobt wurde vom Guardian vor allem der humorvolle, warmherzige Ton des Romans und die gelungene Figurenzeichnung sowie die überzeugende Gestaltung der Dialoge.[2]

Die New York Times verglich White Teeth in ihrer Rezension vom April 2000 mit den Werken von Charles Dickens, Salman Rushdie sowie Hanif Kureishi und betrachtete den Roman als einen der bedeutendsten Debütromane der gegenwärtigen Schriftstellergeneration („one of her generation's most precocious debuts“). Der Roman sei geistreich, spritzig und weise („quirky, sassy and wise“); Zadie Smith erweise sich als eine außerordentlich begabte neue Schriftstellerin („a preternaturally gifted new writer“), die ein instinktives Talent zum Geschichtenerzählen („an instinctive storytelling talent“) besitze und gleichzeitig Komödie, Drama und Satire beherrsche. Anerkennung zollte die New York Times ebenfalls der realistischen Gestaltung und stimmigen Charakterisierung der Erzählfiguren in dem dargestellten multikulturellen Drama.[3]

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lobte in ihrer Kritik vom April 2001 die virtuos montierte Geschichte des Romans, die in einem „dramaturgisch gelungenen Showdown“ kulminiere. Zadie Smith führe sich mit ebenso großer Souveränität als Schriftstellerin ein wie zuvor der damals gleichaltrige Thomas Mann. Der in humorvollem Ton geschriebene Roman über „das Leben und den Tod, den Wunsch, ein anderer zu sein und die Unmöglichkeit der Erfüllung dieses Wunsches“ zeige ein für eine 25-jährige Autorin beeindruckendes Maß an „Erkenntnis, Erfahrung und Weltklugheit“. Die Lektüre des Romans sei anspruchsvoll und verlange vom Leser neben einem gestandenen Leseatem sowie Zeit und Geduld auch die Bereitschaft, sich auf die Figuren einzulassen. Dafür würden jedoch jene Leser belohnt, die sich lieber an E. M. Forster, Nabokov und Shakespeare orientieren als an Nick Hornby oder Irvine Welsh.[4]

Die Zeit sah in ihrer Kritik vom September 2006 in dem „funkelnden“ Roman „eines der bemerkenswertesten Bücher der letzten zehn Jahre“. Der Roman sei ein „Klassiker von morgen“ und das vielleicht beste Debüt dieser Schriftstellergeneration. „Mit solchem Witz, solch unsentimentaler Einfühlung und einem so klaren soziologischen Blick“ sei möglicherweise „noch nie über das Dasein des modernen Einwanderers und die Konflikte zwischen Dritter und Erster Welt in seiner Brust geschrieben worden“. Die Autorin habe eine seltene Begabung, eine kaum überschaubare Zahl von Handlungsfäden geschickt zu verweben. Es gelinge ihr, „burleske Episoden aus dem Zweiten Weltkrieg neben einen satirischen Bericht über die immer wieder verschobenen Weltuntergangsvorhersagen der Zeugen Jehovas oder Diskussionen über die moralische Frage der Gentechnik“ zu stellen, „ohne je den Rahmen des Romans zu sprengen“.

Hervorgehoben wird in dieser Rezension ebenso die nahezu „unheimliche Fertigkeit“ der noch sehr jungen Schriftstellerin, „Menschen anderen Geschlechts, anderer Altersstufen und völlig anderer Lebensgeschichte bis in die feinsten Seelenzustände auszugestalten“. Die Zeit zog in ihrer Kritik das Fazit, dass „eigentlich kein besseres Buch“ empfohlen werden könne als Zadie Smiths Debütroman, wenn jemand sich über die Assimilationsprobleme westlicher Muslime wundere oder besser verstehen möchte, wie unsere Gesellschaft die Anpassung zugleich fordere und ständig erschwere.[5]

Anderen Rezensenten gefällt der Roman mit Einschränkungen. Thomas David[6] verweist auf die „geglättete Widerspenstigkeit“ des Romans. Er sei zu gefällig, das sage selbst die Autorin, und reiche an Salman Rushdie trotz einer thematischen Verwandtschaft – das mulikulturelle London, magische Zufälle – nicht heran. Die Figuren sind ihm zu beladen: „krumm vor lauter Witz“, aber scheinbar von einem Mutterwitz, dessen Humor auch er sich nicht entziehen könne.

Diesen Aspekt des Karikaturhaften in Zadie Smiths Erstling analysiert der englische Literaturwissenschaftler James Wood[7] in seinem Essay über das Genre des „hysterical realism“.[8] Unter dem Begriff des „Hysterischen Realismus“[9] beschreibt er ein, auch als „recherchierte Postmoderne“ bezeichnetes, literarisches Genre, das durch einen starken Kontrast zwischen aufwendig absurder Handlung oder Charakterisierung auf der einen Seite und sorgfältigen, detaillierten Beschreibungen realer, spezifischer sozialer Phänomene auf der anderen Seite gekennzeichnet ist. Wood kritisiert in diesem Zusammenhang die zeitgenössische Konzeption des beim Publikum beliebten „großen, ehrgeizigen Romans“, der „Vitalität um jeden Preis“ anstrebt und folglich „tausend Dinge weiß, aber keinen einzigen Menschen kennt“. Dieser Schreibstil, von Rushdie, Pynchon, DeLillo, Foster Wallace usw. kreiert, sei nicht zu kritisieren, weil es ihm an Realität mangele – der übliche Vorwurf gegen den verpfuschten Realismus –, sondern weil er der Realität auszuweichen scheine, während er sich an den Realismus selbst anlehne. Das sei eine Vertuschung.

Auch bei Smith White Thees findet Wood viele der von ihm benannten Merkmale des „hysterischen Realismus“. Der jungen begabten Autorin fehle es nicht an Erfindungsgabe, das Problem sei, dass es bei ihr zu viel davon gebe. Für sich genommen könnte fast jedes Detail überzeugend sein, gemeinsam würden sie sich gegenseitig zerstören. Als Realismus seien viele Handlungen und Charaktere unglaubwürdig, als Satire seien sie zu karikaturhaft. Wenn Smith gut schreibe, scheine sie zu vielem fähig zu sein. So erweise sie sich in einigen Momenten als geschickt im inneren Monolog, in anderen Passagen als brillant im freien indirekten Stil. Sie habe eine natürliche komische Begabung, aber sie lasse Passagen ihres Buches in Karikaturhaftigkeit und eine Art juckenden, rastlosen Extremismus abgleiten. Diese Art des Schreibens sei nahe an einem niederen und unliterarischen „Comic“-Stil. Sie habe eine Keckheit, aber vergeude sich in einer Mischung aus Banalität und Rohheit. Bei einigen Passagen könnte dies aus dem Kopf einer bestimmten Figur heraus erzählt sein, aber in anderen sei es der Erzähler selbst.[10]

Zadie Smith setzte sich in einem Zeitungsartikel mit Woods Kritik auseinander. Sie empfindet „hysterischer Realismus“ als einen „schmerzhaft genauen Begriff für die Art von übertriebener, manischer Prosa, die in Romanen wie meinem eigenen White Teeth und ein paar anderen zu finden ist.“[11] Sie widerspricht jedoch Woods Analyse: jeder Sammelbegriff für eine angebliche literarische Bewegung sei immer „ein zu großes Netz, das bedeutende Delfine unter so viel Thunfisch in Dosen fängt“. Sie nimmt die von Wood kritisierten Autoren in Schutz. Das Publikum akzeptiere weiterhin diesen großartigen Trick, der Kolonisierung aller seelenvollen und menschlichen Dinge durch das Fernsehen Gefühle abzuringen, und sie würde all den jungen Amerikanern applaudieren – Franzen[12], Moody, Foster Wallace, Eggers, für ihre nach Moore vermeintlich kleinen, aber für sie bedeutenden Triumphe. Sie arbeite daran, beide Seiten der Gleichung – Gehirn und Herz – in ihrer Fiktion präsent zu halten. Auch wenn man sie stumpfsinnig finde, könne man ihnen selten Klischees vorwerfen.

Auszeichnungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Adaptionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Vierteilige Fernsehserie White Teeth (BBC, Channel 4, 2002) frei nach Smiths Roman. Inszeniert als rasante Zeitreise durch 30 Jahre britischer Einwandererkultur, konzentriert sich jede Episode auf eine männliche Hauptfigur: "Die seltsame zweite Ehe von Archie Jones", "Die Versuchung des Samad Iqbal", "Der Ärger mit Millat" und "Die Rückkehr des Magid Iqbal".[15] Regie: Julian Jarrold. Mit Om Puri als Samad und Phil Davis als Archie.
  • Bühnenfassung als rasante Reise durch Geschichte, verschiedene Kulturen und zufällige Begegnungen mit Musik (13 Originalsongs von Paul Englishby) und Tanz. Londoner Kiln Theatre, 2018. Bühnenbearbeitung: Stephen Sharkeys. Regie: Indhu Rubasingham, Mit Tony Jayawardena als Samad, Richard Lumsden als Archie und Ayesha Antoine als Irie.[16]

Erstausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Zadie Smith: White Teeth. Hamish Hamilton Verlag, London 2000, ISBN 0-241-14102-8.
  • Zadie Smith: Zähne zeigen. Droemer Verlag, München 2000. Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. 642 S. ISBN 3-426-19546-1.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Nick Bentley: Zadie Smith, White Teeth. In: Contemporary British Fiction. Edinburgh University Press, Edinburgh 2008, ISBN 978-0-7486-2420-1, S. 52–61.
  • Bernd Hirsch: ‚Not those kind of Indians, not that kind of black‘: Identity and History in Zadie Smith’s White Teeth. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht, Band XXXVIII, Heft 1, 2005, S. 39–47.
  • Claire Squires: White Teeth – A Reader's Guide. Continuum Contemporaries, Bloomsbury Academic, New York 2002, ISBN 0-8264-5326-0.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. Roy Sommer: Smith, Zadie. In: Metzler Lexikon Englischsprachiger Autorinnen und Autoren. 631 Porträts – Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Eberhard Kreutzer und Ansgar Nünning, Metzler, Stuttgart/Weimar 2002, ISBN 3-476-01746-X, S. 540. Siehe auch White Teeth by Zadie Smith. In: The Guardian, 26. Januar 2000. Abgerufen am 19. Juli 2015.
  2. Vgl.White Teeth by Zadie Smith. In: The Guardian,26. Januar 2000. Abgerufen am 19. Juli 2015.
  3. Vgl. White Teeth: Quirky, Sassy and Wise in a London of Exiles. In: The New York Times, 25. April 2000. Abgerufen am 19. Juli 2015.
  4. Vgl. Was vom Empire übrig blieb: Viel Stoff für Geschichten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. April 2001. Abgerufen am 19. Juli 2015.
  5. Vgl. Ein Klassiker von morgen. In: Die Zeit, 28. September 2006. Abgerufen am 19. Juli 2015.
  6. Neue Zürcher Zeitung vom 15. Mai 2001
  7. Bekannt durch sein Sachbuch How Fiction Works, (James Wood: Die Kunst des Erzählens. Mit einem Vorwort von Daniel Kehlmann. Aus dem Englischen von Imma Klemm unter Mitwirkung von Barbara Hoffmeister, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2011; englische Originalausgabe London 2008.) das sich v. a mit der realistischen Literatur befasst
  8. James Wood: Human, All Too Inhuman: On the formation of a new genre: hysterical realism (Menschlich, allzu unmenschlich Über die Herausbildung eines neuen Genres: des hysterischen Realismus). In: The New Republic, 24. Juli 2000.
  9. Elliot Yates: The Other Side of Realism: David Foster Wallace & The Hysteric's Discourse. University of Melbourne, Mai 2014, https://minerva-access.unimelb.edu.au/bitstream/handle/11343/91114/Yates%2c%20Elliot%e2%80%94The%20Other%20Side%20of%20Realism.pdf?sequence=1
  10. James Wood: Human, All Too Inhuman: On the formation of a new genre: hysterical realism (Menschlich, allzu unmenschlich Über die Herausbildung eines neuen Genres: des hysterischen Realismus). In: The New Republic, 24. Juli 2000.https://newrepublic.com/article/61361/human-inhuman
  11. Zadie Smith: This is how it feels to me. The Guardien, 13. Oktober 2001.https://books.guardian.co.uk/departments/generalfiction/story/0,6000,568381,00.html.archived.
  12. Ähnlich wie Smith begründet Franzen sein publikumsorientiertes Schreiben in einem Essay 2002. s. Freiheit
  13. ALL-TIME 100 Novels - White Teeth. Auf: Time, 11. Januar 2010.
  14. Die Zeit, 25. November 2023.
  15. Dominic Casciani: White Teeth sparkles on TV.https://news.bbc.co.uk/2/hi/entertainment/2260893.stm
  16. https://kilntheatre.com/whats-on/white-teeth/#%7Ctitle=White Teeth | Kiln Theatre|website=kilntheatre.com|language=en-US