Enrico Fermi

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Enrico Fermi
Die Physikgruppe um Enrico Fermi im Hof des Instituts für Physik (Via Panisperna) in Rom 1934 oder kurz danach, von links: Oscar D’Agostino, Emilio Segrè, Edoardo Amaldi, Franco Rasetti und Enrico Fermi
Enrico Fermi – Foto seines Los-Alamos-Dienstausweises (Zweiter Weltkrieg)
Gedenkstein für Enrico Fermi in der Kirche „Santa Croce“ in Florenz, Italien
Der FERMIAC, ein von Enrico Fermi erfundener analoger Computer zum Studium des Neutronentransports

Enrico Fermi (* 29. September 1901 in Rom; † 28. November 1954 in Chicago, Illinois) war ein italienischer Physiker und einer der bedeutendsten Kernphysiker des 20. Jahrhunderts. 1938 erhielt er den Nobelpreis für Physik.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fermi war das dritte und jüngste Kind von Alberto Fermi, einem Abteilungsleiter im italienisch Ministero delle poste e dei telegrafi, und Ida De Gattis, einer Grundschullehrerin. Seine beiden Geschwister waren Marie (1899–1959) und Giulio Fermi (1900–1915).[1][2][3] Bereits im Alter von 17 Jahren begann er ein Physikstudium an der Scuola Normale Superiore in Pisa, das er 1922 magna cum laude mit einer experimentellen Arbeit über Röntgenstreuung an Kristallen mit dem Laurea-Abschluss[4] beendete. 1923 hatte Fermi dank eines Stipendiums einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in Göttingen bei Max Born. Göttingen war damals das führende Zentrum der theoretischen Physik, hier entstanden viele wesentliche Arbeiten für die Quantenmechanik. 1924 arbeitete er mehrere Monate in den Niederlanden bei Paul Ehrenfest, ebenfalls ein Mitbegründer der Quantenmechanik. Im Januar 1925 wurde Fermi zunächst als Professor für Mathematik nach Florenz berufen. 1926 ging er als Professor für theoretische Physik an die Universität Rom (La Sapienza) auf den von Orso Mario Corbino neu gegründeten Lehrstuhl für theoretische Physik, den er bis 1938 innehatte. Fermi war seit 1924 Mitglied des Freimaurerbundes.

Seit 1928 war er mit Laura Capon (1907–1977) verheiratet und hatte mit ihr zwei Kinder: Nella (1931–1995) und Giulio (1936–1997).

In der Zeit von 1926 bis 1932 entstanden wichtige Arbeiten von Fermi zur Quantenmechanik mit Anwendungen zum Beispiel in der Festkörperphysik und Quantenstatistik (Fermi-Dirac-Statistik für Fermionen, Fermis Goldene Regel, Fermifläche, Fermi-Resonanz, Thomas-Fermi Theorie des Atoms). In Rom entstand um Fermi eine sehr aktive Gruppe theoretischer und experimenteller Physiker. Ihr gehörten Gian-Carlo Wick, Ugo Fano, Giovanni Gentile, Giulio Racah, Ettore Majorana sowie die Experimentatoren Franco Rasetti, Giuseppe Cocconi, Emilio Segrè, Edoardo Amaldi und Bruno Pontecorvo an.

Angeregt durch die Entdeckung des Neutrons durch James Chadwick im Jahr 1932 sowie durch den Nachweis von Kernumwandlungen nach Bestrahlung mit Alphateilchen durch Irène und Frédéric Joliot-Curie wandte sich Fermi 1934 der Experimentalphysik zu. Seine bahnbrechende Entdeckung war, dass Kernumwandlungsprozesse durch Neutronenstrahlung wesentlich effektiver ablaufen. Eine weitere Verbesserung der Ausbeute erhält man, wenn die Neutronen stark abgebremst werden (thermische Neutronen). 1934 veröffentlichte Fermi seine Theorie des Beta-Zerfalls („Fermi-Wechselwirkung“). Schon 1933 hatte er die Bezeichnung Neutrino für eines der am Beta-Zerfall beteiligten Teilchen geprägt, dessen Existenz drei Jahre zuvor von Wolfgang Pauli postuliert worden war.

Durch Neutronenbestrahlung des damals schwersten bekannten Elementes Uran erzielten Fermi und seine Mitarbeiter ebenfalls Veränderungen im Ausgangsmaterial (anderes chemisches Verhalten, geänderte Halbwertszeiten der austretenden Strahlung) und interpretierten diese irrtümlich als Kernumwandlung zu Transuranen (Nature-Artikel 1934). Ida Noddack kritisierte das und wies schon auf die Möglichkeit einer Kernspaltung hin, was dann vier Jahre später Otto Hahn und Fritz Straßmann mittels chemisch-analytischer Techniken zeigten; die theoretischen Grundlagen wurden von Lise Meitner und Otto Frisch erarbeitet (siehe Geschichte der Kernspaltung). Das erste Transuran konnte erst 1942 nachgewiesen werden, allerdings nach einer gänzlich anderen Synthesevorschrift. 1938 erhielt Fermi für seine Arbeiten den Nobelpreis für Physik (laut offizieller Begründung für die Identifizierung neuer radioaktiver Elemente produziert nach Bestrahlung mit Neutronen und seine Entdeckung von Kernreaktionen, die durch langsame Neutronen bewirkt werden[5]), obschon seine Interpretation des Neutronenexperiments (Erzeugung von Transuranen) nach heutigem Kenntnisstand falsch war.

Im selben Jahr emigrierte Fermi aufgrund der 1938 erlassenen antisemitischen Gesetze des Mussolini-Regimes, die seine jüdische Frau Laura, seine beiden Kinder und einige seiner Mitarbeiter betrafen, mit seiner Familie in die USA. Anfang der 1940er-Jahre arbeitete Fermi mit Isidor Isaac Rabi und Polykarp Kusch an der Columbia-Universität in New York. Ihm gelang am 2. Dezember 1942 um 15:25 Uhr an der University of Chicago mit dem Kernreaktor Chicago Pile No. 1 erstmals eine kritische Kernspaltungs-Kettenreaktion, eine Leistung, die auf der theoretischen Vorarbeit von Leó Szilárd fußte.

Im April 1943 schlug Fermi Robert Oppenheimer die Möglichkeit vor, mittels der radioaktiven Nebenprodukte aus der Anreicherung die deutsche Lebensmittelversorgung zu verseuchen. Hintergrund war Angst davor, dass das deutsche Atombombenprojekt schon in einem fortgeschrittenen Stadium wäre und Fermi war auch zum damaligen Zeitpunkt skeptisch, ob eine Atombombe schnell genug entwickelt werden konnte. Oppenheimer besprach den „vielversprechenden“ Vorschlag mit Edward Teller, welcher die Verwendung von Strontium-90 vorschlug. Auch James Bryant Conant und Leslie R. Groves wurden unterrichtet, Oppenheimer wollte aber nur dann den Plan in Angriff nehmen, falls mit der Waffe genug Nahrungsmittel verseucht werden könnten, um eine halbe Million Menschen zu töten.[6]

Im Sommer 1944 zog Fermi mit seiner Familie nach Los Alamos (New Mexico) in das geheime Atom-Forschungslabor der USA. Als Berater von Robert Oppenheimer spielte Fermi (Deckname: Henry Farmer[7]) eine wichtige Rolle bei Entwicklung und Bau der ersten Atombomben. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte sich Fermi wieder mit der Grundlagenforschung im Kernforschungszentrum an der Universität Chicago. Nach einer Europareise 1954 wurde bei Fermi Magenkrebs diagnostiziert. Er unterzog sich am 9. Oktober einer Operation und starb sieben Wochen später.[8]

Fortwirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fermi war für seine schnellen Abschätzungen und seine physikalische Intuition bekannt – er war ein Meister der „back of the envelope“-Rechnungen (die nicht mehr Platz als die Rückseite eines Briefkuverts benötigen). Sprichwörtlich sind auch die Fermi questions (Fermi-Probleme), wie etwa aus wenigen Daten die Anzahl der Klavierstimmer in einer Stadt wie Chicago abzuschätzen.[9]

Nach ihm wurden das Elektronengas (auch Fermigas) (vgl. hierzu Metallbindung), eine Gruppe von Elementarteilchen (Fermionen), das künstlich hergestellte chemische Element Fermium und ein Energieniveau in Vielteilchensystemen (Fermi-Energie) benannt. Die Atomic Energy Commission der USA stiftete zu seinem Gedenken den z. Z. mit 50.000 US-Dollar dotierten Enrico-Fermi-Preis. Das Fermi National Accelerator Laboratory bei Chicago ist nach ihm benannt und die regelmäßigen Kurse der International School of Physics Enrico Fermi der italienischen physikalischen Gesellschaft und deren Premio Enrico Fermi.

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bücher:

  • Emilio Segrè, Franco Rasetti, Enrico Persico, Edoardo Amaldi, Herbert Anderson, C. S. Smith, A. Wattenberg (Hrsg.): Note e Memorie (Collected works), University of Chicago Press, Accademia dei Lincei, 2 Bde. 1962, 1965.
  • Introduzione alla Fisica Atomica. N. Zanichelli, Bologna 1928.
  • Fisica per i Licei. N. Zanichelli, Bologna 1929.
  • Molecole e cristalli. N. Zanichelli, Bologna 1934.
  • Fisica per Istituti Tecnici. N. Zanichelli, Bologna 1938.
  • mit Edoardo Amaldi: Fisica per Licei Scientifici. N. Zanichelli, Bologna 1938.
  • Nuclear physics. University of Chicago Press 1949, 1950.
  • Thermodynamics. Prentice-Hall 1937, Dover 1956 (Vorlesung von 1936).
  • Elementary particles. Yale University Press, New Haven 1951.

Einige Aufsätze:

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auszeichnungen und Mitgliedschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Er war auswärtiges Mitglied der Royal Society (1950), der Royal Society of Edinburgh, Mitglied der National Academy of Sciences und der Leopoldina (1935).

1936 wurde er Ehrendoktor der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1946 der Yale University und der Washington University, 1948 der Harvard University und 1952 der University of Rochester. 1953 war er Präsident der American Physical Society.

In Italien war er Mitglied der Accademia d’Italia.

Nach Enrico Fermi benannte Begriffe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch: Kategorie:Enrico Fermi als Namensgeber

Physikalische Konzepte:

Philosophische und methodische Konzepte:

  • das Fermi-Paradoxon zur Frage, ob wir die einzigen intelligenten Wesen im Universum sind
  • das Fermi-Problem zur Abschätzung von Werten ohne genaue Messdaten

Sonstiges:

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Peter Gabriel nennt Fermi in seinem Text des Liedes Games Without Frontiers von 1980[10]Adolf builds a bonfire/Enrico plays with it“ (=„Adolf baut ein Lagerfeuer/Enrico spielt damit“), in dem er auf Zeilen aus Evelyn Waughs Tagebuch zum V-J DayRandolph built a bonfire and Auberon fell into it“ (=„Randolph baute ein Lagerfeuer und Auberon fiel hinein.“) anspielt.[11]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Samuel King Alison: Enrico Fermi, Biographical Memoirs. Fellows National Academy, Band 30, 1957, S. 125–155, pdf.
  • Carlo Bernardini, Luisa Bonolis (Hrsg.): Enrico Fermi, his work and legacy. Bologna, Società Italiana di Fisica 2004, ISBN 978-3-642-06053-3.
  • Giuseppe Bruzzaniti: Enrico fermi: the obedient genius. Birkhäuser, 2016.
  • Dan Cooper: Enrico Fermi and the revolutions of modern physics. Oxford University Press, 1999.
  • Laura Fermi Mein Mann und das Atom. Diederichs Verlag, 1956 (englisches Original: Atoms in the family, University of Chicago Press 1954).
  • David N. Schwartz: The Last Man Who Knew Everything: The Life and Times of Enrico Fermi, Father of the Nuclear Age. Basic, New York 2017, ISBN 978-0-465-07292-7.
  • Emilio Segrè: Enrico Fermi: Physicist. University of Chicago Press, 1970, Paperback 1988: ISBN 88-08-02238-2.
  • Emilio Segrè: Fermi, Enrico. In: Charles Coulston Gillispie (Hrsg.): Dictionary of Scientific Biography. Band 4: Richard Dedekind – Firmicus Maternus. Charles Scribner’s Sons, New York 1971, S. 576–583.
  • Gino Segrè, Bettina Hoerlin: The Pope of Physics – Enrico Fermi and the Birth of the Atomic Age. Henry Holt, 2016.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Enrico Fermi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Genealogie der Familie [1]
  2. Portale Antenati. Gli Archivi per la Ricerca Anagrafica, auf antenati.cultura.gov.it [2]
  3. The Nobel Prize in Physics 1938. Enrico Fermi Biographical, auf nobelprize.org [3]
  4. Emilio Segrè, Enrico Fermi, Bologna: Zanichelli, 1971, S. 22
  5. Laudatio: for his demonstrations of the existence of new radioactive elements produced by neutron irradiation, and for his related discovery of nuclear reactions brought about by slow neutrons, Nobelprize.org
  6. Richard Rhodes: Die Atombombe oder Die Geschichte des 8. Schöpfungstages. Greno, Nördlingen, 1988. ISBN 3-89190-522-X, S.  S. 854f, Rhodes, Making of the atomic bomb, S. 510ff
  7. Enrico Fermi’s Daughter Has Clear Memory of Atomic Age’s Dawning: Science: Nella Fermi shared with her physicist father the conviction that the deadly bomb was an inevitable outcome of learning about the atom. latimes.com, 8. Januar 1995
  8. The Learning Network. In: The New York Times. (nytimes.com [abgerufen am 11. Januar 2022]).
  9. Nach William Poundstone How would you move Mt.Fuji? beliebtes Rohmaterial für Einstellungsgespräche à la Microsoft.
  10. Peter Gabriel Ltd.: Games Without Frontiers - Released 4th February, 1980. PeterGabriel.com, 2023, abgerufen am 15. August 2023 (britisches Englisch).
  11. Jeffrey Manley: Waugh's V-J Day. The Evelyn Waugh Society, 14. August 2020, abgerufen am 15. August 2023 (amerikanisches Englisch).