Berufsgericht

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Berufsgerichte (früher auch Ehrengerichte) sind Gerichte für besondere Sachgebiete im Sinne des Art. 101 Abs. 2 GG.[1][2] Als staatliche Gerichte sind sie für die Ahndung von Verstößen gegen das Berufsrecht, das Standesrecht oder die Standesregeln zuständig.

Für Personen, die zum Bund in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, bestehen Bundesgerichte zur Entscheidung in Disziplinar- und Beschwerdeverfahren gem. Art. 96 Abs. 4 GG. Diese sind das Bundesdisziplinargericht (bis 2003) und die Truppendienstgerichte. Für die Richter im Bundesdienst wurde als Dienstgericht des Bundes ein besonderer Senat des Bundesgerichtshofs gebildet (§ 61 DRiG).

Allgemeines[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Errichtung und Verfahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Art. 30 GG, Art. 101 Abs. 2 GG erlaubt den Ländern die Errichtung von Berufsgerichten, soweit sie für das jeweilige Berufsrecht gesetzgebungsbefugt sind. § 187 Abs. 1 VwGO ermöglicht dem Landesgesetzgeber, die Berufsgerichte den Verwaltungsgerichten anzugliedern; dabei darf er die Besetzung und das berufsgerichtliche Verfahren selbstständig und abweichend von den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung regeln.[3]

Da die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bei den Heilberufen auf das Zulassungswesen beschränkt ist (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG), erstreckt sich auch der Kompetenztitel für die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht auf die ärztliche Berufsgerichtsbarkeit.[4] Diese ist Ländersache.

Anders verhält es sich mit der Rechtsanwaltschaft und dem Notariat. Da dem Bund insoweit die Gesetzgebungskompetenz für das Berufsrecht zusteht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG), ist auch die Berufsgerichtsbarkeit bundesgesetzlich geregelt (Fünfter Teil der Bundesrechtsanwaltsordnung, Teil 3 der Bundesnotarordnung).

Berufsgerichtliche Maßnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Berufsgerichtliche Maßnahmen sind[5][6]

  • Verwarnung
  • Verweis
  • Geldbuße
  • die Entziehung des Berufswahlrechts (Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts bzw. der Mitgliedschaft in den Organen der Kammer)
  • die Feststellung, dass das beschuldigte Mitglied unwürdig ist, seinen Beruf auszuüben (Ausschluss aus der Rechtsanwaltskammer; bei Ärzten: Widerruf der Approbation durch die Aufsichtsbehörde möglich)
  • die Feststellung, dass das beschuldigte Mitglied für einen bestimmten Zeitraum ungeeignet ist, Weiterbildung verantwortlich zu leiten.

Einzelne Berufsgerichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Berufsgerichtsbarkeit existiert in Deutschland für freie Berufe, deren Angehörige in berufsständischen Kammern des öffentlichen Rechts zusammengeschlossen sind, nämlich

Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts siehe

Heilberufe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Berufsgerichte für Heilberufe bestehen

  • in den meisten deutschen Bundesländern bei den Verwaltungsgerichten
  • in Bayern und Sachsen bei den ordentlichen Gerichten
  • in Baden-Württemberg, Niedersachsen und dem Saarland bei den Kammern.
Land Berufsgerichte 1. Instanz Berufsgerichte 2. Instanz Rechtsgrundlage
BW BW 14 Bezirksberufsgerichte
(Stuttgart, Karlsruhe; Freiburg, Reutlingen, Tübingen)
5 Landesberufsgerichte (Stuttgart) § 21 HBKG
BY BY Berufsgerichte (OLG München und Nürnberg) Landesberufsgericht (BayObLG) Art. 68 HKaG
BE BE Berufsgericht (VG Berlin) Berufsobergericht (OVG Berlin-Brandenburg) § 67 BlnHKG
BB BB Berufsgericht (VG Potsdam) Landesberufsgericht (OVG Berlin-Brandenburg) § 60 HeilBerG
HB HB Berufsgericht (VG Bremen) Gerichtshof (OVG Bremen) § 66 HeilBerG
HH HH Berufsgericht (VG Hamburg) Berufsgerichtshof (OVG Hamburg) § 5 HeilBerGerG
HE HE Berufsgericht (VG Gießen) Landesberufsgericht (VGH Kassel) § 51 HeilBerG
MV MV Berufsgericht (VG Greifswald) Berufsgerichtshof (OVG Greifswald) § 65 HeilBerG
NI NI 5 Berufsgerichte (Hannover), darunter das ärztliche Gerichtshof (Hannover) § 67 HKG
NW NW Berufsgerichte (VG Köln und Münster) Landesberufsgericht (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen) § 61 HeilBerG
RP RP Berufsgericht (VG Mainz) Landesberufsgericht (OVG Koblenz) § 59 HeilBG
SL SL 4 Gerichte (Saarbrücken) 4 Gerichtshöfe (Saarbrücken) § 34 SHKG
SN SN Berufsgericht (LG Dresden) Landesberufsgericht (OLG Dresden) § 62 SächsHKaG
ST ST Berufsgericht (VG Magdeburg) Landesberufsgericht (OVG Magdeburg) § 49 KGHB-LSA
SH SH Berufsgericht (VG Schleswig) Berufsgerichtshof (OVG Schleswig) § 59 HBKG, § 41 PBKG
TH TH Berufsgerichte (VG Gera, Meiningen, Weimar) Landesberufsgericht (OVG Weimar) § 49 ThürHeilBG

In Österreich gibt es für Ärzte Disziplinarkommissionen (§ 140 ÄrzteG 1998), in der Schweiz Standeskommissionen (Art. 43 Standesordnung der FMH).

Technische Berufe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für Architekten und Ingenieure sind teilweise Berufsgerichte, teilweise Ehrenausschüsse zuständig.

Echte Berufsgerichte bestehen

  • in Bayern und Berlin bei den ordentlichen Gerichten
  • in Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz (nur Architekten) und Sachsen-Anhalt (nur Ingenieure) bei den Verwaltungsgerichten
  • in Baden-Württemberg (nur Architekten) und Niedersachsen bei den Kammern.
Land Berufsgerichte 1. Instanz Berufsgerichte 2. Instanz Rechtsgrundlage
BW BW (Arch.) Berufsgericht (Stuttgart) Landesberufsgericht (Stuttgart) § 20 Architektengesetz
BY BY Berufsgericht (LG München I und Nürnberg-Fürth) Landesberufsgericht (BayObLG) Art. 28 BauKaG
BE BE Berufsgericht (LG Berlin) Landesberufsgericht (KG) § 23 ABKG
HB HB Berufsgericht (VG Bremen) Berufsgerichtshof (OVG Bremen) § 27 BremArchG, § 29 BremIngG
NI NI Berufsgericht (Hannover) Berufsgerichtshof (Hannover) § 39 NArchtG, § 42 NIngG
NW NW Berufsgericht (VG Düsseldorf) Landesberufsgericht (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen) § 51 BauKaG NRW
RP RP (Arch.) Berufsgericht (VG Mainz) Berufsgerichtshof (OVG Koblenz) § 33 ArchG
ST ST (Ing.) Berufsgericht (VG Magdeburg) Berufsgerichtshof (OVG Magdeburg) § 37 IngG LSA

Im Übrigen sind bei den Kammern Ehrenausschüsse eingerichtet. Der Unterschied zu den Berufsgerichten liegt darin, dass die Entscheidungen der Ehrenausschüsse im normalen verwaltungsgerichtlichen Verfahren angegriffen werden können.

Land Bezeichnung Rechtsgrundlage
BW BW (Ing.) Eintragungsausschuss § 7 IngKammG BW
BB BB Ehrenausschuss § 30 BbgArchG, § 27 BbgIngG
HH HH Ehrenausschuss § 20 HmbArchtG, § 17a HmbIngG
HE HE Berufsordnungsverfahren § 18 HASG, § 25 HIngG
MV MV Ehrenausschuss § 32 ArchIngG M-V
RP RP (Ing.) Ehrenausschuss § 38 IngKaG
SL SL Ehrenausschuss § 49 SAIG
SN SN Ehrenausschuss § 21 SächsArchG, § 24 SächsIngKG
ST ST (Arch.) Berufsrechtsausschuss § 22 ArchtG-LSA
SH SH Ehrenausschuss § 24 ArchIngKG
TH TH Ehrenausschuss § 35 ThürAIKG

Ehrengericht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Ehrengericht oder Ehrenrat ist auch in manchen Vereinen und Nichtregierungsorganisationen eine Institution, die für Streitigkeiten in der Organisation zuständig ist. Diese Organisationen vereinen nicht Vertreter bestimmter Berufe, sondern Mitglieder der lokalen, ethnischen und anderer Gemeinschaften.

In Deutschland schaffte 1919 die Weimarer Verfassung durch Artikel 105 die militärischen Ehrengerichte[8] ab, die unter Standesgenossen einen schlichten Abschied aussprechen konnten.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rüdiger Zuck: Die anwaltliche Berufsgerichtsbarkeit – Entwicklungslinien und Modellvorstellungen. Zeitschrift für Rechtspolitik 1997, S. 276–279.
  • Marion Eickhoff: Berufsaufsicht der freien Berufe in geteilter Verantwortung von Kammern und Staat. Nomos-Verlag, 2007. ISBN 978-3-8329-2666-3.
  • Diana Böse: Verfassungsmäßigkeit, Organisation und Verfahren der ärztlichen Berufsgerichtsbarkeit in Niedersachsen. Reformüberlegungen zum Vierten Teil des Niedersächsischen Kammergesetzes für die Heilberufe. Nomos-Verlag, 2021. ISBN 978-3-8487-8269-7.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1969 - 2 BvR 518/66 Rz. 20 ff. für die Ehrengerichtsbarkeit für Rechtsanwälte.
  2. für die ärztlichen Berufsgerichte: BVerfGE 18, 241, 257; 22, 42, 47.
  3. BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 2013 - 3 B 13.13 Rz. 3 f.
  4. BVerfG, Beschluss vom 21. Oktober 1954 - 1 BvL 9/51 u. a. - BVerfGE 4, 74, 82 ff.; Urteil vom 24. Oktober 2002 - 2 BvF 1/01 - BVerfGE 106, 62, 125, 132.
  5. vgl. Thomas Gerst, Birgit Hibbeler: Berufsrecht: Wenn Ärzte ihre Pflicht verletzen Deutsches Ärzteblatt 2011; 108(10): A-499 / B-407 / C-407.
  6. Bernd Halbe: Berufsrecht: Das berufsgerichtliche Verfahren Deutsches Ärzteblatt 2019; 116(6): A-282 / B-230 / C-230.
  7. BVerwGE 96, 189 (Memento des Originals vom 23. Februar 2019 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.jurion.de (1994)
  8. siehe etwa Vorschrift der Kaiserlichen Marine – D.E. Nr. 459 – Allerhöchste Verordnung über die Ehrengerichte der Offiziere in der Kaiserlichen Marine vom 13. Mai 1911