ADB:Görtz, Georg Heinrich Freiherr von

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Artikel „Goertz, Georg Heinrich Freiherr von Schlitz, genannt von“ von Reinhold Koser in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 389–393, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:G%C3%B6rtz,_Georg_Heinrich_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 24. April 2024, 03:05 Uhr UTC)
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Goertz: Georg Heinrich Freiherr von Schlitz, genannt von G., holstein-gottorpischer und schwedischer Staatsmann, aus einem fränkischen reichsritterschaftlichen Geschlechte, geboren 1668 als der Sohn Philipp Friedrichs v. G., Hauptmanns im fränkischen Kreise, und einer Minnigerode. Nach Beendigung [390] seiner Studien zu Jena, wo er im Zweikampf ein Auge verlor, verschaffte ihm 1698 die Empfehlung seines Oheims, kurbraunschweigischen Kammerpräsidenten v. G., der zuvor Hofmeister des Herzogs Friedrichs IV. von Gottorp gewesen war, eine Bestallung als Kammerherr im gottorpischen Dienste. Beim Ausbruche des nordischen Krieges folgte er dem Herzog in das Feldlager Karls XII.; nach der Schlacht bei Klissow (1702) überbrachte er die Nachricht von dem Tode seines Gebieters der Wittwe des Gefallenen, der Herzogin Hedwig Sophie, nach Stockholm, die ihn als Regentin für ihren unmündigen Sohn Karl Friedrich (geb. 1700) zum Geheimen Rathe ernannte. 1706 führte ihn eine diplomatische Mission von neuem in Karls XII. Hauptquartier, nach Alt-Ranstädt. Goertz’s Einfluß auf die Verwaltung der Herzogthümer stieg, als nach dem Tode der Herzogin-Mutter (1708) sein Gönner, der Administrator Christian August von Lübeck, Bruder des verstorbenen Herzogs, die vormundschaftliche Regierung übernahm. Das Jahr darauf gelang es G., seinen Nebenbuhler, den Geheimrathspräsidenten Magnus v. Wedderkop, zu verdrängen und seine Abführung auf die Festung Tönning zu veranlassen. Hatte sich Gottorp während der Siegeszüge Karls XII. zu Schweden gehalten, so gebot die Wendung des schwedischen Glückes im J. 1709 dem kleinen Staatswesen eine einlenkende Haltung gegen Dänemark. Schon vor der Schlacht bei Pultawa, am 21. März 1709, war der Altonaer Receß vollzogen worden, in welchem Gottorp und Dänemark sich über einige ihrer Streitigkeiten verständigten; weitere Zugeständnisse machte Gottorp im Hamburger Vergleich von 1710. Im Herbst 1712 landete ein schwedisches Heer unter Marschall Stenbock in Pommern; nach seinem Siege über die Dänen bei Gadebusch (20. December) wandte sich der Marschall, im Widerspruch mit seinen Instructionen, die ihn nach Polen wiesen, nach Holstein. Die später laut gewordene Anklage, daß G. die Schweden ins Land gerufen habe, hat alle Wahrscheinlichkeit gegen sich, obgleich dem Staatsmanne, der sich zum Friedensvermittler zwischen den kämpfenden Parteien berufen glaubte, der Offensivvorstoß Stenbock’s gegen Dänemark nicht unwillkommen gewesen sein kann. Die Lage der Gottorper wurde indeß eine sehr schwierige, als Stenbock, von den Russen und Sachsen, auf deren Abzug in die Heimath er gerechnet hatte, verfolgt und gedrängt, die Aufnahme in die Festung Tönning forderte, ein Ansinnen, dem der herzogliche Hof durch den geheimen Vertrag von Gottorp (21. Januar 1713) willfahrte. Eine auf den Namen des unmündigen, in Schweden weilenden Herzogs Karl Friedrich gefälschte Ordre an den Commandanten der Festung sollte dem Regenten und seinem Minister den Rücken decken; aber trotz aller Bemühungen des officiellen Gottorps, an dem am 14. Februar erfolgten Einmarsch der Schweden in Tönning unbetheiligt zu erscheinen, nahm der König von Dänemark Veranlassung, von dem gottorpischen Antheil an Schleswig und Holstein Besitz zu ergreifen. Die Restitution dieser Lande für das gottorpische Haus zu erwirken, – bekannt ist, daß 1720 im Frieden von Friedrichsburg wenigstens die schleswig’schen Gebiete der herzoglichen Linie definitiv bei der königlichen, bei Dänemark blieben, – war jetzt die vornehmste Aufgabe der Goertzischen Politik. G. versuchte und vermochte es, die gottorpische Frage zu einer europäischen zu machen. Auf schwedischen Schutz durfte er nicht mehr rechnen, seit König Karl, nach seinem „Kalabalik“ mit den Janitscharen, aus Bender nach Demotika geführt war; er mußte nach anderen Stützen umschauen. Durch russische Fürsprache erwirkte er sich Ende März 1713 eine Declaration des Königs von Dänemark, welche die Zurückgabe der gottorpischen Lande verhieß, sobald Tönning durch Goertzens Bemühungen von den Schweden befreit sein werde. Aber, wie es im dänischen Interesse lag, zugleich mit der Capitulation des schwedischen Heeres die der gottorpischen Festung herbeizuführen, so wußten sie im Laufe der Verhandlungen den Vermittler der Doppelzüngigkeit [391] zu zeihen und gaben ihm einen Zwangspaß. Stenbock ergab sich mit seinem Heere in Folge directer Verhandlung, ohne daß nun die Dänen die Belagerung der Festung, die der gottorpischen Besatzung noch verblieb, aufhoben. Wie den Dänen, so auch dem Czaren verdächtig geworden, setzte jetzt G. seine Hoffnung auf Preußen. Auf der Basis eines mit dem schwedischen Statthalter Graf Vellingk getroffenen Abkommens schloß er einen Vertrag mit Preußen (20. Juni), durch den dieser Staat und Gottorp sich zur Sequestration der deutschen Provinzen Schwedens vereinigten; zugleich versprach Preußen seine Verwendung für die Wiedereinsetzung der Gottorper und für die Herbeiführung eines für Schweden annehmbaren Friedens; in geheimen Artikeln wurde die gottorpische Succession in Schweden und die Abtretung von Schwedisch-Pommern bis zur Peene an Preußen in Aussicht genommen. Der schwedische Commandant von Stettin weigerte sich, das ohne unmittelbare Mitwirkung seines Königs getroffene Abkommen anzuerkennen und seine Festung den Sequestertruppen zu übergeben; Friedrich Wilhelm I. hielt damit das Abkommen mit Gottorp für erloschen. Aber G. wußte jetzt neue Fühlung mit Rußland und mit Kursachsen zu gewinnen, und als Stettin Ende September nach einem Bombardement an die Russen capitulirte, mußte sich Preußen im Schwedter Recesse, der die eroberte Festung preußischen Bataillonen einräumte, immerhin eine gottorpische Mitbesetzung gefallen lassen. So wenig dies im Sinne des Königs geschah, so ließ er doch diesen Erfolg der gottorpischen Politik ihrem Leiter nicht persönlich entgelten; G. erhielt damals den schwarzen Adlerorden. Im Februar 1714 mußte sich Tönning, von Hunger gezwungen, den Dänen ergeben. Als die Nachricht von dem Fall der Festung nach Petersburg kam, befand sich dort als Unterhändler von G. der Freiherr v. Bassewitz. Er sollte für den Herzog von Gottorp um die Hand einer Tochter des Czaren werben; der weitere Plan war, daß der Herzog nach seiner ihm von dem Czaren zu garantirenden Besteigung des schwedischen Throns Ingermanland und Carelien oder Esthland und Livland an Rußland abtreten, Rußland aber ihm zur Wiedererlangung seiner Erblande verhelfen sollte. Nun ließen eine Anzahl in Tönning vorgefundene Documente keinen Zweifel mehr darüber, daß die Schweden das Jahr zuvor in vollem Einverständniß mit den Gottorpern in die Festung gezogen waren. Der Czar brach deshalb die Verhandlung mit Bassewitz in brüsker Weise ab: „Wat will sik de kleene Keerl in de grote Sak meleeren? Ik war den Keerl na Sibirien schicken“, so soll er, nach Bassewitz, von G. gesagt haben. G. hätte jetzt gern den Unterhändler desavouirt: er befahl dem Legationssecretär Christ, sich der Papiere seines Chefs zu bemächtigen. Aber Bassewitz ließ sich nicht überraschen, um alsdann mit Enthüllungen gegen G. aufzutreten und auf dessen Vertheidigung mit rücksichtslosester Grobheit zu repliciren. Ein Nachspiel zu dem argen häuslichen Zwiste, den die beiden gottorpischen Staatsmänner vor aller Welt zum Austrag brachten, waren die beißenden Pamphlete, die G. gegen die Minister des Königs von Preußen schleuderte, als dieser dem intriguanten Diplomaten nunmehr seinen Hof verbot. So waren Goertz’ Bemühungen, die Intervention einer größeren Macht für das Fürstenhaus, dem er diente, zu erzielen gescheitert. Gemeinsam ist seinen Anläufen in Berlin und in Petersburg, daß er die Herstellung des gottorpischen Besitzes auf Unkosten Schwedens anstrebte; nicht zu übersehen aber ist, daß er dabei fortdauernd im Einverständnisse mit dem schwedischen Generalgouverneur Vellingk handelte. Ob hinter Vellingk und G. die schwedische Adelspartei stand, die Partei der „Freiheitsmänner“, läßt sich mit genügender Sicherheit noch nicht nachweisen. Wiederholt ist bei den Verhandlungen mit Rußland die Rede davon gewesen, den „hochfahrenden Karl“ zu entthronen und durch den Herzog von Gottorp zu ersetzen, und derselbe Plan wird in den [392] diplomatischen Berichten aus Stockholm jenen Freiheitsmännern untergeschoben. Marschall Stenbock war der festen Ansicht, daß man ihn und seine Armee, als den letzten Hort der königlichen Gewalt, dieser Parteiintrigue zu Liebe in dänischer Gefangenschaft verschmachten lasse. Als Karl XII. im Herbst 1714 aus der Türkei zurückkehrte, galt der Staatsmann, der so schamlos, so urtheilte man, gegen ihn intriguirt hatte, in Aller Augen als verloren. G. eilte dem Kommenden bis nach Siebenbürgen entgegen; eine Krankheit verhinderte ihn, den König unterwegs zu sprechen. Karl beschied ihn nach Stralsund; was beide bei ihrer ersten Begegnung mit einander gesprochen, hat kein Zeuge gehört; aber G. genoß seitdem des Königs uneingeschränktes Vertrauen. Sein Verhältniß zu Karl war ein rein persönliches; nie in den schwedischen Unterthanenverband tretend, blieb G. gottorpischer Staatsbeamter. Aus einer Untersuchung, die gegen ihn als solchen im J. 1715 in Folge einer lebhaften Agitation in den Herzogthümern eingeleitet wurde und die sich theils gegen seine auswärtige Politik, vor Allem aber gegen seine Finanzverwaltung richtete, ging der allmächtige Günstling des schwedischen Königs unbehelligt hervor. Den verschlungenen Irrwegen der Politik von G. während jener letzten Zeit seines Lebens, die der schwedischen Geschichte angehört, kann hier nicht nachgegangen werden. Die Eigenschaften, die schon seine holsteinische Politik gekennzeichnet hatten, seine Geschmeidigkeit und Findsamkeit, seine Keckheit und Kaltblütigkeit – G. rühmte sich seines „Ministerialphlegmas“ – sie wuchsen mit den größeren Verhältnissen, in die er sich hineingestellt sah. Vor allen Thüren mit seinen Anträgen abgewiesen, überall auch persönlich so stark wie möglich discreditirt, wußte er doch durch die geschickteste Ausnützung der gegenseitigen Eifersüchteleien der Feinde Schwedens sich stets von neuem wieder Gehör zu verschaffen, so in Petersburg, so in Berlin, so in London – denn auch dem englischen Hofe war er in dem Grade verdächtig, daß derselbe im Februar 1717 im Haag, wo G. damals Ränke spann, seine Verhaftung veranlaßt hatte. Der König von Schweden, sagte man in Berlin, „wird mit Keinem Frieden machen; er wird die Conjuncturen abwarten, die so wunderlich laufen, daß er leicht seinen verlorenen Credit wieder bekommen kann; verlieren kann er nicht mehr, als er verloren hat, er kann nur noch gewinnen“. Eine Flugschrift von 1717 ruft der staunenerregenden Dreistheit der Goertzischen Politik die Worte zu: „Noch sei es nicht Mode, daß der Besiegte Gesetze vorschreibe.“ Berühmt und berüchtigt sind Goertz’ Finanzoperationen, seine Einführung der kupfernen Werthzeichen, die den Gesammtwerth des schwedischen Nationalvermögens repräsentiren sollten; G. wurde das Vorbild für einen Law in Frankreich, dessen anfängliche Erfolge mit den Mississippiactien dann wieder in England die Südseecompagnie und die Bubbles anregten. Eine hohe staatsmännische Begabung und eine bewundernswürdige Hingebung für die Sache, der er sich jedesmal weihte, ist G. nicht abzusprechen, aber er bleibt der Typus für die anrüchige Cabinetspolitik des achtzehnten Jahrhunderts, er zählt zu den Virtuosen unter jenen „Roulettespielern der hohen Politik“, die mit kleinen Mitteln großes erreichen wollten. G. sei „impertinent und ein Betrüger“, so urtheilte Friedrich Wilhelm I. in seiner drastischen Art. Lange Zeit galt die Annahme, daß G. auf der Reise nach Friedrichshall, die in Folge des Todes seines Herrn und Beschützers durch seine Verhaftung unterbrochen wurde, den fertigen Friedensvertrag mit Rußland in der Tasche gehabt, daß demselben nur noch die Unterschrift Karls gefehlt habe. Neuere Forschungen haben erwiesen, daß die Verhandlungen mit dem Czaren bei aller Geneigtheit desselben und trotz aller Bemühungen Goertz’ an dem unbeugsamen Eigensinne Karls gescheitert waren. Und das darf bei der Beurtheilung von G. nie vergessen werden, daß er eben nur das blinde, obgleich überaus geschickte Werkzeug [393] in der Hand eines keinen Widerspruch duldenden Selbstherrschers war. Gerade auf dem willenlosen Gehorsam, mit dem er sich dem starren Sinne seines Gebieters unterordnete, beruht wol das Geheimniß seines Verhältnisses zu Karl. Das blutige Ende, das G. am 13. März 1719 mit würdiger Fassung auf dem Schaffot zu Stockholm fand, hat vielfach Sympathieen für ihn wach gerufen; sein Schwiegersohn K. v. Moser hat zuerst in der „Rettung der Ehre und Unschuld des Freiherrn v. Schlitz genannt v. G.“ (1776) das unregelmäßige Verfahren seiner schwedischen Richter einer verdienten Kritik unterworfen. In Schleswig-Holstein blieb dem Namen G. der schlechteste Klang, immer aber sind die von seinen zahlreichen Feinden, den Amthor, Bassewitz, Ducros, Stenbock, Wedderkop, gegen ihn erhobenen Anklagen mit großer Vorsicht aufzunehmen.

P. v. Kobbe, Schleswig-Holstein’sche Gesch., 1694–1808, Altona 1834; R. Koser, Die Katastrophe der Schweden in Schleswig-Holstein i. J. 1713 (Zeitschrift für preuß. Gesch. XII, mit Nachtrag ebend. XIII); C. Paludan-Müller, Omrids af Kong Frederik den Fjerdes Kamp med Grev Magnus Stenbock og Baron Gortz i Aarene 1712, 13 og 14 (Historisk Tidsskrift, Kjobenhavn 1877); J. G. Droysen, Gesch. d. preuß. Pol., Abth. IV, Bd. 2; F. Carlson, Om Fredsunderhandlingarne åren 1709–1718, Stockholm 1857; A. Fryxell, Lebensgesch. Karls XII., a. d. Schwed. von G. F. v. Jenssen-Tusch und L. Rohrdantz, Braunschweig 1862; A. Brückner, Kupfergeldkrisen (Finanzgesch. Studien), Petersburg 1867.