ADB:Werenfels, Peter

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Artikel „Werenfels, Peter“ von Arnold von Salis in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 1–4, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Werenfels,_Peter&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 12:39 Uhr UTC)
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Werenfels: Peter W., Dr. theol., Antistes der Kirche und Professor an der Universität zu Basel von 1675–1703, wurde geboren am 20. Mai 1627 zu Liestal (bei Basel), wo sein Vater, Joh. Jak. W., Pfarrer war. Der Urgroßvater des letzteren, Rudolf v. W., war seiner Zeit aus Bern nach Basel übergesiedelt. Peter’s Mutter, Jahel Ryff, war die Tochter des gelehrten Arztes und Mathematikers Peter Ryff. Durch die Wahl des Joh. Jak. W. nach St. Martin kam die Familie nach Basel. Am Gymnasium daselbst erhielt Peter seine humanistische Ausbildung, an der Universität die theologische. 1647 wurde er Candidat; 1649 ward er von der theologischen Facultät neben Lukas Gernler, seinem späteren Vorgänger in der Antisteswürde, dem Statthalter der Festung Breisach, Joh. Ludw. v. Erlach, als Hofprediger empfohlen. Gernler wurde ihm vorgezogen. Aber schon 1650 kam W., durch Empfehlung der Facultät, als Hofprediger zum Grafen Friedrich Kasimir von Ortenburg bei Passau, auf drei Jahre. Ende 1653 wurde er heimberufen, als Nachfolger Gernler’s im Amt eines städtischen Gemeinhelfers. 1655 ersuchte Graf Friedrich Kasimir von Hanau-Lichtenberg, mit Rücksicht auf seine reformirte Gemahlin, Sibylla Christina von Anhalt, die theologische Facultät von Basel um einen geeigneten Geistlichen für seine reformirten Unterthanen im Dorfe Wolfisheim bei Straßburg und in dessen Umgebung. So kam W. dahin für ungefähr ein halbes Jahr und erwies sich in der That als der geeignete Mann, durch seine hervorragende Predigtgabe, wie durch seine maß- und tactvolle Art im Besprechen der confessionellen Differenzpunkte, insbesondere der Abendmahlslehre. Seine Abschiedspredigt vom 1. Juli 1655, über Judä V. 20, wurde auf besonderes Verlangen der Gräfin gedruckt und der hohen Frau gewidmet.

In die Heimath zurückgerufen, fand er seinen Vater sterbend. Der überaus erbauliche Tod des Mannes, wie dessen Bitte im Todeskampf: „Ultimus agon restat; Domine ne desere me, ne te deseram!“ ist dem Sohne unvergeßlich geblieben bis auf sein eigenes Sterbebette. Am 11. December 1655 wurde Lukas Gernler Antistes und W. folgte demselben als Archidiakonus und Mitprediger am Münster. Er verehelichte sich 1656 mit Margaretha Grynäus, Tochter des Pfarrers Samuel Grynäus zu St. Leonhard. Von den zehn Kindern, welche sie ihm bis 1671 gebar, fünf Söhnen und fünf Töchtern, überlebten ihn drei Söhne und zwei Töchter. Sein erstgeborener ist der berühmt gewordene Theologe Samuel W.

[2] Neben seinem Pfarramte docirte W. 1656 bis 1658 aushülfsweise für den in Urlaub abwesenden Joh. Jak. Buxtorf hebräische Sprache. Während der Pest, welche 1667 und 1668 die Stadt schwer heimsuchte, zeichnete sich der muthige und glaubensstarke Seelsorger aus. In seinen Frühgottesdiensten predigte er in serie über den 91. Psalm. 1669 erschienen diese Predigten, nebst einer Dankpredigt über Joh. 5, 14, in einem Bande als: „Petri Werenfelsii Davids Pest-Artzney. Basel, bei Jacob Werenfels 1669.“ Neben viel gelehrtem Ballast, nach damaligem Zeitgeschmack, enthalten diese Predigten kräftige und praktische Gedanken und innige Mystik.

Besondere Beachtung verdient aus jener Zeit überdies eine, bei Anlaß der Erneuerung des Rathes am 20. Juni 1668 von W. im Münster über 1. Mos. 41, 38 gehaltene „Christl. Predigt von Bestellung des Regiments“, welche nicht nur vorzüglich disponirt ist und als Rede bedeutend, sondern auch eine erfreuliche Freimüthigkeit und Unerschrockenheit athmet im Strafen der eingerissenen „Aemtersucht und Gabenfresserei“, welche das politische Leben Basels zu verderben drohte, und welche auch 1691 zu einer förmlichen Revolution führte.

Es bedeutete eine Beförderung für W., als derselbe 1671 zum Pfarrer bei St. Leonhard gewählt wurde. 1674 übertrug man ihm auch das Inspectorat des reorganisirten Waisenhauses. Nach Gernler’s Tod (9. Febr. 1675) wurde W. am 11. Mai 1675 zum Pfarrherrn am Münster gewählt durch die Gemeinde, und folgenden Tages durch den Rath zum Antistes und Archidecan der Kirche Basels zu Stadt und Land. Mit dieser obersten kirchlichen Würde war von Amtswegen eine theologische Professur an der Universität verbunden. Seit 1647 gab es drei theologische Lehrstühle mit Rangordnung: vorerst wurde einer Professor Locorum Communium et Controversiarum, dann Professor Veteris Testamenti, und dann Professor Novi Testamenti. W. lebte lange genug, um jeden dieser Lehrstühle eine Reihe von Jahren innehaben zu können, den ersten von 1675 bis 1685, den zweiten 1685 bis 1696, den dritten 1696 bis 1703. Seine akademische Laufbahn als Dr. theol. eröffnete er mit einer Inauguralrede „über die verschiedenen Kunstgriffe, deren die römische Kirche sich bedient, um die Akatholischen zu ihrem Glauben hinüber zu ziehen“. Dogmatik lehrte er an Hand des rühmlichst bekannten „Compendii Wollebiani“. In seinen alttestamentlichen Vorlesungen beendigte er Gernler’s begonnene Auslegung der Psalmen und bearbeitete den Propheten Daniel so, daß seine Zeitgenossen auf den Druck dieses „opus dignissimum“ hofften. Hinsichtlich des N. T.’s. werden besonders seine Vorlesungen über die Apostelgeschichte erwähnt. Ein stattlicher Quartband auf der Basler Univ.-Bibliothek (K. A. H. III, 10) enthält seine lateinischen „Disputationes Theologicae“, über 32 Themata. Eine Aufzählung derselben an dieser Stelle gestattet der verfügbare Raum nicht. „In litterarisch-historischer Beziehung der Beachtung werth“ findet Hagenbach zwei derselben „De Waldensibus“, gehalten 1695 und 1700, unter Betheiligung von Waldenser Theologen, die in Basel studirten. Die wissenschaftliche Methode Werenfels’ war noch durchaus die der üblichen Scholastik mit ihren Affirmativen und Negativen und ihren kühnen logischen und dialektischen Deductionen. Neue Bahnen hat er nicht gewiesen; er stand durchaus auf dem Boden des seit 1662 in der theologischen Schule Basels geltenden „Syllabus Controversiarum“ und der „Formula Consensus“, welche die schärfste Dordrechter Lehre von der Prädestination und die Inspirationslehre „quoad vocalia hebraica“ vertrat. Sie war, wenn schon erst nach Gernler’s Tod auf Empfehlung der Geistlichkeit (incl. Werenfels’) vom Rathe zum „beständigen Gesetz“ erhoben (1675), dennoch wesentlich Gernler’s Werk. Antistes W. bot vielmehr, aus seiner milden Gesinnung heraus, schon 1686 bereitwilligst [3] Hand zur Beseitigung der Verpflichtung auf diese Consensformel den Vorstellungen des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg und einem Gesuche des Rathes von Basel entgegenkommend. Sie wurde 1723, zum guten Theil durch die Bemühungen seines Sohnes Samuel, förmlich und endgültig abgeschafft. W. suchte in allen seinen Reden und Schriften stets den Frieden und die Einigkeit im Geist, wenn auch nicht eine formale Union, mit den Lutheranern, deren dogmatische Differenzen von der reformirten Lehre er als „errores circa fundamentum“ zu bezeichnen pflegte. Von seinen gedruckten akademischen Vorträgen sei noch erwähnt der übliche lateinische Panegyricus auf seinen verstorbenen Amtsvorgänger: „Icon Theologi eximii … Lucae Gernleri.“ 1676. Zu drei Malen war er Rector magnificus, elf Male Decan der theologischen Facultät, zwei Mal hatte er als Promotor drei Doctores theol. zu creiren.

Die Hauptthätigkeit Werenfels’ lag auf dem praktischen Gebiet, dem des Kirchenregimentes und der pastoralen Wirksamkeit. In ersterer Hinsicht galt es, die Ansprüche, welche der seit der Reformation mit seinem Domcapitel nach Freiburg i. Br. und, nach der Einnahme Freiburgs durch die Franzosen, 1678 nach Arlesheim übergesiedelte Bischof von Basel auf sein früheres Besitzthum in der Stadt immer wieder erhob, abzuweisen und doch Ludwig XIV. nicht zu reizen, welcher nach dem Rhein vordrängte, Straßburg 1681 einnahm und katholisirte und in Basels unmittelbarer Nähe die Festung Hüningen baute. Da mußte der Antistes das protestantische Bewußtsein wach halten und doch auch wieder „verschaffen, daß man in den Predigten und Gebeten die Papisten nicht allzusehr choquire“. Nach der Aufhebung des Edictes von Nantes (22. Oct. 1685) wuchs die Einwanderung französischer Refugianten und bald auch vertriebener Waldenser nach der Schweiz und insbesondere nach Basel ins Riesige an. Nicht nur die Aufbringung der zu ihrem Unterhalt nöthigen Geldmittel durch jährliche Steuern der Bürgerschaft während eines starken Jahrzehntes ward eine drückende Last (vgl. Mörikofer, Gesch. der evangel. Flüchtlinge in der Schweiz. Leipzig 1876); sondern Frankreich drohte beständig mit der Sperre der im Sundgau fälligen Einkünfte Basels, und man wollte die Aufnahme der französischen Exulanten darstellen als einen Bruch der Staatsverträge mit Frankreich. Damals gaben die juridische Facultät, und im Namen der theologischen Antistes W. ihre muthigen Gutachten ab an den Rath, welche sowol vom rechtlichen, als vom christlichen und kirchlichen Standpunkt aus, die Aufnahme der Verfolgten rechtfertigten und postulirten, (vgl. Ullii Collectanea, Tom. II auf der Basler Univ.-Bibl.) und Basel hat seine Pflichten gegen die Glaubensgenossen redlich erfüllt.

Im J. 1691 artete eine, in ihren Anfängen wohlbegründete Bewegung in der Bürgerschaft, gegenüber einer corrupten und corrumpirenden Oligarchie, leider in eine kleine Revolution aus, welche schließlich mit Gewalt und einigen Hinrichtungen unterdrückt wurde, und von welcher weniger Früchte zurückblieben, als wünschbar gewesen wäre. Antistes W. und die Geistlichkeit, welche anfänglich ebenfalls die Bewegung befürwortet hatten, sahen sich später genöthigt, der in Ungesetzlichkeit sich verirrenden entgegenzutreten. Das Genauere hierüber geben: Abel Burckhardt, Bilder aus der Geschichte von Basel. Fünftes Heft: Das einundneunziger Wesen. Basel 1882. – Dr. Karl Burckhardt, Die Begehren der Basler Bürgerausschüsse im J. 1691. Beiträge zur vaterländischen Geschichte, herausgegeben von der historischen Gesellschaft in Basel. Bd. VIII. Basel 1866. – Peter Ochs, Geschichte der Stadt und Landschaft Basel. Bd. VII. Basel 1821.

Die kirchlichen Verfügungen und Verordnungen, welche W. erlassen, zur Berücksichtigung älterer stellenloser Candidaten, zur Hebung der Wochengottesdienste [4] sowie des Jugendunterrichtes in Schule und Kirche (durch sein sogen. „Nachtmahlbüchlein“ 1686), zur Bereicherung der Liturgie (durch Gebete, Installationsformular u. dgl.), zu feierlicherer Gestaltung der Taufe, welche er in Verbindung brachte mit dem öffentlichen Gottesdienst 1699, haben wesentlich locales, kaum allgemeineres Interesse. Dagegen verdienen seine zahlreichen gedruckten Predigten alle Beachtung und erfreuten sich mit Recht großer Beliebtheit. Außer den weiter oben bereits erwähnten, sei hier noch seine sogenannte „Nachtmahls-Predigt“ über Matth. 26, 26–29 genannt, die er 1689 in einem bescheidenen Wochengottesdienst gehalten hatte, und die er, etwas erweitert, dem Druck übergeben mußte. Sie war so vorzüglich, daß er eine zweite Auflage derselben vorbereitete, als der Tod ihn abrief, und daß sein Sohn Samuel sie 1705 doch nochmals edirte. In welchem Geiste sie gehalten ist, erhellt schon aus dem Motto, das er ihr vorgesetzt: Genes. 13, 8. Lieber, laß nicht Zank sein zwischen mir und dir! – In seinem letzten Lebensjahre noch veröffentlichte er einen stattlichen Quartband „Außlegung der Sonntäglichen Evangelien durch daß gantze Jahr“ (Basel 1702); bekannt unter dem Namen: „Petri Werenfelsii Dominicalia.“ In der reformirten Kirche Basels waren die Perikopen durch die Serienpredigten über ganze Bücher der h. Schrift nicht völlig verdrängt, sondern zum Theil für die Nachmittagsgottesdienste beibehalten worden. Das Vorwort zu der Sammlung spricht sich darüber sehr gut und besonnen aus. – Ueberdies sind gegen 200 Leichenpredigten, nebst einigen Casualreden anderer Art von W. gesammelt worden. Seine Schriften füllen im ganzen mindestens sechs starke Bände.

Bis ans Ende durfte er thätig sein, mit ungeschwächter Geisteskraft. Am Himmelfahrtsfest 1703 predigte er noch Vor- und Nachmittags im Münster, dann legte er sich zu kurzer Krankheit nieder; seine letzten Gedanken waren Himmelfahrtsgedanken. Sein Wahlspruch war das von ihm selbst verfaßte Distichon:

Petra salutis eras puero, juvenique, viroque;
Auxilio ne me desere, Christe, senem!

Und betend ist er heimgegangen am 23. Mai 1703, 76 Jahre alt und 3 Tage. Sein Nachfolger rief in der akademischen Gedächtnißrede der Versammlung zu: „Nec doleamus quod tales amiserimus, sed gaudeamus quod tales habuerimus!“

Von Werenfels’ Schriften waren mir zugänglich: „Ikon Theologi … D. Lucae Gernleri“ (Basil. 1676); „Disputationes Theologicae“ (Fascic. 1675–1702); „Davids Pest-Artzney“ (Basel 1669); „Petri Werenfelsii Concionum Funebrium Fascicc. VII“; „Dominicalia“ (Basel 1702, mit Werenfels’ Bildniß); Em. Ullii S. M. C. Collectanea. Manuscript auf der Basler Kirchenbibliothek, mit Gutachten u. dgl.

Ueber Werenfels’ Person, Familie, Schriften sind besonders zu vergleichen: Athenae Rauricae. Basel 1778. – Alex. Wolleb’s Leichenpredigt und Zwinger’s Oratio Parentalis im oben gen. Band „Conc. Funebrium“. – Jac. Christ. Iselin, Histor. und geogr. Lexikon, Basel 1728. – Hans Jacob Leu, Allg. Helvet. Lexikon, Zürich 1764. Mit reichlichen Angaben über Werenfels’ Werke und Familie. – Karl Buxtorf-Falkeisen, Antistes und Prof. P. Werenfels. Wissenschaftl. Beilage zum Jahresbericht der Realschule. Basel 1856. – K. R. Hagenbach, Die theol. Schule Basels und ihre Lehrer, von Stiftung der Hochschule 1460 bis zu De Wette’s Tod 1849. Zur 4. Säcularfeier der Univ. Basel verfaßt … Basel 1860, Schweighauser. – K. R. Hagenbach, Krit. Gesch. der ersten Basler Confession u. s. w. Basel, H. Georg 1857. – Peter Ochs, Gesch. der Stadt und Landschaft Basel. Basel 1821. Bd. VII. – Haller, Bibl. der Schweiz. Gesch.