Wachstumsrate

Die Wachstumsrate ist in vielen Fachgebieten eine Kennzahl, welche die relative Veränderung einer Variablen im Zeitablauf wiedergibt.

Allgemeines

Die Kennzahl betrifft das Wachstum, einem eigentlichen Homonym, das insbesondere in Biologie, Chemie, Graphentheorie, Mathematik und Wirtschaftswissenschaften mit leicht modifiziertem Begriffsinhalt verwendet wird. Der Schwerpunkt des Begriffs liegt in der Fachliteratur eindeutig bei den Wirtschaftswissenschaften.

Betriebswirtschaftslehre

Das Unternehmenswachstum ist ein mögliches Unternehmensziel. Internes Unternehmenswachstum findet durch Erweiterungsinvestitionen statt, externes durch Unternehmenskäufe und Fusionen. Messgröße sind unter anderem die Umsatzerlöse und die Bilanzsumme, bei Kreditinstituten das Geschäftsvolumen und im Versicherungswesen die Beitragseinnahmen. Die Wachstumsrate $g$ ergibt sich als betriebswirtschaftliche Kennzahl außerhalb des Finanzsektors aus der Veränderung der Umsatzerlöse $S$ innerhalb zwei aufeinander folgender Rechnungsperioden$t$:

$g={\frac {S_{t}-S_{t-1}}{S_{t-1}}}$.

Dabei werden die Umsatzerlöse der Rechnungsperioden $t$ und $t_{1}$ miteinander verglichen. Kehrwert dieser Wachstumsrate ist die Investitionsdeckung.

Biologie

Die Biologie befasst sich unter anderem mit den Wachstumsraten von Organismen. Die Wachstumsrate ist dabei ein Maß für die Geschwindigkeit des Zellwachstums (pro Stunde bzw. pro Tag) und lässt sich während der exponentiellen Wachstumsphase mit der Monod-Kinetik berechnen.

Bei exponentiellem Wachstum ist die Geschwindigkeit der Veränderung der Zellmasse (${\tfrac {dX}{dt}}$) zu jedem Zeitpunkt proportional zur Zellmasse $X$. Die Proportionalitätskonstante wird als spezifische Wachstumsrate $\mu$ bezeichnet:

${\frac {dX}{dt}}=\mu X$

Andere zur Beschreibung von Fermentationsprozessen benutzte Kenngrößen sind die spezifische Produktbildungsrate und der spezifische Substratverbrauch.

Geldtheorie

In der Geldtheorie entspricht die Wachstumsrate des Geldangebots $g_{M}$ zuzüglich der Wachstumsrate der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes $g_{U}$ der Inflationsrate $I$ zuzüglich der Wachstumsrate des realen BIP $g_{r}BIP$:

$g_{M}+g_{U}=I+g_{rBIP}$.

Diese Gleichung gilt stets, da die Umlaufgeschwindigkeit nicht unabhängig gemessen wird, sondern dem Verhältnis des nominalen BIP $nBIP$ zum Geldangebot entspricht (${\frac {nBIP}{M}}$).

Mathematik

In der Mathematik ist die diskrete Wachstumsrate $p$ die Änderung einer von der Zeit $t$ abhängigen Größe $A(t)$ zwischen zwei Zeitpunkten $t_{0}$ und $t$ relativ zu ihrem Ausgangswert $A(t_{0})$:

$p={\frac {A(t)-A(t_{0})}{A(t_{0})}}$.

Verkürzt man die Periode immer mehr hin zu ihrem Anfangszeitpunkt, bildet man also den Grenzwert, dann erhält man die stetige Wachstumsrate $w$ zu diesem Zeitpunkt. Sie ist die momentane Änderung der Größe $A(t)$ zu einem konkreten Zeitpunkt $t_{0}$ relativ zu ihrem Wert $A(t_{0})$ zu diesem Zeitpunkt.

$w={\frac {1}{A(t_{0})}}\cdot {\frac {dA}{dt}}(t_{0})$

Die mittlere diskrete Wachstumsrate über mehrere Zeitspannen wird durch die allgemeine Gleichung

$\operatorname {Wachstumsrate} (t_{0},t)=\left({\frac {A(t)}{A(t_{0})}}\right)^{\frac {1}{n}}-1$

ausgedrückt, wobei $n=t-t_{0}$ die Anzahl der Zeitspannen zwischen $t_{0}$ und $t$ und $A(t)$ die betrachtete Größe zum jeweiligen Zeitpunkt $t$ darstellt. Hierbei handelt es sich um die Wachstumsrate aus dem geometrischen Mittel der Wachstumsfaktoren der einzelnen Perioden.

Wird zur mathematischen Beschreibung des Exponentiellen Wachstums einer zeitabhängigen Größe $A(t)$ eine Funktion der Form

$A(t)=A_{0}\cdot \left(1+p\right)^{t/T}=A_{0}\cdot q^{t/T}=A_{0}\cdot e^{rt/T}$

mit einer explizit aufgeführten Zinsperiode (z. B. $T=1\ {\text{Jahr}}$) verwendet, so kann die Periodendauer $T$ in die Wachstumskonstante $\lambda$ umgerechnet werden:

$A(t)=A_{0}\cdot e^{\lambda t}\quad {\text{mit}}\quad \lambda ={\frac {r}{T}}={\frac {\ln q}{T}}={\frac {\ln(1+p)}{T}}$.

Da die Wachstumsrate $p$ und der Wachstumsfaktor $q$ dimensionslose Zahlen sind, hat die Wachstumskonstante $\lambda$ die Dimension einer Frequenz. Die Zahl $r=\ln(q)=\ln(1+p)$ im Exponenten kann ebenfalls als Rate bezeichnet werden, da sie bei kleinen Wachstumsraten unterhalb von 10 % annähernd gleich $p$ ist:

$r=\ln(1+p)\approx p\quad {\text{falls}}\quad |p|<0{,}1$.

Mathematische Wachstumsraten bilden die Grundlage der Wachstumsraten in anderen Fachgebieten.

Siehe auch: Funktion des exponentiellen Wachstums

Volkswirtschaftslehre

Wachstumsraten sind auch volkswirtschaftliche Kennzahlen. Messgröße ist insbesondere das Bruttoinlandsprodukt $BIP$. Das Wirtschaftswachstum $g$ wird wie folgt ermittelt:

$g={\frac {BIP_{t}-BIP_{t-1}}{BIP_{t-1}}}$.

Das vom Stabilitätsgesetz (StabG) propagierte Magische Viereck sieht unter anderem in § 1 StabG ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum vor, das anhand der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts gemessen wird.

Wachstumsrate des Konsums

Die Wachstumsrate $g$ des Konsums $c$ hängt generell vom Nettoeinkommen und Vermögen eines Privathaushalts ab und errechnet sich wie folgt:

${\frac {\dot {c}}{c}}={\frac {r-p}{\sigma }}$.

Dabei ist $r$ der Zinssatz, $p$ die Zeitpräferenzrate und $\sigma$ die intertemporale Substitutionselastizität, deren Zusammenhang auch als Keynes-Ramsey-Regel bekannt ist. Deren Kernaussagen sind:

• Der Konsum wächst ($g_{C}>0$), wenn der Zinssatz ($r$) größer als die Zeitpräferenzrate ($p$) ist.
• Eine geringere Bereitschaft intertemporal zu substituieren (größeres $\sigma$) bedeutet eine weniger starke Reaktion hinsichtlich der Differenz von Zins und Zeitpräferenz.

Dabei besagt die Zeitpräferenz die Präferenz eines Privathaushalts, ob der Konsum in der Gegenwart gegenüber künftigem Konsum vorzuziehen ist. Allgemeiner ausgedrückt bestimmt die Zeitpräferenz, zu welchem Zeitpunkt ein Verbraucher den Konsum eines bestimmten Guts vorzieht, wenn er die Wahl zwischen mehreren möglichen Zeitpunkten hat (intertemporale Entscheidung). Diese Zeitpräferenz spielt insbesondere eine Rolle bei Inflation/Deflation oder bei Substitutionsgütern.

Jährliche Wachstumsrate (Compound Annual Growth Rate)

Eine spezielle Wachstumsrate ist die jährliche Wachstumsrate (englisch Compound Annual Growth Rate, abgekürzt CAGR), eine wesentliche Kennziffer zur Beurteilung von Investitionen, Marktentwicklungen, Umsätzen etc. in der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre. Die CAGR stellt das durchschnittliche jährliche Wachstum einer zu betrachtenden Größe dar.

Zur Berechnung wird der aktuelle Wert durch den Ausgangswert geteilt. Von dem Ergebnis wird die $n$-te Quadratwurzel gezogen, wobei $n$ die Anzahl der Jahre ist, die betrachtet werden. Die Compound Annual Growth Rate stellt also den mittleren Prozentsatz dar, um den der Anfangswert einer Zeitreihe auf hypothetische Folgewerte für die Berichtsjahre wächst, bis der tatsächliche Endwert am Ende der Berichtsperiode erreicht ist. Tatsächliche Ausschläge der Folgejahre in der Zwischenzeit wirken sich dabei nicht aus, die Wachstumsrate ist konstant.

Die Formel für die CAGR ist dieselbe wie die der Wachstumsrate, wobei bei CAGR die Größe $n$ als Anzahl von Jahren ausgedrückt wird.

Beispiel

Ein Unternehmen erzielte im Jahr 2004 einen Umsatzerlös von 1 Million €. Im Jahr 2005 betrug der Umsatz 1,21 Millionen €. Die Anzahl der Zeiteinheiten $n$ beträgt 2005–2004 = 2.

$\operatorname {CAGR} (2004,2005)=\left({\frac {1.210.000}{1.000.000}}\right)^{\frac {1}{2}}-1=0{,}1=10\ \%$.

Die jährliche Wachstumsrate CAGR beträgt 10 %. Wenn man daher den Ausgangswert zweimal mit dem entsprechenden Wachstumsfaktor 1,1 multipliziert, erhält man den Endwert:

$1.000.000\cdot 1{,}1\cdot 1{,}1=1.210.000$.

Weblinks

• Udo Kamps: Wachstumsrate. In: Gabler Wirtschaftslexikon. Abgerufen am 26. September 2014. 
• Wachstumsraten (Prof. Rolf Hüpen) (PDF; 56,3 kB)