Intersektionaler Feminismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der intersektionale Feminismus ist eine Strömung des Feminismus, die sich aus dem Schwarzen Feminismus entwickelt hat und lehrt, dass es verschiedene Diskriminierungsformen gibt, die sich miteinander überschneiden. Intersektionaler Feminismus hat daher das Ziel, sämtliche Formen von Diskriminierung abzubauen und nicht nur die von Frauen. Intersektionalität gilt als „Signum des Third Wave-Feminismus“.[1]

Intersektionalität zeichnet sich dadurch aus, dass die verschiedenen Diskriminierungsformen, die auf Merkmalen wie beispielsweise Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Sexualität, Behinderung oder auch Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit beruhen, zusammengedacht werden. Demnach ist eine Schwarze Frau zugleich von Sexismus und Rassismus betroffen, genauso wie ein homosexueller weißer Mann mit Behinderung, ebenso von mehreren Diskriminierungsformen zugleich betroffen ist. Das Ziel ist eine gerechtere Gesellschaft für Personen aller Geschlechter und die Bekämpfung von Sexismus. Allerdings wird dieser nicht mehr losgelöst von strukturellen Unterdrückungen wie Rassismus, Klassismus, Ableismus etc. gedacht.

Die Strömung des intersektionalen Feminismus geht auf die US-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw zurück, die der feministischen Bewegung seit Ende der 1980er Jahre ein mangelndes Verständnis für Intersektionalität vorwarf.

Ursprung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sojourner Truth, eine ehemals versklavte Frauenrechtlerin und Freiheitskämpferin in der schwarzen US-amerikanischen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts, gilt als eine der ersten Figuren des Schwarzen Feminismus. In ihrer berühmten Rede Ain’t I a Woman? (deutsch: Bin ich etwa keine Frau?) kritisierte sie nicht nur Rassismus, den sie von weißen Männern sowie weißen Frauen erfahren musste, sondern auch die sexistische Diskriminierung, der sie von schwarzen und weißen Männern ausgesetzt war. Viele Schwarze Feministinnen wie bell hooks oder Kimberlé Crenshaw wurden durch Truth inspiriert.[2]

Crenshaw wiederum prägte den Begriff der Intersektionalität. Davon ausgehend kritisierte sie seit Ende der 1980er Jahre die feministische Bewegung als weiß dominiert und folglich auf die Bedürfnisse weißer Frauen zugeschnitten. Dieser weiße Feminismus gebe zwar vor, für alle Frauen zu sprechen, vernachlässige aber intersektionale Diskriminierung. Andererseits warf Crenshaw antirassistischen Bewegungen vor, sich unzureichend mit patriarchalen Machtverhältnissen auseinanderzusetzen. In der Folge trage der Feminismus zur Unterdrückung Schwarzer Menschen und antirassistische Bewegungen zur Unterdrückung von Frauen bei. Dieser Umstand könne nur dadurch beseitigt werden, dass alle emanzipatorischen Bewegungen anerkennen, dass Menschen, die z. B. von Rassismus und Sexismus betroffen sind, anders diskriminiert werden als Menschen, die nur aufgrund eines Merkmals Diskriminierung erfahren.[3][4]

Intersektionaler Feminismus in der Praxis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Forderung, sämtliche Diskriminierungsformen und nicht nur Sexismus abzubauen und Intersektionalität zu berücksichtigen, ist heute bei vielen feministisch engagierten Menschen und Gruppierungen anzutreffen.[5] Menschen, die dem intersektionalen Feminismus nahestehen, monieren des Weiteren oft, dass man sich zunächst die eigenen Privilegien bewusst machen müsse, um danach legitime Gesellschaftskritik formulieren zu können.[6][7] Mehrere Forschende bemängeln jedoch, dass sich diese Forderungen nicht in der aktivistischen Praxis niederschlägt. Studien stellen etwa fest, dass sich einige feministische Organisationen und Personen weigern, sich auch für die Rechte von Transpersonen zu engagieren.[8][9] Ebenso kommt es vor, dass feministische Aktivisten Intersektionalität zwar anwenden wollen, den Begriff aber missverstehen und damit ihre eigene Position schwächen.[10] Die Geschlechterforscherin Julia Schuster sieht vor allem bei jüngeren Menschen, die sich feministisch engagieren, die Gefahr, dass der intersektionale Ansatz in einen Individualismus umschlägt, wenn es keine adäquaten Strategien zur Inklusion von von intersektionaler Diskriminierung betroffener Menschen gibt.[11] Darüber hinaus lassen sich auch Konflikte zwischen eher von der zweiten Welle des Feminismus geprägten Aktivisten und solchen, die eher der dritten Welle nahestehen erkennen; beispielsweise wenn es um die Bewertung des Hidschābs geht.[12]

Mittlerweile hat sich ein gewisses Bewusstsein für Intersektionalität in vielen sozialen Bewegungen – also nicht nur im Feminismus – etabliert.[13] Einige Forschende sehen darin das Potential für eine höhere Solidarisierung zwischen diesen Bewegungen.[14][15]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Kimberlé Crenshaw: Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine. In: The University of Chicago Legal Forum. Band 1989, Nr. 1, 1989, S. 139–167 (Online).
  • Kimberlé Crenshaw: Mapping the Margins. Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color. In: Stanford Law Review. Band 43, Nr. 6, 1991, S. 1241–1299, JSTOR:1229039.
  • Elizabeth Evans, Éléonore Lépinard (Hrsg.): Intersectionality in Feminist and Queer Movements. Confronting Privileges. Routledge, London / New York 2020, ISBN 978-0-367-25785-9.
  • Natasha A. Kelly: Schwarz. Deutsch. Weiblich. Warum Feminismus mehr als Geschlechtergerechtigkeit fordern muss. Piper, München 2023, ISBN 978-3-492-07114-7.
  • Sibel Schick: Weißen Feminismus canceln. Warum unser Feminismus feministischer werden muss. S. Fischer, Frankfurt am Main 2023, ISBN 978-3-10-397549-9.
  • Sojourner Truth: Ain't I a Woman?, Penguin Books Ltd, 2020, ISBN 978-0-241-47236-1.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Isabelle Deflers, Marie Muschalek: Verschränkte Ungleichheiten in historischer Perspektive. In: Freiburger Zeitschrift für GeschlechterStudien. Band 28, 2022, S. 5–16, hier S. 10, doi:10.3224/fzg.v28i1.01 (budrich-journals.de [abgerufen am 1. Juni 2024]).
  2. Katrine Smiet: Sojourner Truth and Intersectionality. Traveling Truths in Feminist Scholarship. Routledge, London / New York 2022, ISBN 978-0-367-69463-0.
  3. Kimberlé Crenshaw: Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. In: University of Chicago Legal Forum. Band 1989, Nr. 1, 1989, S. 139–167 (uchicago.edu [abgerufen am 1. Juni 2024]).
  4. Kimberlé Crenshaw: Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color. In: Stanford Law Review. Band 43, Nr. 6, 1991, S. 1241–1299, JSTOR:1229039.
  5. Natasha A. Kelly: Diversity Kolumne #3: Intersektionalität als Zukunftsperspektive. Deutsche Filmakademie, 27. August 2021, abgerufen am 1. Juni 2024.
  6. Malcolm Ohanwe: Check Deine Privilegien! Warum man den weißen Feminismus kritisieren muss. In: br.de. 12. November 2018, abgerufen am 2. Juni 2024.
  7. Elizabeth Evans, Éléonore Lépinard: Confronting privileges in feminist and queer movements. In: Elizabeth Evans, Éléonore Lépinard (Hrsg.): Intersectionality in Feminist and Queer Movements. Confronting Privileges. Routledge, London / New York 2020, ISBN 978-0-367-25785-9, S. 1–26.
  8. Deborah Shaw: A tale of two feminisms: gender critical feminism, trans inclusive feminism and the case of Kathleen Stock. In: Women's History Review. Band 32, Nr. 5, 2022, S. 768–780, doi:10.1080/09612025.2022.2147915.
  9. Ashlee Christoffersen, Akwugo Emejulu: “Diversity Within”: The Problems with “Intersectional” White Feminism in Practice. In: Social Politics. Band 30, Nr. 2, 2023, S. 630–653, hier S. 645, doi:10.1093/sp/jxac044.
  10. Elizabeth Evans: Intersectionality as Feminist Praxis in the UK. In: Women's Studies International Forum. Band 59, 2016, S. 67–75, doi:10.1016/j.wsif.2016.10.004.
  11. Julia Schuster: Intersectional expectations: Young feminists' perceived failure at dealing with differences and their retreat to individualism. In: Women's Studies International Forum. Band 58, 2016, S. 1–8, doi:10.1016/j.wsif.2016.04.007.
  12. Reyhan Şahin: Kopftuch und Tabu. In: taz. 20. September 2018, abgerufen am 1. Juni 2024.
  13. Jill A. Irvine, Sabine Lang, Celeste Montoya: Introduction. Gendered mobilizations and intersectional challenges. In: Jill A. Irvine, Sabine Lang, Celeste Montoya (Hrsg.): Gendered mobilizations and intersectional challenges. Contemporary social movements in Europe and North America. Rowman & Littlefield, London 2019, ISBN 978-1-78552-289-5, S. 1–22, hier S. 4.
  14. Birgit Sauer: Intersektionalität als feministisches Konzept. Eine solide Grundlage für politisches Handeln? In: Lara Möller, Dirk Lange (Hrsg.): Intersektionalität in der Politischen Bildung: Entangled Citizens. Springer VS, Wiesbaden 2022, ISBN 978-3-658-36309-3, S. 7–20, hier S. 15.
  15. Gudrun Perko, Leah Carola Czollek: Das Konzept des Verbündet-Seins und Bündnisse als Handlungs- und Veränderungsstrategien in queer-/feministischen Kontexten. In: Kirstin Mertlitsch, Brigitte Hipfl, Verena Kumpusch, Pauline Roeseling (Hrsg.): Intersektionale Solidaritäten. Beiträge zur gesellschaftskritischen Geschlechterforschung. Verlag Barbara Budrich, Opladen / Berlin / Toronto 2024, ISBN 978-3-8474-2667-7, S. 67–82 (utb.de [abgerufen am 1. Juni 2024]).