Nationale Front (DDR)

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Schaubild zur Verfassung der DDR von 1968/74

Die Nationale Front war der von der SED kontrollierte Dachverband aller Parteien und gesellschaftlichen Organisationen (mit Ausnahme christlicher Organisationen) in der DDR. In der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von 1968 wurde sie in Art. 3 verankert.

„Art. 3.
(1) Das Bündnis aller Kräfte des Volkes findet in der Nationalen Front des demokratischen Deutschland seinen organisierten Ausdruck.
(2) In der Nationalen Front des demokratischen Deutschland vereinigen die Parteien und Massenorganisationen alle Kräfte des Volkes zum gemeinsamen Handeln für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft. Dadurch verwirklichen sie das Zusammenleben aller Bürger in der sozialistischen Gemeinschaft nach dem Grundsatz, daß jeder Verantwortung für das Ganze trägt.“

Durch § 4 des Gesetzes vom 7. Oktober 1974[1] wurden in Art. 3 Abs. 1 die Worte Nationale Front des demokratischen Deutschland ersetzt durch Nationale Front der Deutschen Demokratischen Republik.

Die Nationale Front hatte die Aufgabe, die Wahlen in der DDR auf Grundlage von Einheitslisten dauerhaft im parlamentarischen System der DDR zu verankern. Die in der Volkskammer und den Landes-, Regional- und Lokalparlamenten zu vergebenden Plätze wurden vom Demokratischen Block der Parteien und Massenorganisationen aufgeschlüsselt und auf den jeweiligen Einheitslisten der Nationalen Front aufgeführt. Nach § 16 des Wahlgesetzes stellten die Wahlvorschläge für die Volkskammer, die Bezirkstage, die Kreistage, die Stadtverordnetenversammlungen, die Stadtbezirksversammlungen und die Gemeindevertretungen die demokratischen Parteien und Massenorganisationen auf. Sie hatten „das Recht, ihre Vorschläge zu dem gemeinsamen Vorschlag der Nationalen Front des demokratischen Deutschland zu vereinigen.“[2]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

9. Tagung des Deutschen Volksrates am 7. Oktober 1949
Banner „Die nationale Front im Zeichen der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ mit den Bildnissen von Josef Stalin (li.) und Wilhelm Pieck 1951.

Seit November 1947 gab es die Volkskongressbewegung, mit welcher die SED andere Parteien, Massenorganisationen, kulturelle Vereinigungen und Einzelpersonen für die Durchsetzung ihrer deutschlandpolitischen Ziele einbinden wollte.[3] Nachdem die westlichen Besatzungsmächte die Mobilisierung für die Volkskongresse in ihren Zonen verboten hatten, wurde der Deutsche Volkskongress 1949 zu einem Instrument zur Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung in der sowjetischen Besatzunsgzone.[3] Auf dem Dritten Deutschen Volkskongress im Mai 1949 setzte er den Deutschen Volksrat ein, der zum 7. Oktober 1949 die provisorische Volkskammer konstituierte und die von ihm zuvor bestätigte Verfassung in Kraft setzte. Die Volkskongressbewegung ging dann in der 1950 zur ersten Volkskammerwahl gebildeten Nationalen Front auf.[3]

Durch die Nationale Front sollten dem Anspruch nach alle gesellschaftlichen Gruppen Einfluss auf gesellschaftspolitischen Prozesse nehmen können (Sozialistische Demokratie).[4][5] Faktisch war die Nationale Front jedoch auch ein Mittel, um die Blockparteien und Massenorganisationen zu disziplinieren und die Vormachtstellung der SED im Staat zu festigen.

Auf der 9. Tagung des Deutschen Volksrates am 7. Oktober 1949 wurde auch das Manifest der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands vorgestellt.[6]

Als Programmatik der Nationalen Front wurde auch der Begriff des „Nationalen Widerstandes“ etabliert. Kernsätze waren der Widerstand gegen das Besatzungsstatut, die Wiederbewaffnung Westdeutschlands und die Einfuhr amerikanischer Waren, sowie die „Aufklärung über amerikanische und englische Kriegspropaganda“ und die Unterstützung aller „Kämpfe der Arbeiter um die Sicherung ihrer Lebenshaltung und alle[r] Widerstandsaktionen der werktätigen Bevölkerung gegen Steuerdruck, Preistreibereien und sonstige Ausplünderung“.[7]

Die konstituierende Sitzung der Nationalen Front fand am 7. Januar 1950 statt. Im Februar 1950 wurde der Nationalrat der Nationalen Front ernannt. Eine wichtige Funktion übernahm die Nationale Front bei der ersten Volkskammerwahl und den Landtagswahlen am 15. Oktober 1950. Nur die Kandidaten der Nationalen Front auf den Einheitslisten waren bei der Wahl zugelassen.[8] Anfangs beschäftigte sich die Nationale Front auch mit gesamtdeutschen Fragen; seit 1968 war es ihre Hauptaufgabe, alle Parteien und Massenorganisationen zu einem „gemeinsamen sozialistischen Weg zusammenzuschließen“.

Seitdem bestand die hauptsächliche Bedeutung der Nationalen Front in der Organisation der Volkskammerwahlen, bei denen es nur die „Einheitsliste“ der Nationalen Front gab, die in der Regel im Block gewählt wurde. Die eigentliche Wahl wurde dabei auf die Kandidatenaufstellung durch die Nationale Front verschoben, die in Ausnahmefällen auch ausgetauscht wurden. Somit bestätigte die Volkskammerwahl diese lediglich. Die Aufteilung der zu besetzenden Plätze auf die Parteien und Massenorganisationen wurde dabei bereits im Voraus festgelegt und blieb über viele Wahlperioden gleich. Die SED hatte zusammen mit den der SED angehörenden Vertretern der Massenorganisationen stets die absolute Mehrheit.

Die Bedeutung der Nationalen Front auf zentraler politischer Ebene schwand in der Ära Honecker. In den 1980er-Jahren gab es keine Sitzungen des Nationalrats-Präsidiums mehr; der letzte Nationalkongress fand 1969 statt. Im Dezember 1989 traten die Blockparteien auf Initiative der CDU aus der Nationalen Front aus. Der von Hans Modrow geleitete Ministerrat wollte die Ausschüsse Anfang 1990 als „Nationale Bürgerbewegung“ umstrukturieren. Dieser Versuch misslang, da die Unterstützung der Einheitslistenwahlen und damit der SED-Alleinherrschaft die Nationale Front früh und langfristig in der Bevölkerung diskreditiert hatte.[9]

Bei der Volkskammerwahl 1990 stellten sich erstmals 24 verschiedene Parteien und Wahlbündnisse zur Wahl.[10]

Organisation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Höchstes Organ der Nationalen Front war der Kongress, der den Nationalrat aus Vertretern aller Parteien und größeren gesellschaftlichen Organisationen, das Präsidium, den Präsidenten und den Vizepräsidenten wählte. Zwischen den Kongressen wurde die Arbeit vom Präsidium und vom Sekretariat des Nationalrates geleitet. Im Präsidium vertreten waren SED, DBD, CDU, LDPD, NDPD, FDGB, FDJ, DFD, Volkssolidarität, Domowina und Kulturbund.[11]

Es gab Ausschüsse auf Landes-, Bezirks, Kreis-, Stadt-, Orts- und Wohngebietsebene, 1989 insgesamt 19.400.[9]

Etwa Mitte der 1950er Jahre begann sich die gesamtdeutsche Zielsetzung zu Gunsten des sozialistischen Aufbaus in der DDR zu verschieben.[11] Ende der 1970er und vor allem in den 1980er Jahren traten zunehmend Aufgaben mit regionalem Bezug in den Vordergrund. Die Ausschüsse der Nationalen Front entwickelten enge Beziehungen in den Wohngebieten der Städte und Gemeinden der DDR.[11]

Auf außenpolitischem Gebiet pflegte der Nationalrat der Nationalen Front Kontakte zu einer Vielzahl von Staaten mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung.[11]

Der Nationalrat hatte seinen Sitz in der damaligen Otto-Grotewohl-Straße 49, der jetzigen Wilhelmstraße, in Berlin-Mitte. Heute befindet sich in diesem Gebäude ein Teil des Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Präsidenten des Nationalrates der Nationalen Front waren:

Mitglieder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Parteien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die neben der SED in der Nationalen Front zusammengeschlossenen Parteien wurden auch als Blockparteien bezeichnet. Weitere Parteien gab es bis 1989 in der DDR nicht.

Massenorganisationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weitere Massenorganisationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Darüber hinaus gehörten folgende Massenorganisationen, die nicht in der Volkskammer vertreten waren, zur Nationalen Front:

Vereinigungen, Gesellschaften und Verbände[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Daneben gehörten der Nationalen Front Vertreter folgender Vereinigungen, Gesellschaften und Verbände an:[12]

Sonstige Aktivitäten der Nationalen Front[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den Struktureinheiten der Nationalen Front, den 17.000 Ausschüssen auf unterschiedlichen Ebenen bis hinunter zu den Wohngebietsausschüssen, arbeiteten 300.000 Menschen ehrenamtlich mit. Sie entfalteten an manchen Orten auch lokale Aktivitäten und waren in Zusammenarbeit mit den Stadt- und Gemeinderäten für Ordnung und Sauberkeit in ihren Wohnbezirken verantwortlich. Sie organisierten unter anderem Wertstoffsammlungen und veranstalteten Wohngebietfeste.

Die Nationale Front war Trägerin des kommunalen Wettbewerbs Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach mit! und des Wettbewerbs um die Goldene Hausnummer. Erfolgreiche Kommunen und Hausgemeinschaften erhielten ideelle und materielle Auszeichnungen wie Geldprämien oder die Ehrennadel der Nationalen Front in Silber oder Bronze.

Ziel dieser Aktivitäten war es, Bevölkerungsteile, die sonst nicht in Strukturen wie Parteien oder Massenorganisationen eingebunden waren, zu erreichen und für den „Aufbau des Sozialismus“ zu mobilisieren. Verdienstvolle Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens wurden von der Nationalen Front mit der Ehrenmedaille der Nationalen Front ausgezeichnet. Diese Ehrungen fanden gewöhnlich im Steinsaal des Nationalrats in Ost-Berlin statt.

Presseorgan des Nationalrates[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zwischen Dezember 1947 und 1961 gab die Nationale Front eine vom Kongreß-Verlag Berlin gestaltete Zeitschrift heraus, bis 1953 wöchentlich unter dem Titel „Deutschlands Stimme“, anschließend nur noch 14-täglich bis 1959 unter dem Titel „Stimme des Patrioten“, die letzten beiden Jahre unter dem Titel „Die Stimme“.[13]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ehrenmedaille der Nationalen Front

Nach der ab 1955 verliehenen Ernst-Moritz-Arndt-Medaille wurden verdiente Funktionäre ab 1975 mit der Ehrenmedaille der Nationalen Front ausgezeichnet.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gerd Dietrich: Kulturbund. In: Gerd-Rüdiger Stephan u. a. (Hrsg.): Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch, Dietz, Berlin 2002, ISBN 3-320-01988-0.
  • Nationale Front des demokratischen Deutschland: Nationale Front des demokratischen Deutschland Informationsdienst, (Reihe) Kongreß-Verlag, Berlin ab 1949.
  • Walter Völkel: Nationale Front, Blockparteien, Gesellschaftliche Organisationen. In: Günter Erbe, Gert-Joachim Glaeßner, Horst Lambrecht et al.: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der DDR. Studientexte für die politische Bildung. Westdeutscher Verlag 1979, S. 112–120.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Nationale Front – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1974. Gesetzblatt der DDR 1974 I. S. 425.
  2. Gesetz über die Wahlen zu den Volksvertretungen der Deutschen Demokratischen Republik (Wahlgesetz) vom 31. Juli 1963. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1963 Teil I. S. 97.
  3. a b c Volkskongressbewegung. Friedrich-Ebert-Stiftung, FDGB-Lexikon, Berlin 2009.
  4. „Die Volkskammer ist das höchste Organ der Staatsmacht. In ihr sind alle Schichten des Volkes durch die in der Nationalen Front des demokratischen Deutschland zusammenarbeitenden demokratischen Parteien und Massenorganisationen vertreten.“ Präambel des Gesetzes über die Wahlen zur Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vom 24. September 1958, aufgehoben durch Wahlgesetz vom 31. Juli 1963.
  5. Kommentar zum neuen Wahlgesetz der DDR. Eine Produktion des staatlichen Rundfunks der DDR. ARD Audiothek. Retro Spezial DDR Aktuelle Politik. 5. August 1963. 6 Min.
  6. Hanns Jürgen Küsters, Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Dokumente zur Deutschlandpolitik: Die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, 7. September bis 31. Dezember 1949, Oldenbourg, München 1996, ISBN 978-3-486-56159-3, S. 91.
  7. Hanns Jürgen Küsters, Daniel Hofmann, Alexander Fischer, Karl Dietrich Bracher, Ernst Deuerlein: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 1997, ISBN 3-486-56172-3, S. 298 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  8. Anjana Buckow, Zwischen Propaganda und Realpolitik: die USA und der sowjetisch besetzte Teil Deutschlands 1945–1955, Franz Steiner Verlag, 2003, ISBN 978-3-515-08261-7, S. 215 f.
  9. a b Nationale Front. Chronik der Wende, Glossar. rbb, PDF.
  10. Parlament: Die freie Volkskammer 1990. bundestag.de, abgerufen am 23. Mai 2024.
  11. a b c d Brigitte Fischer: Nationalrat der Nationalen Front der DDR: Bundesarchiv, April 2019.
  12. Kleines Politisches Wörterbuch, Neuausgabe 1988, Dietz Verlag, Berlin (Ost) 1989, S. 660.
  13. Deutschlands Stimme, Stimme des Patrioten, Die Stimme in der Deutschen Nationalbibliothek.