Walter Pintus

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Walter Pintus

Walter Pintus (geb. 27. September 1880 in Berlin; gest. 13. November 1938 in Dachau) war ein jüdischer Arzt in Ludwigsburg, der während des Ersten Weltkriegs Leiter des dortigen Kriegsgefangenenlazaretts war.[1]

Walter Pintus wurde 1880 als Sohn des Bankiers Emil Pintus (1842–1901) und dessen Ehefrau Marie, geb. Blumgard (1854–1933) geboren.[2] Er heiratete am 8. November 1906 Helene Jacobi (1883–1979),[3] die am 9. August 1883 in Stuttgart geborene Tochter des Likörfabrikanten Jacob Jacobi und der Erni geb. Lichtenberger. Das Ehepaar hatte eine Tochter: Lotte Pintus, geboren am 24. September 1907 in Ludwigsburg, die 1931 anlässlich ihrer Verheiratung mit dem Juristen Hugo Weiß zur evangelischen Kirche übertrat.[1] Im Jahr 1941 konnten seine Frau Helene und seine Tochter Lotte nach Südamerika emigrieren.[3]

Pintus forschte unter anderem an der psychiatrischen Klinik zu Straßburg[4] und wurde 1904 in Straßburg mit einer Arbeit zur Opticusatrophie als Frühsymptom von Paralyse promoviert. Im Jahr 1905 übernahm er nach dem frühen Tod des Mediziners Jakob Plaut die Praxis in der Mathildenstraße 6 in Ludwigsburg. Als praktischer Arzt mit Geburtshilfe hatte er ein hohes Ansehen in der Gesellschaft.

Während des Ersten Weltkriegs war Pintus Leiter des Kriegsgefangenenlazaretts und Abteilungsarzt des Reservelazaretts II in Ludwigsburg mit Offiziersrang in Uniform. Seine zusätzliche Aufgabe war es, die Wiederinbetriebnahme des Heilbads Ludwigsburg-Hoheneck und die Kurgäste ärztlich zu betreuen. Pintus war Mitglied der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte.[5] Im Juli 1927 wurde er in den Aufsichtsrat der Süddeutschen Elektron A.G. gewählt.[6][7]

Ab dem 1. Januar 1938 durfte er nur noch Ersatzkassenpatienten behandeln. Ab Oktober 1938 wurde er aus dem Ärzteregister gestrichen und durfte nicht mehr praktizieren. Im Zuge der Novemberpogrome wurde Pintus am 10. November 1938 zusammen mit Tausenden anderen jüdischen Männern verhaftet und misshandelt, um im KZ Dachau inhaftiert zu werden. Über seinen Tod am 13. November 1938 gibt es zwei Versionen:

  1. Nach einer Version suchte er selbst seinen Tod und setzte damit der ihm zugefügten Schmach ein Ende – „bei Prittlsbach in den Tod getrieben“.[8] Laut einer Zeugenaussage von Gerhard Richter soll er immer Gift mit sich getragen haben.[9]
  2. Die andere Version lautet, ein SS-Bewacher habe ihn auf dem Appellplatz des Lagers erschossen, weil er wegen einer Gehbehinderung immer am Schluss der Kolonne lief.[9]

Im Familienregister der jüdischen Gemeinde ist die Todesursache „Herzschlag“ eingetragen.[9][10] Die Asche von Walter Pintus wurde am 1. Dezember 1938 im Pragfriedhof in Stuttgart beigesetzt.[11]

Seine Witwe Helene hatte ihren Wohnsitz in der Mathildenstraße 6 bis zu ihrer Auswanderung im August 1941 über Spanien nach Kuba und später in die USA. Im September 1941 wanderte ihre Tochter mit Ehemann Hugo Weiß und der 1936 in Stuttgart geborenen Tochter Margrit Brigitte auch aus der Mathildenstraße 6 nach Argentinien aus. Im Jahr 1946 ging Helene Pintus ebenfalls nach Argentinien zu ihrer Tochter. Helene Pintus starb 1979 mit 96 Jahren in Buenos Aires und ist auf dem britischen Friedhof begraben.[9] Ihre Tochter Lotte lebte und starb in Zürich, neun Jahre nach ihrem Mann, 1998 im Alter von 90 Jahren.[12]

Stolperstein für Walter Pintus
Koffer für Walter Pintus auf dem Synagogenplatz in Ludwigsburg

Walter Pintus gilt neben Julius Elsas, Max Elsas und Hans Frischauer als eine der jüdischen Persönlichkeiten, die „den Namen Ludwigsburgs weithin bekannt gemacht haben“.[13] Noch im Jahr 2000 schrieb Paul Sauer in der Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, dass Pintus der „bis heute unvergessliche ärztliche Wohltäter der unbemittelten Einwohner“[13] der Stadt war. Zeitzeugen berichteten „von seinem hervorragenden Ruf“.[14] Bereits 1979 wurde bei Recherchen zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung der Stadt immer wieder „gerade von nichtjüdischer Seite auf das weit über seine ärztliche Pflicht hinausgehende soziale Verhalten des praktischen Arztes Dr. Walter Pintus […] hingewiesen“.[15] Pintus, der „ein ungeheuer angesehener Mann gewesen sein [muss], hilfsbereit und sehr bemüht um seine Patienten“, war Teil des Projekts Erinnerungspaten, das 2011 in Ludwigsburg geplant wurde.[14] Über Pintus’ Schicksal wurde zudem bereits in den 1990er-Jahren im Rahmen von Schulprojekten berichtet.[16] Im Ludwigsburg Museum im MIK Museum Information Kunst ist der Gehstock von Walter Pintus ausgestellt, der als ein „ganz herausragendes Exponat“ des Museums gilt.[17]

Am 27. September 2008 wurde für Pintus ein Stolperstein verlegt. Er befindet sich in der Mathildenstraße 6, in der seine Praxis und Wohnung lagen. Über Pintus gibt es zudem eine Opferbiographie.[18]

Daten unter anderem zu Walter Pintus wurden 2014 im Auftrag der Gedenkstätte Yad Vashem zusammengetragen. Dazu gehören auch „Gemeinderatsprotokolle …, die zeigen, wie sich der Arzt Walter Pintus erfolglos gegen ein Berufsverbot wehrte, und wie die Stadträte den wenige Jahre zuvor noch hoch geschätzten Mann zum Ausgestoßenen machten.“[19]

Auf dem Synagogenplatz Ludwigsburg steht seit 2014 eine Kunstinstallation mit 24 Koffern, die die Namen von während der NS-Zeit ermordeten jüdischen Bürgern der Stadt tragen. Einer dieser Koffer erinnert an Walter Pintus, wobei die Vorderseite seinen Namen und die Rückseite seine Lebensdaten trägt. Eine elektronische Stele unweit der Installation informiert genauer über sein Leben und Schicksal.

In Ludwigsburg erinnert seit spätestens den 1960er-Jahren[20] die Walter-Pintus-Straße im Wohngebiet Schlösslesfeld an Walter Pintus.[21][22] Sie war noch 1995 eine von nur zwei Straßen in Ludwigsburg, deren Name an jüdische Opfer des Nationalsozialismus erinnerte.[23]

  • Walter Pintus: Opticusatrophie als Frühsymptom von Paralyse. C. Müh & Co., Straßburg 1904, OCLC 162606648 (Hochschulschrift).
  • Jochen Faber (Hrsg.): Stolpersteine in Ludwigsburg. Zu Besuch bei verfolgten Nachbarn. Geschichten von Menschen aus Ludwigsburg, die Opfer der Nazi-Verfolgung wurden. Band [1]. Info & Idee, Ludwigsburg 2010, ISBN 978-3-931112-28-8, Kap.: Dr. Walter Pintus, S. 49–52.
  • Simon Karzel: Jüdisches Leben in Ludwigsburg: unter besonderer Berücksichtigung von Quellen aus dem Stadtarchiv Ludwigsburg. In: Ludwigsburger Geschichtsblätter. Nr. 72, 2018, S. 196.
  • Joachim Hahn: Jüdisches Leben in Ludwigsburg – Geschichte, Quellen und Dokumentation. Braun, Karlsruhe 1998, ISBN 3-7650-8211-2, S. 505 ff.
Commons: Walter Pintus – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. a b Staatsarchiv Ludwigsburg EL 350 I Bü 9648 L4.
  2. Joachim Hahn: Friedhöfe in Stuttgart (= Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart. Band 57). Band 3: Pragfriedhof, israelitischer Teil. Hohenheim-Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-608-91618-0, S. 169.
  3. a b Joachim Hahn: Friedhöfe in Stuttgart (= Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart. Band 57). Band 3: Pragfriedhof, israelitischer Teil. Hohenheim-Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-608-91618-0, S. 170.
  4. Hilmar Schmuck, Willi Gorzny, Peter Geils: Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schriftttums 1700–1910. Band 109: Pi–Pn. Saur, New York / London / Paris 1984, S. 147 (Vorschau des Scans in der Google-Buchsuche) als Reprint, Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2020, ISBN 978-3-11-145346-0.
  5. Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte: Mitgliederverzeichnis: Abgeschlossen am 30. November 1925. Springer, Berlin/Heidelberg o. J. [1925], S. 101.
  6. Süddeutsche Elektron A.G. Ludwigsburg. In: Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger. 23. August 1927, S. 6.
  7. Die Firma besteht bis heute unter dem Namen Frizlen. Siehe Frizlen wird hundert Jahre. In: wileyindustrynews.com, 20. März 2014.
  8. Beate Maria Schüßler: Das Schicksal der jüdischen Bürger von Ludwigsburg während der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung (= Ludwigsburger Geschichtsblätter. Heft 30). Ludwigsburg 1979, S. 58 (blb-karlsruhe.de [PDF; 16,6 MB]).
  9. a b c d Joachim Hahn: Jüdisches Leben in Ludwigsburg – Geschichte, Quellen und Dokumentation. Braun, Karlsruhe 1998, ISBN 3-7650-8211-2, S. 505 ff.
  10. Sterbeurkunde Prittlbach. arolsen-archives.org, abgerufen am 10. März 2024.
  11. Joachim Hahn: Friedhöfe in Stuttgart (= Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart. Band 57). Band 3: Pragfriedhof, israelitischer Teil. Hohenheim-Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-608-91618-0, S. 169 f.
  12. Friedhelm Buschbeck: Dr. Walter Pintus: Keine Hilfe für den beliebten Arzt. In: Stolpersteine in Ludwigsburg. Zu Besuch bei verfolgten Nachbarn. Geschichten von Menschen aus Ludwigsburg, die Opfer der Nazi-Verfolgung wurden. 2010, ISBN 978-3-931112-28-8, S. 51.
  13. a b Buchbesprechungen: Geschichte der Juden. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte. Jg. 59. Kohlhammer, 2000, S. 551.
  14. a b „Erinnerung lebendig halten“ Nachgefragt. In: Stuttgarter Zeitung. 21. April 2011, S. 24.
  15. Beate Maria Schüßler: Das Schicksal der jüdischen Bürger von Ludwigsburg während der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung. In: Historischer Verein für Stadt und Kreis Ludwigsburg e. V. (Hrsg.): Ludwigsburger Geschichtsblätter. Band 30, 1979, S. 50.
  16. Meinungen zum Projekt – Vieles zuvor nicht gewußt. In: Stuttgarter Zeitung. 5. Dezember 1996, S. 30.
  17. Ludwig Laibacher: Geschenke sind Grundstock des Museums. In: Stuttgarter Zeitung. – Ausgabe Kreis Ludwigsburg, 14. Dezember 2013, S. 27.
  18. Friedhelm Buschbeck: Dr. Walter Pintus. In: Stolpersteine-Ludwigsburg.de. Abgerufen am 5. März 2024.
  19. Karen Schnebeck: Helfer durchforstet Aktenberge für Forscher. In: Stuttgarter Zeitung. – Stadtausgabe, 7. Februar 2014, S. 101.
  20. Siehe Nennung Walter-Pintus-Straße in Ludwigsburg in: Die Bauwirtschaft. Band 17. Bauverlag, 1963, ISSN 1433-0148, S. 936.
  21. Joachim Hahn: Jüdisches Leben in Ludwigsburg – Geschichte, Quellen und Dokumentation. Braun, Karlsruhe 1998, ISBN 3-7650-8211-2, S. 297.
  22. Walter-Pintus-Straße in Ludwigsburg (Württemberg). In: strassen-in-deutschland.de. Abgerufen am 10. März 2024.
  23. Die zweite Straße war die Max-Elsas-Straße. Ludwigsburg. In: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. 2. Auflage. Band 1. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1996, S. 56.