Blaukrabbe

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Blaukrabbe

Blaukrabbe (Callinectes sapidus)

Systematik
Klasse: Höhere Krebse (Malacostraca)
Ordnung: Zehnfußkrebse (Decapoda)
Teilordnung: Krabben (Brachyura)
Familie: Schwimmkrabben (Portunidae)
Gattung: Callinectes
Art: Blaukrabbe
Wissenschaftlicher Name
Callinectes sapidus
Rathbun, 1896

Die Blaukrabbe oder Blaue Schwimmkrabbe (Callinectes sapidus) gehört zur Gattung Callinectes in der Familie der Schwimmkrabben (Portunidae). Sie ist im westlichen Atlantik heimisch, im 20. Jahrhundert aber in europäische Gewässer eingeschleppt worden. Die wissenschaftliche Bezeichnung setzt sich aus altgriechisch κάλλος kállos „schön“, νήκτης nḗktēs „Schwimmer“ und lat. sapidus „schmackhaft“ zusammen.

Männchen (oben) und Weibchen im Vergleich

Der Carapax (Rückenpanzer) der Blaukrabbe wird zwischen 17,8 und 20 Zentimeter breit und etwa 7,5 bis 10,2 Zentimeter lang. Männchen werden größer als Weibchen[1]. Das Gewicht adulter Tiere liegt zwischen 0,45 und 0,90 Kilogramm. Der Rückenpanzer weist eine dunkelbraune, gräuliche, grünliche oder bläulich-grüne Färbung auf und besitzt auf jeder Seite orangefarbene Stacheln oder Dornen mit einer Breite von bis zu 8 Zentimetern. Die unteren Beine und das Abdomen sind weißlich gefärbt.

Die Scheren weisen je nach Geschlecht unterschiedliche Farbschattierungen auf. Die Scherenspitzen der Männchen sind bläulich und die der Weibchen rötlich gefärbt. Die Geschlechter können auch anhand der Bauchklappe oder Schürze unterschieden werden. Unter der Bauchklappe sind bei beiden Geschlechtern die Geschlechtsorgane verborgen. Beim Männchen ist die Klappe (Pleon) unter dem Bauch nicht zum Eiertragen geeignet und deshalb schmäler und hat die Form eines umgekehrten T.

Die Blaukrabbe besitzt wie alle Zehnfußkrebse fünf Beinpaare. Das vorderste Beinpaar wurde im Lauf der Evolution zu zwei kräftigen Scheren umgebildet. Die beiden Scheren sind unterschiedlich groß. Die größere Schere dient zum Aufbrechen von Beutetieren während mit der kleineren Schere die Nahrung zum Maul befördert wird. Das fünfte Beinpaar ist wie ein Paddel geformt und dient dem Schwimmen. Blaukrabben sind wie viele Zehnfußkrebse zur Autotomie fähig. Verlorene Gliedmaßen kann die Blaukrabbe regenerieren.

Die kurz gestielten Facettenaugen liegen direkt unter dem vorderen Rand des Carapax am Kopf. Zwischen den Augen befinden sich zwei kurze und dünne Fühler.

Ihren Trivialnamen verdankt diese Art der blauen Färbung der Beine, die auch weiße Flecken aufweisen können.

Porträt

Die Blaukrabbe lebt überwiegend in Mündungsgebieten von Flüssen und in flachen Küstengewässern bis in eine Tiefe von etwa 36 Metern, im Winter auch tiefer. Sie bevorzugt schlammige und sandige Böden. Die Krabbe gräbt sich im Schlamm ein oder versteckt sich in Seegräsern, um so ihrer Beute aufzulauern oder sich vor Feinden zu schützen. Sie ist gegenüber anderen Arten relativ aggressiv. Die Jungtiere benötigen eine Wassertemperatur von 15 bis 30 Grad Celsius. Die adulten Tiere können Wassertemperaturen von bis zu 10 Grad Celsius ertragen. Die Larven reagieren, im Gegensatz zu Jungtieren und adulten Tieren, empfindlich auf mittlere Salzkonzentrationen im Wasser, die unter 20 PSU liegen. Nach der Paarung kehren die Weibchen in die flachen salzigen Küstengewässer zurück, während die Männchen sich in Flussmündungen aufhalten. Eine Blaukrabbe wird rund zwei bis vier Jahre alt.

Trotz der weiten Verbreitung, reagiert die Blaukrabbe empfindlich auf wasserverunreinigende Stoffe von Bauernhöfen, Kläranlagen und Chemikalien, welche in die Gewässer kommen, da diese Schadstoffe einen niedrigen Sauerstoffgehalt verursachen, unter dem sie sehr zu leiden hat.

Die Blaukrabbe konkurriert mit anderen Krebstieren (Crustacea) bei der Nahrungssuche und -aufnahme. Sie ist ein Allesfresser. Ihr Nahrungsspektrum umfasst dünnschalige Muscheln (Bivalvia) wie z. B. Miesmuscheln (Mytilidae), junge Krebstiere, Fische, Würmer, Tintenfische sowie Pflanzen. Sie scheut aber auch nicht vor verwesendem Aas zurück. Bei Nahrungsknappheit neigt sie zu Kannibalismus.

Zu den natürlichen Feinden zählen in den ursprünglichen Heimatregionen der Rote Umberfisch (Sciaenops ocellatus), der Atlantische Umberfisch (Micropogonias undulatus), die Amerikanische Silbermöwe (Larus argentatus smithsonianus), verschiedene Reiher-Arten (Ardeidae) sowie Meeresschildkröten (Cheloniidae).

Wichtiger Parasit der Blaukrabbe ist Hematodinium perezi, ein Dinoflagellat[2]. Auch die zu den Microsporidia gehörende Ameson michaelis und die Amöbe Paramoeba perniciosa können zu hoher Mortalität führen[3]. Der im Nervengewebe parasitierende Saugwurm Microphallus basodactylophallus und andere Microphallus-Arten, für die die Blaukrabbe Zwischenwirt ist[4] verursachen normalerweise nur geringe Schäden. Ist der Saugwurm von dem Hyperparasiten Urosporidium crescens befallen, kann dies nach dem Fang der Krabbe zu unappetitlichen schwarzen Verfärbungen führen, die ihren Handelswert mindern.[5]

Der die Kiemen besiedelnde Ciliat Lagenophrys callinectes schädigt die Blaukrabbe bei geringen Dichten kaum, kann aber bei Massenauftreten zum Ersticken führen.

Weibliche Blaukrabbe mit Eiern

Die Blaukrabbe wird mit 12 bis 18 Monaten geschlechtsreif. Die Weibchen paaren sich nur einmal, unmittelbar nach der letzten Häutung, während die Männchen sich öfter paaren.

Nach der Häutung ist die Schale der Tiere für kurze Zeit weich. Diese Zeit nutzt das Männchen, um sich mit dem Weibchen zu paaren. Das Weibchen verfügt über die Fähigkeit das Sperma des Männchens über längere Zeit unter ihrer Schale zu lagern.

Das Weibchen laicht etwa nach zwei bis neun Monaten nach der Paarung. Der Laich besteht aus bis zu zwei Millionen Eiern. Die Laichzeit beginnt im Dezember und endet im Oktober, wobei der Höhepunkt im Frühling und Sommer ist. Nachdem das Weibchen abgelaicht hat, werden die Eier mit dem gelagerten Sperma befruchtet und auf die winzigen Haaranhängsel, die sich auf ihren Bauch befinden, gelegt.

Die Inkubationszeit beträgt etwa 14 Tage. Innerhalb von zwei Monaten durchlaufen die Larven acht Stadien, bevor sie beginnen wie Krabben auszusehen.

Die ursprüngliche Heimat der Blaukrabbe ist die Atlantikküste von Nordamerika und Südamerika von Nova Scotia bis Uruguay und im Golf von Mexiko. Heute ist sie als Neozoon in japanischen Gewässern, der Ostsee, Nordsee, dem Mittelmeer, der Adria und im Schwarzen Meer anzutreffen. Wahrscheinlich ist die Krabbe mit dem Ballastwasser von Schiffen eingeschleppt worden.

In Europa wurde die Krabbe erstmals 1901 in Rochefort (Atlantikküste Frankreichs) beobachtet.[6] In der folgenden Zeit festigten sich Bestände auch in der Nordsee zwischen England und Holland. Die erste nachgewiesene Blaukrabbe in Deutschland wurde 1964 an der Außenelbe entdeckt. Darauf wurden einzelne Exemplare 1965, 1990, 1998, 2007 in der Wesermündung und 2008 in Dornumersiel verzeichnet.[7] 2012 wurde die Krabbe im Mittelmeer nachgewiesen, wo sie sich seit 2016 selbstständig weiter verbreitet.[8] Experten sind sich jedoch nicht einig, ob das Wachstum der dortigen Populationen auf die Klimakrise zurückzuführen ist.[9] Ein weiter Faktor ist jedoch das Fehlen eines natürlichen Fressfeinds im Mittelmeer.[10] 2014 tauchte die Krabbe in Tunesien und der Adria auf[11][12] und 2023 wurde sie auch erstmals an der Tibermündung im Tyrrhenischen Meer entdeckt.[10] Ein auf Usedom 2023 gefundenes Exemplar wurde zum ersten Nachweis der Krabbe in der südlichen Ostsee.[13]

Neozoa-Problematik, wirtschaftlicher Schaden und Nutzen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Weltweite Fangquoten 1950–2007
Gekochte Blaukrabben

Blaukrabben gehören im gesamten Bereich der US-Ostküste, aber insbesondere im Bereich der Chesapeake Bay, spätestens seit dem Beginn der europäischen Besiedlung dieser Region zu den wichtigen Arten der Fischerei.[14] Unter anderem wird sie auch in Griechenland kommerziell gefischt.[6] Der jährliche Fang liegt zwischen 3,16 und 5,3 Millionen Kilogramm im Wert von 1.928.000 bis 4.474.000 US$.

Blaukrabbenplage im Mittelmeer

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Blaukrabbe wurde erstmals 2012 im Mittelmeer nachgewiesen. Seit etwa 2016 steigt die Population im westlichen Mittelmeer, besonders der nördlichen Adria, massiv an. Ihre Ausbreitung und ihr Verzehr von Austern Venus- und Miesmuscheln und der Schaden, den sie an Fischernetzen hinterlässt, führen zunehmend zu einer wirtschaftlichen Bedrohung der Fischerei und Muschelzucht im Mittelmeer. Durch ihre Nahrungskonkurrenz bedrängt die Krabbe auch bedrohte Tierarten und Ökosysteme, deren Erholung sie auch aktiv hindert, wodurch sie in Zukunft zu einer ökologischen Krise führen könnte.[15][8]

In Tunesien richtete die Blaukrabbe großen Schaden an, nachdem sie dort 2014 erstmals aufgetaucht ist: In dem Land, wo Fischerei und Landwirtschaft 10 % des BIP ausmachen, beschädigte die Krabbe Fischernetze und reduzierte viele heimische Fischbestände, sodass viele Fischer arbeitslos wurden und ihre Boote verkaufen mussten. Hier bekam das Tier nach kurzer Zeit den Beinamen „Daesh“ (benannt nach der Terrororganisation). Zusammen mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen startete jedoch die tunesische Regierung 2019 ein Projekt zum Fang und Export der Blaukrabbe, wodurch wieder neue Arbeitsplätze in der Fischerei geschaffen werden konnten und ein neuer Markt entstanden ist: Im Jahr 2022 exportierte Tunesien über 8100 t Blaukrabben mit einem Gewinn von etwa 33 Millionen Euro. 2024 beschäftigen sich 51 Betriebe mit der Verarbeitung und Handel von Blaukrabben.[11]

In der Adria bedroht die Blaukrabbe stark die Biodiversität und bietet besonders bedrohten Seevogelarten starke Nahrungskonkurrenz. Auch die natürlichen Bestände des bereits vom Aussterben bedrohten Europäischen Aal (Anguilla anguilla) in der Neretva sind wegen der Krabbe weiter gesunken. Jedoch zeigt die lokale Bevölkerung wenig Interesse im Fang und Konsum der Krabbenart.[15][16]

Besonders stark ist Italien betroffen, da das Land Europas größter (und global drittgrößter) Exporteur von Venusmuscheln ist. Dort ist die Krabbe in der ersten Jahreshälfte 2023 plötzlich massenhaft aufgetreten und sorgte für ebenfalls große Schäden. Im Po-Delta litten Züchter von Venus- und Miesmuscheln an Ernteausfällen in einer Höhe von bis zu 50 % und italienischen Fischereiverbänden zufolge habe man durch die Blaukrabbe wirtschaftliche Verluste von 100.000 € am Tag erleiden müssen. Auch in Italien trägt die Krabbe inzwischen einen Beinamen; „Killer der Meere“. Im August 2023 beschloss schließlich die italienische Regierung 2,9 Millionen Euro für die Bekämpfung der Krabbe zu investieren, mit der Begründung, dass sonst der Fang von Austern, Venus- und Miesmuscheln nach dem Jahreswechsel nicht mehr möglich sei. Die Krabben sollen mit Netzen gefangen und darauf verwertet oder auf Mülldeponien entsorgt werden.[9][10][17]

Tiere aus dem südlichen Teil des Verbreitungsgebiets, von Florida an südwärts, wurden nach brasilianischen Tieren von der Erstbeschreiberin der Art, der Meeresbiologin Mary J. Rathbun als Unterart Callinectes sapidus acutidens beschrieben. Da beide Formen durch Übergänge miteinander verbunden sind und teilweise im selben Habitat nebeneinander leben, wird die Unterart heute in der Regel nicht mehr anerkannt.[18][19]

  • Diverse: Grzimeks Tierleben. Niedere Tiere. 1. Bd. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München Oktober 1993.
  • Hans-Echhard Gruner, Hans-Joachim Hannemann und Gerhard Hartwich, Urania Tierreich, 7 Bde., Wirbellose Tiere, Urania, Freiburg 1994.
Commons: Blaukrabbe – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Blaukrabbe – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Species Fact Sheets: Callinectes sapidus (Rathbun, 1896) auf der Website der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen
  2. Gretchen A. Messick & Jeffrey D. Shields (2000): Epizootiology of the parasitic dinoflagellate Hematodinium sp. in the American blue crab Callinectes sapidus. Diseases of Aquatic Organisms 43: 139–152.
  3. Gretchen A. Messick & Carl J. Sindermann: Synopsis of principal diseases of the blue crab, Callinectes sapidus. NOAA technical memorandum NMFS-F/NEC 88. NOAA National Oceanic and Atmospheric Administration, January 1992.
  4. J.F. Bridgman (1969): Life cycles of Carneophallus choanophallus n. sp. and C. basodactylophallus n. sp. (Trematoda: Microphallidae). Tulane Studies in Zoology and Botany 15: 81–104.
  5. Holly A. Rogers: Prevalence of Blue Crab (Callinectes sapidus) Diseases, Parasites, and Symbionts in Louisiana (Memento vom 29. März 2017 im Internet Archive; PDF; 2,23 MB). Louisiana State University, 2014
  6. a b A. Brockerhoff, C. McLay (2011): Human-mediated spread of alien crabs. In: Bella S. Galil, Paul F. Clark, James T. Carlton: In the Wrong Place – Alien Marine Crustaceans: Distribution, Biology and Impacts. Invading Nature, 6. Springer, Berlin/Heidelberg 2011. S. 27–106., Callinectes sapidus: S. 55f. ISBN 978-94-007-0590-6.
  7. Tiere: Fang einer Blaukrabbe gibt Rätsel auf - WELT. 4. Oktober 2015, abgerufen am 2. Juni 2024.
  8. a b Miguel Clavero, Nati Franch, Rubén Bernardo-Madrid, Verónica López, Pere Abelló, Josep Maria Queral, Giorgio Mancinelli: Severe, rapid and widespread impacts of an Atlantic blue crab invasion. In: sciencedirect. 2022, abgerufen am 7. Juni 2024.
  9. a b ORF at/Agenturen red: Italien sagt Blaukrabbe den Kampf an. 10. August 2023, abgerufen am 2. Juni 2024.
  10. a b c Julius Müller-Meiningen: „Killer der Meere“: Blaukrabben überrennen die Adriaküste. 19. August 2023, abgerufen am 2. Juni 2024.
  11. a b Stefano Liberti: The blue crab in Tunisia: From invasive threat to godsend. 14. Januar 2024, abgerufen am 7. Juni 2024 (amerikanisches Englisch).
  12. Chiara Sabelli: What scientists know about the blue crab invasion. In: nature.com. 1. September 2023, abgerufen am 7. Juni 2024 (englisch).
  13. dpa: Blaukrabbe auf Usedom entdeckt: Spaziergänger macht "Sensationsfund" in Ahlbeck. Abgerufen am 2. Juni 2024.
  14. Warner, William W.: Beautiful swimmers : watermen, crabs, and the Chesapeake Bay. First Back Bay edition Auflage. Boston 1994, ISBN 0-316-92335-4.
  15. a b Jack Leeming: How my research is putting blue crab on the menu in Croatia. In: Nature. Band 629, Nr. 8013, 20. Mai 2024, S. 964–964, doi:10.1038/d41586-024-01475-w (nature.com [abgerufen am 7. Juni 2024]).
  16. Reuters: Atlantic invader threatens to wipe out Croatia river delicacy. In: Reuters. 13. Mai 2021, abgerufen am 7. Juni 2024 (englisch).
  17. „Killer der Meere“: Italiens verzweifelter Kampf gegen die Blaukrabben - WELT. 25. August 2023, abgerufen am 25. Oktober 2023.
  18. Mark R. Millikin & Austin B. Williams: Synopsis of Biological Data on the Blue Crab, Callinectes sapidus Rathbun. NOAA Technical Report NMFS 1. NOAA National Oceanic and Atmospheric Administration, March 1984. PDF
  19. Callinectes sapidus acutidens Rathbun, 1896 bei WoRMS World Register of Marine Species