Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik

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Die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) ist ein psychodynamisches Diagnosesystem, welches vorwiegend für psychoanalytisch und tiefenpsychologisch fundiert arbeitende Psychotherapeuten konzipiert ist.

Es handelt sich um ein halbstrukturiertes Interview mit den entsprechenden theoretischen psychodynamischen Hintergrundkonstrukten, bei dem unter anderem unterschiedliche Lebensbereiche, das Krankheitsgeschehen und Selbsteinschätzungen abgefragt werden. Die Fragen werden möglichst offen gestellt und es werden keine Antwortmöglichkeiten vorgegeben.

Das diagnostische Handbuch wurde als Alternative zu den bestehenden psychiatrischen Diagnosehandbüchern entwickelt. Damit soll die rein beschreibende Phänomenologie im ICD-10 und DSM-5 um ein verlässliches und valides diagnostisches Instrument ergänzt werden, das psychodynamische Aspekte berücksichtigt.[1]

Durch den Prozess der Operationalisierung sollen die wesentlichen Variablen in psychodynamischen Theorien messbar gemacht werden, etwa Übertragungsmuster, innere Konfliktkonstellationen und strukturelle Bedingungen. So versucht die OPD, eine bessere Objektivität, Reliabilität und Validität der Diagnosen zu erreichen und den Gütekriterien psychodiagnostischer Verfahren gerecht zu werden.

Die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik wurde Anfang der 1990er Jahre entwickelt und das erste diagnostische Manual wurde 1996 veröffentlicht.[2] Seither sind weit über einhundert Veröffentlichungen in Fachbüchern und Fachzeitschriften erschienen. Etwa 40 Kliniker und Forscher arbeiten an der Weiterentwicklung des diagnostischen Instrumentariums. 2006 erschien ein weitgehend neu überarbeitetes und ergänztes Manual mit der Bezeichnung OPD-2.[3] In dieser Version werden auch Instrumente für die Psychotherapieplanung zur Verfügung gestellt. Aktuell werden von der Arbeitsgruppe zusätzlich die Bereiche Forensik, Rehabilitation, Abhängigkeitssyndrom und weitere bearbeitet.

Sprecher und Kontaktpersonen

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  • Arbeitsgruppe Forensik: Matthias von der Tann, London
  • Arbeitsgruppe Rehabilitation: Reiner W. Dahlbender, Bad Säckingen
  • Arbeitsgruppe Abhängigkeit: Thorsten Jakobsen, Basel

Klassifikation der Diagnostik

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Das diagnostische Manual ermöglicht, die individuelle seelische Konstitution des Patienten auf fünf unterschiedlichen Achsen zu beschreiben und einzuschätzen. Dazu werden Erhebungsbögen[4][5] für jede Achse zur Verfügung gestellt, auf denen der Diagnostiker vorgegebene Items beurteilen kann.[6] Zum Beispiel Item 17 auf der Achse I:
Persönliche Ressourcen des Patienten = nicht vorhanden (0) | = niedrig (1) | = mittel (2) | = hoch (3) | = nicht beurteilbar (9)
Die Erhebungsbögen enthalten insgesamt über 40 solcher Einschätzungsskalen und frei formulierbare Felder.

  • Achse I erfasst das Krankheitserleben und die Behandlungsvoraussetzungen.
  • Achse II erfasst die Beziehungsdiagnostik, wobei neben der Übertragung und Gegenübertragung zwischen Therapeut und Patient im Schwerpunkt Beziehungsepisoden analysiert werden.
  • Achse III erfasst lebensbestimmende unbewusste innere Konflikte des Patienten.
  • Achse IV erfasst das Strukturniveau, das heißt grundsätzliche Fähigkeiten des psychischen Funktionierens.
  • Achse V erfasst psychische und psychosomatische Störungen in Bezug auf die etablierte deskriptiv-phänomenologische Diagnostik (ICD-10, DSM-IV)

Achse I – Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen

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Die Achse I besteht aus einem Basismodul, das nach Bedarf mit spezifischen Zusatzmodulen verzahnt werden kann.[7]:S. 145–189; 61–82

  1. Gegenwärtige Schwere der Störung/des Problems
    1.1 Schwere der Symptomatik
    1.2 GAF-Skala
    1.3 EQ-5D Summe
  2. Dauer der Störung/des Problems
    2.1 Dauer der Störung
    2.2 Alter bei Erstmanifestation der Störung
  3. Krankheitserleben und -darstellung
    3.1 Leidensdruck
    3.2 Darstellung körperlicher Beschwerden und Probleme
    3.3 Darstellung psychischer Beschwerden und Probleme
    3.4 Darstellung sozialer Probleme
  4. Krankheitskonzepte des Patienten
    4.1 An somatischen Faktoren orientiertes Krankheitskonzept
    4.2 An psychischen Faktoren orientiertes Krankheitskonzept
    4.3 An sozialen Faktoren orientiertes Krankheitskonzept
  5. Veränderungskonzepte des Patienten
    5.1 Gewünschte Behandlungsform: körperliche Behandlung
    5.2 Gewünschte Behandlungsform: psychotherapeutische Behandlung
    5.3 Gewünschte Behandlungsform: sozialer Bereich
  6. Veränderungsressourcen
    6.1 Persönliche Ressourcen
    6.2 (Psycho-)Soziale Unterstützung
  7. Veränderungshemmnisse
    7.1 Äußere Veränderungshemmnisse
    7.2 Innere Veränderungshemmnisse

Zusätzlich gibt es hierzu noch ein gesondertes Psychotherapiemodul.

Achse II – Beziehung

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Mithilfe einer Itemliste wird den nachfolgenden vier Erlebensperspektiven je eine Position in einem Zirkumplexmodell zugeordnet. Den jeweils 16 Items liegt ein Zirkumplexmodell interpersonellen Verhaltens zugrunde, das sich an Benjamin (1974; 1993) anlehnt.[7]:S. 189–206; S. 82–95

Perspektive A: Das Erleben des Patienten
Patient erlebt sich Patient erlebt andere
Perspektive B: Das Erleben der anderen (auch des Untersuchers)
Andere erleben den Patienten Andere erleben sich

Beziehungsdynamische Formulierung

… wie der Patient andere immer wieder erlebt

… wie er in seinem Erleben darauf reagiert

… welches Beziehungsangebot er anderen mit dieser Reaktion (unbewusst) macht

… welche Antwort er anderen damit (unbewusst) nahelegt

… wie es der Patient erlebt, wenn andere so, wie er es ihnen nahegelegt, antworten

Siehe auch: Zyklische maladaptive Muster

Achse III – Konflikt

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Fragen zur Abklärung der Voraussetzungen der Konfliktbeurteilung[7]:S. 206–255; S. 95–113

A) Konflikte sind nicht zu raten, diagnostische Sicherheit fehlt.

B) Aufgrund geringer struktureller Integration handelte es sich […] nicht um distinkte […] Konfliktmuster […] als vielmehr um Konfliktschemata.

C) Wegen abgewehrter Konflikt- und Gefühlswahrnehmung […] nicht beurteilbar.

D) […] (Aktualkonflikt) ohne wesentliche dysfunktionale repetitive Konfliktmuster.

Repetitiv-dysfunktionale Konflikte:

  1. Individuation versus Abhängigkeit
  2. Unterwerfung versus Kontrolle
  3. Versorgung versus Autarkie
  4. Selbstwertkonflikt
  5. Schuldkonflikt
  6. Ödipaler Konflikt
  7. Identitätskonflikt

In der klinischen Anwendung werden die beiden wichtigsten lebensbestimmenden Konflikte markiert. Zeitfenster ist das letzte Jahr, wobei die im Schwerpunkt die konkrete Aktualisierung eingeschätzt werden soll.

Hauptkonflikt:

Zweitwichtigster Konflikt:

Modus der Verarbeitung des Hauptkonfliktes:

(1) vorwiegend aktiv (2) gemischt (3) gemischt eher passiv (4) vorwiegend passiv (9) nicht beurteilbar

Achse IV – Struktur

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„Struktur kann […] auf vier Dimensionen beschrieben werden, welche jeweils den Bezug zum Selbst und den Bezug zu den Objekten unterscheiden.“ (S. 118)[7]:S. 255–280 und S. 113–123

Bezug zum Selbst Bezug zum Objekt
1a Selbstwahrnehmung 1b Objektwahrnehmung
2a Selbstregulierung 2b Regulierung des Objektbezugs
3a Kommunikation nach innen 3b Kommunikation nach außen
4a Bindung an innere Objekte 4b Bindung an äußere Objekte
5 Struktur gesamt

Achse V – Psychische und psychosomatische Störungen

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Va: Psychische Störungen[7]:S. 123–132

Vb: Persönlichkeitsstörungen

Welche Störung steht klinisch im Vordergrund? (Achse Va oder Vb)

Vc: Körperliche Erkrankungen

Zusätzliche Informationen

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Zusätzlich werden noch demografische Daten von Patient und Diagnostiker erhoben und aufgrund des Datenschutzes mit einem Code anstelle des Namens versehen.

Patient: Code, Alter, Geschlecht, Erhebungsdatum

Diagnostiker: Code, Alter, Geschlecht, Zentrum

OPD in der psychotherapeutischen Praxis

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Im Jahr 2018 finden sich 45 klinische Einrichtungen, die mit diesem Diagnoseinstrument arbeiten, davon 40 an Kliniken und Polikliniken in Deutschland, je zwei in Österreich und der Schweiz und eine an der Portman Klinik in London.[8]

Auch für die ambulante psychotherapeutische Praxis stellt die OPD vom Grundsatz her ein wertvolles diagnostisches und therapeutisches Instrument dar. Allerdings ist die komplette OPD[6] aus der Sicht einiger niedergelassener Psychotherapeuten zu zeitaufwändig, um routinemäßig breite Anwendung zu finden. Andererseits wird heutzutage in Deutschland durch etliche Ausbildungsinstitute der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie die OPD standardmäßig zur Formulierung der Psychodynamik im vorgeschriebenen Bericht an den Gutachter für Krankenkassenanträge zur Psychotherapie gelehrt. Meist wird in der Praxis nicht die gesamte OPD durchgeführt, sondern insbesondere für die Formulierung der Psychodynamik im Gutachterantrag lediglich Konflikt- und Strukturachse genutzt. Den zeitlichen Möglichkeiten der ambulanten Psychotherapiepraxis Rechnung tragend, entwickelten Udo Boessmann und Arno Remmers ein vereinfachtes fragebogengestütztes psychodynamisches Diagnose- und Therapieplanungskonzept, das auf der OPD basiert, aber mit sehr viel geringerem Zeitaufwand und das ohne das spezielle aufwändige Training, das die OPD verlangt, eingesetzt werden kann.[9][10]

  • Arbeitskreis OPD: Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-3. Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. Hogrefe, Göttingen 2023, ISBN 978-3-456-84753-5.
  • Eva Jaeggi, Günter Gödde, Wolfgang Hegener, Heidi Möller: Tiefenpsychologie lehren – Tiefenpsychologie lernen. Klett-Cotta Stuttgart 2003, ISBN 978-3-608-94060-2.
  • Falk Leichsenring (Hrsg.): Lehrbuch der Psychotherapie, Bd. 2 Psychoanalytische und tiefenpsychologisch fundierte Therapie. 2004, ISBN 3-932096-32-0.
  • Gerd Rudolf, Hildegard Horn: Strukturbezogene Psychotherapie. Leitfaden zur psychodynamischen Therapie struktureller Störungen. Schattauer, Stuttgart 2004, Dritte Auflage 2013, ISBN 978-3-7945-2857-8.

Einzelnachweise

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  1. Rolf Adler (2003): Psychosomatische Medizin. Urban und Fischer, München. ISBN 978-3-437-21830-9. (Kap. 24, Kritische Stellungnahme zum Gebrauch der Internationalen Diagnoseschlüssel, Abs. 6, Seite 394.)
  2. Arbeitskreis OPD (Hrsg.). (1996). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik. Grundlagen und Manual. Bern: Huber.
  3. Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2. Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung von Arbeitskreis OPD von Huber, Bern 2006
  4. Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD-2) Erhebungsbogen als PDF-Datei (Memento des Originals vom 4. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.verlag-hanshuber.com
  5. OPD-2 Bogen für die Fokusauswahl. Hogrefe Verlag, abgerufen am 18. Februar 2018.
  6. a b John F. Clarkin, Eve Caligor, Barry Stern & Otto F. Kernberg: Strukturiertes Interview zur Persönlichkeitsorganisation – Deutsche Version – STIPO-D. englische Originalausgabe: Clarkin, Caligor, Stern & Kernberg: Structured Interview for Personality Organization (STIPO), Personality Disorders Institute, Weill Medical College of Cornell University, New York, 2004, 27. November 2007 (PDF, 106 Seiten, 612 kB, (Archiv)).
  7. a b c d e Arbeitskreis OPD (2006): Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2. Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. Huber Verlag, ISBN 978-3-456-84285-1.
  8. Links zu kooperierenden Einrichtungen. Arbeitskreis Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD), archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 16. April 2018; abgerufen am 15. April 2018.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.opd-online.net
  9. Udo Boessmann, Arno Remmers: Das Erstinterview, Bonn: Deutscher Psychologen Verlag, 2011
  10. Udo Boessmann, Arno Remmers: Behandlungsfokus, Bonn: Deutscher Psychologen Verlag, 2008