Pawlatsche

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Innenhof mit Pawlatschengängen, Haus Zum Auge Gottes in Wien-Mariahilf
Graz Sackstraße 22, Pawlatschengänge im Innenhof

Die Pawlatsche ist ein Begriff, der aus der tschechischen Sprache in das österreichische Deutsch aufgenommen wurde. Das tschechische Wort pavlač bezeichnet einen offenen Hauseingang. In Teilen Österreichs (u. a. Wien und Graz) wird der Begriff für die umlaufenden Laubengänge der Innenhöfe benutzt. In den sogenannten Pawlatschenhäusern erfolgt ein Zugang zu den Wohnungen ausschließlich über die Pawlatschen um den Pawlatschenhof.

Charakteristika

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Der Vorgänger des städtischen Pawlatschenhauses der österreichisch-ungarischen Frühgründerzeit bis 1870 und Hochgründerzeit bis 1890 war das Seitenflügelhaus, manchmal auch Zwerchhof genannt, das in Böhmen, Österreich, Ungarn und umliegenden Ländern seit dem Mittelalter verbreitet war. Der Grund seiner Entstehung war, dass im Kataster-/ Grundstückswesen meistens sehr schmale und tiefe „Handtuchparzellen“ an der Straße vergeben wurden. Das machte es sinnvoll, die meisten Räume und manchmal auch Werkstätten quer zur Straße zu bauen und sie L-förmig mit dem vergleichsweise schmalen Vorderhaus an der Straße zu verbinden. Durch das Vorderhaus wurde dann auf einer Seite eine Durchfahrt zum Hinterhof vor dem Hinterhaus gebaut. Laubengänge am Hinterhaus waren bereits seit dem Mittelalter und besonders zur Zeit der Renaissance üblich. Dieser Grundtyp des Zwerchhofs oder Seitenflügelhauses blieb über Jahrhunderts in Städten und Dörfern dieser Regionen weit verbreitet, weil Handtuchparzellen noch bis Ende des 19. Jahrhunderts üblich waren.

Das Pawlatschenhaus ist eine Weiterentwicklung der Renaissance, besonders aus dem 18. Jahrhundert, als in einigen Großstädten vielstöckige Zinshäuser (Mietshäuser) entstanden, wobei die Wohnungen oft sozial gestaffelt waren: die Repräsentativwohnungen befanden sich im Vorderhaus, die billigeren im Hinterhaus mit Pawlatschenzugang. Häufig blieb die L-förmige Grundform erhalten, seltener gab es auch U-förmige Häuser mit zwei Hinterhäusern am Hinterhof. Nicht selten wurden die Hinterhäuser auch mit dem Rücken aneinander gebaut, wodurch die Hinterhäuser in L-Form und umgekehrter L-Form mit Grundstücksmauer dazwischen gegenüber liegen. Pawlatschen-Hinterhäuser wurden seltener, als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die engen Handtuchparzellen durch breitere Wohnhofparzellen ersetzt wurden.

Dass ein kompletter Wohnhof zwischen den Straßen mit wenigen Stiegen durch Pawlatschen erschlossen wird (nicht die Hinterhäuser), ist deshalb erst ein späterer Haustyp, meist aus der Hochgründerzeit. An Eckhäusern waren immer Pawlatschen verbreitet, wodurch relativ viele Wohnungen über eine Stiege erreicht werden können.

Der vertikale Zugang der einzelnen Ebenen erfolgt über einen ebenerdigen Zugang im Innenhof und in den oberen Etagen über die Laubengänge/Zugangsbalkone. Auf der Rückseite des Vorderhauses windet sich eine oft schmale Steintreppe nach oben, ähnlich einer Wendeltreppe in einem Turm. Von dieser Treppe aus gelangt man auf die einzelnen Pawlatschengänge.

Die Erschließung von Mietshäusern über Pawlatschengänge wurde in Wien nach dem Brand des Ringtheaters 1881 – für Neubauten – untersagt (unzureichende Fluchtmöglichkeiten und zu dichte Bebauung mit Hinterhäusern).

Auch in der Verbindung Pawlatschenbühne für eine Freiluft-Hinterhof- oder Bretterbühne findet sich das Wort wieder.

Pawlatschen sind auch für die Architektur in Budapest, Prag, Brünn, Graz, Bratislava oder Ljubljana bis um 1900 herum charakteristisch.

Der Vorteil liegt in der besseren Nutzung der erschlossenen Wohnungen, da Dielen und Flure innerhalb des Hauses entfallen. Pawlatschen sind kostengünstiger als Stiegenhäuser mit derselben Funktion, platzsparender, da die Grundfläche einer Wand entfällt, bieten dem Wohnungsnutzer einen Balkon zum Auslüften und sommerlich etwas Abschattung, der Hoffassade zusammen mit vorgezogener Dachtraufe Schutz vor Schlagregen und im Hof einen regengeschützten und schneefreien Rundumgang.

Pawlatschenhäuser entwickelten sich in der Manufakturzeit des Absolutismus Mitte 17.–Mitte 19. Jahrhundert, aus den schon zuvor in den Städten Böhmens, Mährens, Schlesiens, Österreichs, der Steiermark und Ungarns weit verbreiteten niedrigeren Seitenflügelhäusern, die hier bereits seit dem Mittelalter verbreitet waren. In der Manufakturzeit wuchsen erste Städte zu Großstädten an und große Mietshäuser (österreichisch: „Zinshäuser“) wurden häufig. Um die nicht optimale Platznutzung dieser aus Vorderhaus und L-förmig angebautem Hinterhaus bestehenden Seitenflügelhäuser auszugleichen – viele Hinterhäuser enden in ungenutzten Freiflächen – wurde die Zahl der Stockwerke erhöht und Zugangsbalkone/Laubengänge (tschechisch pavlač=Gang/Zugang) zu den Hinterhäusern in allen Etagen eingeführt.

Erst mit der Modernisierung des Katasterwesens vieler Städte im 19. Jahrhundert zu weniger schmal parzellierten Grundstücken wurden Pawlatschenhäuser schrittweise von oft repräsentativer gestalteten Wohnhöfen (Arbeiter-Hinterhöfe waren in der Architektur Österreich-Ungarns verglichen mit dem Deutschen Kaiserreich selten) mit „Stiegenhäusern“ (d. h. eine Stiege/Treppenhaus pro Zinshaus) zurückgedrängt. Die Stadt Wien verbot den Neubau dieser engen Bebauung ohne Feuertreppen zwischen den Pawlatschen nach dem Brand der Ringstraße 1881, in noch nicht eingemeindeten Vorstädten und anderen Städten wurden sie aber noch etwas länger gebaut.[1]

Die engen, teils bereits als Element sozialen Wohnens konzipierten, im 20. Jahrhundert oft baufälligen Pawlatschenhäuser entwickelten sich zu Wohngebieten unterer Einkommensgruppen und umgangssprachlich wurde „Pawlatsche“ auch zum Synonym eines baufälligen Hauses.[2] Erst mit den postmodernen Stadtsanierungen ab den 1970er Jahren entwickelten sie sich zur beliebten, begrünten Wohnlage.

Theater und Literatur

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In Pawlatschenhäusern finden heute manchmal improvisierte „Pawlatschentheater“ mit dem Publikum auf den Pawlatschen statt.

Schon Egon Erwin Kisch beschrieb im „Marktplatz der Sensationen“ den Scherenschleifer „der blinde Methodius“, der seinem meist weiblichen Pawlatschenpublikum in Prager Hinterhöfen Bänkelgesänge in tschechischer Sprache zu aktuellen Ereignissen und Kriminalfällen vortrug.

Die prominenteste Erwähnung in Prager deutschsprachiger Literatur ist Franz Kafkas Brief an den Vater (nie abgeschickt), in dem er sich unter anderem erinnert, als Kind für nächtliches Rufen „wahrscheinlich teils um zu ärgern, teils um mich zu unterhalten“ von dem resoluten Hermann Kafka „auf die Pawlatsche“ gestellt und einige Zeit ausgesperrt wurde. „Noch nach Jahren litt ich unter der quälenden Vorstellung, daß der riesige Mann, mein Vater, die letzte Instanz, fast ohne Grund kommen und mich in der Nacht aus dem Bett auf die Pawlatsche tragen konnte und daß ich also ein solches Nichts für ihn war. Das war damals ein kleiner Anfang nur, aber dieses mich oft beherrschende Gefühl der Nichtigkeit (ein in anderer Hinsicht allerdings auch edles und fruchtbares Gefühl) stammt vielfach von Deinem Einfluß.“[3]

Commons: Pawlatschen in Wien – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. Sigrid Hanzl: "dencity". Eine Nachverdichtungsstudie an gründerzeitlichen Restflächen. (Diplomarbeit an der TU Wien) 2014, S- 35–36.
  2. Vgl. z. B. Wiktionaly-Eintrag „Pawlatsche“ mit Referenzen.
  3. Franz Kafka: Brief an den Vater. (bei Projekt Gutenberg.de)