Tsangpa-Dynastie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Festung der Stadt Shigatse (im Jahr 1938)

Die Tsangpa-Dynastie (tib.: གཙང་པ; Wylie: gTsang pa), die im Tibet der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Samzhubzê aufstieg und deren Blütezeit in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts fiel, war die letzte tibetische Herrscherdynastie[1], die Tibet aus eigener Kraft regierte.

Die auf den Gründer Shingshapa Tsheten Dorje (zhing shag pa tshe brtan rdo rje)[2] zurückgehende Tsangpa-Dynastie herrschte von 1565 bis 1642 über weite Teile Tibets – einschließlich des Gebiets von Lhasa. Ihre Hauptstadt Samdrubtse (bSam grub rtse) auf dem Gebiet des heutigen Stadtbezirks Samzhubzê bildete das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Tibets.

Die Zeit der Tsangpa-Herrschaft war eine Zeit der Karmapa-Hegemonie, d. h. einer Hegemonie der Karma-Kagyü-Schule (karma bka' brgyud pa) des Tibetischen Buddhismus (ihren religiösen Gegenspieler bildete die Gelug-Schule). Ihr letzter Herrscher wurde 1642 von einem Fürsten der westmongolischen Khoshuud des Kokonor-Gebiets bezwungen. Die säkulare Tsangpa-Herrschaft löste die der Phagmodrupa und Rinpungpa ab.[3]

Shingshapa Tsheten Dorje

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ursprünglich diente Shingshapa Tsheten Dorje unter den Rinpungpa[4]. Als Gouverneur des damaligen Shigatse zettelte er eine Rebellion an, gewann nach und nach an Macht und bezwang 1565 den letzten Rinpungpa-Herrscher Ngawang Jigme Dragpa (rin spungs pa ngag dbang 'jigs grags; 1482–1565). Nur wenig später erstreckte sich Shingshapas Einflussbereich praktisch über ganz Ü-Tsang (tib. dbus gtsang[5]). Er selbst nannte sich 'König von Tsang'[6].

Karma Phüntshog Namgyel

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Versuch, die Herrschaft über ganz Tibet zu übernehmen, drang der Tsang-König (wahrscheinlich Phüntshok Namgyel[7]) 1611 wieder einmal nach Ü vor und zog in Lhasa ein. Aber schon im Folgejahr übergab er die Stadt wieder den Gelugpa und erbat sich von ihnen eine religiöse Initiation, um einen Ausgleich zustande zu bringen. Das wurde von den Gelugpa abgelehnt und der 4. Dalai Lama zog es vor, für die nächsten Jahre nach Samye zu gehen.

1613 gewann Tsang die Kontrolle des Gebiets von Ngari[8] in Westtibet, zugleich annektierte er alle kleineren und schwächeren Stämme der Umgebung.

Bezüglich der Religion war Phüntshok Namgyel ein Anhänger der Karma-Kagyü-Schule[9] des tibetischen Buddhismus. Wegen religiöser Streitigkeiten in Glaubensfragen mit der wichtigsten Drugpa-Kagyü-Schule in Bhutan entsandte er zweimal Truppen zum Angriff. Dem 6. "Rothut-Karmapa" oder Shamarpa (zhwa dmar pa)-Hierarchen der Karma-Kagyü-Schule, Chökyi Wangchug (chos kyi dbang phyug; 1584–1630), dem „Lebenden Buddha Karmapa“, verlieh er den Titel "Herrscher von Ü-Tsang"[10], die neu aufsteigende Gelug-Schule aber betrachtete er als Feind.

1617 stellte die Koalition der Chalcha (Khalkha)-Mongolen, die Anhänger der von der Gelug-Schule vertretenen Form des tibetischen Buddhismus war, Truppen zusammen und versuchte Tsangpa anzugreifen. 1618 schickten die Karmapas mehr als zehntausend Mann zu Hilfe, sie bezwangen die aus Kräften von Mönchen und Soldaten des Sera-Klosters und anderen Gelugpa-Kräften gebildete Koalition, besetzten die Klöster Sera und Drepung[11] und töteten die Aufstandsführer. Der Rest der Gelugpa-Mönche war gezwungen, in Richtung Norden zu fliehen. Als schließlich fast ganz Zentraltibet unter der Kontrolle Tsangs war, kamen die Mongolen 1621 nach Ü, besiegten die Armee des Tsang-Königs und schlossen sie in Lhasa ein. Unter der Vermittlung hoher Gelugpa-Geistlicher kam es zu einem Vergleich, bei dem Tsang die meisten der besetzten Gebiete und Klöster wieder aufgab.

Im Jahr 1618 ernannte sich Phüntshog Namgyel zum 'König des Oberen Tsang'[12] (bzw. Tsangpa Khan[13] oder Desi Tsangpa[14]), dies ist das offizielle Gründungsdatum des meist unter der Bezeichnung Tsangpa Khan bekannten Regimes (von 1618 bis 1642). Es hatte nur zwei Herrscher: Phüntshog Namgyel[15] (1586–1621; reg. 1618–1621) und Tenkyong Wangpo[16] (1606–1642, reg. 1621–1642)[17] und wird auch als Karma-Regierung bzw. Karma-Kagyü-Regierung[18] bezeichnet.

Karma Tenkyong Wangpo

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1621 folgte Karma Tenkyong Wangpo[19](1605–1642[20]; reg. 1621–1642) im Alter von siebzehn Jahren seinem Vater Desi Tsangpa Karma Phüntshog Namgyel[21]. Karma Tenkyong Wangpo war ein mächtiger Unterstützer des 10. Karmapa Chöying Dorje der Karma-Kagyü-Schule und der Erzfeind der Gelug-Schule, insbesondere des 5. Dalai Lama Ngawang Lobsang Gyatsho (1617–1682) und des 4. Penchen Lama Lobsang Chökyi Gyeltshen (1570–1662).

Gushri Khan, Ausschnitt aus einer historischen Malerei im Jokhang-Tempel

Im Jahr 1634 luden der 4. Penchen Lama und der 5. Dalai Lama den Khan der Khoshuud-Mongolen des Kokonor-Gebiets, Töröbaikhu[22] (i. e. Gushri Khan, 1582–1655) nach Tibet ein. 1641 griff dieser Tsangpa an und kreiste die offizielle Residenz in Samzhubzê ein. 1642 wurde Karma Tenkyong Wangpo von Gushri Khan militärisch besiegt und gefangen genommen, später wurde er getötet.[23]

Der 5. Dalai Lama bestieg in dem mit Hilfe der Mongolen eroberten Samzhubzê (Shigatse) seinen Thron (siehe Hauptartikel Ngawang Lobsang Gyatsho), ihm wurde ein Regent zur Seite gestellt (siehe Hauptartikel Sönam Rabten).

Gushri Khan (1582–1655) marschierte weiter westwärts und unterwarf das Gebiet von Ü-Tsang, er selbst war in Shigatse stationiert, seinem ältesten Sohn Dayan Khan (reg. 1656–1668) befahl er, sich in Lhasa zu stationieren, mit aufgeteilten Truppen kontrollierten sie die verschiedene Regionen Tibets, praktisch unterlag Tibet der Herrschaft eines Khanats.

Herrschertabelle

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Tabelle liefert folgende Angaben: (a) tib. Namen in deutscher Schreibung, (b) Umschrift nach Wylie, (c) chinesische Schreibung mit vorangestelltem Pinyin, (d) Dauer der Herrschaft, (e) Antrittsjahr im Sechzigerzyklus des traditionellen chinesischen Kalenders, (f) Antrittsjahr der Herrschaft.

  • Shingshapa Tsheten Dorje (zhing shag pa tshe brtan rdo rje) Xinxiaba Caidan Duojie 辛夏巴才旦多吉 (23) 乙丑 1565
  • Khunpang Lhawang Dorje (kun spangs lha dbang rdo rje) Gunbang Lawang Duojie 衮邦拉旺多杰 (20) 戊子 1588–1608
  • Tensung Wangpo (bstan srung dbang po) Dansong Wangbo 丹松旺波 (23) 戊子 1588–1611
  • Phüntshok Namgyel (phun tshogs rnam rgyal) Pengcuo Nanjie 彭措南杰 (10) 辛亥 1611
  • Karma Tenkyong Wangpo (karma bstan skyong dbang po) Gama Danjiong Wangbo 噶玛丹迥旺波 (21) 辛酉 1621

Der Historiker Thuken Lobsang Chökyi Nyima (1737–1802) aus der Gelug-Schule berichtet in seinem Werk Kristallspiegel der philosophischen Lehrsysteme (Grub mtha' shel gyi me long) folgendes:

"Zu jener Zeit war der König von dBus und gTsang der sDe srid gTsang pa [= Karma Tenkyong Wangpo]. Dieser unterstützte als Meister der geistlichen Gabenherrn die Kar ma pa und hielt zu ihnen, indem er viel Zurückweisung hinsichtlich der dGe lugs pa ausübte. Dieser König [= Gushri Khan], zusammen mit einer grossen Ansammlung von Truppen, zog in dBus und gTsang ein und besiegte das gesamte Heer des gTsang pa, nahm den gTsang pa-Fürsten und seine Minister gefangen und warf sie daraufhin in das Gefängnis in ihrem Heimatort Ne'u in dBus. Er brachte alle Gegenden von dBus und gTsang unter seine Macht. Er wurde zum König aller drei Provinzen von Tibet und etablierte bis Vollendung als Regierung den weissen Schirm der Gesetze. Er vernichtete sämtliche Menschen, die nicht diszipliniert gewesen waren, so dass sie durch Zurückweisung die dGe lugs pa beleidigt hatten."[24]

Einzelnachweise und Fußnoten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Während der Zeit der späten chinesischen Ming-Dynastie.
  2. chin. Xinshaba Cidan Duoji 辛厦巴次旦多吉; abweichende Angaben zu Lebenszeit und Herrschaftszeit! Zu den Angaben vgl. José Ignacio Cabezón, S. 155, Anm. 9.
  3. Zur Periodisierung der tibetischen Geschichte vgl. himalaya.socanth.cam.ac.uk: "Some Reflections on the Periodization of Tibetan History" (Bryan J. Cuevas; PDF; 136 kB), wo diese drei Dynastien unter "Zeitalter der monastischen Hegemonien" folgendermaßen datiert werden: Nedong (sne'u gdong) -Periode und Phagmodrupa-Hegemonie (ca. 1354–1478); Rinpung (rin spungs) -Periode und Sharmapa (zhwa dmar pa) -Hegemonie (ca. 1478–1565); Shigatse (gzhis ka rtse) -Periode und Karmapa (karma pa) -Hegemonie (ca. 1565–1642), die wiederum von der Lhasa-Periode und Gandenpa (Dga' ldan pa) -Hegemonie (ca. 1642–1705) abgelöst wurde (Cuevas, S. 51: "Appendix I: A Suggested Periodization Scheme for the History of Tibet").
  4. Deren Hauptsitz in Rinpung (rin spungs) lag.
  5. chin. (hier) 烏思藏
  6. chin. Zangba jiabo 藏巴加波 (auch Zangdui Jiebo 藏堆杰波), wobei mit Tsang (chin. Zang) das heutige Gebiet Shigatse gemeint ist und (chin.) jiabo "König" bedeutet - gefunden am 22. Juni 2010.
  7. bzw. Phuntsog Namgyal, chin. Gama Pengcuo Nanjia 噶瑪彭措南嘉
  8. chin. Ali
  9. Eine der vier großen Schulen der Kagyü-Schulrichtung: Barompa, Karmapa, Phagdrupa- und Tshelpa
  10. chin. Wei-Zang zhi zhu 衛藏之主
  11. Zwei der sogenannten Drei Großen Klöster des Gelug-Ordens, das dritte ist Ganden.
  12. bzw. chin. Houzang shangbu zhi wang 後藏上部之王
  13. chin. Zangba han 藏巴汗, auch 藏巴汉
  14. tib.: sde srid gtsang pa; chin. Disi zangba 第悉藏巴 / Dixi zangba 第悉藏巴 bzw. Tsangpa Desi; tib. gtsang pa sde srid; chin. Zangba disi 藏巴第司 usw.
  15. oder Phuntsok Namgyal usw., chin. 藏巴汗彭措南杰, 第悉藏巴•彭措南杰 oder 噶玛彭措南杰, gtsang sde srid kar+ma phun tshogs rnam rgyal (Tsang Desi Karma Phüntshok Namgyel) usw.
  16. chin. Gama Danjiong Wangbo 噶玛丹迥旺波
  17. Daten zu Lebens- und Regierungszeit hier nach 360doc.com: Zangchuan Fojiao huofo liebiao - gefunden am 19. Juni 2010
  18. chin. Gama zhengquan 噶瑪政權/噶玛政权 bzw. Gama Gaju zhengquan 噶玛噶举政权
  19. tib.: Karma bstan skyong dbang po
  20. Lebensdaten nach: Михаэль ден Хут. 2002a, bei hamagmongol.narod.ru: "Период трех государств - Хошутское ханство (1635–1697–1723)" - gefunden am 19. Juni 2010
  21. Oder Tsangpa Khan, der Enkel von Shingshapa (i. e. Karma Tsheten Dorje) (Zhing shag pa Karma tshe brtan rdo rje)
  22. chin. Tulubaihu 圖魯拜唬/图鲁拜琥
  23. Gushri Khan marschierte dann gen Tshurphu - den Sitz des Karmapa, des Oberhauptes der Karma-Kagyü-Schule des Tibetischen Buddhismus - und der Karmapa floh mit seinen Anhängern nach Bhutan, was das Ende des politischen Einflusses der Karmapas bedeutete. Vgl. hierzu keithdowman.net: The Power Places of Central Tibet: The Pilgrim's Guide (Keith Dowman) - gefunden am 22. Juni 2010. Siehe auch den Artikel Drugpa-Kagyü.
  24. Nach Karénina Kollmar-Paulenz (Universität Bern): "Das Abwehren der Mongolen (tib. sog zlog pa): Tibetisch-buddhistische Reaktionen auf die Eingliederung Tibets in das mongolische Weltreich (Memento vom 16. November 2013 im Internet Archive) (PDF; 2,1 MB)" - buddhismuskunde.uni-hamburg.de (S. 252: "Kristallspiegel der Lehrmeinungen")
  25. chin. Disi zhidu 第司制度
Tsangpa-Dynastie (Alternativbezeichnungen des Lemmas)
第悉藏巴汗政权, 藏巴汗, Tsangpa Khan, Zangba han 藏巴汗, auch 藏巴汉, Desi Tsangpa, sde srid gtsang pa; Disi zangba 第悉藏巴 / Dixi zangba 第悉藏巴, Tsangpa Desi; gtsang pa sde srid; Zangba disi 藏巴第司, Depa Tsangpa, gTsang-pa sde-pa