Heinrich Schalit

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Heinrich Schalit (geboren 2. Januar 1886 in Wien, Österreich-Ungarn; gestorben 3. Februar 1976 in Evergreen (Colorado)/USA) war ein österreichisch-US-amerikanischer, jüdischer Komponist und Musiker.

Er und schuf vor allem sakrale Musik, Kunstlieder und Kammermusik. Zusammen mit Herbert Fromm, Isadore Freed, Hugo Chaim Adler, Frederick Piket, Julius Chajes, Abraham Wolfe Binder, und Lazare Saminsky modernisierte er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die jüdische Sakralmusik.[1] Als sein Hauptwerk wird die 1932 uraufgeführte Freitagabend-Liturgie angesehen. 1933 verließ er Deutschland und emigrierte 1940 in die USA. Von der allgemeinen Musikwissenschaft wurde er lange kaum rezipiert.

Heinrich Schalit war ein Sohn des Angestellten Joseph Schalit und der Josefine Fischer, er hatte vier Geschwister, darunter der Zahnarzt und Zionist Isidor Schalit. Er begann seine musikalische Ausbildung schon 1898 privat bei Josef Labor in den Fächern Orgel, Klavier und Komposition und absolvierte ab 1903 eine Ausbildung am Konservatorium für Musik und darstellende Kunst in Wien. Seine Lehrer waren neben anderen der Pianist Theodor Leschetizky und Robert Fuchs in Kompositionslehre. 1906 schloss er die Ausbildung mit der Note vorzüglich ab und erhielt für sein Klavierquartett in e-Moll den Österreichischen Staatspreis für Studenten der Komposition. Nach seiner Ausbildung zog er 1907 nach München, arbeitete dort als privater Musiklehrer und komponierte zahlreiche Werke, vorwiegend postromantische Lieder und Kammermusik. Es entstanden u. a. das Werk Jugendland für Klavier zu zwei Händen und die Werkgruppen Sechs Liebeslieder und Sechs Frühlingslieder.[2] Sein musikalisches Schaffen begann er ohne Verbindung zur jüdischen Musik und ohne deren Beeinflussung.[3] 1909 nahm er an der Königlichen Bayerischen Akademie der Tonkunst für ein Semester ein Orgelstudium auf.

Besinnung auf jüdische Musik

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den Jahren 1916 bis 1920 begann für Schalit, motiviert durch die politischen Ereignisse der Zeit, eine Rückbesinnung auf jüdische Musik. Er selbst sah sich als durch den Zionismus motivierter jüdischer Komponist.[4] In einem Brief an Anita Hepner schrieb Schalit:

„[… between] 1928 and 1932, when there was no composer of Jewish birth who could have even thought of writing music with a consciously Jewish heartbeat, I was already a well-known composer of Jewish religious music [...] as a conscious Jewish musician and Zionist I considered it my duty to convince him [Paul Ben-Haim] of the necessity of devoting his talent to Jewish music and culture“.[5]

Im Jahr 1921 heiratete er die aus Mannheim stammende nichtjüdische Hilda Schork (1899–1981). Dieser Ehe entstammen die drei Söhne Joseph, Michael und Theodor. Schalits jüdische Kompositionen dieser Zeit beruhten auf osteuropäischer, spanischer und orientalisch-jüdischer Volksmusik. Ein Beispiel hierfür sind die Ostjüdischen Volkslieder (Opus 18 und 19).[3] 1921 erschienen die Seelenlieder für Gesangsstimme und Klavier und die Hymne In Ewigkeit für Chor, Orgel, Harfe und Violine. Dieses Werk wurde in mehreren deutschen Städten aufgeführt und erhielt gute Kritiken. Beide Werke basieren auf von Franz Rosenzweig in das Deutsche übersetzten Texten des mittelalterlichen Dichters Judah ha-Levi.[6][2] 1927 bewarb sich Schalit um eine Anstellung als Organist und Musikdirektor an der Münchner Synagoge; nicht ohne Schwierigkeiten wurde er dort angestellt.[7] Der langjährige Kantor der Synagoge Emanuel Kirschner sah sich in einem Konkurrenzverhältnis zu Schalit, das ihn aber zur Komposition eigener Orgelwerke anregte.[5]

Liturgische Musik

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ende der 1920er Jahre begann sich Schalit intensiv mit der liturgischen Musik des jüdischen Gottesdienstes auseinanderzusetzen. Seiner Meinung nach war die liturgische jüdische Musik durch einen romantischen und opernhaften Stil, wie in den Werken von Louis Lewandowski und Salomon Sulzer, geprägt und bedurfte einer Erneuerung und Modernisierung, die aber auf authentischen jüdischen musikalischen Traditionen basieren und trotzdem Elemente der Musik des 20. Jahrhunderts integrieren sollte. Dabei solle sie gleichermaßen den Bedürfnissen des Gottesdienstes gerecht werden als auch hohen musikalischen Standards wie in der christlichen sakralen Musik des Mittelalters oder J.S. Bachs genügen. Ergebnis dieser Überlegungen war die 1932 uraufgeführte Freitagabend-Liturgie für Kantor, einstimmigen und gemischten Chor und Orgel (Opus 29). In diesem Werk verarbeitete Schalit auch die Sammlung jüdisch-orientalische Melodien (Hebräisch-Orientalischer Melodienschatz) des jüdischen Musikforschers Abraham Zvi Idelsohn. Das Werk wurde von Musikwissenschaftlern wie Alfred Einstein, Curt Sachs und Hugo Leichtentritt sehr gelobt. Im beginnenden Nationalsozialismus war die Veröffentlichung des Werkes zu riskant, so dass Schalit es selbst verlegte.[2][8]

Nationalsozialismus und Exil

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach der Machtübernahme der NSDAP wechselte Schalit 1933 an die Synagoge in Rom, wo er unter anderem als Chordirigent tätig war. 1940 emigrierte er in die USA, wo er verschiedene Anstellungen in Synagogen an der Ost- und Westküste hatte, darunter in Rochester, Providence und Los Angeles.

Musikalische Werkzeuge

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In seiner Musik vermied er die harmonischen Gepflogenheiten der Musik des 19. Jahrhunderts und griff dafür vermehrt auf modale Elemente zurück. Seine Musiksprache setzt auch kontrolliert Dissonanzen im diatonischen Rahmen ein.[1] Er legte dabei mehr Wert auf klare linear-horizontale Melodielinien als auf die in der Spätromantik eher vorherrschende komplexe vertikale Harmonik.[9] Seine Setzweise erinnert – ohne dabei atonal zu werden – manchmal an die polyphone Dichte des Chor- und Orchestersatzes vieler Werke Arnold Schönbergs.[6] Mit der Realisierung einer individuell definierten Tonalität, die gleichermaßen die herkömmlichen harmonischen Regeln oft ignoriert, aber auch nicht in Atonalität oder Zwölftontechnik verfällt, steht Schalit im Kontext der musikalischen Neuerungen der Musik der 1920er Jahre, welche im deutschen Raum etwa durch Paul Hindemiths eigene Form der Tonalität (Unterweisung im Tonsatz) repräsentiert wird. Schalit hielt – ebenso wie Béla Bartók und andere – die volksmusikalischen Traditionen der einzelnen Kulturkreise/Nationen für einen wichtigen erneuernden Inspirationsquell für die Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Die moderne Forschung und Sammlung originalgetreuer hebräisch-orientalischer ritueller Musik wie durch Idelsohn wertete er als Anstoß zur Fortentwicklung der synagogalen Musik.[10]

Von der allgemeinen Musikwissenschaft wurde Schalit lange kaum rezipiert. Nur in Müllers Lexikon Deutscher Musiker von 1929 findet sich ein umfangreicher Artikel mit einem Werkverzeichnis der Münchener Jahre. In den beiden Ausgaben der Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart wird er nur am Rande im Zusammenhang des Artikels Jüdische Musik erwähnt.[11][12] Riemanns Musiklexikon hat keinen Eintrag zu seiner Person. Aussagen zu ihm und seinem Werk sind verstreut in speziellen Büchern zur Jüdischen Musik bzw. Jüdischen Geschichte zu finden. Das moderne Online verfügbare Lexikon verfolgter Musiker der NS-Zeit und das BMLO beenden die bisherige Vernachlässigung Heinrich Schalits. Musikalische Analysen seiner Werke sind nicht vorhanden.

Werke (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Ostjüdische Volkslieder Opus 18 und 19
  • Freitagabend-Liturgie; Uraufführung am 16. September 1932 in der Synagoge Lützowstraße in Berlin
  • V'shamru
  • Hebräischer Lobgesang

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b Heinrich Schalit auf www.naxos.com
  2. a b c The Heinrich Schalit Collection at the Library of the Jewish Theological seminary, arranged and described by Eliott Kahn, D.M.A., Februar 2000 (Memento vom 27. Mai 2010 im Internet Archive)
  3. a b Michael Brenner: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik. C.H. Beck, München 2000, ISBN 3-406-46121-2, S. 175.
  4. Yotam Ḥotam, Joachim Jacob: Populäre Konstruktionen von Erinnerung im deutschen Judentum und nach der Emigration. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 978-3-525-35579-4, S. 92
  5. a b Musikmeister der Münchner Hauptsynagoge: Prof. Emanuel Kirschner et al. – Nach Tina Frühauf „Orgel und Orgelmusik in Deutsch-jüdischer Kultur“, 2005; auf www.hagalil.com
  6. a b Michael Brenner: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik. C.H. Beck, München 2000, ISBN 3-406-46121-2, S. 176.
  7. Anm.: »A talented non-Jewish organist had applied for the position and so did Heinrich. Dr. Elias Straus championed Heinrich's cause and insisted that the congregation should hire a Jewish organist A competition was held between the two musicians, and Heinrich won the contest«; nach https://www.hagalil.com/deutschland/2008/musik-01.htm
  8. Yotam Ḥotam, Joachim Jacob: Populäre Konstruktionen von Erinnerung im deutschen Judentum und nach der Emigration. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 978-3-525-35579-4, S. 93 und 94
  9. Tina Frühauf: The organ and its music in German-Jewish culture. Oxford University Press, New York, Oxford 2009, ISBN 978-0-19-533706-8, S. 168
  10. "The modern musicological research and collection of Hebrew-Oriental ritual which has been done by A.Z. Idelsohn has given a new impetus to the further development of synagogue music."; zitiert nach Lily E. Hirsch: A Jewish Orchestra in Nazi Germany – Musical Politics and the Berlin Jewish Culture League, University of Michigan Press, Ann Arbor 2010, ISBN 978-0-472-11710-9, S. 177; Zitat in der Google-Buchsuche
  11. Hanoch Avenary, Edith Gerson-Kiwi, Gerd Benjamin Pinthus: Jüdische Musik. In: Friedrich Blume (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG). Erste Ausgabe, Band 7 (Jensen – Kyrie). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1958, DNB 550439609, Sp. 224–285 (= Digitale Bibliothek Band 60, S. 39253–39407)
  12. Judith Cohen, Edith Gerson-Kiwi, Hanoch Avenary, Joachim Braun, SL: Jüdische Musik. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Sachteil, Band 4 (Hanau – Kartäuser). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1996, ISBN 3-7618-1105-5