Mehrseilförderung

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Sechsseilförderung (Zeche Auguste Victoria VIII, Haltern-Lippramsdorf, Video)

Als Mehrseilförderung[1], auch Mehrseilförderanlage[2], bezeichnet man eine maschinelle Einrichtung, die bei der Schachtfördertechnik im Berg-[1] und Aufzugbau angewendet wird.[3] Bei dieser Fördereinrichtung wird die von der Fördermaschine erzeugte Bewegung über zwei oder mehr Förderseile auf den Fördergutträger übertragen.[4] Nutzlasten von 50 Tonnen sind nur mit Mehrseilanlagen sicher zu heben.[5] Zudem ist es mit Mehrseilförderungen möglich, eine Grenzteufe von 3000 Metern[6] und zum Teil auch darüber hinaus zu erzielen.[7]

Grundlagen und Geschichte

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Bei Schachtförderanlagen nimmt das Gewicht des Seiles mit größer werdender Teufe stetig zu.[5] Dies hat zur Folge, dass bei gleichbleibender Nutzlast der Seildurchmesser mit größer werdender Teufe auch größer werden muss.[1] Ebenso muss der Seildurchmesser größer werden, wenn mit der Schachtförderanlage eine schwerere Nutzlast gefördert werden soll.[3] Mit größerer Teufe vergrößern sich zudem auch dynamischen Beanspruchungen der bewegten tragenden Teile der Schachtförderanlage.[8] Durch den größer werdenden Seilnenndurchmesser[ANM 1] wird das Förderseil auch steifer, was zu kürzeren Aufliegezeiten[ANM 2] führt.[9] Außerdem erfordern größere Seilnenndurchmesser größere Seilscheiben und größere Seilträger.[10] Ab einem Seildurchmesser von 90 Millimetern lassen sich Förderseile nur schwer herstellen und im Förderbetrieb nutzen.[11] Insbesondere die Handhabung dieser dicken Förderseile gestaltet sich bspw. beim Seilwechsel und beim Erstellen der Seileinbände besonders schwierig.[10]

Um diese Problematiken zu umgehen, gibt es die Möglichkeit der Mehrseilförderung.[4] Bei dieser Technik wird die Last (Nutzlast, Totlast) auf mehrere dünnere Seile, die parallel an das Fördergefäß angebracht werden, verteilt.[1] Die Idee, das Fördergut an mehrere dünne Seile anstatt einem dickeren aufzuhängen, stammt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.[11] Zunächst wurde die Technik im Aufzugbau angewendet, später dann im Bergbau bei Blindschachtförderanlagen.[3] Im Jahr 1948 wurde die Mehrseiltechnik zum ersten Mal im deutschen Bergbau auf der Zeche Hannover bei der Schachtförderanlage des Schachtes 2 in Form einer Vierseilanlage eingesetzt.[11] Die größte Mehrseilförderanlage im Ruhrgebiet war die Sechsseilförderanlage der Zeche Consolidation.[1] Im Kalibergbau wurden auch Mehrseilförderanlagen mit acht Förderseilen realisiert.[4] So wurde z. B. auf dem Kalibergwerk Heringen eine Achtseilförderanlage in Betrieb genommen.[1] Später wurden sogar Mehrseilförderungen mit zehn Seilen realisiert, z. B. auf den Schächten Haltern 1 und An der Haard 1.[10] Die Fördermaschine der Mehrseilförderung wurde in den Anfangsjahren im Förderturm untergebracht, ab den 1960er Jahren ging man dazu über, Flurfördermaschinen als Mehrseilförderanlagen zu betreiben.[11]

Aufbau und Betrieb

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Bei der Mehrseilförderung werden anstelle eines dicken Förderseiles mehrere Förderseile für eine Förderanlage verwendet.[12] Es werden Anlagen mit zwei, vier,[4] sechs[1] acht[4] oder zehn Förderseilen gebaut.[10] Die Fördermaschine kann als Flur- oder Turmfördermaschine gebaut werden.[11] Ab vier Seilen wird die Maschine in der Regel als Turmfördermaschine ausgeführt.[1] Durch die Mehrseilförderung erhöht sich auch die Sicherheit der Anlage gegen Seilbruch, da beim Bruch eines der Seile der Fördergutträger immer noch an den übrigen Seilen hängt.[3] Durch die parallele Anordnung von mindestens drei Förderseilen liegt bei einem Seilbruch eines der Seile durch Ermüdung die Wahrscheinlichkeit, dass eines der übrigen Seile bricht, unter 6,6 Prozent.[13] Entsprechend der Anzahl der Förderseile müssen auch die anderen Anlagekomponenten wie Seilträger, Seilscheibe und Zwischengeschirr ausgestattet sein.[14] Die verwendeten Zwischengeschirre müssen von gleicher Bauart und Bemessung sein und müssen so angeordnet werden, dass sie nicht umkippen.[2] Die Zwischengeschirre werden über einen Waagebalken,[ANM 3] der mittels eines Bolzens mit der Königsstange verbunden ist, mit dem Fördergutträger verbunden.[14] Wichtig ist bei der Mehrseilförderung die gleichmäßige Lastverteilung zwischen den einzelnen Förderseilen.[15] Zur Kontrolle der Lastverteilung können die Zwischengeschirre mit einer Statimetermessung ausgerüstet werden.[1] Durch diese Messung können die Seillasten in den einzelnen Seilen im Betrieb überwacht werden.[3] Früher wurden zwecks Milderung der dynamischen Belastungen Stoßdämpfer[ANM 4] in das Zwischengeschirr eingebaut, jedoch haben diese nicht die gewünschten Wirkungen gebracht und werden heute nicht mehr verwendet.[14]

Ein Ausgleich der unterschiedlichen Längenänderung der Seile ist in der Regel nicht erforderlich.[14] Das Verhalten der Seile im Betrieb muss jedoch regelmäßig beobachtet werden und bei Bedarf müssen Unterschiede an der Versteckvorrichtung korrigiert werden.[9] Es gibt auch Ausgleichssysteme, die dafür sorgen, dass bei der Mehrseilförderung die einzelnen Förderseile gleichmäßig belastet werden.[4] So wird beispielsweise bei Blair Fördermaschinen die Lastverteilung mittels Seilrollenkompensation und Fehlstellungsüberwachung der Förderseile die Lastverteilung auf beide Seile überwacht und gleichmäßig verteilt.[16] Vorteilhaft ist bei der Mehrseilförderung auch der Umstand, dass man paarweise rechts- und linksgeschlagene Seile verwenden und so die Drehmomente der Seile weitestgehend ausgleichen kann.[17] Dadurch werden die der Korbführung dienenden Spurlatten geschont.[9] Außerdem sind dünnere Seile auch kostengünstiger als dickere Förderseile.[12] Probleme bereitet bei der Mehrseilförderung die Seilablenkung zwischen Seilträger und Seilscheibe.[15] Dieser Winkel wirkt sich, je nach Größe, mehr oder weniger stark negativ auf die Seillebensdauer aus und sollte möglichst kleiner als 1,5° sein.[8] Zudem müssen die Seilrillen an den Treibscheiben regelmäßig nachgedreht werden, was zu einem Mehraufwand bei der Wartung führt.[10] Dieser Aufwand ist jedoch erforderlich, damit der Durchmesser der Treibrillen gleichmäßig bleibt und es nicht zu unregelmäßigen Belastungen kommt.[12] Letztendlich muss ein höherer Aufwand beim Seilwechsel,[10] beim Seilkürzen[15] und beim Erneuern der Seileinbände betrieben werden.[10]

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f g h i Walter Bischoff, Heinz Bramann, Westfälische Berggewerkschaftskasse Bochum: Das kleine Bergbaulexikon. 7. Auflage, Verlag Glückauf GmbH, Essen 1988, ISBN 3-7739-0501-7.
  2. a b Technische Anforderungen an Schacht- und Schrägförderanlagen (TAS). Verlag Hermann Bellmann, Dortmund 2005, Ziffer 2.4.7, 6.1.1–6.1.7, 7.3.7, 7.4.1-7.4.3, 7.6.1.
  3. a b c d e J. Maercks, G. Jungnitz: Bergbaumechanik. Lehrbuch für bergmännische Lehranstalten, Handbuch für den praktischen Betrieb. Vierte umgearbeitete Auflage, mit 526 Abbildungen, Springer Verlag, Berlin / Göttingen, Heidelberg 1954, S. 185, 186.
  4. a b c d e f Horst Roschlau, Wolfram Heintze: Bergmaschinentechnik. Erzbergbau, Kalibergbau. Mit 333 Bildern und 54 Tabellen, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1977, S. 258, 259.
  5. a b H. Arnold, D. Fuchs, H. Nöller, E. Ulrich: Untersuchungen zur Leistungssteigerung der Hauptschacht-, Blindschacht- und Abteufförderanlagen durch Totgewichtsverringerung. In: Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.): Technische Forschung Kohle, Abschlussbericht, Bochum 1980, S. 4, 5.
  6. Klaus Hoffmann, Dennis Heisinger, Matthias Koch, Nyga Karol: Versteckvorrichtung. Patentschrift der Siemag Tecberg GmbH vom 30. November 2012, Veröffentlichungsnummer WO 2013/079699 AI, S. 1.
  7. Arthur Buthelezi: Load shift through optimal control of complex underground rock Winders. Dissertation submitted in partial fulfilment of the requirements for the degree Master of Engineering at the Faculty of Engineering at the North-West University. North-West University 2009, S. 13–16.
  8. a b Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.): Erhaltung des Sicherheitsstandards und Verbesserung der Sicherheit von hochbeanspruchten Litzenförderseilen in Treibscheibenanlagen. Ständiger Ausschuss für die Betriebssicherheit und den Gesundheitsschutz im Steinkohlenbergbau und in den anderen mineralgewinnenden Industriezweigen. Bericht der Arbeitsgruppe aus dem Jahr 1978, Luxembourg 1979, S. 2, 3, 8–12.
  9. a b c J. Maercks, W. Ostermann: Bergbaumechanik. Lehrbuch für bergmännische Lehranstalten, Handbuch für den praktischen Betrieb. Sechste verbesserte Auflage, mit 410 Abbildungen, Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 1960, S. 344, 345.
  10. a b c d e f g W. Sindern, St. Borowski: Sicherheitstechnische Betrachtungen zu Schachtförderanlagen für den Zugang zu einem zukünftigen geologischen Tiefenlager. Arbeitsbericht NAB 14-75, Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Hrsg.), Wettingen 2014, S. 51, 52.
  11. a b c d e Walter Buschmann: Zechen und Kokereien im rheinischen Steinkohlenbergbau, Aachener Revier und westliches Ruhrgebiet. Gebr. Mann Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-7861-1963-5, S. 151, 152, 520.
  12. a b c Carl Hellmut Fritzsche: Lehrbuch der Bergbaukunde mit besonderer Berücksichtigung des Steinkohlenbergbaus. Erster Band. Neunte völlig neubearbeitete Auflage, mit 584 Abbildungen und einer farbigen Tafel, Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 1955, S. 516.
  13. Martin Scheffler (Hrsg.), Klaus Feyrer, Karl Matthias: Fördermaschinen, Hebezeuge, Aufzüge, Flurförderzeuge. Friedrich Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Wiesbaden 1998, ISBN 978-3-663-16319-0, S. 267, 268.
  14. a b c d Carl Hellmut Fritzsche: Lehrbuch der Bergbaukunde mit besonderer Berücksichtigung des Steinkohlenbergbaus. Erster Band. Zehnte völlig neubearbeitete Auflage, mit 574 Abbildungen und einer farbigen Tafel, Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 1961, S. 443, 506, 507.
  15. a b c Paul Burgwinkel: Mehrseilförderanlagen. Fachskript RWTH, Ziffer 3.5., S. 1.
  16. Alfred Carbogno: Mine hoisting in deep shafts in the 1. half of 21. Century. In: Acta Montanistica Slovaca. Rocnik 7, No. 3, 2002, S. 188–192.
  17. Slonia, Stuehler: Studie über sicherheitliche Probleme bei Seilführung. In: Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.): Ständiger Ausschuss für die Betriebssicherheit und den Gesundheitsschutz im Steinkohlenbergbau und in den anderen mineralgewinnenden Industriezweigen, Abschlussbericht, Luxembourg 1980, S. 39–41.
  1. Der Seilnenndurchmesser ist der für die Berechnung des Seiles verwendete Durchmesser, er wird in mm gemessen. (Quelle: Klaus Feyrer: Drahtseile. Bemessung, Betrieb, Sicherheit.) Bei der Seilberechnung unterscheidet man zwischen dem optimalen und dem wirtschaftlichsten Seilnenndurchmesser. Der optimale Seilnenndurchmesser ist der Seildurchmesser, bei dem die schädigenden Einflüsse aus Zugbeanspruchung und Biegespannung am minimalsten sind. Bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Seilnenndurchmessers spielen auch die Kosten des Seiles eine Rolle. Der wirtschaftlichste Seilnenndurchmesser liegt geringfügig, in der Regel mehr als zehn Prozent, unterhalb des optimalen Seilnenndurchmessers. (Quelle: Roland Verreet: Die Berechnung der Lebensdauer von laufenden Drahtseilen.)
  2. Dies liegt daran, dass beim Lauf über Treibscheibe und Seilscheibe der Unterschied zwischen Zugspannungen in der gezerrten und der Druckspannungen in der gestauchten Zone insbesondere bei steifen Seilen sehr hohe Werte erreicht. (Quelle: J. Maercks, G. Jungnitz: Bergbaumechanik. Vierte umgearbeitete Auflage.)
  3. Hierbei handelt es sich um ein trapezförmiges Eisenblech, das nach unten hin schmal ausläuft. Oben befindet sich eine bestimmte Anzahl von Bohrungen entsprechend der Anzahl der verwendeten Seile, die für Befestigung der Zwischengeschirre bestimmt sind. Unten befindet sich ebenfalls eine Bohrung, in die der Bolzen gesteckt wird, mit dem der Waagebalken am Fördergutträger befestigt wird. (Quelle: Carl Hellmut Fritzsche: Lehrbuch der Bergbaukunde mit besonderer Berücksichtigung des Steinkohlenbergbaus. Erster Band. Zehnte völlig neubearbeitete Auflage.)
  4. Diese Stoßdämpfer bestanden aus einer starken Feder, die mit einer Ölbremse versehen war. Um eine ausreichende Stoßmilderung zu erreichen, hatten diese Vorrichtungen ein so großes Gewicht, dass sie nicht händelbar waren. Wenn man das Gewicht in händelbaren Grenzen behielt, war das Arbeitsaufnahmevermögen der Stoßdämpfer so gering, dass die Milderung der dynamischen Belastung nicht ausreichend war. (Quelle: Carl Hellmut Fritzsche: Lehrbuch der Bergbaukunde mit besonderer Berücksichtigung des Steinkohlenbergbaus. Erster Band. Zehnte völlig neubearbeitete Auflage.)