Pogrom von 1096 in Speyer

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Das Pogrom von 1096 in Speyer ereignete sich ab dem 3. Mai 1096, als die Massen des Volkskreuzzugs, einer ersten Welle des Ersten Kreuzzugs, die Stadt Speyer erreichten.

Die Jüdische Gemeinde Speyer entstand 1084, als ein erheblicher Teil der Jüdischen Gemeinde Mainz nach Speyer floh, nachdem dort das jüdische Viertel abgebrannt war, die Gemeinde von Mainzer Mitbürgern bedroht worden und ein prominentes Mitglied der Jüdischen Gemeinde Worms dort einem Raubmord zum Opfer gefallen war.[1] Rüdiger Huzmann, Bischof von Speyer, sah den Zuzug als willkommene Ergänzung seiner Stadtgründung.

Papst Urban II. hatte den Beginn des Kreuzzugs für den 15. August 1096 geplant. Menschen aus Westeuropa – vor allem aus verarmten Unterschichten – sahen das als Chance, eine Alternative aus ihrer hoffnungslosen Lebenssituation in einer seit 1090 anhaltenden Hungerperiode zu finden.[2] Bereits im April 1096 bildete sich daraus ungeplant eine Massenbewegung, die eigenständig nach Jerusalem aufbrechen wollte, sich zunächst aber mordend und plündernd gegen die jüdischen Gemeinden im Rheintal, angrenzenden Gebieten und entlang der Donau wandte.

Diese Massenbewegung umfasste mehrere 10.000 Menschen. Ein Teil davon zog, von Süden kommend, das Rheintal hinauf und erreichte so Speyer.

In den Städten des Rheintals gab es eine ganze Reihe jüdischer Gemeinden, so auch in Speyer. Die Einwohner jüdischen Glaubens standen unter dem Schutz des Königs, damals Heinrich IV., der damit örtlich den Bischof als Stadtherren beauftragt hatte.

Das Pogrom in Speyer ist für ein Ereignis des Hochmittelalters gut dokumentiert. Das liegt vor allem an drei überlieferten Berichten (Chronik I–III)[3] aus den Jahren und Jahrzehnten nach dem Ereignis. Darüber hinaus gab es mindestens einen heute verlorenen, in der wissenschaftlichen Literatur als „Text Φ“ bezeichneten Bericht, der sowohl in die Chronik I als auch in die Chronik II eingeflossen ist.[4] Der Bericht zu den Ereignissen in Speyer fällt dabei am kürzesten aus, weil es dort – obwohl 11 Juden starben – im Gegensatz zu anderen Städten durch das Einschreiten des Bischofs nicht zu einem Massenmord kam.

Als Quellen überliefert sind:

  • Die Chronik I, Salomo bar Simson zugeschrieben[Anm. 1], abgefasst um 1140, jedenfalls vor dem Zweiten Kreuzzug (1146)[5], entstand in Mainz[6] und beruht auch auf älteren, zeitgenössischen Texten.[7] Die älteste erhaltene Überlieferung dieser Chronik befindet sich in einem zweibändigen Kodex, der seit 1999 zur Sammlung des Jews’ College in London gehört, eine Handschrift aus dem 15. Jahrhundert, die im Bereich von Venedig entstand.[8] Die Chronik nimmt dort die Seiten 151r–163r des zweiten Bandes ein.[9]
  • Die Chronik II von Elieser bar Nathan entstand ebenfalls in Mainz, wo dem Autor dazu auch verschiedene schriftliche Berichte vorlagen[10], unter anderem der „Text Φ“ und die Chronik III eines anonymen Autors. Elieser bar Nathan war als Kind Augenzeuge des Pogroms von 1096.[11] Verfasst hat er seinen Bericht noch vor Beginn des Zweiten Kreuzzugs 1146.[12] Von dieser Chronik sind acht Handschriften erhalten. Diese entstanden in der Zeit von 1335 bis 1847.[13]
  • Die Chronik III schrieb ein heute unbekannter Autor, der vermutlich aus Mainz stammte und sie dort verfasste (sogenannter Mainzer Anonymus).[14] Sie ist die älteste der drei Chroniken, aber der Zeitpunkt ihres Entstehens ist nur schwer einzugrenzen. Vermutet wird, dass das bald nach 1097 geschah.[15] Überliefert ist der Text der Chronik III aber nur in einer Kopie, deren ursprüngliches Ende schon dem Kopisten nicht mehr vorlag.[16] Die Handschrift befindet sich heute in der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt.[17] Der dort eingefügte Bericht über den Vorwurf der Christen, die Juden hätten die Brunnen vergiftet – den nur diese Chronik III enthält –, ist anachronistisch und vermutlich im 14. Jahrhundert eingefügt.[18]

Das „Volksheer“ kam über die Heerstraße von Metz und erreichte Speyer am 3. Mai 1096, einem Schabbat, oder kurz zuvor.[19] Es stand unter Führung von Clarembald de Vendeuil, Thomas de La Fère und Guillaume Le Charpienter (Guillaume de Melun).[20] Angesichts der drohenden Gefahr hielt die jüdische Gemeinde nur einen ganz kurzen Gottesdienst am frühen Morgen, so dass es den Angreifern misslang, sie in der Synagoge festzusetzen. Zu den Angreifern zählten laut Chronik des „Mainzer Anonymus“ auch Bürger von Speyer, die sich mit den „Kreuzfahrern“ zusammentaten.[21] Alle Juden, derer die Angreifer habhaft werden konnten, wurden vor die Wahl Zwangstaufe oder Tod gestellt, 10 dabei ermordet. Eine Frau, deren Name vermutlich „Sara“ war[22], beging daraufhin Suizid – auch als „Kiddusch HaSchem“ bekannt –, um der Zwangstaufe zu entgehen.[23]

Bischof Johannes I. von Speyer evakuierte die jüdische Gemeinde in den befestigten Bischofshof und andere befestigte Plätze und ging gleichzeitig mit Waffengewalt und letztendlich auch mit Erfolg gegen die Angreifer vor. Die Kämpfe dauerten aber mehrere Tage.[24] Der „Mainzer Anonymus“ hebt hervor, dass der Bischof sich für seinen Einsatz zugunsten der jüdischen Gemeinde von dieser nicht habe extra „bestechen“, also bezahlen lassen – ganz im Gegensatz etwa zu seinem Kollegen in Mainz.[25]

Die „Kreuzzügler“ wichen nach ihrer Niederlage gegen das Militär des Bischofs nach Norden aus und griffen als Nächstes am 18. Mai 1096 die Jüdische Gemeinde Worms an.

Der Speyerer Bischof ließ die Städter festnehmen, die an den Morden beteiligt waren, und ihnen eine Hand abhacken.[Anm. 2][26]

Der Vorsteher der Gemeinde in Speyer, Mosche bar Jekutiël, konnte erreichen, dass alle Zwangsgetauften – gemäß dem kaiserlichen Privileg von 1090 – in die jüdische Gemeinde zurückkehren durften.[27]

  • Eva Haverkamp (Hg.): Hebräische Berichte über Judenverfolgungen während des Ersten Kreuzzuges = Monumenta Germaniae Historica: Hebräische Texte aus dem mittelalterlichen Deutschland 1: Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während des Ersten Kreuzzugs. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2005. ISBN 3-7752-1301-5
  1. Aufgrund einer äußerst ungewöhnlichen Platzierung des Kolophons mitten im Text ist umstritten, ob Salomo bar Simson Autor der gesamten Chronik ist oder nur einen Abschnitt davon verfasst hat – und wenn ja, welchen. Sicher ist, dass er kein Augenzeuge war, sondern der nachfolgenden Generation angehörte, und die Ereignisse – zumindest teilweise – durch „die Alten“ mündlich erfahren hat. Er ist also auch nicht identisch mit dem gleichnamigen Wormser Gelehrten, der bei dem Pogrom 1096 ermordet wurde (Haverkamp. S. 55).
  2. Das war die Strafe, die das Privileg von 1090, das Kaiser Heinrich IV. den Juden in Speyer und Worms erteilt hatte, ausdrücklich vorsah, wenn ein Jude getötet wurde (Haverkamp, S. 266, Anm. 7).

Einzelnachweise

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  1. Haverkamp, S. 490; Friedrich Schütz: Magenza, das jüdische Mainz. In: Franz Dumont, Ferdinand Scherf und Friedrich Schütz: Mainz. Die Geschichte der Stadt. Zabern, Mainz 1998. ISBN 3-8053-2000-0, S. 679–702 (681).
  2. Haverkamp, S. 4.
  3. Bei Haverkamp, S. 262–265, (537)/90–(536)/91, (561)/66–(558)/69, (612)/15, hebräisch- und deutschsprachig ediert.
  4. Haverkamp, S. 59.
  5. Haverkamp, S. 62f.
  6. Haverkamp, S. 56, 62.
  7. Haverkamp, S. 49–54.
  8. Haverkamp, S. 56.
  9. Haverkamp, S. 143f.
  10. Haverkamp, S. 61.
  11. Haverkamp, S. 63.
  12. Haverkamp, S. 64.
  13. Haverkamp, S. 163–230.
  14. Haverkamp, S. 64ff.
  15. Haverkamp, S. 70.
  16. Haverkamp, S. 137.
  17. Haverkamp, S. 153; Signatur: Cod. or. 25.
  18. Haverkamp, S. 161.
  19. Haverkamp, S. 262.
  20. Haverkamp, S. 262, Anm. 3.
  21. Haverkamp, S. 266.
  22. Haverkamp, S. 263, Anm. 7.
  23. Haverkamp, S. 262.
  24. Haverkamp, S. 266.
  25. Haverkamp, S. 267.
  26. Haverkamp, S. 266.
  27. Haverkamp, S. 266.