„Friedenswahl“ – Versionsunterschied

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'''Friedenswahlen''' sind Wahlen, bei denen auf eine Wahlhandlung verzichtet wird. Nach den Regelungen zu manchen Wahlen gilt ein Wahlvorschlag als gewählt, wenn nur ein Wahlvorschlag vorliegt. Auf eine Wahlhandlung wird dann verzichtet. In verschiedenen Bereichen wurden oder werden solche Friedenswahlen praktiziert.
Eine '''Friedenswahl''' (deutscher Sprachgebrauch) oder '''stille Wahl''' ist eine Wahl, bei der auf eine Wahlhandlung verzichtet wird. Nach den Regelungen zu manchen Wahlen gilt ein Wahlvorschlag als gewählt, wenn nur ein Wahlvorschlag vorliegt bzw. es nicht mehr Kandidaten als zu besetzende Wahlämter gibt. Auf eine Wahlhandlung wird dann verzichtet.


== Sozialversicherung ==
== Deutschland ==
=== Sozialversicherung ===
Die [[Sozialversicherungsträger]] werden von einer [[Vertreterversammlung]] kontrolliert. Diese Vertreterversammlung wird von Versicherten und [[Arbeitgeber|Arbeitgebern]] gewählt. Die gesetzlichen Regelungen für diese [[Sozialwahl|Sozialwahlen]] lassen gemäß 46 Abs. 3 SGB IV in Verbindung mit § 28 Abs. 3 SVWO Friedenswahlen zu. Immer wieder kommt es sowohl auf Arbeitgeber Seite als auch auf Arbeitnehmerseite zu solchen Friedenswahlen.
Die [[Sozialversicherungsträger]] werden von einer [[Vertreterversammlung]] kontrolliert. Diese Vertreterversammlung wird von Versicherten und [[Arbeitgeber|Arbeitgebern]] gewählt. Die gesetzlichen Regelungen für diese [[Sozialwahl|Sozialwahlen]] lassen gemäß 46 Abs. 3 SGB IV in Verbindung mit § 28 Abs. 3 SVWO Friedenswahlen zu. Immer wieder kommt es sowohl auf Arbeitgeber Seite als auch auf Arbeitnehmerseite zu solchen Friedenswahlen.


Die Möglichkeit und Praxis der Friedenswahlen bei den Sozialversicherungsträgern ist zwar höchstrichterlich bestätigt, sie wird aber weiterhin als undemokratisch und verfassungswidrig kritisiert<ref>Gutachten zu „[http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/forschungsbericht-f377.pdf?__blob=publicationFile Geschichte und Modernisierung der Sozialversicherungswahlen]“ im Auftrag des [[BMAS|Bundesministeriums für Arbeit und Soziales]] von Dr. Bernard Braun (Universität Bremen), Dr. Tanja Klenk (Universität Bremen), Prof. Dr. [[Winfried Kluth]] (Universität Halle), Prof. Dr. Frank Nullmeier (Universität Bremen), Prof. Dr. Felix Welti (Hochschule Neubrandenburg), Seite 128</ref> <ref>Professor Dr. Raimund Wimmer in [[Neue_Juristische_Wochenschrift|Neuen Juristischen Wochenschrift]] 47/2004</ref>. Gleichwohl haben Friedenswahlen eine mehr als hundertjährige Tradition.<ref>Vgl. [[Wolfgang Ayaß]]: ''Hundert Jahre und noch mehr… Zur Geschichte der Sozialwahlen'', in: Soziale Sicherheit 62 (2013), S. 422-426.</ref>
Die Möglichkeit und Praxis der Friedenswahlen bei den Sozialversicherungsträgern ist zwar höchstrichterlich bestätigt, sie wird aber weiterhin als undemokratisch und verfassungswidrig kritisiert<ref>Gutachten zu „[http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/forschungsbericht-f377.pdf?__blob=publicationFile Geschichte und Modernisierung der Sozialversicherungswahlen]“ im Auftrag des [[BMAS|Bundesministeriums für Arbeit und Soziales]] von Dr. Bernard Braun (Universität Bremen), Dr. Tanja Klenk (Universität Bremen), Prof. Dr. [[Winfried Kluth]] (Universität Halle), Prof. Dr. Frank Nullmeier (Universität Bremen), Prof. Dr. Felix Welti (Hochschule Neubrandenburg), Seite 128</ref> <ref>Professor Dr. Raimund Wimmer in [[Neue_Juristische_Wochenschrift|Neuen Juristischen Wochenschrift]] 47/2004</ref>. Gleichwohl haben Friedenswahlen eine mehr als hundertjährige Tradition.<ref>Vgl. [[Wolfgang Ayaß]]: ''Hundert Jahre und noch mehr… Zur Geschichte der Sozialwahlen'', in: Soziale Sicherheit 62 (2013), S. 422-426.</ref>


== Handwerkskammern ==
=== Handwerkskammern ===
Die Wahlen zu der Vollversammlung von [[Handwerkskammer]] sind in der "Wahlordnung für die Wahlen der Mitglieder der Vollversammlung der Handwerkskammern (Anlage C der [[Handwerksordnung]]) - HwWahlO" geregelt. § 20 HwWahlO bestimmt, dass ein Wahlvorschlag ohne Wahlhandlung als gewählt gilt, wenn für einen Wahlbezirk nur ein Wahlvorschlag zugelassen wurde.
Die Wahlen zu der Vollversammlung von [[Handwerkskammer]] sind in der "Wahlordnung für die Wahlen der Mitglieder der Vollversammlung der Handwerkskammern (Anlage C der [[Handwerksordnung]]) - HwWahlO" geregelt. § 20 HwWahlO bestimmt, dass ein Wahlvorschlag ohne Wahlhandlung als gewählt gilt, wenn für einen Wahlbezirk nur ein Wahlvorschlag zugelassen wurde.


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Eine Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Wahlbestimmungen zu Vollversammlung der Handwerkskammer hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen, u.a. weil es nach Ablauf der Wahlperiode kein Rechtsschutzbedürfnis mehr gesehen hat<ref>[http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/lk20001113_1bvl003397.html BVerfG, 1 BvL 33/97 vom 13. November 2000]</ref>.
Eine Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Wahlbestimmungen zu Vollversammlung der Handwerkskammer hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen, u.a. weil es nach Ablauf der Wahlperiode kein Rechtsschutzbedürfnis mehr gesehen hat<ref>[http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/lk20001113_1bvl003397.html BVerfG, 1 BvL 33/97 vom 13. November 2000]</ref>.


== Industrie- und Handelskammer ==
=== Industrie- und Handelskammer ===
Auch bei [[Industrie-_und_Handelskammer|Industrie- und Handelskammern]] gab es früher Friedenswahlen. Das Bundesverwaltungsgericht<ref>Beschluss BVerwG 5 C 2.79 vom 27. März 1980</ref> hat dies jedoch eine Friedenswahl für ungültig erklärt, weil das IHK-Gesetz <ref>§ 5Abs. 2 IHKG (Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern)</ref> vorschreibt, dass die Mitglieder der Vollversammlung gewählt werden, aber eine Friedenswahl keine Wahl ist. Inzwischen wurde die Möglichkeit einer Friedenswahl aus den Wahlordnungen der IHKs entfernt<ref>Martin Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, Seite 432</ref>
Auch bei [[Industrie-_und_Handelskammer|Industrie- und Handelskammern]] gab es früher Friedenswahlen. Das Bundesverwaltungsgericht<ref>Beschluss BVerwG 5 C 2.79 vom 27. März 1980</ref> hat dies jedoch eine Friedenswahl für ungültig erklärt, weil das IHK-Gesetz <ref>§ 5Abs. 2 IHKG (Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern)</ref> vorschreibt, dass die Mitglieder der Vollversammlung gewählt werden, aber eine Friedenswahl keine Wahl ist. Inzwischen wurde die Möglichkeit einer Friedenswahl aus den Wahlordnungen der IHKs entfernt<ref>Martin Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, Seite 432</ref>


== Gemeinde- und Kreisvertretungen ==
=== Gemeinde- und Kreisvertretungen ===
Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit der Friedenswahlen im „Wahlgesetz für die Gemeinde- und Kreisvertretungen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz - GKWG) vom 25. März 1959“ aufgehoben. Aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht abgeleitet, dass Wahlen stattfinden müssen.<ref>[http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv013001.html BVerfGE 13, 1 – Friedenswahlen] Abs. 65</ref>
Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit der Friedenswahlen im „Wahlgesetz für die Gemeinde- und Kreisvertretungen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz - GKWG) vom 25. März 1959“ aufgehoben. Aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht abgeleitet, dass Wahlen stattfinden müssen.<ref>[http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv013001.html BVerfGE 13, 1 – Friedenswahlen] Abs. 65</ref>


== Schweiz ==
Die Möglichkeit einer stillen Wahl besteht in der Schweiz in vielen Gemeinden und [[Kanton (Schweiz)|Kanton]]en, aber auch bei der Wahl in den [[Nationalrat (Schweiz)|Nationalrat]].<ref>[http://www.parlament.ch/d/wissen/parlamentswoerterbuch/wahlwoerterbuch/seiten/stille-wahl.aspx Schweizer Wahlwörterbuch]</ref>

== Liechtenstein ==
Die Zusammensetzung des [[Liechtensteinischer Landtag|Liechtensteinischen Landtags]] wurde am 4. April 1939 ebenfalls in einer stillen Wahl ermittelt.<ref>[http://www.fuerstundvolk.li/fuv/fuv.do?site=421174076f221000996d610c1957690b Infos zu stillen Wahlen in Liechtenstein]</ref>

== Island ==
Auch auf [[Island]] besteht die Möglichkeit der stillen Wahl für das Amt des Staatspräsidenten.<ref>{{Literatur | Autor=Grétar Thór Eythórsson/Detlef Jahn | Herausgeber=[[Wolfgang Ismayr]] | Titel=Das politische System Islands | Sammelwerk=Die politischen Systeme Westeuropas | Reihe=Uni-Taschenbuch | Auflage=4. | Verlag=VS Verlag für Sozialwissenschaften | Jahr=2009 | Seiten=197f. | Spalten= | ISBN=978-3-531-16200-3 | Online=http://www.phil.uni-greifswald.de/fileadmin/mediapool/ipk/publikationen/7_Westeuropa_Island_Final.pdf | DOI=10.1007/978-3-322-95712-2_5| Zugriff=2014-08-22 }}.</ref>
== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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Version vom 22. August 2014, 17:08 Uhr

Eine Friedenswahl (deutscher Sprachgebrauch) oder stille Wahl ist eine Wahl, bei der auf eine Wahlhandlung verzichtet wird. Nach den Regelungen zu manchen Wahlen gilt ein Wahlvorschlag als gewählt, wenn nur ein Wahlvorschlag vorliegt bzw. es nicht mehr Kandidaten als zu besetzende Wahlämter gibt. Auf eine Wahlhandlung wird dann verzichtet.

Deutschland

Sozialversicherung

Die Sozialversicherungsträger werden von einer Vertreterversammlung kontrolliert. Diese Vertreterversammlung wird von Versicherten und Arbeitgebern gewählt. Die gesetzlichen Regelungen für diese Sozialwahlen lassen gemäß 46 Abs. 3 SGB IV in Verbindung mit § 28 Abs. 3 SVWO Friedenswahlen zu. Immer wieder kommt es sowohl auf Arbeitgeber Seite als auch auf Arbeitnehmerseite zu solchen Friedenswahlen.

Die Möglichkeit und Praxis der Friedenswahlen bei den Sozialversicherungsträgern ist zwar höchstrichterlich bestätigt, sie wird aber weiterhin als undemokratisch und verfassungswidrig kritisiert[1] [2]. Gleichwohl haben Friedenswahlen eine mehr als hundertjährige Tradition.[3]

Handwerkskammern

Die Wahlen zu der Vollversammlung von Handwerkskammer sind in der "Wahlordnung für die Wahlen der Mitglieder der Vollversammlung der Handwerkskammern (Anlage C der Handwerksordnung) - HwWahlO" geregelt. § 20 HwWahlO bestimmt, dass ein Wahlvorschlag ohne Wahlhandlung als gewählt gilt, wenn für einen Wahlbezirk nur ein Wahlvorschlag zugelassen wurde.

Die Wahlordnung verlangt, dass Wahlvorschläge die Verteilung der Bewerber verschiedener Gruppen (z.B. der unterschiedlichen Gewerbe) widerspiegeln müssen (§ 8 Abs. 1 HwWahlO).

Bis auf drei Ausnahmen fanden alle Wahlen als Friedenswahlen statt. Zwei Wahlen wurden durchgeführt, weil für die Wahl der Arbeitgeberseite zwei Wahlvorschläge zugelassen wurden. Eine Wahl bezog sich auf die Arbeitnehmerseite[4].

Eine Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Wahlbestimmungen zu Vollversammlung der Handwerkskammer hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen, u.a. weil es nach Ablauf der Wahlperiode kein Rechtsschutzbedürfnis mehr gesehen hat[5].

Industrie- und Handelskammer

Auch bei Industrie- und Handelskammern gab es früher Friedenswahlen. Das Bundesverwaltungsgericht[6] hat dies jedoch eine Friedenswahl für ungültig erklärt, weil das IHK-Gesetz [7] vorschreibt, dass die Mitglieder der Vollversammlung gewählt werden, aber eine Friedenswahl keine Wahl ist. Inzwischen wurde die Möglichkeit einer Friedenswahl aus den Wahlordnungen der IHKs entfernt[8]

Gemeinde- und Kreisvertretungen

Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit der Friedenswahlen im „Wahlgesetz für die Gemeinde- und Kreisvertretungen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz - GKWG) vom 25. März 1959“ aufgehoben. Aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht abgeleitet, dass Wahlen stattfinden müssen.[9]

Schweiz

Die Möglichkeit einer stillen Wahl besteht in der Schweiz in vielen Gemeinden und Kantonen, aber auch bei der Wahl in den Nationalrat.[10]

Liechtenstein

Die Zusammensetzung des Liechtensteinischen Landtags wurde am 4. April 1939 ebenfalls in einer stillen Wahl ermittelt.[11]

Island

Auch auf Island besteht die Möglichkeit der stillen Wahl für das Amt des Staatspräsidenten.[12]

Einzelnachweise

  1. Gutachten zu „Geschichte und Modernisierung der Sozialversicherungswahlen“ im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales von Dr. Bernard Braun (Universität Bremen), Dr. Tanja Klenk (Universität Bremen), Prof. Dr. Winfried Kluth (Universität Halle), Prof. Dr. Frank Nullmeier (Universität Bremen), Prof. Dr. Felix Welti (Hochschule Neubrandenburg), Seite 128
  2. Professor Dr. Raimund Wimmer in Neuen Juristischen Wochenschrift 47/2004
  3. Vgl. Wolfgang Ayaß: Hundert Jahre und noch mehr… Zur Geschichte der Sozialwahlen, in: Soziale Sicherheit 62 (2013), S. 422-426.
  4. Bundestagsdrucksache 17/6844 (PDF; 106 kB) – Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE auf Fragen 6 und 7
  5. BVerfG, 1 BvL 33/97 vom 13. November 2000
  6. Beschluss BVerwG 5 C 2.79 vom 27. März 1980
  7. § 5Abs. 2 IHKG (Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern)
  8. Martin Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, Seite 432
  9. BVerfGE 13, 1 – Friedenswahlen Abs. 65
  10. Schweizer Wahlwörterbuch
  11. Infos zu stillen Wahlen in Liechtenstein
  12. Grétar Thór Eythórsson/Detlef Jahn: Das politische System Islands. In: Wolfgang Ismayr (Hrsg.): Die politischen Systeme Westeuropas (= Uni-Taschenbuch). 4. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2009, ISBN 978-3-531-16200-3, S. 197 f., doi:10.1007/978-3-322-95712-2_5 (uni-greifswald.de [PDF; abgerufen am 22. August 2014])..