Charcot-Fuß

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Charcot-Fuß bei Diabetes im Verlauf von 2 Jahren.

Der Charcot-Fuß ist eine Erkrankung schmerzunempfindlicher Füße, bei der Knochen unbemerkt brechen, ohne dass die Betroffenen Frakturschmerzen empfinden. 95 % Prozent aller Patienten sind Diabetiker. Die Inzidenz einer akuten Erkrankung beträgt beim Diabetiker zwischen 0,15 und 2,5 %.[1] Der Charcot-Fuß ist eine von mehreren Krankheiten, die unter dem Oberbegriff Diabetisches Fußsyndrom zusammengefasst sind. Benannt ist die Krankheit nach dem Neurologen Jean-Martin Charcot. Ein anderer Begriff, der auf die Ursache der Erkrankung hinweist, ist Neuroarthropathie. Zuerst beschrieben wurde der Charcot-Fuß vom englischen Arzt Herbert William Page 1881.[2]

Ursachen für eine Neuroarthropathie

Entstehung der Erkrankung

Bis heute ist die Entstehung nicht genau geklärt. Voraussetzung ist der Verlust der Schmerzsensibilität der Füße. Ausgelöst wird das Krankheitsbild durch eine Skelettverletzung(Trauma). Die sogenannte neurovaskuläre Theorie beschreibt eine durch eine nervliche Fehlsteuerung hervorgerufene verstärkte Durchblutung und einen verstärkten Knochenabbau. Die sogenannte neurotraumatische Theorie besagt, dass es bei fehlender Schmerzwahrnehmung durch Überlastung zu wiederholten minimalen Verletzungen der Gelenkflächen kommt, die dann in eine zunehmende Zerstörung des Knochens übergehen, da auch diese zunehmenden Schäden als kaum bis nicht schmerzhaft wahrgenommen werden. Da kein gewöhnliches Schmerzempfinden vorhanden ist, belasten die Betroffenen den gebrochenen Fuß weiter und konsultieren erst einen Arzt, wenn die Schwellung, Rötung und Fehlstellung sehr ausgeprägt sind, doch Schmerzen auftreten oder es im Verlauf zu ebenfalls schmerzlosen Durchspießungen der Haut durch Knochenfragmente kommt.

Diagnostik

Geschwollener, schmerzunempfindlicher rechter Fuß ohne Hautverletzung bzw. Infektion bei Diabetes mellitus (Röntgenbild unauffällig)
Geschwollener, schmerzunempfindlicher rechter Fuß ohne Hautverletzung bzw. Infektion bei Diabetes mellitus, zugehörige Magnetresonanztomographie (hell: Knochenmarködem im Bereich der Fußwurzelknochen)
  • Anamnese: Als auslösendes Trauma wird -soweit erinnerlich- oft eine banale Verletzungen angegeben, z.B. eine Verstauchung (Distorsion). Werden Schmerzen angegeben, widersprechen sie dem eigenen Schmerzverständnis des Untersuchers.
  • Inspektion: Im frühen aktiven Stadium ist der Fuß teilweise oder ganz entzündlich geschwollen und gerötet, ohne dass eine Infektion (z.B. eine Wundrose oder eine Phlegmone) besteht. Selten sind beide Füße gleichzeitig betroffen. Im fortgeschrittenen aktiven Stadium ist der Fuß heiß, gerötet, geschwollen und deformiert, teils auch mit offenen Wunden an Knochenvorsprüngen. Im inaktiven, d.h. ausgeheilten Stadium sind keine klinischen Entzündungszeichen wie Rötung, Schwellung und Überwärmung mehr vorhanden- etwaige Skelett-Deformierungen bestehen fort.[3]
  • Untersuchung: Haut trocken, fehlende Schweißsekretion (und fehlender Schweißgeruch), Hyperkeratosen, überwärmt (Temperaturdifferenz zur Gegenseite > 1 °C), die Bewegung des Fußes ist in allen Gelenken trotz der teils drastischen Fehlstellungen schmerzlos, offene Wunden, auch wenn vereitert, können schmerzlos mit chirurgischen Instrumenten untersucht werden. Der andere Fuß erscheint oft vollständig unauffällig, zeigt aber ebenfalls eine völlige Gefühllosigkeit. In seltenen Fällen können jedoch auch beide Füße erkrankt sein.
  • Technische Untersuchungen: Röntgendiagnostik, Computertomographie, Kernspintomographie[4], eventuell eine Leukozytenszintigraphie, um den Verdacht auf eine Osteomyelitis auszuschließen.

Einteilung

Die Beurteilung des Charcot-Fußes erfolgt zum einen nach dem klinischen Befund und dem radiologisch darstellbaren Verlauf (Einteilung nach Eichenholtz und Levin), zum anderen nach Befall der knöchernen Strukturen (Einteilung nach Sanders und Frykberg).[5]

Stadieneinteilung der diabetischen, neuropathischen Osteoarthropathie (DNOAP) nach Eichenholtz und Levin
Verlaufsstadium Radiologische Zeichen Klinische Zeichen
0 Initialstadium Röntgen-nativ: unauffällig
MRT: Knochenmarködem
schmerzlose Weichteilschwellung und -Rötung ohne Anhalt für Infektion
I Destruktionsstadium

Ia Fragmentationsphase

Ib Luxationsphase
Röntgen/MRT:
Demineralisation
Osteolyse
ossäre Fragmentation
Gelenkdestruktion
Zeichen der Entzündung (Schwellung, Rötung, Überwärmung)
Gelenkdeformation durch Gelenkerguss
Gelenkinstabilität
zunehmende Ausbildung der Fußdeformität
Entwicklung meist schmerzlos aufgrund der Polyneuropathie
II Reparationsstadium Remineralisierung
Fragmentresorption
Knochenneubildung
(Bildung von Osteophyten, Kallus, Sklerosierung)
Schwellung, Rötung, Überwärmung bilden sich zurück
III Konsolidierungsstadium knöcherne Fusion mit Gelenkeinsteifung (Ankylose) bleibende Fußdeformität
IV Ulkusstadium deformiertes Fußskelett deformierter Fuß mit hohem Risiko der Ulkusbildung und Gefahr der Wundinfektion, Fuß ist schmerzlos
Lokalisation der DNOAP nach Sanders und Frykberg
Typ Befallene Struktur Häufigkeit
I Interphalangealgelenke, Metatarso-Phalangealgelenke, Metatarsalia 10-30 %
II Tarso-Metatarsalgelenke 15-48 %
III Navikulo-Kuneiforme-Gelenke, Talo-Navikulargelenk, Kalkaneo-Kuboid-Gelenk 32 %
IV Sprunggelenke 10 %
V Kalkaneus 2 %

Therapie

  • Ein akuter Charcot-Fuß ist ein dringender Notfall, der sofortiger kompletter Druckentlastung und Behandlung in einer spezialisierten Einrichtung bedarf.[6]
  • Zunächst vollständige Ruhigstellung (das bedeutet zu Beginn der Diagnostik und Therapie eine stationäre Behandlung)
  • Nach Abklingen der Akutphase Anpassen eines Gipsverbandes, einer Zwei-Schalen-Orthese oder eines speziellen starren Kunststoffverbandes (Total Contact Cast)[7] bis zur kompletten Abheilung der Knochenzerstörungen, teils notwendigerweise auch in funktioneller Fehlstellung.
  • Danach Tragen eines speziellen Ortheseschuhs
  • In einigen Fällen kann eine Amputation des Fußes notwendig sein.[8] In diesem Fall wird eine Unterschenkelorthese angefertigt, mit der der Ortheseschuh getragen werden kann.
  • Normalisierung des Zuckerstoffwechsels durch adäquate Therapie des Diabetes mellitus
  • Schulung des Patienten

Prominente Patienten

Ein prominenter Kranker war der französische Maler Edouard Manet (1832–1883). Er litt an unheilbarer Neurolues mit Ataxie seit Ende der 1870er Jahre. Nachdem er Ende 1878 oder Anfang 1879 mit dem linken Fuß umgeknickt war und er nicht mehr viel gehen konnte, untersagte ihm sein Arzt Dr. Siredey 1880 das Treppensteigen. Er humpelte nur noch, er musste sich auf einen Stock stützen, fühlte sich als „Krüppel“ wahrgenommen. Im Herbst 1882 setzte Manet sein Testament auf, denn offenbar hatten sich Geschwüre und Knochenfraß gebildet und seinen Allgemeinzustand verschlechtert. Als der Fuß ‚brandig‘ wurde und Sepsis drohte, wurde am 20. April 1883 das linke Bein amputiert. Am 30. April starb der Maler an den Folgen des Eingriffs.[9][10]

Literatur

  • Franz X. Köck, Bernhard Koester: Diabetisches Fußsyndrom. Thieme, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-13-140821-1. (Medizinisches Lehrbuch)
  • H. Reike: Diabetisches Fuß-Syndrom: Diagnostik und Therapie der Grunderkrankungen und Komplikationen. de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-016215-6.
  • Ludger Poll, Ernst Chantelau: Charcot-Fuß: Auf die frühe Diagnose kommt es an. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 107, Nr. 7, 2010, S. A-272 (aerzteblatt.de [abgerufen am 13. Oktober 2016]).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Charcot Arthropathy auf emedicine.com
  2. Lee J. Sanders, Michael E. Edmonds, William J. Jeffcoate: Who was first to diagnose and report neuropathic arthropathy of the foot and ankle: Jean-Martin Charcot or Herbert William Page? In: Diabetologika. link.springer.com, 14. Juni 2013, abgerufen am 29. März 2016.
  3. Ernst A. Chantelau, Gotthard Grützner: Is the Eichenholtz classification still valid for the diabetic Charcot foot? Swiss Medical Weekly, smw.ch, 24. April 2014, abgerufen am 29. März 2016.
  4. R.Ramnarine, A.Isaac, L.M. Meacock, N.Petrova, M.Edmonds, D.A.Elias. A novel semi-quantitative scoring proforma in the assessment of radiological resolution of the acute diabetic Charcot foot. http://posterng.netkey.at/essr/viewing/index.php?module=viewing_poster&task=viewsection&pi=131064&ti=443216&si=1508&searchkey=#poster
  5. Joachim Grifka (Hrsg.): Diabetisches Fußsyndrom. Verlag Georg Thieme, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-13-140821-1.
  6. https://www.nice.org.uk/guidance/ng19/chapter/1-Recommendations#charcot-arthropathy-2
  7. Total Contact Cast zur Druckentlastung Diabetischer Fußulzera – Zwischenergebnisse einer multizentrischen Anwendungsstudie in Deutschland (PDF; 134 kB), Posterausstellung 5. Intern. Symposium of the Diabetic Foot 2007, NL
  8. deutsche-diabetes-gesellschaft.de (PDF; 1,9 MB) DDG Praxis-Leitlinie Diabetisches Fußsyndrom 2010.
  9. Réunion des Musées Nationaux Paris, Metropolitan Museum of Art New York (Hrsg.): Manet. Ausstellungskatalog, deutsche Ausgabe: Fröhlich und Kaufmann, Berlin 1984, ISBN 3-88725-092-3.
  10. Antonin Proust: Édouard Manet, Erinnerungen. Berlin 1917