Mos gallicus

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Der mos gallicus (lat.: die gallische/französische Sitte/Gewohnheit) ist eine spezifische Art und Weise, wie gelehrte Juristen in der Frühen Neuzeit sich mit den Texten der überlieferten Rechtsbücher Corpus Iuris Civilis und Corpus Iuris Canonici befassten. Der mos gallicus wurde auch humanistische Jurisprudenz genannt; als Begründer dieser Ausrichtung gelten Guillaume Budé (1468–1540), Andreas Alciatus (1492–1550) und für Deutschland Ulrich Zasius (1461–1535). Weitere Vertreter des mos gallicus sind Jacques Cujas (1522–1590), Donellus (1527–1591), Dionysius Gothofredus (1549–1622) und Iacobus Gothofredus (1587–1652).

Humanistische Einflüsse

Im Mittelalter war man an überzeitlichen Wahrheiten interessiert. In der Frühen Neuzeit begann man, sich wieder für vergangene Zeiten, insbesondere für die griechisch-römische Antike zu interessieren. Die Humanisten betrieben deshalb genauere Sprachstudien, als dies im Mittelalter der Fall gewesen war. Insbesondere bemühte man sich nun um eine korrekte Verwendung der lateinischen Sprache, auch lernte und nutzte man wieder die griechische Sprache. Viele Humanisten waren zudem Protestanten, da beide Auffassungen auf ähnliche logische Schlussfolgerungen zurückzuführen waren. Dies erschwerte die Verbreitung des mos gallicus, da Protestanten in vielen Teilen Europas unterdrückt wurden.

Kritik am mos italicus

Im Mittelalter und in der beginnenden Frühen Neuzeit wurde an den Universitäten in der mittelalterlichen Tradition das Recht nach Sitte der Italiener (mos italicus) gelehrt.

Juristen, die der neu entstandenen wissenschaftlichen Richtung des Humanismus angehörten, entdeckten nun, dass das an den Universitäten gelehrte Corpus Iuris Civilis bisher von den Vertretern des mos italicus sprachlich teils unzureichend bearbeitet worden war. Außerdem entdeckte man, dass die in der damaligen Rechtswissenschaft gebräuchlichen Gesetzestexte nicht mit den originalen antiken Gesetzestexten übereinstimmen. Die gebräuchlichen Gesetzestexte stammten von in Teilen mit Fehlern behafteten Abschriften des antiken Originals (Littera Florentina). Bei korrekter Übersetzung des antiken Originals lauteten einige Rechtsstellen anders als in den gebräuchlichen Versionen.

Die humanistischen Juristen merkten durch ihre sprachliche Schulung, dass die Rechtstexte des Corpus Iuris Civilis nicht einheitlich sind und dass sie zu verschiedenen Zeiten entstanden sind (zwischen den Entstehungszeiten der ältesten und den jüngsten Rechtstexte liegen mehrere Jahrhunderte). In einer so langen Zeit hatte sich auch das Recht weiterentwickelt. Auch hatte Kaiser Justinian I. manche der Rechtstexte bei der Schaffung des Corpus Iuris Civilis überarbeiten lassen. Die Überarbeitungen (sog. "Interpolationen") waren manchmal nicht ganz geglückt. Darüber hinaus hatte man andere antike, originale Schriften gefunden, die im Vergleich die Veränderungen zu Tage treten ließen. Kurz: Man konnte die von den Juristen des mos italicus vertretene These nicht aufrechterhalten, dass das Corpus Iuris Civilis ein ahistorisches, widerspruchsfreies Recht enthalte.

Schließlich erkannte man, dass der Blick der Juristen des mos italicus sehr auf die Rechtspraxis gerichtet war. Um das Corpus Iuris Civilis mit dem angewandten Recht in der Praxis in Übereinstimmung zu bringen, war man von einigen Regeln des Corpus Iuris abgewichen. Auch diese Rechtsabweichungen kritisierten die humanistischen Juristen.

mos gallicus

Auf der Grundlage dieser Kritik, die vornehmlich französische Rechtswissenschaftler vorbrachten, begann man, das Recht des Corpus Iuris Civilis anders zu bearbeiten. Man versuchte dabei die am mos italicus geäußerte Kritik zu berücksichtigen. Insbesondere bemühte man sich um die Wiederherstellung des antiken Originaltextes. Man versuchte, die Überarbeitungen durch die justinianische Gesetzgebungskommission zu finden. Auch wollte man das antike römische Recht wieder aus sich heraus begreifen, unabhängig von seiner rechtspraktischen Anwendbarkeit.

All diese Ziele der humanistischen Juristen setzten sie in wissenschaftlichen Gegensatz zu den Vertretern des mos italicus. Da der mos italicus auch weiter an den Universitäten gelehrt wurde, entstanden so zwei unterschiedliche wissenschaftliche Linien, wie das Corpus Iuris Civilis wissenschaftlich bearbeitet werden konnte. Der mos gallicus war vor allem in Frankreich führend (wo er entstanden war), der mos italicus vor allem in Italien, aber auch in Deutschland.

Da der mos gallicus vor allem wissenschaftlich an den Gegebenheiten des historischen römischen Rechts interessiert war, blieb seine Wirkung meist auf die Universitäten beschränkt, in die Rechtspraxis drangen die humanistischen Erkenntnisse nur spärlich vor; dort dominierte weiterhin der mos italicus.

Neuere Forschungen zeigen zum Beispiel für das Reichskammergericht ein unterschiedliches Bild. Es gab Richter am Reichskammergericht, die ganz auf der Grundlage des mos italicus argumentierten und arbeiteten, so zum Beispiel der Richter Mathias Alber (RKG: 1532–1533). Andere Richter, wie Viglius van Aytta (RKG: 1535–1537), beachten hingegen den mos gallicus.

Literatur

  • Gerhard Köbler: Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, S. 382. München 1997.
  • Hans Erich Troje: Humanistische Jurisprudenz. Studien zur europäischen Rechtswissenschaft unter dem Einfluß des Humanismus. Bibliotheca Eruditorum. Internationale Bibliothek der Wissenschaften, hrsg. von Domenico Maffei und Horst Fuhrmann Band 6. Goldbach: Keip 1993, XX, 334 Ss.
  • Hans Erich Troje: Die Literatur des gemeinen Rechts unter dem Einfluß des Humanismus. in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, hrsg. von H. Coing, 2. Band. Neuere Zeit (1500-1800). Das Zeitalter des gemeinen Rechts. 1. Teilband: Wissenschaft, München: C.H. Beck 1977, S. 615–795.
  • Hans Erich Troje: Graeca leguntur. Die Aneignung des byzantinischen Rechts und die Entstehung eines humanistischen Corpus iuris civilis in der Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts. Forschungen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Band 18, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1971, XII, 358 Ss.
  • Gunter Wesener: Humanistische Jurisprudenz in Österreich. in: Festschrift zum 80. Geburtstag von Hermann Baltl, hrsg. von Kurt Ebert, Wien 1998, S. 369–387.