Frauengeschichte

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Frauengeschichte ist ein Teilbereich der Geschichtswissenschaften und der Geschlechterforschung und hat die Erforschung des Wirkens der Frauen in der Geschichte zum Ziel. Analog zum englischen Wort History wird sie auch Herstory genannt (ein Wortspiel, in dem das gleichlautende maskuline Possessivpronomen his, „sein(e)“, durch her, „ihr(e)“ ersetzt wird).

Entwicklung des Fachgebiets

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Forschungsbereich entstand (von Pionierinnen wie der englischen Mary Beard abgesehen)[1] wie andere Bereiche der Frauenforschung in den 1970er Jahren als Folge der erstarkenden zweiten Frauenbewegung zunächst in den USA als Women’s History,[2] nachdem dort festgestellt wurde, dass Frauen als Gruppe, aber auch als Einzelpersonen in der traditionellen Geschichtsschreibung kaum vorkamen.

Die im dritten Reich aus Österreich nach Amerika geflohene österreichische jüdische Historikerin Gerda Lerner erhielt aus der amerikanischen Geschichte (Sklaven, Rassismus, Grimké-Sisters) ihre Impulse, Frauenforschung zu betreiben. Für den Beginn der amerikanischen Frauenbewegung nannte sie die Zeit um etwa 1850.[3] Sie gründete 1972 in Amerika am Sarah Lawrence College das erste Institut, an dem „Frauengeschichte für Graduierte“ studiert werden konnte. 1990 richtete sie ein Studienprogramm am Wisconsin International University College ein, wo über Frauengeschichte promoviert werden kann. Über Mary Beard hielt sie Seminare und veröffentlichte ein Buch mit Dokumenten über sie.[4]

Im Zuge der Neuen Frauenbewegung nahmen sich vielfach auch Frauen ohne historische Ausbildung der Erforschung einer eigenen Geschichte an. Insbesondere in der Lesbenbewegung wurde so Grundlagenforschung betrieben, z. B. im deutschsprachigen Raum durch Ilse Kokula. Solche Initiativen führten auch zur Entstehung von Archiven wie den Lesbian Herstory Archives, dem Spinnboden oder des FFBIZ.

Mit dem Kirchenhistoriker Werner Affeldt (1928–2019) forschte der Medizinhistoriker Gerhard Baader ab 1984 interdisziplinär zur Geschichte von Frauen in Antike und Mittelalter im neuen Forschungsgebiet der Frauen- und Geschlechtergeschichte.[5]

Den ersten Lehrstuhl in Deutschland für Historische Frauenforschung erhielt 1986 Annette Kuhn in Bonn. Seit den 1980er Jahren wurde das Verhältnis der Frauengeschichte zu einer noch umfassenderen Geschlechtergeschichte diskutiert.[6] Die Frauengeschichte wurde so auch zur Voraussetzung einer kritischen Geschichtswissenschaft. In den Niederlanden existiert das Aletta-Institut für Frauengeschichte, in Deutschland gibt es fünf Regionalverbände des Arbeitskreises historische Frauen- und Geschlechterforschung mit Hauptsitz in Hamburg.

1993 führte Regina Wecker, Professorin an der Universität Basel und Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte, das Fach Geschlechter- und Frauengeschichte auf der institutionellen Ebene in der Schweiz ein.

Im Juli 2016 startete das Projekt Digitales Deutsches Frauenarchiv[7]. Das Portal ist seit September 2018 online und ermöglicht durch digitalisierte historische Materialien Einblick in Frauengeschichte. Seit Januar 2020 wird das Projekt durch den Bund gefördert[8].

Die Forschungsergebnisse der Frauengeschichte haben – wie auch andere Teilbereiche der Geschichtsforschung (Alltagsgeschichte, Sozialgeschichte) – bisher nur beschränkt Eingang in den in Schulen gehaltenen Geschichtsunterricht gefunden.

Untersuchungsgegenstand

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Frauengeschichtsforschung befasst sich mit den Leistungen einzelner Frauen, mit der Stellung der Frauen in verschiedenen historischen Gesellschaften oder Lebensbereichen sowie mit dem Verhältnis der Geschlechter zueinander. Themen sind beispielsweise:

Wikisource: Frauen – Quellen und Volltexte
  • Marie Madeleine Owoko: Chiffrierte Matrix: Körperlichkeit(en) in der bürgerlichen Frauenbewegung in Kontext zeitgenössischer körperdiskursiver Lehren 1880–1933, Hamburg 2020, ISBN 978-3-339-11920-9
  • Marie Madeleine Owoko: Modefotografien der Zeitschrift „Die Dame“ 1930–1939. Frauenbilder „für den verwöhnten Geschmack“: Eine Analyse im Hinblick der bildlichen Inszenierung von Weiblichkeit, Hamburg 2020, ISBN 978-3-339-12000-7
  • Gisela Bock: Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. C.H. Beck, München 2005
  • Gisela Bock und Anne Cova (Hrsg.): Écrire l’Histoire des Femmes en Europe du Sud. XIXe-XXe Siècles/Writing Women’s History in Southern Europe. 19th-20th Centuries. Celta Editora, Oueiras 2003
  • Ruth Becker, Beate Kortendiek (Hrsg.): Handbuch Frauen – und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden 2004, ISBN 3-8100-3926-8.
  • Deutscher Juristinnenbund e.V. (Hrsg.), Jüdische Juristinnen, München 2019, Beck Verlag.
  • Jutta Dick, Marina Sassenberg: Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Lexikon zu Leben und Werk, Reinbek bei Hamburg 1993, ISBN 3-499-16344-6.
  • Esther Fischer-Homberger: Krankheit Frau und andere Arbeiten zur Medizingeschichte der Frau. Huber, Bern 1979, ISBN 3-456-80688-4
  • Bettina Flitner: Frauen mit Visionen. 48 Europäerinnen. Mit Texten von Alice Schwarzer, München 2004, Knesebeck Verlag, ISBN 978-3-89660-357-9.
  • Francoise Giroud: Les femmes de la Révolution, Paris 1988, Editions Carrere, ISBN 2-86804-571-5.
  • Andrea Griesebner: Feministische Geschichtswissenschaft. Eine Einführung. Von der Frauen- zur Geschlechtergeschichte. Löcker, Wien 2004, ISBN 3-85409-410-8.
  • Helga Grubitzsch: Loretta Lagpacan: „Freiheit für die Frauen – Freiheit für das Volk!“. Sozialistische Frauen in Frankreich 1830–1848, Frankfurt am Main 1980, ISBN 3-8108-0163-1.
  • Helga Grubitzsch, Roswitha Bockholt: Théroigne de Méricourt. Die Amazone der Freiheit, Pfaffenweiler 1991, ISBN 3-89085-549-0.
  • Helga Grubitzsch, Maria Kublitz, Dorothea Mey (Hrsg.): Frauen – Literatur – Revolution, Pfaffenweiler 1992, ISBN 3-89085-504-0.
  • Florence Hervé (Hrsg.): Geschichte der deutschen Frauenbewegung. 7. Auflage. PapyRossa, Köln 2001, ISBN 3-89438-084-5 (EA Köln 1982).
  • Rachel Herweg: Orte weiblicher Kultur – Zur Frage der Selbstverwirklichung und Emanzipation jüdischer Salonnièren in Deutschland, Spirale de Zeit 4/2008, auch auf Englisch, Haus der FrauenGeschichte Bonn, Opladen/Farmington Hills (USA).
  • Ursula Huffmann, Dorothea Frandsen, Annette Kuhn (Hrsg.): Frauen in Wissenschaft und Politik, Düsseldorf 1987, ISBN 3-491-18063-5.
  • Olwen Hufton: Frauenleben: Eine europäische Geschichte. 1500–1800. Aus dem Engl. von Holger Fliessbach. Frankfurt: Fischer, 1998.
  • Annette Kuhn, Gerhard Schneider (Hrsg.): Frauen in der Geschichte, Düsseldorf 1972, Schwann Verlag, ISBN 3-590-18009-9 (sieben Bände).
  • Annette Kuhn, Detlef Appenzeller (Hrsg.): Mehrheit ohne Macht, Düsseldorf 1985, Schwann Verlag, ISBN 3-590-18043-9.
  • Annette Kuhn, Marianne Pitzen, Marianne Hochgeschurz (Hrsg.): Politeia. Szenarien aus der deutschen Geschichte nach 1945 aus Frauensicht, Frauenmuseum, Bonn 1999, ISBN 3-928239-38-4.
  • Annette Kuhn (Hrsg.): Die Chronik der Frauen, Dortmund 1992, Chronik Verlag, ISBN 3-611-00195-3.
  • Annette Kuhn: Historia. Frauengeschichte in der Spirale der Zeit. Schriften aus dem Haus der FrauenGeschichte Bonn, Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills 2010, ISBN 978-3-86649-261-5.Annette Kuhn, Anne Schlüter
  • Nelly Las (Hrsg.): Le féminisme face aux dilemmes juifs contemporains, Sèvres 2013, Editions des Rosiers, ISBN 979-10-90108-12-7.
  • Nelly Las, Jewish Voices in Feminism. Transnational Perspectives, Translated by Ruth Morris, Lincoln, NE 2015, (Studies in Antisemitism Series) 272 p., ISBN 978-0-8032-7704-5.
  • Gerda Lerner: The Majority Finds its Past: Placing Women in History. Oxford University Press, New York 1979.
  • Gisela Losseff-Tillmanns: Frauenemanzipation und Gewerkschaften, Wuppertal 1978, Peter Hammer Verlag, ISBN 3-87294-127-5.
  • Angelika Schaser: Frauenbewegung in Deutschland: 1848–1933, Darmstadt 2006, ISBN 3-534-15210-7.
  • Angelika Schaser: Der Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung 1990–2015. Wissenschaftliche Professionalisierung im Netzwerk, Hamburg 2015, ISBN 978-3-00-050354-2.
  • Anne Schlüter, Annette Kuhn (Hrsg.): Lila Schwarzbuch. Zur Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft, Düsseldorf 1986, Schwann, ISBN 3-590-18044-7.
  • Dieter Schneider (Hrsg.): Sie waren die ersten. Frauen in der Arbeiterbewegung, Frankfurt am Main, Büchergilde Gutenberg, ISBN 3-7632-3436-5.
  • Bonnie G. Smith: The Gender of History: Men, Women, and Historical Practice, Harvard UP 2000.
  • Michael P. Steinberg, Monica Bohm-Duchen: Reading Charlotte Salomon, Ithaca and London 2006, Cornell University Press, ISBN 978-0-8014-3971-1.
  • Rita Thalmann: Etre femme sous le IIIe Reich, Paris 1982, Laffont, ISBN 978-2-221-00859-1.
  • Barbara Vogel, Ulrike Weckel (Hrsg.): Frauen in der Ständegesellschaft. Leben und Arbeiten in der Stadt vom späten Mittelalter bis zur Neuzeit (Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte, Band 4), Krämer, Hamburg 1991, ISBN 3-926952-25-3.
  • Marlene Zinken (Hrsg.): Der unverstellte Blick. Unsere Mütter (aus)gezeichnet durch die Zeit 1938 bis 1958. Töchter erinnern sich, Opladen und Farmington Hills 2007 (Schriften aus dem Haus der Frauengeschichte Bonn, Band 1, Hrsg. Annette Kuhn, Marianne Hochgeschurz, Monika Hinterberger), ISBN 978-3-86649-136-6.
  • Gertrude Aretz: Berühmte Frauen der Weltgeschichte, 1940. Volltext
  • Eva Kolinsky: Women in 20th-century Germany. (Englisch und deutsch), Manchester University Press, New York 1995, ISBN 0-7190-4654-8, teilweise einsehbar bei Google-Books
  • Georges Duby u. a. (Hrsg.): Geschichte der Frauen. 5 Bände, Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1993–1995;

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Homepage
  2. Karin Hausen: Women’s History in den Vereinigten Staaten. In: Geschichte und Gesellschaft 7, 1981, S. 347–363.
  3. Alice Schwarzer: Alice Schwarzer porträtiert Vorbilder und Idole, S. 114.
  4. Siehe Alice Schwarzer porträtiert Vorbilder und Idole, 2003, S. 115.
  5. Florian G. Mildenberger: Gerhard Oskar Baader (3. Juli 1928–14. Juni 2020). In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 321–326, hier: S. 324.
  6. Gisela Bock: Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte. In: Geschichte und Gesellschaft 14, 1988, S. 364–391.
  7. Digitales Deutsches Frauenarchiv. Abgerufen am 17. September 2020.
  8. Entwicklung. Abgerufen am 17. September 2020.