Leo Spitzer

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Siegfried Leo Spitzer

Siegfried Leo Spitzer (geboren 7. Februar 1887 in Wien, Österreich-Ungarn; gestorben 16. September 1960 in Forte dei Marmi, Italien)[1][2] war ein österreichischer Romanist und Literaturtheoretiker mit amerikanischer Staatsbürgerschaft. Seine Arbeiten, besonders auf dem Gebiet der Textinterpretation und Stilistik waren bahnbrechend.

Er ist der Sohn von Wilhelm Spitzer (1848–1919), einem Forstbesitzer und Holzindindustriellen aus Mähren und seiner Mutter Adele Wolf. Die Mutter starb früh und so wurde er vorwiegend von der Lebensgefährtin des Vaters, der Schauspielerin Antonie Janisch, auch kurz Tony genannt, erzogen.[3] Spitzer besuchte zunächst die Volksschule und später das k.k. Franz Joseph-Gymnasium in Wien. Nach der Matura begann er im Jahre 1906 mit dem Studium der romanischen Philologie. Als Schüler von Wilhelm Meyer-Lübke promovierte Leo Spitzer 1910 mit seiner Arbeit „Die Wortbildung als stilistisches Mittel exemplifiziert an Rabelais“. Spitzer lehrte zunächst als Privatdozent an der Universität Wien (1913) und war während des Ersten Weltkriegs bei der österreichischen Zensurbehörde tätig, wo er ab 1915 seine Zuständigkeit für die Briefe italienischer Kriegsgefangener für ausgiebige Analysen der Redensarten und Stilverfahren nutzte und somit die Diskursanalyse begründete. 1920 ging er nach Bonn und wurde 1925 ordentlicher Professor für romanische Sprachwissenschaft, zunächst an der Universität Marburg, dann (als Nachfolger von Etienne Lorck) an der Kölner Universität (1930). Dort war er auch an der Gründung des Portugiesisch-Brasilianischen Instituts (1932) beteiligt, das heute zu einem der wichtigen Zentren der deutschsprachigen Lusitanistik zählt.[4]

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wurde er wegen seiner jüdischen Herkunft auf Grund des sog. Arierparagraphen entlassen und emigrierte 1933 nach Istanbul. Sein Schüler Hans Marchand folgte ihm ein Jahr später.[5] Hier baute er einen Lehrstuhl für europäische Philologie auf und wurde Leiter der Fremdsprachenschule an der Universität. Spitzer beherrschte bis zu zehn Sprachen. 1936 ging er in die USA und übernahm an der Johns Hopkins University in Baltimore einen Romanistik-Lehrstuhl. 1955 erhielt Spitzer einen Antonio-Feltrinelli-Preis. 1956 wurde er emeritiert. Seit 1946 war er Mitglied der Accademia della Crusca in Florenz[6] und seit 1958 korrespondierendes Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.[7]

Entgegen seiner positivistisch geprägten Ausbildung schloss er sich in der Literaturforschung dem idealistischen Ansatz von Benedetto Croce und Karl Vossler an. Seine Methode geht von einer aufmerksamen, am Detail orientierten Lektüre aus, bei der das literaturwissenschaftliche und das sprachanalytische (linguistische) Textverständnis ineinander greifen bzw. sich zu einer stilistischen Auslegung der Literatur vereinen. Auf der Grundlage eines Vergleichs der formalen und sprachlichen Charakteristiken von Schriftstellern unterschiedlicher Epochen gelangt er so zu einer einheitlichen, allgemeingültigen Darstellung einzelner Autorenstile. Seine mehr intuitiv als empirisch vorgehende Textanalyse, die den kreativen Aspekt der Sprache hervorhebt, bezeichnet er selber als „Zirkel im Verstehen“.

Als sein Hauptwerk sind die beiden Bände der Stilstudien (1928) anzusehen.

Leo-Spitzer-Preis

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Seit 2013 verleiht die Universität zu Köln im Rahmen des Förderkonzeptes Zukunftspreise den Leo-Spitzer-Preis sowie den Leo-Spitzer-Preis für Nachwuchswissenschaftler*innen im Bereich Geistes- und Humanwissenschaften. Die Fördersummen betragen 80.000 bzw. 40.000 €.[8]

Schriften (Auswahl)

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  • Bernhard Hurch: Spitzer, Leo. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 24, Duncker & Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-11205-0, S. 722–724 (Digitalisat).
  • E. Kristina Baer & Daisy E. Shenholm (Hrsg.): Leo Spitzer on Language and Literature. A Descriptive Bibliography. Modern Language Association, New York 1991
  • Wolfgang Bandhauer: Ideologiekritische Anmerkungen zu Elise Richter (in Konfrontation mit Leo Spitzer). In: Deutsche und österreichische Romanisten als Verfolgte des Nationalsozialismus. Hrsg. von Hans Helmut Christmann & Frank-Rutger Hausmann. Stauffenburg, Tübingen 1989, ISBN 3-923721-60-9, S. 231ff. (und passim, siehe Register, mit 37 Fundorten) Reihe: Romanica et comparatistica Bd. 10
  • James V. Catano: Language, history, style. Leo Spitzer and the critical tradition. Routledge, London 1988
  • Hans Ulrich Gumbrecht: „Methode ist Erlebnis“. Leo Spitzers Stil. In: ders.: Vom Leben und Sterben der großen Romanisten. München/Wien: Carl Hanser Verlag, 2002; S. 72–151 ISBN 3-446-20140-8
  • Helmut Hatzfeld: Leo Spitzer (1887–1960). In: Hispanic Review. Band 29, Nr. 1, Januar 1961, ISSN 0018-2176, S. 54–57, JSTOR:471125 (englisch).
  • Frank-Rutger Hausmann: „Vom Strudel der Ereignisse verschlungen“. Deutsche Romanistik im „Dritten Reich“. 2. Auflage. Klostermann, Frankfurt am Main 2008, S. 309–336 ISBN 978-3-465-03584-8
  • Utz Maas: Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933–1945. Eintrag zu Leo Spitzer (abgerufen: 15. April 2018)
  • René Wellek: Leo Spitzer (1887–1960). In: Comparative Literature. Band 12, Nr. 4, 1960, S. 310–334, JSTOR:1768560 (Nachruf).

Einzelnachweise

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  1. Katharina Kniefacz: Leo Spitzer, o. Univ.-Prof. Dr. phil. In: 650 plus. 25. November 2014 (univie.ac.at [abgerufen am 12. März 2024]).
  2. Deutsche Biographie: Spitzer, Leo - Deutsche Biographie. Abgerufen am 12. März 2024.
  3. Bernhard Hurch: Spitzer, Siegfried Leo. Deutsche Biographie, [1]
  4. Portugiesisch-Brasilianisches Institut: Über das Institut, abgerufen am 7. Dezember 2009
  5. Hans Marchand † In: Anglia. Zeitschrift für englische Philologie. Volume 1979 (97) Mouton de Gruyter – Jan 1, 1979, S. 19ff.
  6. Mitgliederliste der Crusca
  7. Mitglieder der HAdW seit ihrer Gründung im Jahr 1909. Leo Spitzer. Heidelberger Akademie der Wissenschaften. In den fünfziger Jahren hielt er an verschiedenen deutschen Universitäten (z. B. Heidelberg und Freiburg) Gastvorlesungen., abgerufen am 13. Juni 2016.
  8. Leo-Spitzer-Preis. Abgerufen am 22. Mai 2020.