Ailetten

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Der Schenk von Limburg, die einzige Darstellung eines Achselschildes im Codex Manesse, um 1320
Rechteckige und runde Ailetten in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern, Illustration von Jacob van Maerlant, Spieghel Historiael, um 1330
Ritter mit Achselschild aus dem Maastrichter Stundenbuch, frühes 14. Jahrhundert

Ailetten (Achselschilde) sind meist rechteckige Schulterplatten aus Holz, die mit Leder, gesottenem Leder (cuir bouilli) oder Leinen überzogen waren. Auf einigen zeitgenössischen Miniaturen sind auch runde oder ovale Exemplare dargestellt. Sie waren oft mit dem Wappen ihres Trägers bemalt und können am unteren Rand Verzierungen wie Zatteln tragen.

Ailetten stammten, wie viele rüstungstechnische Neuerungen im Mittelalter, aus Frankreich. Die ältesten datierten Darstellungen dieser Schulterstücke stammen aus einer französischen Handschrift des Gralsromans von 1274. Nach Field[1] und Moffat[2] kommen sie um 1330 außer Gebrauch.

Ailetten sind unter anderem auf reliefierten Grabplatten aus Stein dargestellt, zum Beispiel in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Gent[3]. Eine Urkunde aus dem sechsten Regierungsjahr von König Edward I. von England, also 1278, beschreibt die Ausrüstung von hochrangigen Turnierteilnehmern in Windsor Park. Alle Kämpfer wurden von der Krone ausgestattet, sie erhielten eine Tunika, einen Mantel, ein Paar Achselschilde, einen Lederhelm mit Helmzier, einen Schild und ein Schwert[4]. Zu den Schriftquellen, die Achselstücke erwähnen, gehört auch der sogenannte alliterierende Arthusroman Morte Arthure[5], dessen Datierung allerdings umstritten ist (zwischen 1365 und 1409)[6].

Funktion und Verbreitung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mangels erhaltener Originalstücke kann über die Funktion dieser Rüstungsteile nur spekuliert werden. Sie dienten wohl vor allem der Kennzeichnung der Ritter, da diese durch die Kettenrüstung und den gegen 1300 üblichen Vollhelm (Topf- oder Kübelhelm) nicht mehr individuell erkannt werden konnten. Die Ailetten überragten den Schultergürtel seitlich wie kleine Flügel (französisch ailettes, ailerons) und zeigten so in der Seitenansicht das Wappen des Trägers.

Nach Moffat gibt es keine Belege dafür, dass Ailetten als Körperschutz dienten[7]. Als Körperschutz wären nur Ailetten aus Metall sinnvoll gewesen, wie die späteren Schwebescheiben. Ein vom Topf- bzw. Kübelhelm abgeleiteter Schwerthieb hätte so aufgefangen werden können. Allerdings scheinen diese kleinen Schilde meist nicht auf der Schulter gelegen zu haben, sondern standen aufrecht. Gegen eine Deutung als Körperschutz spricht auch, dass sie fast nur in dem den französischen bzw. französisch beeinflussten Kulturkreis verwendet wurden. Im deutschen Sprachgebiet finden sich Darstellungen der Achselschilde nur im Rheingebiet, Westfalen und Hessen auf Grabplatten oder Miniaturen, sonst nur noch auf dem Reitersiegel König Johann des Blinden von Böhmen aus der Dynastie der Luxemburger, der mit dem französischen Königshaus verschwägert war.

Material und Herstellung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In dem epischen Gedicht Morte Arthure trägt Gawain ein emailliertes Achselstück, das von Priamus mit einem Schwertstreich zerstört wird, wie dann auch der Rest seiner Plattenrüstung[8]. Als der Roman verfasst wurde, waren Ailetten allerdings bereits nicht mehr in Gebrauch[9].

Die wenigen vollplastischen Darstellungen von Kriegern mit Achselschilden zeigen gelegentlich erhabene Wappendarstellungen. Möglicherweise wurden solche Reliefs mit Modeln geformt.

Zwei mögliche Modelsteine wurde 1926 in der Chamber K auf der Burg Montfort im heutigen Israel ausgegraben[10]. Der im Querschnitt dreieckige Modelstein B aus Kalkstein zeigt zwei etwa elf Zentimeter lange stilisierte Barben (Fische), die als das „Redende Wappen“ der Grafen von Bar gedeutet werden, sowie Palmetten und Blumenmuster. Der Stein kam in Rahmen der Fundteilung in das Metropolitan Museum of Art in New York. Die Deutung als Model zur Verzierung von Rüstungsbestandteilen aus Leder geht auf den Ausgräber William Louis Calver sowie den Ichthyologen und Antiquitätensammler Bashford Dean zurück[11]. Von dem größeren Stein nimmt Nickel an, dass mit ihm der Schild des Großkomturs Konrad von Thüringen geprägt wurde[12]. Dagegen weist Wähning darauf hin, dass Kalkstein kein geeignetes Material für eine Matrize ist und die Gravuren zudem zu fein ausgeführt sind[13]. Sie nimmt vielmehr an, dass sie zur Herstellung von Zinnverzierungen für Schilde dienten[14].

Verwandte Artefakte

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein kleines Bronzerelief im Metropolitan Museum in New York zeigt ailettenförmige Kniekacheln.

  • Helmut Nickel: About Ailettes and Achselschilde. In: Waffen- und Kostümkunde. Zeitschrift für Waffen- und Kleidungsgeschichte. Bd. 44, Heft 2, 2002, ISSN 0042-9945, S. 197–212.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. P. J. C. Field, "Morte Arthure", the Montagus, and Milan. Medium Ævum 78/1, 2009, 98. Stable URL: https://www.jstor.org/stable/43632801
  2. Ralph Moffat, Medieval Arms and Armour: a Sourcebook. Volume I: The Fourteenth Century. Armour and Weapons. Woodbridge, Boydell & Brewer, Boydell Press 2022, 30. https://doi.org/10.2307/j.ctv24tr8kw
  3. William Frederick Creeny, Illustrations of incised Slabs on the Continent of Europe. Norwich, Goose & Co 1891
  4. Samuel Lysons, Copy of a Roll of Purchases made for the Tournament of Windsor Park, in the sixth year of King Edward the first, preserved in the Record Office at the Tower. Communicated by Samuel Lysons, Esq. F.R.S. V.P. in a Letter to Nicholas Carlisle, Esq. Secretary. Archaeologia 17, 1814, 300. doi:10.1017/S0261340900017951
  5. Mary Hamel (Hrsg.), Morte Arthure, a critical edition. Garland Medieval Texts 9. London, Garland 1984, Zeile 2565
  6. P. J. C. Field, "Morte Arthure", the Montagus, and Milan. Medium Ævum 78/1, 2009, 98-117. Stable URL: https://www.jstor.org/stable/43632801
  7. Ralph Moffat, Medieval Arms and Armour: a Sourcebook. Volume I: The Fourteenth Century. Armour and Weapons. Woodbridge, Boydell & Brewer, Boydell Press 2022, Lemma Ailettes. https://doi.org/10.2307/j.ctv24tr8kw
  8. Mary Hamel (Hrsg.): Morte Arthure, a critical edition. Garland Medieval Texts 9. London, Garland 1984, 2564-2573
  9. Christine Chism, Alliterative Revivals. Pennsylvania, University of Pennsylvania Press 2002, 220. ISBN 978-0-8122-0158-1, Stable URL: https://www.jstor.org/stable/j.ctt3fhcf9.9
  10. Adrian J. Boas, Stone, Metal, Wood and worked Bone Finds from the 1926 Expedition. In: Adrian J. Boas (Hrsg.): Montfort: History, early Research and recent Studies of the principal Fortress of the Teutonic Order in the Latin East. Medieval Mediterranean 107. Brill, Leiden 2017, Tafel 18.3a–d
  11. Brashford Dean, The Exploration of a Crusader’s Fortress (Montfort) in Palestine. Metropolitan Museum of Art Bulletin 22/9, Teil II, A Crusader’s Fortress in Palestine: A Report of Explorations made by the Museum 1926, 1927, 32
  12. Helmut Nickel, Some Heraldic Fragments found at Castle Montfort/Starkenberg in 1926, and the Arms of the Grand Master of the Teutonic Knights. Metropolitan Museum Journal 24, 35–46; https://www.metmuseum.org/art/metpublications/Heraldic_Fragments_at_Castle_Montfort_Starkenberg_1926_The_Metropolitan_Museum_Journal_v_24_1989?Tag=Armor&title=&author=Nickel&pt=0&tc=0&dept=0&fmt=Downloadpdf
  13. Andrea Wähning, The Stone Matrices from Montfort: About Moulds, Tin Relief and the Polychromy of Shields in the Thirteenth Century. In: Adrian J. Boas (Hrsg.): Montfort: History, early Research and recent Studies of the principal Fortress of the Teutonic Order in the Latin East. Medieval Mediterranean 107. Brill, Leiden 2017, 267
  14. Andrea Wähning, Die Modelsteine von Montfort, zu Steinmatrizen, Modelapplikationen und Schildfassungen des 13. Jahrhunderts. In: Franka Bindernagel, Martina Griesser-Stermscheg (Hrsg.), Reflexionen/Reflections, für Manfred Koller. Restauratorenblätter 31, 2012, 116–121
  15. Donald Drew Egbert, The Grey-Fitzpayn Hours: An English Gothic Manuscript of the Early Fourteenth Century now in the Fitzwilliam Museum, Cambridge, MS. 242. Art Bulletin 18/4, 1936, 527-539. Stable URL: https://www.jstor.org/stable/3045652
  16. Joseph Foster, The Dictionary of Heraldry. Oxford, J. Parker 1902, p. 193
  17. British Museum, Portable Antiquities Scheme
  18. C. ffoulkes, A Carved Flemish Chest at New College, Oxford. Archaeologia 2nd ser. 65, 1914, 113–128
  19. J. F. Verbruggen, The Battle of the Golden Spurs (Courtrai, 11 July 1302). A Contribution to the History of Flanders' War of Liberation, 1297-1305. Woodbridge, Boydell & Brewer, Boydell Press 2002, 199. Stable URL: https://www.jstor.org/stable/10.7722/j.ctt81svs.13
  20. J. F. Verbruggen, The Battle of the Golden Spurs (Courtrai, 11 July 1302). A Contribution to the History of Flanders' War of Liberation, 1297-1305. Woodbridgem Boydell & Brewer, Boydell Press 2002, 201. Stable URL: https://www.jstor.org/stable/10.7722/j.ctt81svs.13
  21. E. T. Hall, The Courtrai chest from New College, Oxford, re-examined. Antiquity 61 (231), 1987, 104-107. doi:10.1017/S0003598X00072628