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Evolution im Sinne eines universalen Prozesses[1][2]

Der Begriff Evolution (von lateinisch evolvere „herausrollen“, „auswickeln“, „entwickeln“) bezieht sich im weiten Sinne auf die Entwicklung von einfachen zu tendenziell komplexeren Systemen, sowie zu vorher nicht existenten Eigenschaften (Emergenz).

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Evolution

  • in erster Linie die biologische Evolution: Die von Generation zu Generation stattfindende allmähliche Veränderung organischer Strukturen durch Anpassung, auch Höherentwicklung[3]
  • (bildungssprachlich) eine langsame und kontinuierlich fortschreitende Entwicklung in langfristigen, geschichtlichen Zusammenhängen.[4][5][6]

Fachsprachlich wird der Begriff heute nicht nur in der Biologie verwendet, sondern ebenso in den anderen Naturwissenschaften einschließlich der Anthropologie sowie in einigen Geistes- und interdisziplinären Wissenschaften bis hin zur Idee einer Allgemeinen oder Universalen Evolutionstheorie.[7][8][9][10]

Übergreifend wird allgemein anerkannt, dass sich mit zunehmender Komplexität tendenziell die Fähigkeiten der Systeme zum Empfang, zur Speicherung, zur Verarbeitung und zur Weitergabe von Informationen erhöhen. Neben der biologischen Evolution haben sich – in unterschiedlicher Bedeutung und Tiefe – vor allem die Begriffe Kosmische Evolution, Chemische Evolution und Soziokulturelle Evolution etabliert.

Der Begriff hat mehrere Bedeutungen, wobei es möglicherweise eine generische überlappende Bedeutung gibt, von der die einzelnen vom jeweiligen Kontext des Diskurses abhängige Variationen darstellen.[11] Die aktuell vorliegenden Definitionen reichen von extremen Verkürzungen (siehe Einleitung) bis zu sehr detaillierten Beschreibungen. Schnittmenge aus den übereinstimmenden Merkmalen der detaillierteren Definitionen in den verschiedenen Wissenschaften:

Infolgedessen ist Evolution die Entwicklung aufeinander bezogener Einzelschritte in einem Gesamtzusammenhang (Kohärenztheorie), der in Jahrmillionen durch qualitatives Wachstum – sprich: einer zunehmenden „Verfeinerung“ der Strukturen sowie Ausdifferenzierung neuer Funktionen und Möglichkeiten in Subsystemen[16] – zu hochgradig vernetzten Komplexen Systemen geführt hat.[17][18] Hierzu zählen in der Lebewelt die interspezifischen Wechselbeziehungen und die Koevolution.

Diese Beschreibung spiegelt die verbreitete Auffassung wider, den biologischen Evolutionsbegriff vorwiegend „nach oben“ (menschliche Fähigkeiten, Psyche, Kultur, Maschinen) und nur geringfügig „nach unten“ (Präbiologische Prozesse) zu erweitern.[19]

Der Gebrauch des Wortes Evolution ist manchmal weltanschaulich geprägt,[14] er liegt in einem Spannungsfeld zwischen Materialismus und dem Glauben an eine Schöpfung.[20] Seine Bedeutung hat sich in der Geschichte vielfach gewandelt.[21] Für eine übergreifende Definition finden sich nur Vorschläge.

[…]

Universelle Evolution

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Herbert Spencer: Erweiterung der darwinschen Evolution bis zur „Evolution von allem“

Der universale Evolutionsbegriff (häufig auch – irreführend – allgemeine Evolution genannt) geht von der Annahme grundlegender Gesetzmäßigkeiten im Universum aus, die alle Seinsebenen umfassen und zu einer kontinuierlichen Entwicklungsgeschichte führen: Vom Urknall aus hätte sich Materie zunächst in physikalischen, dann in chemischen, schließlich biologischen, kulturellen, psychologischen (etc.) „Emergenzebenen“ entfaltet, die jeweils miteinander wechselwirken.[14] Anhänger dieser Idee haben meistens einen weit gefassten Evolutionsbegriff (Prozess einer selbstorganisierenden, nicht vorhersehbaren Entwicklung tendenziell komplexerer Strukturen). In diesem Fall findet die Vereinheitlichung nur auf sprachlicher Ebene (Metapher, Analogie u. ä.) statt, da kein allumfassender Wirkmechanismus formuliert wird. Häufig wird versucht, verschiedene Mechanismen per Definition zu verbinden. Eine tatsächliche Universelle Evolutionstheorie im engen Sinne wäre ein universeller Darwinismus, der den Nachweis erbringen müsste, dass sich aus den drei darwinschen Mechanismen (Variation, Selektion, Replikation) ein übergreifendes Wirkungsprinzip herleiten ließe.

Als Inspirationsquelle für viele Überlegungen zu einer universellen Evolution wird häufig der Sozialphilosoph Herbert Spencer genannt, der in den 1860er Jahren Darwins Evolutionstheorie nicht nur auf die Entwicklung menschlicher Gesellschaften bezog, sondern darin auch ein universelles Prinzip allen Werdens im Universum sah. Spencer definierte Evolution als Tendenz einer Entwicklung von einer unbestimmten Homogenität unverbundener Einzelteile zu einer bestimmten, immer mehr verbundenen Heterogenität, die mit der Verringerung von Bewegung und der Integration von Materie einhergeht. Dafür nahm er einen pulsierenden Wechsel von Auflösung (Dissolution) und Neubildung (Evolution) an, der durch die Kräfte von Anziehung und Abstoßung erzeugt würde. Diese wiederum treten in zwei Formen auf: Materie und Bewegung. Insofern war Evolution für ihn der zunehmende Aufbau geordneter materieller Strukturen bzw. Zusammenhänge bei gleichzeitiger Abnahme ungeordneter Bewegungen (thermischer Energie), der von der einfachen Einheit zu komplexer Vielheit führe. Dabei nahm er eine fortschrittliche „Höherentwicklung“ der Dinge (im Sinne des Evolutionismus) an. Spencers Überlegungen beruhen lediglich auf biologischen Befunden, die er zu einer spekulativen philosophischen Theorie erweiterte,[22] die bei näherer Betrachtung sehr unscharf formuliert ist.[23]

Metaphern, Analogien und nicht-darwinsche Hypothesen

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„Ist etwa alles in Evolution? Auch der Kosmos als Ganzes, auch die sogenannten Naturkonstanten, vielleicht sogar die Naturgesetze, etwa die Evolutionsgesetze, und am Ende auch noch die Wahrheit?“

Gerhard Vollmer: Im Lichte der Evolution. Darwin in Wissenschaft und Philosophie (2016)

Wird der Evolutionsbegriff im Sinne einer Metapher oder Analogie verwendet – ohne die darwinschen Regeln für allgemeingültig zu erklären – und die Geschichte der Natur und der Menschheit als Abfolge von Epochen behandelt, ist der Gedankenschritt zu einer universellen Evolution trivial. In diesem Fall muss lediglich zwischen natürlichen Systemen – die evolvieren – und Naturkonstanten und -gesetzen unterschieden werden – die nicht evolvieren.[24] In der Folge können entweder unterschiedliche Evolutionsphasen mit jeweils eigenen Wirkungsmechanismen aneinandergereiht werden (kosmisch, astrophysikalisch, chemisch, biologisch, psychisch, kulturell, wissenschaftlich, technisch u. a.) oder man versucht, gemeinsame Prinzipien zu finden, die es ermöglichen, die einzelnen Evolutionsphasen als logische Abfolge darzustellen.[25]

Die meisten Autoren gehen von einem hierarchischen Aufbau der Evolutionsprozesse aus: Das heißt, die Eigenschaften und Strukturen der kosmischen Evolution bilden die Rahmenbedingungen für die biologische Evolution und diese wiederum für die kulturellen Schritte – nicht jedoch umgekehrt (Veranschaulichung siehe Grafik in der Einleitung). Reproduktion und Auslese beispielsweise finden demnach sowohl in der Biologie als auch in der Sprachevolution und der Evolution wissenschaftlicher Modelle statt, während sie bei den kosmischen Evolutionsprozessen im Universum noch nicht existierten.

In der Religionsgeschichte sieht Jan Assmann in manchen Kulturen eine Evolution von polytheistischen Religionen zum inklusiven Monotheismus, als Ergebnis einer Ideenevolution im Sinne von Niklas Luhmann, während in anderen Kulturen ein exklusiver Monotheismus durch radikale Abkehr entstanden ist, wobei das Ältere nicht im Jüngeren aufgeht, sondern Gegenstand der Verfolgung und Vernichtung wird, Merkmale nicht einer Evolution, sondern eher einer Revolution.[26]

Universelle Evolution mit einem Zusammenwachsen des Universums (Pierre Teilhard de Chardin).[27]

Weitreichende philosophische Überlegungen zu einer universellen Evolution stellte der Jesuitenpater Pierre Teilhard de Chardin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an. Als Vertreter der christlichen Religion gehört sein Entwurf zum Theistischen Naturalismus, da er Gott – von ihm als Punkt Omega bezeichnet – als erste Ursache und Triebfeder der Evolution sah und damit auch eine gezielte Höherentwicklung begründet. Darüber hinaus war für ihn alles einer sprunghaften Evolution unterworfen, die auf materieller Ebene zu einer Zunahme an Komplexität und auf geistiger Seite an „Zentriertheit“ führen würde.[28]

Vollmer zählt (neben den hier im Text erwähnten) u. a. folgende bekannte Autoren und Werke mit einem universalen Bezug des Evolutionsbegriffes auf:[29][30]

  • Ilya Prigogine: Introduction to Thermodynamics of Irreversible Processes. (1955)
  • Melvin Calvin: Chemical evolution: molecular evolution towards the origin of living systems on the earth and elsewhere. (1969)
  • Hoimar von Ditfurth: Im Anfang war der Wasserstoff (1972)
  • Rupert Riedl: Die Strategie der Genesis. Naturgeschichte der realen Welt (1976)
  • Bernhard Rensch: Das universale Weltbild. Evolution und Naturphilosophie (1977)
  • Erich Jantsch: Die Selbstorganisation des Universums. Vom Urknall zum menschlichen Geist (1979)
  • Albrecht Unsöld: Evolution kosmischer, biologischer und geistiger Strukturen (1981)
  • Peter Aichelburg, Reinhard Kögerler (Hrsg.): Evolution (1986)
  • John Gribbin: Die erste Genesis: Gott, die Zeit und der Urknall (1986)
  • Ervin László: Evolution – Die neue Synthese: Wege in die Zukunft (1987)
  • Sievert Lorenzen: arwin und die Theorie der Evolution (1988)
  • Alan Grafen: Evolution and Its Influence (Herbert Spencer Lecture) (1989)
  • Günther Patzig: Der Evolutionsgedanke in den Wissenschaften (1991)
  • Bill Bryson: Eine kurze Geschichte von fast allem (2003)
  • Axel Meyer: Evolution ist überall (2008)
  • Philipp Sarasin, Marianne Sommer (Hrsg.): Evolution. Ein interdisziplinäres Handbuch (2010)
  • Gerhard Schurz: Evolution in Natur und Kultur. Eine Einführung in die verallgemeinerte Evolutionstheorie (2011)

Spätestens seit der Formulierung des Quantendarwinismus existieren für alle Evolutionsphasen etablierte Theorien oder zumindest anerkannte Hypothesen, sodass die von vielen erwartete, befriedigende Universale Evolutionstheorie nur aufgrund der fehlenden Einheit der Wissenschaften (im Sinne einer ganzheitlichen Transdisziplinarität) noch nicht vorgelegt wurde.[31]

Universeller Darwinismus

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Die Bezeichnung Universeller Darwinismus (Universal Darwinism) stammt von dem sehr populären Evolutionsbiologen Richard Dawkins, der damit allerdings nur die Vereinheitlichung von biologischer und kultureller Evolution meinte (Dawkins führte das kulturelle Mem analog zum Gen ein, siehe Kapitel Soziokulturelle Evolution). Einige andere Autoren übernahmen den Begriff und erweiterten ihn auf sämtliche Daseinsebenen. Diese Ansätze werden bisweilen methodologischer Evolutionismus genannt.[32]

Auch der Philosoph Daniel Dennett – ein Unterstützer der Mem-Theorie – griff Dawkins Vorschlag auf und erweiterte in seinem Buch Darwins gefährliches Erbe (1995) den Evolutionsbegriff über die Biologie hinaus, indem er die drei darwinschen Mechanismen Variation, Selektion und Replikation als allgemeinen Algorithmus bezeichnet, der auch außerhalb des Lebendigen überall wirken könne. Damit verweist er auf eine Verallgemeinerung der Theorie, die er allerdings selbst nicht weiter ausführt.[33]

Mit gewissen Modifikationen kann der Evolutionsbegriff von Luhmann als Versuch eines universellen Darwinismus betrachtet werden.

Evolutionsbegriff nach Luhmann
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Niklas Luhmann
„Stammbaum“ der Systeme nach Luhmann

1984 definierte der deutsche Soziologe Niklas Luhmann den Begriff der Evolution im Rahmen seiner soziologischen Systemtheorie, verallgemeinerte ihn jedoch – ganz im Sinne des „Systemdenkens“ – auf alle offenen, selbstorganisierenden Systeme. Er spricht auch von einer Ideenevolution.[34] Kurz gefasst war Evolution für Luhmann die kontinuierliche Umwandlung wenig wahrscheinlicher Zufälle in neue Strukturen, die der hoch wahrscheinlichen Erhaltung eines Systems dienen. Auch Luhmann nennt drei Mechanismen, die jedoch deutlich von Darwins Vorgaben abweichen:[35]

  • Variation (zufällig entstehende Abweichungen bei der Selbsterhaltung der Elemente eines Systems),
  • Selektion („Bewertung“ der Abweichungen nach ihrem Nutzen für die Strukturbildung: Einbau, Duldung oder Ablehnung) und
  • Retention/Stabilisierung (Erhaltung des neuen Systemzustandes).

Vor allem hob er eine Richtungs- und Ziellosigkeit evolutionärer Veränderungen als zentrales Merkmal hervor.[36] Er sieht im Gegensatz zur klassischen Evolutionstheorie keinen „Zwang zur Anpassung“, sondern lediglich „Irritationen“ des Systems, auf die es in angemessener Weise reagieren kann, aber nicht muss. Demnach könne man nicht wissen, ob Variation zu positiver oder negativer Selektion der Neuerung führt und ebenso wenig, ob die Restabilisierung des Systems nach der positiven bzw. negativen Selektion gelingt oder nicht.[37] Evolution sei somit kein notwendiger Prozess wie nach der biologischen Definition, der kontinuierlich und unumkehrbar zu komplexeren Strukturen führt. Kontinuität, Unumkehrbarkeit und Komplexitätsgewinn sind jedoch die Basis anderer (weit gefasster) Definitionen von Evolution, von denen sich Luhmann hier weit entfernt hat.[35]

Evolution wird schließlich als universelles Funktionsprinzip betrachtet, bei dem ebenfalls die drei Komponenten selbst veränderlich sind,[35] sodass auch eine „Evolution der Evolution“ möglich ist.[38]

Luhmanns Systemtheorie wurde vielfach rezipiert und seine Begriffsdefinitionen haben auch Eingang in anderen Fachgebieten gefunden.[39] Gerhard Vollmer mahnt allerdings zur Vorsicht, Luhmanns Entwurf nicht als „alternative Evolutionstheorie“ zu behandeln, denn Luhmann habe weder die biologische Evolution nachvollziehbar integriert noch die Übertragung von der soziokulturellen Evolution auf einen allgemeinen Evolutionsbegriff ausreichend begründet.[40]

Weltanschauungen

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Satirische Darstellung der Evolution: Von der Mücke zum Elefanten.

Wie die Theoriegeschichte zeigt, hat kaum ein naturwissenschaftlicher Begriff so viele Kontroversen in Wissenschaft und Gesellschaft ausgelöst wie der Begriff der Evolution. Weltanschauliche und kulturelle Prägung beeinflussen die Begriffsbildung und die Einordnung von Begriffen in das persönliche Weltbild eines Menschen. In den westlichen Ländern und in Japan ist ein weitaus überwiegender Teil der Bevölkerung von der Richtigkeit der Evolution nach Darwin überzeugt, während es in der Türkei aber auch in den USA mehr Menschen gibt, die daran zweifeln und Glaubensvorstellungen vorziehen, welche eine übernatürliche Intelligenz über den Zufall stellen.[41] Obgleich moderne Wissenschaftler geschult werden, möglichst objektiv und neutral zu formulieren, stehen dahinter auch subjektiv denkende Persönlichkeiten. Der Religions- und Politikwissenschaftler Michael Blume fasst die unterschiedlichen Positionen wie folgt zusammen: „Evolutionäre Atheisten wie kreationistische Religiöse gehen trotz gegensätzlicher Positionen davon aus, dass sich die Zustimmung zur Evolutionstheorie und der Glauben an eine wirkende Gottheit grundsätzlich ausschlössen. Evolutionäre Pessimisten glauben, dass der Evolutionsprozess letztlich sinn- und ziellos sei und sich am Ende mit dem Erlöschen des Universums unabwendbar wieder erledigen werde. Evolutionäre Optimisten meinen dagegen einen – wenn auch immer wieder gefährdeten und unterbrochenen – Fortschritt im Evolutionsprozess zu erkennen. Evolutionäre Agnostiker betonen schließlich, dass Evolutionsforschung immer nur empirisch und historisch sei – letztentscheidende Aussagen über die Zukunft, Gottes Existenz o. ä. seien daher überhaupt nicht möglich.“[14]

Die meisten Wissenschaftler und Philosophen gehen bei der biologischen Evolutionstheorie von einer „hohen Evidenz“ der beschriebenen Mechanismen aus. Dennoch kann diese Bewertung auf ganz unterschiedlichen weltanschaulich-philosophischen Vorstellungen beruhen. Die Unterschiede werden in der Regel erst offensichtlich, wenn es um die Einbindung der Theorie in übergeordnete Denkmodelle geht.

Materialistische Positionen beziehen so weit wie möglich alles auf die untersuchbare „natürliche“ Materie und die damit verbundenen naturgesetzlichen Vorgänge.

„Strenger Physikalismus“

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Evolution ermöglicht Anpassung an verschiedene oder ähnliche Lebensbedingungen (Konvergenz) durch hocheffiziente Selbstorganisation mit einem „Quäntchen Zufall“.

Werden die ontologischen Fragen (z. B. nach Grund und Sinn der Evolution) und die naturwissenschaftlich weniger genau untersuchbare Evolution des Bewusstseins ausgenommen, beruhen die modernen, auf Darwins Lehre aufbauenden Evolutionstheorien auf einem strengen physikalistischen Materialismus. Nach diesem herrschenden Paradigma in den Naturwissenschaften gelten grundsätzlich alle Phänomene der Natur als beschreibbare Folgen naturgesetzlicher Vorgänge, die weder göttliche Mächte noch geistige Eigenschaften der Welt benötigen, um selbstorganisiert abzulaufen.[42] Seit der Anerkennung der Quantenmechanik wird mehrheitlich die Existenz nicht vorherberechenbarer „unscharfer“ Zustände angenommen, sodass hier hinreichende Gründe gegen eine mechanisch determinierte Entwicklung der makrophysikalischen Welt sprechen[43] (wie sie noch aus dem Newtonschen Paradigma hergeleitet wurde).

Von Gegnern der Evolutionstheorie wird häufig bezweifelt, dass die enorme Komplexität der Welt auf „einzelne zufällige Ereignisse“ zurückzuführen sei. Dem Zufall würde im Evolutionsgeschehen eine zu große Bedeutung beigemessen. Noch bis zu Stephen Jay Gould gab es auch in der Biologie eine fast klischeehafte Trennung zwischen Zufall und Notwendigkeit.[44] Es ist jedoch wichtig, zu differenzieren, was genau mit Zufall gemeint ist: So handelt es sich etwa bei zufälligen Mutationen, die zu positiven Veränderungen führen, niemals um ein Einzelereignis im individuellen Sinne, sondern um die gleiche Veränderung bei einer größeren Anzahl von Individuen einer Population.[45] Eine Vielzahl an systemimmanenten Regelkreisen und Mechanismen „kanalisiert“ die Auswirkungen solcher Ereignisse.[44] Es ist demnach – auch ohne die Annahme göttlichen Eingriffs – unangemessen, die hochkomplexe evolutionäre Selbstorganisation des Existenten für nur zufällig und gänzlich undeterminiert zu halten.

Allerdings weisen etliche Biologen – allen voran Ernst Mayr – darauf hin, dass Prozesse des Lebens oder der Evolution nicht auf die Gesetze der (physikalischen) Thermodynamik reduziert werden könnten, sondern überdies unabhängigen, originär biologischen Mechanismen unterlägen.[46]

„Weicher Physikalismus“

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Diese Annahme, dass jede Seinsebene (als Gegenstandsbereiche der Physik, Chemie, Biologie, Psychologie) Eigenschaften hervorbringt, die sich nicht allein mit den Mechanismen tieferer Ebenen erklären lassen, ist insbesondere in der Philosophie des Geistes anzutreffen, dessen immaterielle und naturgesetzlich nicht mehr erklärbaren Erscheinungsformen neue Erklärungsversuche notwendig machen. Jeder Autor, der akzeptiert werden will, sollte in irgendeiner Form eine – zumindest „weiche“ – Vereinbarkeit mit den physikalistischen Ansätzen herstellen. In Bezug auf die Evolution des Geistes gehen die meisten Hypothesen heute von einem Eigenschaftsdualismus aus, bei dem das Geistige als andersartige, aber dennoch abhängige Eigenschaft des Körperlichen betrachtet wird.[47][48]

Auch wenn die große Mehrheit der gegenwärtigen Wissenschaftler und Philosophen davon ausgeht, dass selbst die Entstehung der menschlichen Psyche (aus einfacheren Vorläufern) eine Folge der biologischen Evolution ist, so existiert aufgrund ihrer prinzipiellen Unbeweisbarkeit keine allgemein anerkannte Hypothese.

Nicht-reduktiver Physikalismus
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Die gängigste Erklärung für die evolutionäre Entstehung von Geist wird als nicht-reduktiver Physikalimsus (oder Moderner Emergentismus) bezeichnet: Die Vertreter solcher Theorien gehen davon aus, dass Geist irgendwann als emergentes Phänomen biochemischer Prozesse ab einem bestimmten Komplexitätsgrad vernetzter Zellen spontan aufgetaucht sei.[47] Sie setzen voraus, dass einige Eigenschaften nicht auf physische Eigenschaften reduzierbar sind (Nicht-Reduktivität), der Physikalismus jedoch trotzdem wahr ist (Man rechnet mit einer späteren Erklärung dieser Beziehung). Wichtige Vertreter dieser Position sind etwa Daniel Dennett (siehe auch Kapitel #Universeller Darwinismus) und Arno Ros.

Kritiker verweisen darauf, dass die extreme Andersartigkeit des Geistigen eine „starke Emergenz“ (gänzlich unvorhersehbare, neue Eigenschaft) voraussetzen würde,[49] was einem Wunder gleichkäme.[50][51]

Bereits Ernst Haeckel[47] oder Bernhard Rensch, aber auch Philosophen wie Alfred North Whitehead oder aktuell Patrick Spät vertreten hingegen panpsychistische Positionen, denen die Annahme gemeinsam ist, dass Geist – im Sinne einer „immateriellen Innerlichkeit, Fähigkeit oder Kraft“ – von Anfang an in jeglicher Materie vorhanden ist.[49] Die Annahme zweier gegenseitig voneinander abhängiger Eigenschaften der Materie (physikalisch und psychisch) widerspricht dem Physikalismus allerdings fundamental. Würde diese Erklärung dennoch zutreffen, müsste der Evolutionsbegriff deutlich angepasst werden: Panpsychisten sehen bereits in der körperlichen Evolution eine wichtige Rolle des „geistigen Prinzips“ als Entscheider und Treiber.[49]

Theistischer Naturalismus
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Versuche der Verknüpfung von Evolution und christlicher Religion[52][53]

„Gott macht, dass die Dinge sich machen.“

Pierre Teilhard de Chardin[54]

Auch der katholische Anthropologe und Philosoph Pierre Teilhard de Chardin vertrat einen Panpsychismus, verbunden mit der Vorstellung einer von Gott angestoßenen, zielgerichteten Evolution. Solche Weltanschauungen, die die metaphysischen Ursachen der Evolution nicht aussparen, sondern auf einen Gott verweisen, darüber hinaus aber alle Evolutionsmechanismen akzeptieren, werden als Theistische Evolution bezeichnet. Bedeutende Vertreter waren neben Teilhard Theodosius Dobzhansky, Otto Kleinschmidt und Albert Wigand.

Anders als theistische Evolutionisten beziehen sich Anhänger kreationistischer Vorstellungen in erster Linie auf die Schöpfungsmythen ihrer Religion (zumeist christlich, islamisch oder hinduistisch) und lehnen die Evolutionstheorie – wie auch die Trennung von Naturwissenschaft und Religion – mehr oder weniger ab. Sofern eine Evolution anerkannt wird, sei sie Teil eines „göttlichen Entwicklungsplans“. Sie begänne mit nicht verwandten, von Gott geschaffenen Grundtypen der Lebewesen, innerhalb derer Evolution und Artenbildung stattfände, evolutionäre Übergänge zwischen den Grundtypen seien aber nicht möglich.[55] Der wissenschaftliche Evolutionsbegriff wird hier ad absurdum geführt.

Intelligent Design

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In den 1980er Jahren entstand die Lehre Intelligent Design. Darin wird der Anschein erweckt, es würde sich um einen wissenschaftlich fundierten Gegenentwurf zur Evolutionstheorie handeln. Der Begriff der Evolution wird erheblich aufgeweicht, anstelle der Selbstorganisation, die vor allem mit Hilfe wahrscheinlichkeitstheoretischer Argumente abgelehnt wird, tritt eine übernatürliche Intelligenz bzw. ein „intelligenter Designer“, der nicht näher benannt wird. Die Vertreter erklären die Lebewesen zu von diesem Designer entworfenen Artefakten. Es werden gedankliche Argumente gegen die Evolutionstheorie geliefert, ohne sie empirisch zu überprüfen oder eine alternative Theorie zu vorzulegen.[45]

Einzelnachweise

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  1. Gerhard Vollmer 2016, S. 20, 28, 142
  2. Luc Saner (Hrsg.): Studium generale: Auf dem Weg zu einem allgemeinen Teil der Wissenschaften. Springer Spektrum, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-04157-1, S. 20.
  3. a b Stichwort Evolution im Lexikon der Biologie auf spektrum.de, Spektrum, Heidelberg 1999, abgerufen am 1. September 2023.
  4. Duden | Evolution | Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft. Abgerufen am 1. Mai 2024.
  5. DWDS: Evolution, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2024.
  6. Dirk Kemper: Revolution oder Evolution? Geschichte einer oppositionellen Denkfigur. 2018.
  7. Zu diesem Aspekt siehe Jürgen Kocka: Evolution und Revolution: begriffsgeschichtliche Überlegungen. In: Volker Gerhardt (Hrsg.): Wer hat die Deutungshoheit über die Evolution? (= Debatte. Heft 8). Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin 2010, ISBN 978-3-939818-16-8, S. 11–16 (online).
  8. Eugen Rosenstock-Huessy: Revolution als politischer Begriff in der Neuzeit.
  9. Md. Abdul Mannan: Revolution Versus Evolution: The Pattern of Conceptual Change in Science. In: Journal of Indian Council of Philosophical Research. Band 37, 8. Mai 2020, S. 175–189.
  10. Wolfert von Raden: Revolution und Evolution. In: Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte, Band 1, 2012.
  11. R. Puligandla: The concept of evolution and revolution. In: The Philosophy Forum. Band 11, Ausgabe 1–2, 4. Juni 2010, S. 41–69.
  12. Vollmer 2016, S. 20, 29–30.
  13. Werner Ebeling: Selbstorganisation – Entwicklung des Konzeptes und neue Anwendungen. Festvortrag auf dem Leibniztag 2003, Leibniz-Sozietät/Sitzungsberichte 60(2003)4, 37–47, PDF abgerufen am 9. September 2023. S. 42–43.
  14. a b c d Michael Blume: Was bedeutet Evolution für Sie? Beitrag auf scilogs.spektrum.de vom 12. Februar 2012, Spektrum der Wissenschaft, abgerufen am 31. August 2023.
  15. William Bruce Sherwin: Entropy, or Information, Unifies Ecology and Evolution and Beyond. Evolution & Ecology Research Center, School of Biological Earth and Environmental Science, UNSW Sydney Australien, 21. September 2018.
  16. Reinhard Wagner: Vermittlung systemwissenschaftlicher Grundkonzepte. Diplomarbeit, Karl-Franzens-Universität Graz, Berlin 2002, PDF abgerufen am 25. September 2023. S. 49.
  17. Jörg Rainer Nönnig: ARCHITEKTUR SPRACHE KOMPLEXITÄT, hier Essay III: Exkurs: Das Phänomen Komplexität. Dissertation an der Bauhaus-Universität Weimar, Weimar 2006, PDF, abgerufen am 10. September 2023. S. 73, 78, 86–87.
  18. Gabriela Straubinger: Komplexität - Wie interdisziplinäre Teams mit komplexen Aufgabenstellungen umgehen, hier Theoretische Grundlagen, Kapitel 2. Wissenschaftlicher Bezugsrahmen von Komplexität. Masterarbeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Zürich 2010, PDF abgerufen am 11. September 2023. S. 13–14.
  19. Vollmer 2016, S. 34–35, 42.
  20. Markus Vogt: Evolution und Schöpfung. Ergänzung oder Gegensatz? In: Volker Gerhardt, Klaus Lucas, Günter Stock (Hrsg.): Evolution – Theorie, Formen und Konsequenzen eines Paradigmas in Natur, Technik und Kultur. Akademie Verlag, Berlin 2011. S. 173–183.
  21. Peter J. Bowler: The changing meaning of „Evolution“. In: Journal of the History of Ideas. Band 36, Ausgabe 1, Januar–März 1975. S. 95–114.
  22. Kristian Köchy: Die Idee der Evolution in der Philosophie Herbert Spencers. In Asmuth/Poser 2007, S. 58–78.
  23. Richard H. Beyler: Physik. In: Sarasin/Sommer 2010, S. 289–290.
  24. Vollmer 2016, S. 26, 36.
  25. Vollmer 2016, S. 27–28.
  26. Jan Assmann: Vom Poly- zum Monotheismus: Evolution oder Revolution?. In: Volker Gerhardt, Klaus Lucas, Günter Stock (Hrsg.): Evolution. Theorie, Formen und Konsequenzen eines Paradigmas in Natur, Technik und Kultur, Berlin 2011, S. 153–164.
  27. Pierre Teilhard de Chardin: Das Herz der Materie und Das Christische in der Evolution. Aus dem Französischen übersetzt von Richard Brüchsel. Patmons Verlag, 2018. S. 79.
  28. Vera Haag (Autorin), Hans Geser (Hrsg.): Pierre Teilhard de Chardin: Visionär oder Evolutionsmystiker. Soziologisches Institut der Universität Zürich, Online Publications, Sociology of Religion, online abgerufen am 18. März 2024.
  29. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen Oehler/Vollmer.
  30. Vollmer 2016, S. 32, 36.
  31. Vollmer 2016, S. 22, 35.
  32. Vollmer 2016, S. 36.
  33. Vollmer 2016, S. 45–46.
  34. Niklas Luhmann: Ideenevolution. Suhrkamp Verlag 2008, ISBN 978 3 518 29470 3.
  35. a b c Olaf Maaß: Die Soziale Arbeit als Funktionssystem der Gesellschaft? – Eine systemtheoretische Analyse. Dissertation, Hamburg 2007, PDF, abgerufen am 23. Januar 2024, S. 177–180.
  36. Sarasin/Sommer 2010, S. 128 (Georg Toepfer: Generelle Evolutionstheorie.), 234 (Christian Geulen: Geschichtswissenschaft), 362 (Jakob Tanner: Politik.).
  37. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen Kradolfer.
  38. Malte Lierl: Systemtheoretischer Evolutionsbegriff in Geschichte und Ökonomie. Dresden 2004, PDF, abgerufen am 23. Januar 2024, S. 4–5.
  39. Ziemann, Benjamin (2007). "The Theory of Functional Differentiation and the History of Modern Society. Reflections on the Reception of Systems Theory in Recent Historiography". Soziale System, 13 (1+2). pp. 220–229.
  40. Vollmer 2016, S. 42.
  41. Jon D. Miller, Eugenie C. Scott, and Shinji Okamoto: Public Acceptance of Evolution. In: Science communication. Band 313, Ausgabe 5788, 11. August 2006, S. 765–766.
  42. Michael Hampe: Philosophie. In: Sarasin/Sommer 2010, S. 282–283.
  43. Richard H. Beyler: Physik. In: Sarasin/Sommer 2010, S. 291 (Quantenmechanik), 293 (Mayr).
  44. a b Walter Gilberti: Zum Tode des Paläontologen Stephen J. Gould. Artikel auf wsws.org vom 12. Juli 2002,online abgerufen am 5. März 2024.
  45. a b Ingo Brigandt: Kreationismus und Intelligent Design. In: Sarasin/Sommer 2010, S. 350–357.
  46. Richard H. Beyler: Physik. In: Sarasin/Sommer 2010, S. 291 (Quantenmechanik), 293 (Mayr).
  47. a b c Michael Hampe: Philosophie. In: Sarasin/Sommer 2010, S. 273–284.
  48. Samuel R. Nüesch: Die Leib-Seele Debatte: Eine Übersicht der wichtigsten Positionen. Arbeitspapiere aus der IKAÖ, Nr. 1, Universität Bern, September 2008, PDF, abgerufen am 22. Februar 2024, S. 5, 16–18.
  49. a b c Patrick Spät: Panpsychismus: ein Lösungsvorschlag zum Leib-Seele-Problem. Dissertation, FreiDok der Universität Freiburg, Freiburg 2010, PDF, abgerufen am 17. Juni 2023, S. 2–4, (Inspiration von Whitehead u. Teilhard), 4, 91–93, (Evolution), 81–86 (Emergenz), 92–93 (Evolutionärer Vorteil von Bewusstsein), 165–167 (Wahrscheinlichkeit der Evolution nach Teilhard de Chardin).
  50. Heinrich Päs: Gibt es den freien Willen? Und: Was ist Realität? Beitrag auf Spektrum.de SciLogs vom 16. Januar 2018, online abgerufen am 29. Februar 2024.
  51. Robert Prentner: Die Entstehung der Objekte. Überlegungen zu einer exakten Wissenschaft von Bewusstsein. Dissertation ETH Zürich, Nr. 24329, 2017, PDF, abgerufen am 29. Februar 2024, S. 51.
  52. Hans Kessler: Evolution und Schöpfung in neuer Sicht. Topos plus, 2017, ISBN 978-3-8367-0026-9
  53. Berta Moritz, Helmut Moritz: Über Naturgesetze und Evolution. In: IMABE Studie. Eine wissenschaftliche Schriftenreihe des IMABE-Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik. Nr. 6, Wien 2007.
  54. Anna Beniermann: Evolution – von Akzeptanz und Zweifeln: Empirische Studien über Einstellungen zu Evolution und Bewusstsein. Dissertation, Springer Spektrum, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-658-24104-9, S. 48.
  55. Ingo Brigandt: Kreationismus und Intelligent Design. In: Philipp Sarasin, Marianne Sommer (Hrsg.): Evolution: Ein interdisziplinäres Handbuch. Metzler Verlag 2010, ISBN 978-3-476-02274-5.
Wiktionary: Evolution – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Kategorie:Evolution