Imre Tóth (Philosoph)

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Imre Tóth, eigentlich Imre Roth (* 26. Dezember 1921 in Satu Mare; † 11. Mai 2010 in Paris) war ein rumänisch-deutscher Mathematikhistoriker, Philosoph und Altphilologe. Vittorio Hösle bezeichnet ihn als einen der bedeutendsten Mathematikhistoriker des 20. Jahrhunderts.[1] Er lehrte Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg.

Imre Tóth wurde in einer ungarisch-jüdischen Familie in Rumänien geboren. Er änderte seinen Namen in Tóth während des Holocaust, dem seine Eltern zum Opfer fielen. Der Vater hatte aufseiten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg gekämpft und war „durch und durch germanophil“.

Tóth überlebte den Holocaust (als einziger seiner Familie) paradoxerweise, weil er im Widerstand war und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war: Die jüdischen Gefängnisinsassen sollten erst später deportiert werden als die übrige jüdische Bevölkerung. Am 6. Juni 1944 wurde er mit anderen Häftlingen zu einem Zug gebracht. Kurz vor der Abfahrt stoppte ein ungarischer Offizier den Zug, da die Alliierten in der Normandie gelandet waren und der Offizier den Krieg als verloren ansah; die Häftlinge wurden wieder in das Gefängnis zurückgebracht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte Toth Mathematik und Philosophie und unterrichtete 1949 bis 1968 Philosophie und Mathematikgeschichte in Bukarest. Da er sich positiv zum Ungarischen Aufstand geäußert hatte, war er 1958 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden und danach in seiner Karriere behindert. Anfang der 1970er Jahre floh er nach Deutschland, wo er 1969 bis 1971 Gastprofessor in Frankfurt am Main und danach in Bochum war. 1971 wurde er zum Ordinarius für Allgemeine Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg berufen. 1990 wurde er emeritiert und lebte danach in Paris.[2] Er war Gastwissenschaftler an der École normale supérieure und am Institute for Advanced Study.

Hösle schreibt über seine Arbeiten: „Imre Tóth setzte die bedeutende deutsche Tradition der antiken Mathematikhistorie auf höchstem Niveau fort, eben weil er nicht nur Philologe, sondern auch Philosoph war.“ Tóth erregte seit 1966 mit der These Aufsehen, „zahlreiche Passagen im Werk des Aristoteles“ setzten voraus, dass die Griechen Kenntnis von nicht-euklidischen Geometrien hatten, also von Geometrien, in denen die Winkelsumme im Dreieck von 180 Grad abweicht. Dabei stützte er sich auch auf eine Analyse des Aufbaus der Elemente Euklids. Die Stellen bei Aristoteles betreffen nicht nur die sphärische Geometrie (Winkelsumme größer als 180 Grad), sondern auch die hyperbolische (Winkelsumme kleiner als 180 Grad), die Aristoteles aber nicht näher untersuchte. Er veröffentlichte darüber schon 1969 einen populärwissenschaftlichen Aufsatz im Scientific American und befasste sich auch mit den Auswirkungen der Kenntnis nichteuklidischer Geometrien in Philosophie und Theologie. Ein weiterer Schwerpunkt von Tóths Arbeiten waren die Paradoxien von Zenon zum Begriff des Kontinuums.

Der Nachlass befindet sich im Universitätsarchiv Regensburg. Er enthält umfangreiche Korrespondenzen mit zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt und einigen Originalmanuskripten aus der Frühzeit seines Schaffens.

Veröffentlichungen (Auswahl)

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  • Fragmente und Spuren nichteuklidischer Geometrie bei Aristoteles, Beiträge zur Altertumskunde, Band 280, Berlin-New York 2010 (Vorwort von Vittorio Hösle) (Rezensionen dazu im Zentralblatt der Mathematik [engl.] von Victor Pambuccian und im Bryn Mawr Classical Review von Wilfried Lingenberg)
  • Das Parallelenproblem im Corpus Aristotelicum, «Archive for History of Exact Science», 3 (1967), 249–422
  • La geometria non euclidea prima di Euclide, in: «Le Scienze», Januar 1970 (Übersetzung aus Scientific American: Non-euclidean geometry before Euclid, Band 221, November 1969);
  • Geometria "more ethico". Die Alternative: euklidische oder nichteuklidische Geometrie in Aristoteles und die Grundlegung der euklidischen Geometrie, in AA.VV., Prismata: Naturwissenschaftsgeschichtliche Studien, Festschrift für Willy Hartner, hrsg. von Yasukatsu Maeyama und Walter Gabriel Saltzer, Wiesbaden 1977, 395–415
  • Die nichteuklidische Geometrie in der "Phänomenologie des Geistes": wissenschaftstheoretische Betrachtungen zur Entwicklungsgeschichte der Mathematik, Frankfurt am Main 1972
  • La revolution non euclidienne in: La recherche en histoire des sciences, Paris 1983
  • Mathematische Philosophie und hegelsche Dialektik in: Hegel und die Naturwissenschaften, hrsg. von Michael John Petry, Stuttgart 1987, 89–182
  • Essere e non essere: il teorema induttivo di Saccheri e la sua rilevanza ontologica, in: Conoscenza e matematica, a cura di Lorenzo Magnani, Milano 1991
  • The Dialectical Structure of Zeno's Arguments, in: Hegel and Newtonianism, ed. by Michael John Petry, Dordrecht 1993, 179–200
  • I paradossi di Zenone nel "Parmenide" di Platone, Neapel 1994
  • Aristotele e i fondamenti assiomatici della geometria. Prolegomeni alla comprensione dei frammenti non-euclidei nel "Corpus Aristotelicum", nel loro contesto matematico e filosofico, Vita e Pensiero, Milano 1997 (Rezension zur zweiten Auflage im Zentralblatt der Mathematik; PDF-Datei; 62 kB [engl.])
  • Gott und Geometrie: Eine viktorianische Kontroverse, in: Dieter Henrich (Herausgeber), Evolutionstheorie und ihre Evolution, Schriftenreihe der Universität Regensburg, Band 7, 1982, 141–204.
  • La filosofia della matematica di Frege. Una restaurazione filosofica, una controrivoluzione scientifica, a cura di Teodosio Orlando, Macerata 2015
  • Il lungo cammino da me a me. Interviste di Péter Várdy. Übersetzt von Francesca Ervas, Macerata 2016
  • Andreas Becker/Christian Reiß: Imre Tóth (1921–2010) und die Institutionalisierung der Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg, Universitätsverlag Regensburg, 2021, ISBN 978-3-86845-166-5
  • Vittorio Hösle: Mysterium Mathematik : Polyglott: Zum Tode des Wissenschaftlers Imre Tóth, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 15. Mai 2010, Seite 39

Einzelnachweise

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  1. Vittorio Hösle: Mysterium Mathematik : Polyglott: Zum Tode des Wissenschaftlers Imre Tóth, in: FAZ 15. Mai 2010.
  2. Biographische Angaben nach dem Vorwort von Hösle in Tóth Fragmente und Spuren nichteuklidischer Geometrie bei Aristoteles, De Gruyter 2010.