Kabinett Colijn II

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Ministerpräsident Hendrikus Colijn.

Das Kabinett Colijn II war die Regierung der Niederlande von 1933 bis 1935 unter Ministerpräsident Hendrikus Colijn, der bereits von 1925 bis 1926 Ministerpräsident war.[1] Dieses außerparlamentarische Mitte-Rechts-Kabinett musste die 1929 ausbrechende Weltwirtschaftskrise bewältigen, die auch die Niederlande hart traf. Das Kabinett entschied sich für eine Politik der „Anpassung“. Die Staatsausgaben wurden gesenkt und der Wert des „teuren“ Guldens beibehalten. Trotz der begrenzten finanziellen Mittel hatte die Regierung Beschäftigungsprojekte ins Leben gerufen, wenngleich 1935 dreißig Prozent der arbeitenden Bevölkerung arbeitslos waren.

Das zweite Kabinett Colijn wurde nach der vorgezogenen Parlamentswahl am 26. April 1933 gebildet und löste nach der Vereidigung am 26. Mai 1933 das Kabinett Ruijs de Beerenbrouck III.[2] Es bestand aus Ministern der der Römisch-Katholischen Staatspartei RKSP (Roomsch-Katholieke Staatspartij), der Anti-Revolutionären Partei ARP (Anti-Revolutionaire Partij) und der Christlich-Historischen Union CHU (Christelijk-Historische Unie), des Freisinnig-Demokratischen Bundes VDB (Vrijzinnig Democratische Bond), des Freiheitsbundes VB (Vrijheidsbond) sowie einem parteilosen Minister. Das Kabinett trat am 25. Juli 1935 zurück, nach dem es zu einer Regierungskrise gekommen war. Die verfolgte Wirtschaftspolitik führte zunächst zum Rücktritt von Wirtschaftsminister Max Steenberghe,[3] der der Ansicht war, dass die Niederlande dem Beispiel anderer Länder (insbesondere Belgiens) folgen und den Gulden abwerten sollte. Kritik an der Wirtschafts- und Währungspolitik der RKSP-Fraktion in der Zweiten Kammer der Generalstaaten löste kurz darauf eine Kabinettskrise aus. Am 31. Juli 1935 endete die Krise und das Kabinett Colijn III mit leicht veränderter Zusammensetzung zum bisherigen zweiten Kabinett nahm seine Arbeit auf.[4]

Bildung des Kabinetts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Wahlsieg der ARP erhielt Colijn als „Formateur“ den Auftrag zur Regierungsbildung. Er drängte auf ein Fünf-Parteien-Kabinett, an dem neben den drei rechten Parteien auch Liberale und Liberaldemokraten teilnahmen. Der Versuch, ein parlamentarisches Kabinett (Parlementair kabinet) zu bilden,[5] scheiterte jedoch an der mangelnden Bereitschaft der katholischen RKSP, ein Bündnis mit den Liberalen einzugehen. Sie wollten ein Kabinett der drei rechten Parteien nur mit der VDB, ohne die Liberalen. Dies lehnte jedoch insbesondere die CHU ab. Nach diesem Scheitern wurde Colijn sofort zum Leiter eines außerparlamentarischen Kabinetts ernannt. Wie schon 1929 unterschied sich das Endergebnis kaum vom ersten Versuch. Neben dem ARP-Fraktionsvorsitzenden Colijn traten auch der politische Führer der VDB, Henri Marchant,[6] und der prominente Abgeordnete Pieter Oud dem Kabinett bei.[7][8] Acht der zehn Minister waren Mitglieder der Zweiten Kammer der Generalstaaten, daher war die Bezeichnung „außerparlamentarisch“ (Extraparlementair kabinet) eher seltsam.[9] Das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit wurde in die Abteilungen Wirtschaft und Soziales aufgeteilt. Letzteres Ministerium war auch für die öffentliche Gesundheit zuständig. Der Bereich soziale Wohnungspolitik wurde dem Innenministerium übertragen. Das Kabinett verfügte mit 65 Sitzen (65 Prozent) in der Zweiten Kammer und 39 Sitzen (78 Prozent) in der Ersten Kammer über eine breite absolute Mehrheit.

Politik und Gesetzgebung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ministerpräsident Colijn (6.v.l.) und die anderen Mitglieder seines dritten Kabinetts (1933).

Die Regierung versuchte, die Wirtschaftskrise durch eine Anpassungspolitik zu bekämpfen. Der Haushaltsplan für 1934 wies ein Defizit von 190 Millionen Gulden auf. Daher mussten die Staatsausgaben gesenkt werden. Dies geschah unter anderem durch Kürzungen der Beamtengehälter und Unterstützungsmaßnahmen für Arbeitslose. Finanzminister Oud legte im Namen des Kabinetts ein Spargesetz (Bezuinigingswet) vor. Im Juni und Juli 1933 nahm eine Delegation unter der Leitung von Premierminister Colijn an der Weltwirtschaftskonferenz in London teil, deren Vorsitz der britische Premierminister Ramsay MacDonald innehatte. Allerdings brachte die Konferenz keine Ergebnisse, so dass es nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise kam. Die Regierung behielt den Goldstandard bei, also den festen Goldwert des Guldens. Die Regierung war der Ansicht, dass eine Reduzierung des Guldenwertes gegenüber Menschen, die Geld gespart hatten, unfair sei. Von „Münzfälschung“ (muntvervalsing) war die Rede. Die umliegenden Länder hatten den Goldstandard bereits Anfang der 1930er Jahre aufgegeben. Die Exportposition der Niederlande war daher benachteiligt und konnte nur durch Kostensenkungen verbessert werden. Darüber hinaus wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um niederländische Unternehmen und die Landwirtschaft finanziell zu unterstützen und den Inlandsabsatz zu schützen. Importe wurden eingeschränkt.

Im Juli 1934 kam es in Amsterdam zum sogenannten „Jordan-Aufstand“ (Jordaanoproer) bei dem sich die Bevölkerung gegen die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung wandte. Der Minister für Unterricht, Kunst und Wissenschaften Marchant führte eine Rechtschreibreform ein, die jedoch nur in begrenztem Umfang umgesetzt wurde. 1934 wurde ein Straßenfonds (Wegenfonds) gegründet.

Bei den Wahlen zu den Provinciale Staten, den Parlamenten der Provinzen, 1935 gewann die Nationalsozialistische Bewegung NSB (Nationaal-Socialistische Beweging) fast acht Prozent der Stimmen. Als Maßnahme gegen den zunehmenden Extremismus wurde bereits Ende 1933 ein Beamtenverbot gegen NSB-Mitglieder verhängt. Eine Reihe überwiegend linker Intellektueller gründete die Gesellschaft „Einheit durch Demokratie“ (Eenheid door Democratie). Die Niederlande war zunehmend mit jüdischen Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland konfrontiert. Justizminister Josef van Schaik verfolgte eine sehr vorsichtige Asylpolitik, um Deutschland nicht zu verärgern.[10]

Die wichtigsten Gesetze waren:

  • Sicherheitsgesetz 1934 (Veiligheidswet)
Neben der Sicherheit in Fabriken und Werkstätten wurden nun auch Regeln zur Sicherheit unter anderem für die Landwirtschaft und die Binnenschifffahrt festgelegt. Nach dem Gesetz konnten Ratsanordnungen zur Sicherheit in bestimmten Sektoren erlassen werden.
  • Straßenverkehrsgesetz 1935 (Wegenverkeerswet)
Dieses Gesetz ersetzte das Motorrad- und Fahrradgesetz (Motor- en Rijwielwet) von 1905 und enthielt Regeln, die der Verkehr auf Straßen und Radwegen einhalten musste. Das Gesetz sah erstmals Anforderungen für den Erwerb eines Führerscheins, dessen Gültigkeit auf fünf Jahre festgelegt wurde, und auch Bestimmungen zum Fahren unter Alkoholeinfluss vor. Das Gesetz trat allerdings erst 1951 in Kraft.

Mitglieder des Kabinetts und Regierungsumbildungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mitglieder des Kabinetts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dem Kabinett gehörten folgende Personen an:

Amt Amtsinhaber Partei Beginn der Amtszeit Ende der Amtszeit
Ministerpräsident Hendrikus Colijn ARP 26. Mai 1933 31. Juli 1935
Außenminister Andries Cornelis Dirk de Graeff Parteiloser Liberaler 26. Mai 1933 31. Juli 1935
Justizminister Josef van Schaik RKSP 26. Mai 1933 31. Juli 1935
Innenminister Jacob Adriaan de Wilde ARP 26. Mai 1933 31. Juli 1935
Minister für Unterricht, Kunst und Wissenschaften Henri Marchant
Jan Rudolph Slotemaker de Bruine (kommissarisch)
VDB
CHU
26. Mai 1933
18. Mai 1935
18. Mai 1935
31. Juli 1935
Finanzminister Pieter Oud VDB 26. Mai 1933 31. Juli 1935
Verteidigungsminister Laurentius Nicolaas Deckers RKSP 26. Mai 1933 31. Juli 1935
Minister für Wasserwirtschaft Jacob Adriaan Kalff
Hendrikus Colijn (kommissarisch)
Otto Cornelis Adriaan van Lidth de Jeude
VB
ARP
VB
26. Mai 1933
13. Januar 1935
15. März 1935
13. Januar 1935
15. März 1935
31. Juli 1935
Minister für Wirtschaft und Arbeit Timotheus Josephus Verschuur RKSP 26. Mai 1933 8. Juni 1933
Wirtschaftsminister Timotheus Josephus Verschuur
Hendrikus Colijn (kommissarisch)
Max Steenberghe
Henri Gelissen
RKSP
ARP
RKSP
RKSP
8. Juni 1933
17. April 1934
25. Juni 1934
6. Juni 1935
17. April 1934
25. Juni 1934
6. Juni 1935
31. Juli 1935
Sozialminister Jan Rudolph Slotemaker de Bruine CHU 12. Juni 1933 31. Juli 1935
Kolonialminister Hendrikus Colijn ARP 26. Mai 1933 31. Juli 1935

Regierungsumbildungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1934 trat der Unternehmer Steenberghe die Nachfolge von Minister Verschuur an, der aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat. Steenberghe selbst verließ das Kabinett nach einem Jahr, da er der Einzige war, der eine Abwertung des Guldens (Aufgabe des Goldstandards) befürwortete. Außerhalb der politischen Führung der RKSP wurde er durch den Tilburger Professor und Unternehmer Prof. Gelissen ersetzt. Im Januar 1935 starb der Minister für Wasserwirtschaft Kalff an einer Lungenentzündung, die er sich während eines Arbeitsbesuchs zugezogen hatte. Die überraschendste Veränderung fand im Bildungswesen statt. Der liberaldemokratische Minister Marchant schien Anfang 1935 zum Katholizismus konvertiert zu sein. Seine Position wurde daher unhaltbar. Einerseits waren die Ansichten des VDB in vielerlei Hinsicht weit von denen der Katholiken entfernt, andererseits wurden Fragen zur Sparpolitik Marchants aufgeworfen. Er schien Sonderschulen zu verschonen und angesichts seines religiösen Übergangs warf dies viele Fragen auf.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Kabinett Colijn II – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Kabinet-Colijn II (1933–1935). parlement.com; (niederländisch).
  • Kabinett Colijn 2 (Memento vom 3. Dezember 2022 im Internet Archive)
  • The Netherlands: Ministries. rulers.org; (englisch).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Dr. H. Colijn. In: Parlement & Politiek. Abgerufen am 1. Januar 2024 (niederländisch).
  2. Tweede Kamerverkiezingen 1933. In: Parlement & Politiek. Abgerufen am 1. Januar 2024 (niederländisch).
  3. Mr. M.P.L. (Max) Steenberghe. In: Parlement & Politiek. Abgerufen am 1. Januar 2024 (niederländisch).
  4. Correctie kon crisis niet voorkomen – Conflict Colijn-Aalberse (1935). In: Parlement & Politiek. Abgerufen am 1. Januar 2024 (niederländisch).
  5. Parlementair kabinet. In: Parlement & Politiek. Abgerufen am 1. Januar 2024 (niederländisch).
  6. Mr. H.P. (Henri) Marchant. In: Parlement & Politiek. Abgerufen am 1. Januar 2024 (niederländisch).
  7. Mr. H.P. (Henri) Marchant. In: Parlement & Politiek. Abgerufen am 1. Januar 2024 (niederländisch).
  8. Mr. P.J. (Pieter) Oud. In: Parlement & Politiek. Abgerufen am 1. Januar 2024 (niederländisch).
  9. Extraparlementair kabinet. In: Parlement & Politiek. Abgerufen am 1. Januar 2024 (niederländisch).
  10. Mr. J.R.H. (Joop) van Schaik. In: Parlement & Politiek. Abgerufen am 1. Januar 2024 (niederländisch).