Sequenzielle Nephronblockade

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Die sequenzielle (nach alter Rechtschreibung auch noch: sequentielle) Nephronblockade ist ein pharmakologisches Konzept zur Behandlung von Nierenversagen[1] und Herzinsuffizienz[2] sowie von Ödemen diverser Genesen durch die Kombination mehrerer Diuretika (harntreibenden Mitteln).[3]

Physiologischer Hintergrund

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Ein Nephron ist die funktionelle Untereinheit der Nieren; es besteht aus den Nierenkörperchen (Glomeruli) für die Filtration und aus Nierenkanälchen (Tubuli) für Ionentausch und Rückresorption. Hinsichtlich des Wirkungsortes aller Diuretika wird zwischen dem proximalen und dem distalen Tubulus unterschieden. Beim distalen Tubulus wird wiederum zwischen dem frühdistalen und dem spätdistalen Tubulusabschnitt unterschieden. Der frühdistale Tubulusabschnitt heißt auch Pars convoluta oder distales Konvolut; der spätdistale Abschnitt heißt auch Tubulus reuniens oder Verbindungstubulus. Alle Diuretika verkleinern grundsätzlich die tubuläre Rückresorptionsquote, welche ohne Behandlung bei etwa 99 Prozent des Primärharns liegt.[4] Entscheidend hierbei ist insbesondere das Filtrations-Resorptions-Verhältnis von Natrium.

Die übliche Monotherapie mit einem einzelnen Schleifendiuretikum (blockt Na-K-2Cl-Cotransporter, kurz NKCC) ist gelegentlich wirkungslos, trotz intravenöser Gabe und hoher Dosierung. Als Ursache dieser so genannten Diuretikaresistenz der Schleifendiuretika kommt eine durch ihre diuretische Wirkung im Bereich der aufsteigenden Henle-Schleife und frühdistalen Tubulus induzierte kompensatorisch erhöhte Rückresorption von Natrium und Wasser im spätdistalen Abschnitt in Frage. Durch die Kombination mit einem Thiazid soll diese Rückresorption verringert werden. Diese Ansicht hinsichtlich des Wirkungsortes und damit des Wirkprinzips ist aber umstritten, da die Thiazidwirkung (blockt Natrium-Chlorid-Symporter, kurz NCC) ebenfalls dem frühdistalen Tubulus zugeordnet wird.[5][6] Außerdem kann auch die Monotherapie mit einem Thiazid zur Diuretikaresistenz führen.[7][8]

Eine Kombination beider Wirkstoffe soll in dieser Monotherapie-bedingten Situation die Rückresorption an jeweils anderer Stelle hemmen oder blockieren. So sollen die tubuläre Rückresorptionsquote wieder verkleinert, das Herzzeitvolumen ebenfalls reduziert, der Blutdruck gesenkt, das Harnvolumen vergrößert und die Ödeme ausgeschwemmt werden.

Mit der sequenziellen Nephronblockade werden die Glomeruli nicht blockiert. Stattdessen werden Tubulusanteile in ihrer Funktion eingeschränkt. Dabei bezieht sich das Wort Blockade auf die eigentliche Wirkung aller Diuretika, nämlich die iatrogen beabsichtigte Verkleinerung der tubulären Rückresorption. Diese Blockierung heißt sequenziell (lateinisch: sequentia = Aufeinanderfolge, sequens = folgend), weil sie schrittweise – im Gegensatz zur Monotherapie also mit zwei oder drei verschiedenen Wirkstoffen – an nachfolgenden Tubulusabschnitten erfolgt.

Dabei ist die Kombination des Schleifendiuretikums mit einem Thiazid-Diuretikum möglich, vorübergehend selbst bei Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz, bei denen Thiazide sonst kontraindiziert sind.[1][2][9] Eine solche Kombinationstherapie bei Niereninsuffizienz erfordert Erfahrung sowie engmaschige Kontrollen (besonders von Kreatinin, Magnesium und Kalium im Blut), besonders wenn zusätzlich Aldosteronantagonisten zur Vergrößerung der Diurese (sie wirken am spätdistalen Tubulusabschnitt) verordnet werden. Mehrere Kontraindikationen sind zu beachten.

Die klinische Relevanz wird beispielsweise bei der Behandlung von Niereninsuffizienten mit der Kombination eines Schleifendiuretikums mit einem Thiazid (zum Beispiel Hydrochlorothiazid (HCT; wegen unerwünschter Arzneimittelnebenwirkungen umstritten), Chlorthalidon oder Xipamid, das mit den Benzothiadiazinderivaten wirkungsverwandt ist[10]) deutlich: Niedrige Dosen der Kombination sind wirksamer und zugleich nebenwirkungsärmer[11] als die (teilweise noch immer durchgeführte) hochdosierte Monotherapie mit einem Schleifendiuretikum.

Da verschiedene Diuretika verschiedene Wirkorte haben, kann eine Kombination mehrerer Präparate im Sinne eines Synergismus ganz allgemein sinnvoll sein, wie zum Beispiel die Kombination von Thiaziden mit kaliumsparenden Diuretika.[12]

Einzelnachweise

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  1. a b Gesine Weckmann, Jean-François Chenot, Sylvia Strack: Versorgung von Patienten mit chronischer nicht-dialysepflichtiger Nierenerkrankung in der Hausarztpraxis. S3-Leitlinie, AWMF-Register-Nr. 053-048, DEGAM-Leitlinie Nr. 2. Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Berlin 2019 (awmf.org [PDF]).
  2. a b Jacob C. Jentzer, Tracy A. DeWald, Adrian F. Hernandez: Combination of loop diuretics with thiazide-type diuretics in heart failure. In: Journal of the American College of Cardiology. Band 56, Nr. 19, 2. November 2010, ISSN 1558-3597, S. 1527–1534, doi:10.1016/j.jacc.2010.06.034, PMID 21029871.
  3. Heinrich Knauf, Ernst Mutschler: Sequenzielle Nephronblockade: Zusatznutzen von Diuretika-Kombinationen. In: Pharmazie in unserer Zeit. Band 35, Nr. 4, 2006, ISSN 1615-1003, S. 334–340, doi:10.1002/pauz.200600180.
  4. H. Knauf, Ernst Mutschler: Diuretika, 2. Auflage, Urban & Schwarzenberg, München, Wien, Baltimore 1992, ISBN 3-541-11392-8, S. 224.
  5. Siehe zum Beispiel: Gerd Herold: Innere Medizin, Eigenverlag, Köln 2019, ISBN 978-3-9814660-8-9, S. 218. Aktuelle Bücher umgehen dieses Problem, indem sie sich nur auf den distalen Tubulusabschnitt beziehen, zum Beispiel: Andreas Ruß: Arzneimittel pocket, Sonderauflage der 23. Auflage, Grünwald im Dezember 2018, ISBN 978-3-89862-790-0, S. 56.
  6. Arjun D. Sinha, Rajiv Agarwal: Clinical Pharmacology of Antihypertensive Therapy for the Treatment of Hypertension in CKD. In: Clinical Journal of the American Society of Nephrology. Band 14, Nr. 5, 7. Mai 2019, ISSN 1555-9041, S. 757–764, doi:10.2215/CJN.04330418, PMID 30425103, PMC 6500954 (freier Volltext).
  7. P. Richard Grimm, Yoskaly Lazo-Fernandez, Eric Delpire, Susan M. Wall, Susan G. Dorsey: Integrated compensatory network is activated in the absence of NCC phosphorylation. In: Journal of Clinical Investigation. Band 125, Nr. 5, 1. Mai 2015, ISSN 0021-9738, S. 2136–2150, doi:10.1172/JCI78558, PMID 25893600, PMC 4463200 (freier Volltext).
  8. Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt: Kombination von Schleifendiuretikum und Thiazid: Neue Therapierichtlinien bei „Diuretikaresistenz“. 28. März 1997, abgerufen am 12. Dezember 2021.
  9. V. Schwenger, B.A. Remppis, R. Westenfeld, T. Weinreich, R. Brunkhorst: Dialyse- und Ultrafiltrationsverfahren bei kardiorenalem Syndrom: Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft „Herz – Niere“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e.V. In: Der Kardiologe. Band 8, Nr. 1, Februar 2014, ISSN 1864-9718, S. 26–35, doi:10.1007/s12181-013-0549-5.
  10. Willibald Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch, 267. Auflage, de Gruyter, Berlin, Boston 2017, ISBN 978-3-11-049497-6, S. 1956.
  11. Kurt Kochsiek, H. Gillmann, A. Schrey: Diuretika bei Hypertonie und Herzinsuffizienz, Urban & Schwarzenberg, München, Wien, Baltimore 1984, ISBN 3-541-10891-6, S. 23.
  12. Thomas Karow: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie vorlesungsorientierte Darstellung und klinischer Leitfaden für Studium und Praxis : 2022. 30. Auflage. Köln 2021, ISBN 978-3-9821223-2-8.